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Gleiche Rechte verteidigen und ausweiten!

Für einen gemeinsamen Kampf!

Flyer der BFS / MPS - 22. Juni 2010


Europa ist derzeit von einer schweren Wirtschaftskrise erfasst und gleichzeitig steht seine Bevölkerung unter dem Druck neuer, drastischer Sparmassnahmen der Regierungen. In der Frage der Rechte der MigrantInnen treffen vier zentrale sozioökonomische und politische Prozesse aufeinander: 1. Weitgehende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und Erwerbs-losigkeit steigen sprunghaft an. 2. Laufende Gegenreformen im sozialen Bereich verstärken sich und betreffenen sämtliche soziale Rechte, welche die Lohnabhängigen nach dem Zweiten Weltkrieg errungen haben. 3. Soziale Bewegungen (z.B. jene Kreise, die MigrantInnen unterstützen) werden immer mehr kriminalisiert, gleichzeitig werden elementare demokratische Rechte verletzt, ganz besonders betroffen sind MigrantInnen. 4° Der politische Raum wird von rechtsextremen Kräften eingenommen, die offen rassistisch argumentieren und oftmals den Boden für sich nutzen, der von der staatlichen Politik der “Kontrolle der Migrationsflüsse” bereitet wird.

Wer sich mit der Lage der MigrantInnen beschäftigt und nicht nur ihren rechtlichen und administrativen Status in allen Variationen ins Auge nimmt, merkt schnell, dass die grosse Mehrheit der MigrantInnen in der einen oder anderen Form gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. In diesem Sinne sind sie Teil der breiten Masse der lohnabhängig Beschäftigten. Vereine, Gewerkschaften und politische Organisationen mit dem Anspruch, die Rechte der Lohnabhängigen ausnahmslos und bedingungslos zu verteidigen, stehen daher in der Pflicht, auf der Grundlage dieser Feststellung Bedingungen zu schaffen, damit Forderungen verschiedener Gruppen von Lohnabhängigen zusammenfliessen können. Weiter ist es ihre Aufgabe, radikal gegen jede Art von “Sondermassnahmen”, speziell auf MigrantInnen zielend, zu opponieren, die in naher Zukunft auch gegen andere Lohnabhängige eingesetzt werden können.

Illegale Auswanderung und illegale Einwanderung – ein teuflisches Duo

Ein Teil der offiziellen Linken hat eine Vorstellung bereits verinnerlicht: Nämlich dass es so etwas wie eine “illegale Auswanderung” gibt. Dieses Konzept wird breit getreten und insbesondere auf Menschen aus Afrika, Maghreb, Irak, Afghanistan usw. gemünzt, die über Wüsten und Meere Europa zu erreichen versuchen. MigrantInnen werden so zu Kriminellen, in eindeutiger Verletzung der Allgemeinen Menschen-rechtserklärung von 1848, Artikel 13 Absatz 2: “Jeder hat das Recht, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Diese Formulierung zielte faktisch auf autoritäre Länder wie die Sowjetunion und die Deutschen Demokratischen Republik (DDR), welche ihre BürgerInnen daran hinderten, auszuwandern oder ihr Land zu verlassen. Bekanntlich galt in dieser Situation “Schiessbefehl”.

Als Gegenstück zu dieser Realität wurde die Vorstellung der “illegalen Einwanderung” geschaffen, denn ein Land kann per se einer migrierenden Person den Zutritt verweigern. In einer ersten Phase während 1950- und 1960er Jahre wurden die wenigen “illegalen Auswanderer” aus den Ländern des Ostblocks freundlich aufgenommen.

Gleichzeitig organisierten diverse Stellen in den Ländern an den Rändern Europas und in aussereuropäischen Staaten eine Auslese unter MigrantInnen für die Sektoren Bau, landwirtschaftliche Saisonarbeit, Industrie usw.

Derzeit sind es die Ländern der Europäischen Union (EU), die mit einer Reihe von aussereuropäischen Ländern die “illegale Auswanderung” aushandeln. Konkret sind es die EU- und auch die schweizerischen Behörden, die gegen Bezahlung von der Ukraine, Libyen, Marokko und anderen verlangen, dass Polizeimassnahmen und Repressionsinstrumente gegen “illegale Auswanderung” geschaffen werden. Also gegen jene, die entweder aus diesen Ländern stammen oder diese Länder passieren auf dem Weg nach Europa. Diese Politik in Sachen “illegale Auswanderung”, die an den Grenzen zu EU zerschlagen werden soll, wird mit dem Kampf gegen “illegale Einwanderung” gerechtfertigt.

Ein findet ein regelrechter Kuhhandel statt. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade hat z.B. im Austausch für die Rückschaffung der Menschen aus Senegal, die auf den Kanarischen Inseln stranden, von der spanischen Regierung finanzielle Mittel für irgendwelche Entwicklungsprojekte gefordert. Das ist auch meistens der Hintergrund der sogenannten partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit als Antwort auf Migration.

So werden zwei parallele polizeiliche Einrichtungen geschaffen: In den Ländern der Peripherie zur Kontrolle der “illegalen Auswanderung”, und in den Ländern der EU zur Eindämmung der “illegalen Einwanderung”. Das libysche Regime hat ja nicht nur Göldi und Hamdani verhaftet, sondern und vor allem Abertausende Menschen aus Afrika, die gefoltert, vergewaltigt und unter korrupten Polizeieinheiten ausgetauscht werden. Darüber spricht aber niemand. Die schweizerische Regierung hat kein Problem damit. Denn Kadhafi erledigt ja nur seinen Job, den Kampf gegen “illegale Auswanderung”.

Lager gestern und heute

Im Geist dieser Politik gibt es auch in der EU und in der Schweiz Lager zur Einsperrung von AusländerInnen. Gleichartige Lager finanzieren die EU und die Schweiz in Libyen, Marokko, Ukraine, Mauretanien. Diese Lager verletzen die internationalen Konventionen, denen diese Länder beigetreten sind: Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge der Vereinten Nationen, die UN-Kinder-rechtskonvention usw. In Ländern wie Griechenland, Italien, Zypern oder Malta werden jene MigrantInnen, die auf der Reise nicht gestorben sind, in Haft gesetzt, unabhängig von ihrer humanitären und/oder rechtlichen Lage. Die europäischen Flughäfen haben, in unmittelbarer Nähe zu den VIP-Lounges ihre eigenen Einsperrungslager. Die Initiative und der Gegenvorschlag zur Ausschaffung “krimineller Ausländer” speisen sich aus der gleichen Logik von administrativer Verwahrung und Repressions-massnahmen.

Parteien, die in der Regierung sitzen oder dieses Ziel anvisieren, schliessen bewusst die Augen vor der grässlichen Lage betreffend demokratische Rechte. In den Lagern sitzen Menschen ohne Gerichtsentscheid oder -verfahren ein – aus dem einzigen Grund, dass sie eine Grenze passiert haben oder in einem Land leben möchten, ohne die “geltenden Regeln” einzuhalten. Bekanntlich stehen diese Regeln oft im Widerspruch zu internationalem Recht, unter anderem zu den Grundsätzen des Flüchtlingsschutzes.

Diese Art von Haft führt zwangsläufig zu Misshandlungen, physischer und psychologischer Gewalt. Hungerstreik, Aufruhr – oder gar Selbstmorde – zeugen vom Willen der Menschen, ihre Würde zurückzuerhalten. Menschen, welche die würdelose Politik der herrschenden Klassen und die von ihnen organisierte Macht erleiden.

Diese administrative Haft verletzt diverse Grundrechte: das Recht, sich frei zu bewegen; das Recht auf Asyl; den Respekt vor dem Privat- und Familienleben; das Recht, keine unmenschliche Behandlung erfahren zu müssen. Das Europaparlament kommt in einer Studie von Dezember 2007 zum Schluss: “Die Haft in geschlossenen Zentren führt zum Entstehen oder zur Verschlimmerung psychischer Störungen der festgehaltenen Ausländern, mit schwerwiegenden Folgen insbesondere für Minderjährige.”

Diese Politik der Wegsperrung im Namen der Kontrolle der Migrationsflüsse verschärft die Stigmatisierung von MigrantInnen und verstärkt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Es entsteht staatlicher Rassismus. Der Kampf verschiedener Organisation für die Schliessung der Lager in Europa und anderswo steht im Rahmen eines allgemeinen Kampfes für die Verteidigung demokratischer Rechte. Ganz offensichtlich verweisen die neuen Einsperrungslager auf die Geschichte anderer Lager: Jener der 1930- und 1940er Jahre in diverses Ländern Europas, die Lager der UdSSR, oder die chinesischen Lager.

Gegen die Ordnung des Profits

“Illegale Auswanderung”, “illegale Einwanderung”, Einsperrungslager sind Teil der Politik zur “Kontrolle der Migrationsflüsse” – in anderen Worten zur internationalen Kontrolle und Nutzung der Arbeitskräfte unter Zwangsbedingungen. Das Gegenstück zu dieser Politik ist die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, von denen die MigrantInnen das verletzlichste Segment darstellen.

Ganze Industriezweige, so die Automobilbranche, arbeitet breitflächig im Zulieferersystem, damit die grossen Marken und deren Aktionäre den grösstmöglichen Mehrwert und Profit einstreichen. Am Ende der Zuliefererkette stehen Erwerbslose, MigrantInnen, die äusserst harte Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen, mit grenzenlos flexiblen Arbeitszeiten usw. Gleiches gilt für noch verstärkt für die Textilbranche, den Bau, das Gastgewerbe usw.

Die Ausbeutungskette reicht von den marokkanischen Beschäftigten im Hotelbau für Touristen im eigenen Land bis zu den marokkanischen MigrantInnen, die in Landwirtschaft und Baugewerbe in Europa überausgebeutet werden. Die Glieder der Kette können in vielen Sektoren nachgewiesen werden, so etwa im Bergbau zur Gewinnung von Eisen bis zu den Eisenlegern aus Kosovo, die in Unterakkordanz von der Baufirma Implenia eingesetzt werden.

Wenn papierlose Beschäftigte in Frankreich sagen: “Wir zahlen hier Sozialbeiträge, wir leben hier, wir bleiben hier”, so schaffen sie eine Verbindung zum Leitspruch der arbeitenden Latinos in den USA, die gestern und heute wieder in Arkansas sagen: “Wir arbeiten hier, wir schaffen Reichtum, wir haben die gleichen Rechte.” Regularisierung für alle heisst die Forderung.

In der einen oder anderen Form sind alle konfrontiert mit einem sozialen, wirtschaftlichen und politischen System, das – insbesondere unter den heutigen Krisenbedingungen – immer häufiger individuelle, gewerkschaftliche, soziale und kollektive Rechte angreift. Selbst wenn die Mobilisierung möglichst viele Kräfte vereint im Kampf gegen diese Angriff und zur Befriedigung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturelle Bedürfnissen, stösst sie auf die Macht der Herrschenden und auf ihre Politik der Spaltung. Sie stösst also auf Repressionsmassnahmen und auf immer neue Manipulationen zur Förderung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Seit jeher wurde die Spaltung der Lohnabhängigen genutzt für die Interessen der herrschenden wirtschaftlichen und sozialen Minderheit. Der Kampf für die alle Rechte der MigrantInnen ist Teil des Kampfes für die Rechte und Bedürfnisse der Lohnabhängigen. Dieser Kampf kann nur geführt werden, wenn die Zusammenhänge für alle Teilnehmenden klarer und sichtbarer gemacht werden: So entstammen die aktuellen Massnahmen der schweizerischen Regierung z.B. gegen Erwerbslose, gegen RentnerInnen, gegen Gewerkschaftsaktivist-Innen in den Betrieben der gleichen Logik wie die Repression gegen MigrantInnen. In anderen Worten: Gegenüber der Macht der herrschenden Klasse muss in konkreten und exemplarischen Kämpfen der Geist des gemeinsamen Interesses aller Lohnabhängigen wieder geweckt werden. Und auch das Bewusstsein, dass Würde mit dem Willen und der Fähigkeit einher geht, gegen jene anzukämpfen, deren einziger Gott der Profit oder die Profitordnung ist.

(22. Juni 2010)