ISS
Aviation Genf hat – ohne Kader –
etwa 130 Beschäftigte. Ein kleiner, unbedeutender
Streik bei einer kleinen Firma, so könnte
man auf den ersten Blick denken. Der Streik
hat aber zahlreiche Besonderheiten, die ihn
zu einer ganz wichtigen Auseinandersetzung
machen. Zunächst einmal ist es ein ungewöhnlich
langer Streik. Bei Drucklegung dieses Hefts
dauerte er bereits 53 Tage, fast zwei Monate
also. Und über einen Monat hat es gedauert,
bis die Arbeitgeber überhaupt angefangen
haben, sich millimeterweise zu bewegen. Inzwischen
sind Gespräche im Gang.
Unter
dem Existenzminimum
Weiter geht es um einen Streik im Tieflohnbereich.
Wer sich bei der ISS verdingt, wird nicht
reich – auch nicht zu Zeiten des vorher
gültigen Gesamt-arbeitsvertrags. Damals
hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
eine Lohnkarriere zu erwarten, die von 3650
bis 4850 Franken führte. Gewiss tiefe
Löhne für Genf, die teuerste Stadt
der Schweiz, aber immerhin halbwegs anständige,
existenzsichernde Löhne. Die Arbeitgeberin
hat diesen GAV gekündigt, um diese Löhne
unter das Existenzminimum zu drücken.
Neu sollen Monatslöhnerinnen nur noch
3430 und im Maximum – am Ende der Lohnkarriere
– 3550 Franken verdienen.
Wer im Stundenlohn angestellt ist, soll nach
dem Willen der ISS sogar nur noch 3200 Franken
verdienen. Damit kann man in Genf nicht leben
– und wird von der Sozialhilfe abhängig.
Typisch ist, dass es vorab Frauen sind, die
in diesem Bereich arbeiten. Auch bei der Reinigungsfirma
ISS Aviation sind die Mehrheit der Beschäftigten
Frauen. Bei den (bisher besser gestellten)
Monatslöhnern sind zwar die Männer
in der Überzahl – die Mehrheit
des Pesonals ist aber im Stundenlohn als «Aushilfen»
(«Auxilières») angestellt.
Und unter diesen «Aushilfen» findet
man fast nur Frauen.
Es
geht in Genf auch um einen Streik gegen Lohn-dumping.
Über 15 Jahre lang hatte der Gesamt-arbeitsvertrag
für die ISS Aviation Bestand. Diesen
langjährigen Vertrag hat die ISS Ende
2009 per Ende Juni 2010 gekündigt. Zielsetzung:
bisher einigermas-sen anständige Löhne
drücken – je nach Alter 200 bis
1300 Franken im Monat unter die bisherigen
Löhne.
Skandalöse
Rolle
Letztmals
wurde der GAV am 1. Januar 2009 unterzeichnet.
Seit 1994 gilt darin die Regelung, dass Beschäftigte
mit einem Pensum von 50 Prozent oder mehr
automatisch die besseren Bedingungen der Festanstellung
im Monatslohn geniessen, für welche ein
gewisser Lohnaufstieg programmiert war. In
Tat und Wahrheit foutierte sich die ISS um
den unterschriebenen Vertrag. Sie engagierte
und bezahlte Leute im Stundenlohn, setzte
sie aber regelmässig mit Pensen von 70
oder 80 Prozent ein wie Monatslöhnerinnen
– einfach zu viel tieferen Löhnen.
Als der vpod die Einhaltung des GAV verlangte,
weigerte sich die ISS und zog es vor, den
Vertrag zu kündigen, den sie kaum ein
Jahr vorher unterschrieben hatte.
Eine
Besonderheit beim Genfer Streik ist zudem,
dass der Staat darin involviert ist –
leider hat er bis anhin eine skandalöse
Rolle gespielt. Die ISS arbeitet in einem
staatlichen Monopolbetrieb und braucht für
ihre Tätigkeit eine Konzession. Der Genfer
Regierungs-präsident François
Longchamp, in Personalunion zugleich Präsident
der Flughafengesellschaft und Vorsitzender
des zuständigen Wirtschaftsdeparte-ments,
gibt zwar zu, dass die konzessionierten Firmen
die Gesamtarbeitsverträge und die branchenüblichen
Löhne einhalten müssen. Er unternimmt
aber nichts, um diese Verpflichtung aus der
staatlichen Konzession einzulösen. Im
Gegenteil: Longchamp unterstützt das
staatliche Lohndumping.