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Am 25. September 2005 stimmen wir über zwei Teile eines „Pakets“ ab: Erstens über ein Abkommen mit der Europäischen Union (EU der 25) für die Erweiterung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Länder. Und zweitens über Massnahmen, die das Parlament beschlossen hat, um schweizerische und ausländische Lohnabhängige angeblich vor Lohn- und Sozialdumping zu schützen, die sogenannten „flankierenden Massnahmen“ zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit. Wir sagen NEIN zu diesen „flankierenden Massnahmen“, denn sie sind völlig ungenügend, um die Rechte der schwei¬zerischen und ausländischen Arbeitnehmer zu schützen, die in der Schweiz arbeiten oder arbeiten werden. Die grossen Unternehmen und die Arbeitgeber sind auf bilaterale Abkommen mit der EU angewiesen. Es gilt, diesen Umstand auszunützen, um den Bossen Rechte abzuringen, die bedingungslos für alle Lohnabhängigen gelten.

Ein NEIN am 25. September führt keineswegs zu einer Spaltung der eingewanderten Lohnabhängigen in diejenigen, die bereits in die Schweiz kommen können (EU der 15) und diejenigen der 10 neuen EU-Länder. Für die Angehörigen der neuen EU-Ländern wird sich die Rechtslage vor 2011 praktisch nicht ändern.

Das NEIN führt lediglich zu einem Moratorium in Sachen Ausweitung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der EU der 25. Es muss eine zweite Abstimmung durchgeführt werden. Wenn bis dann wirksame „flankierende Massnahmen“ getroffen worden sind, steht einem JA nichts mehr im Wege.

economiesuisse (Verband der Schweizer Unternehmen), der Schweizerische Arbeitgeberverband und der Schweizerische Gewerbeverband – also alle Arbeitgeberverbände – geben etwa 10 Millionen Franken aus, um eine trügerische Propaganda für ein JA an der Abstimmung vom 25. September zu finanzieren. Bereits daraus ergibt sich, wer die wahren Gewinner sind, wenn das „Paket“ angenommen wird.

Entlassungsdrohungen und vermehrter Lohndruck sind bewährte Mittel, die die Bosse immer häufiger anwenden.

Der Grossunternehmer und Bundesrat Christoph Blocher steht für das JA ein: „In gewissen Branchen, etwa im Banken- und Versich-erungsbereich oder bei den Ingenieuren und der Industrie dürfte der Druck auf die Löhne wohl zunehmen.“ (Tages-Anzeiger, 5.7.05)

Beispiele von Lohnsenkungen (oder von Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnerhöhung) sind immer zahlreicher, sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Sektor. Bei den SBB will die Leitung die Reinigung der Wagen 20% billiger erledigen lassen (Le Matin, 1.7.05). MOPAC, das grösste Verpackungsunternehmen der Schweiz (beliefert COOP, Migros usw.), hat Lohnkürzungen von 15% bis 30% durchgesetzt. Wer sich weigerte, wurde entlassen! Ein Hauptverantwortlicher der Gewerkschaft UNIA stellt ernüchternd fest: „Die Arbeitnehmer müssen schlechtere Bedingungen in Kauf nehmen oder gehen.“ (SonntagsBlick, 17.7.05)

Daher setzen die Bosse für die JA-Kampagne auf die Gewerkschaftsführung. Der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, Rudolf Stämpfli, erklärt, dass „ohne Zustimmung der Gewerkschaften, respektive ihrer Basis diese Abstimmung nie zu gewinnen wäre“ (17.6.05).

Deshalb meinen die Arbeitgeber, es sei Sache der Leitung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, den Lohnabhängigen das Abkommen und die „flankierenden Massnahmen“ schmackhaft zu machen. Der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes Peter Hasler kommt seit Dezember 2004 immer wieder auf diesem Punkt zurück (Schweizer Arbeitgeber, 25/26).

Hier ist nur eine Antwort angebracht: NEIN zu diesem Täuschungsmanöver !

„Heute ist der Arbeitsmarkt noch rigider und unflexibler als mit den flankierenden Massnahmen.“

Rudolf Stämpfli, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes

 

Zeichnung SonntagsBlick, 17.7.05.

 

„Im Banken- und Versicherungsbereich... oder bei der Industrie dürfte der Druck auf die Löhne wohl zunehmen“

 

Christoph Blocher, der für ein JA eintritt („Tages-Anzeiger“, 5.7.05)


Die Arbeitgeberorganisationen machen Kampagne für ein JA an der Abstimmung. Damit führen sie ganz einfach die Politik weiter, die sie seit Jahren zu Lasten der Lohnabhängigen betreiben.

Zwischen 2001 und 2004 haben die Gesuche um eine Bewilligung für Nachtarbeit um 75% zugenommen! Das Jahresarbeitszeitmodell – gleichbedeutend mit erzwungener Flexibilität und unbezahlten Überstunden – ist um 55% häufiger geworden. Und angesichts der 50’000 fehlenden Krippenplätze in der Schweiz hat der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes Peter Hasler eine Lösung parat: „Die Unternehmen sind insbesondere bereit, flexiblere Arbeitsbedingungen zu bieten“ (24 heures, 28.6.05). Hasler ist einer der prominentesten Befürworter des sogenannten „freien Personenverkehrs“.

Im Gastgewerbe ist laut dem neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) eine Lohnsenkung von 280 Franken im Monat für Beschäftigte mit Lehrabschluss und sieben Jahren Berufserfahrung zulässig. Der neue Präsident von „hotelleriesuisse“, Guglielmo Brentel, erklärt, heute würde man Beschäftigten 3150 Franken Monatslohn brutto bezahlen, die auch für 2000 arbeiten würden.

In der Maschinenindustrie – deren Dachverband lautstark bei der JA-Kampagne mitmacht – wollen die Bosse die Regelung der Arbeitszeit praktisch aushöhlen. Ein Mindestlohn wird im Gesamtarbeitsvertrag nicht festgelegt. In dieser Branche wird der GAV immer mehr wie jener der ASTAG (Schweizerischer Nutzfahrzeugverband) aussehen: weder Mindestlohn noch Arbeitszeitenregelung, Kürzung der Ferienwochen...

Die Post will die Löhne der Posthalter um 500 bis 1200 Franken monatlich senken. Beim „gelben Riesen“ ist eine generelle Lohnsenkung abzusehen, während die Arbeitsbedingungen immer härter und prekärer werden.

Die Politik der grossen Mehrheit der Kantone ist von Sparmassnahmen und Lohndruck geprägt. Der sogenannte Leistungslohn – und damit Willkür bei der Lohnfestlegung – wird zur Norm. Die Kantonsregierungen bauen Personal ab und lagern Dienstleistungen an private Anbieter mit miesen Löhnen aus. Wer will ernsthaft daran glauben, dass diese kantonalen Behörden gegen Lohndruck einstehen werden ?

Mit seinem Beschluss, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeldern von 520 auf 400 Tage (für unter 50-Jährige) zu senken, hat der Bundesrat 2000 Erwerbslose der Region Genfersee und Neuenburg in die Fürsorgeabhängigkeit getrieben. Damit werden sie gezwungen, jegliche Arbeit anzunehmen – egal wie schlecht Lohn und Arbeitsbedingungen sind. Die Lage dieser Erwerbslosen umschreibt der stellvertretende Direktor der Sozialhilfe Genf jedoch wie folgt: „Diese umgeschulten Personen [die also eine Umschulung absolviert haben] sind auf Grund von Alter und Gesundheitszustand (ab 45 Jahren !) nicht mehr in der Lage, den gesteigerten Arbeitsrhythmen gerecht zu werden“ (Le Temps, 15.6.05). Die Sparpolitik des Bundes wird bis Ende 2010 weitere 28’000 Erwerbslose produzieren. Wie kann man glauben, dass der Bundesrat in Zukunft flankierende Massnahmen zum Schutz der Lohnabhängigen umsetzen wird ?

Nach Meinung des Waadtländer Arbeitgeberverbandes soll das JA „für unser Land und unsere Unternehmen wachstumsfördernde Rahmenbedingungen“ schaffen (Patrons, Juli-August 2005). Aber was heisst hier Wachstum ? Explodierende Profite (Zunahme von 18,6 Milliarden im Jahr 2002 auf 62 Milliarden im Jahr 2005 für börsenkotierte Unternehmen) und Stagnation der Löhne, wie es untenstehende Grafik zeigt. Zudem haben die 26 Firmen des SMI (Aktienindex der Schweizer Börse) zwischen 2000 und 2004 74,8 Milliarden an ihre Aktionäre ausgeschüttet (Finanz und Wirtschaft, 3.8.05).

Quelle; Bank Vontobel, Bundesamt für Statistik * Profite der börsenkotierten Unternehmen

Wer für ein JA zur Abstimmungsvorlage eintritt – und dabei diese Fakten und politischen Zustände unter den Teppich kehrt –, täuscht die Lohnabhängigen und Erwerbslosen. 

Die zwei Kreise der offiziellen Fremdenfeindlichkeit

Die Wirtschaftselite der SVP (Schweizerische Volkspartei) macht Kampagne für das JA, wie auch der bekannte Fremdenhasser Philipp Müller, Freisinniger aus dem Aargau. Dieser hatte die Initiative zur Begrenzung des Ausländeranteils auf 18% und zur Verschärfung der Massnahmen gegen AsylbewerberInnen lanciert (die Abstimmung fand im September 2000 statt).

Warum tritt er für ein JA ein ? Seine Antwort: „Mit der Personenfreizügigkeit wird die Qualität der Arbeitskräfte und daher der Immigration verbessert. Eine Immigration mit erhöhter Schweiz-Kompatibilität“ (Le Temps, 26.7.05).

Diese Sicht der Dinge deckt sich mit der „Migrationspolitik“, die der Bundesrat und Christoph Blocher betreiben. Der Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitabkommen Schweiz-EU (seco, 28. Juni 2005), hebt eine Tatsache hervor: „Mit Inkrafttreten des Freizügigkeitabkommens hat sich die Zuwanderung von Bürgerinnen und Bürgern aus dem EU 15-Raum in die Schweiz etwas verstärkt während jene aus Drittstaaten abgenommen hat.“ Mit „Drittstaaten“ sind ausser-europäische Länder gemeint.

Diese „Umschichtung“ der Migration ist erklärtes Ziel der Bundesbehörden. Ihre Politik stützt sich auf drei Säulen ab: Das Ausländergesetz (AuG), das Asylgesetz (AsylG) zur „Kontrolle“ der ausser-europäischen Migration und die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die EU der 25. Es sollen nur jene Arbeitskräfte einwandern dürfen, die „den Unternehmen die bestmöglichen Bedingungen bieten“ (Bundestat Joseph Deiss).

Wer das JA bei der Abstimmung für die beste Möglichkeit hält, Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, erliegt einer Täuschung.

Denn damit wird die Realität der „Migrationspolitik“ des Bundesrats und der Arbeitgeber ausser Acht gelassen.

Es wird richtig ein wichtiges Grundrecht hervorgehoben, das Recht der Lohnabhängigen auf freien Personenverkehr. Jedoch wird übersehen, dass dieses Grundrecht von sozialen und gewerkschaftlichen Rechten nicht getrennt werden darf.

Diese Rechte machen erst – sofern sie verstärkt werden – aus dem freien Personenverkehr ein echtes Recht der Lohnabhängigen. Verstärkte soziale und gewerkschaftliche Rechte werden die Fremdenfeindlichkeit bekämpfen und den Kampf für die Regularisierung der „Sans-papiers“ erleichtern.

Hingegen ist der „freie Personenverkehr“, so wie ihn Bosse und Behörden zur Zeit verlangen, ein Mittel, um die Lohnabhängigen gegeneinander auszuspielen und das Lohndumping zu verschärfen, indem fremdenfeindliche Konflikte geschürt werden.

Auch dies sind Gründe für ein NEIN an der Abstimmung und für die Forderung nach echten Schutzmassnahmen für alle Lohnabhängigen. Diese Forderung muss bei einer nächsten Abstimmung untrennbar mit dem Recht auf freien Personenverkehr verknüpft werden.

 

"Guillotine-Klausel"
oder Plan B?

Die Kreise, die für ein JA an der Abstimmmung eintreten – in erster Linie die Arbeitgeber -drohen den StimmbürgerInnen für den Fall der Ablehnung der Vorlage am 25.September: „Wenn das NEIN siegt, sind alle Abkommen mit der EU hinfälig, was zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen würde."

Die Realität sieht ganz anders aus. Zunächst müsste der Entscheid der Kündigung aller Verträge mit der Schweiz durch alle EU-Mitglieder einstimmig getroffen werden. Unter den Mitgliedsländern sind etliche an den Abkommen mit der Schweiz interessiert. Hinzu kommt, was auch die NZZ, die prominenteste Befürworterin der Abstimmungsvorlage unter den Medien, in einem Leitartikel zugeben muss: „Lehnt die Schweiz eine Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ab,riskiert sie letztlich die Kündigung der gesamten Bilateralen I durch die EU. Das muss nicht zwingend sofort geschehen, da auch EU- Staaten von den Bilateralen Verträgen mit der Schweiz durchaus profitieren“ (NZZ 25/26.6.05).

Schliesslich gilt, was auch der ehemalige Präsident der Sozialdemokratischen Partei Peter Bodenmann festhält: „Wenn das Volk NEIN sagt, braucht es einen zweiten Anlauf mit härteren flankierenden Massnahen“ (Blick 06.07.05).

Die Drohungen von Arbeitgebern und Behörden sind schlicht undemokratische Erpressungsmanöver.


Flankierende Massnahmen. : Glauben an ein Wunder?

Die Investmentbank Morgan Stanley hat kürzlich folgende Feststellung gemacht: „Im Euro-Gebiet wachsen die Reallöhne überhaupt nicht mehr. Die Konkurrenz der Billigarbeiter aus den neuen EULändern hat die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften dramatisch geschwächt“ (SonntagsBlick, W. Vontobel, 31.7 2005).

Die Schweizer Arbeitgeber haben dies sehr wohl verstanden. Sie wissen, dass der Druck auf Arbeitsbedingungen und Löhne zunehmen wird.

Die „flankierenden Massnahmen“ sollen diesen Prozess angeblich aufhalten. Entspricht dies den Tatsachen ? Betrachten wir einmal die Massnahme, die am häufigsten genannt wird: Die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung der Gesamtarbeitsverträge (GAV). Ein allgemeinverbindlicher GAV ist bindend für alle Arbeitgeber und sämtliche Beschäftigte einer Branche in einem gegebenen Raum (Kanton oder kantonsübergreifend usw.).

„Leider sehen wir [weder bei den Arbeitgeberorganisationen, noch bei den Kantonen] einen konkreten Willen, [die flankierenden Massnahmen] wirklich in die Tat umzusetzen.“

Delegiertenversammlung der Sozialdemokratischen Partei SPS, 25. Juni 2005

1. In der Schweiz sind mehr als 60% der Beschäftigten nicht durch einen Gesamtarbeitsvertrag geschützt. Diese Tatsache sollte die Gewerkschaft UNIA dazu bewegen, die NEINParole zu empfehlen, denn ihr Motto lautet: „Für Personenfreizügigkeit – aber nur mit GAV“.

2. Von den 46 wichtigsten Gesamtarbeitsverträgen waren im Jahr 2004 nur 20 Anlass für Verhandlungen über Mindestlöhne (diese 20 GAV betreffen lediglich 9,7% der Lohnabhängigen). Damit ist klar, dass der Schutz durch Gesamtarbeitsverträge äusserst bescheiden ist und sehr nahe bei den minimalen rechtlichen Verpflichtungen liegt (Obligationenrecht).

3
. Gemäss den „flankierenden Massnahmen“ muss für eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit „zuvor missbräuchliches und wiederholtes Unterbieten in einer Branche oder einem Beruf festgestellt“ werden (seco, 18.3.2004). Der Begriff „missbräuchlich“ ist äusserst vage. Im Mai 2003 verlangte der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB noch eine Definition des Begriffs „wiederholt“ – eigentlich eine selbstverständliche Forderung. Seither hat er dieses Ansinnen aufgeben.

4.
Bei „wiederholtem, missbräuchlichem Unterbieten“ von Löhnen und Arbeitsbedingungen kann eine tripartite Kommission (Gewerkschaft, Arbeitgeber, Kanton) einschreiten. Das braucht Zeit, denn die Kommission muss „sicher“ sein, dass das Unterbieten „missbräuchlich“ und „wiederholt“ stattfindet und dass damit ein

Dumpingrisiko für die Branche verbunden ist ! Nach diesem Hürdenlauf hat die tripartite Kommission eine Frist von zwei Monaten, um zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten eine „Einigung“ zu erzielen. In dieser Zeit sind alle erdenklichen Manöver möglich.

5. Die tripartite Kommission reicht dann – mit Einverständnis der Vertragsparteien des Gesamtarbeitsvertrags – bei Kanton oder Bundesrat (falls mindestens zwei Kantone betroffen sind) ein Gesuch um Allgemeinverbindlicherklärung ein. Nur der Mindestlohn und die ihm entsprechende Arbeitszeit können Gegenstand eines Entscheids der Behörden für oder gegen die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung des GAV sein. Bei einer Allgemeinverbindlicherklärung wird die Kontrolle von paritätischen Organen durchgeführt. Die Erfahrung (Gastgewerbe) zeigt, dass die „Kontrolle“ äusserst oberflächlich ausfallen kann.

6. Damit die erleichterte Allgemeinverbindlichkeit in Kraft treten kann, müssen die bereits am GAV beteiligten Arbeitgeber mindestens 50% der Lohnabhängigen einer Branche beschäftigen.

Schlussfolgerungen. Eine Vielzahl von Faktoren werden die Umsetzung dieses ganzen Konstrukts beeinflussen: Die Informationen, über die die tripartite Kommission verfügt, die Funktionsfähigkeit der tripartiten Kommission und der Willen der Beteiligten, die Entscheide der Arbeitgeber, die politische Haltung der kantonalen und eidgenössischen Behörden, insbesondere auch die Position der SVP-RegierungsrätInnen, die für ein JA zur Abstimmungsvorlage eintreten...

All dies erklärt vermutlich, warum die Delegiertenversammlung der Sozialdemokratischen Partei SPS am 25. Juni 2005 die Behörden angefleht hat, etwas für die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zu tun: „Mit diesen Neuerungen [den flankierenden Massnahmen] – falls sie umgesetzt werden – könnten wir die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit [...] mittragen, ohne schlechtere Arbeitsbedingungen in der Schweiz befürchten zu müssen ! Leider sehen wir keinen konkreten Willen, sie wirklich in die Tat umzusetzen, weder bei den Arbeitgeberorganisationen, noch bei den Kantonen“. Was braucht es mehr, damit die SPS NEIN stimmt ?

Der Kanton Waadt wurde bereits zum Testfall. Der Sekretär der Gewerkschaft UNIA gibt zu: „Indem er im Rahmen der Beratungen über das Beschäftigungsgesetz alle Forderungen der Gewerkschaften verworfen hat, verzichtet der Waadtländer Grosse Rat faktisch auf jegliche ernsthafte Massnahme zum Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping“ (24 heures, 14.6.05). Zwischen der Werbekampagne der Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB über die flankierenden Massnahmen und der politischen und sozialen Realität klafft ein Abgrund. Schon dies allein ist Grund genug, NEIN zu stimmen.

Nicht gehaltene Versprechen werden zu Enttäuschung, Demobilisierung und vermehrter Angst vor den Chefs führen. Damit ist die Bahn frei für fremdenfeindliche Kräfte.


Fremdenfeindliche Kreise und Kräfte der politischen Rechten machen Kampagne für ein NEIN und sprechen sich klar gegen jegliche „flankierende Massnahme“ aus. Auch Peter Spuhler (Industrieller aus dem Thurgau), prominentester SVP-Befürworter der Abstimmungsvorlage, ist gegen flankierende Massnahmen und gibt offen zu: „Ja, es gibt einen Druck auf die Löhne“ (Blick, 18.7.05).

Kräfte aus dem rechtsnationalistischen und fremdenfeindlichen Spektrum, die für ein NEIN am 25. September werben, lehnen die Festlegung von Mindestlöhnen durch die Behörden ab (Blick, 19.7.05). In diesem Punkt sind sie einer Meinung mit dem Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, Peter Hasler, der an vorderster Stelle für ein JA eintritt (Blick, 24.7.05).

Zwischen allen politisch rechtsstehenden Kräften, sei es, dass sie für das JA oder aber für das NEIN Kampagne führen, gibt es also Übereinstimmung in einem wesentlichen Punkt: Sie sind gegen jegliche „Regulierung“ des Arbeitsmarktes – genauer gesagt gegen wirksame Rechte zugunsten der Lohnabhängigen aller Nationalitäten.

Beispiele von Lohndumping häufen sich. Mit der Zeit wirken sie sich auf das gesamte Lohngefüge und die Beschäftigungssicherheit aus. Das ist so beabsichtigt. Dauerhafte Arbeitslosigkeit ist ein mächtiger Hebel zur Senkung der Löhne. Währenddessen steigen Krankenkassenprämien und Wohnungsmieten immer mehr. Zwischen Mai 1989 und Mai 2005 sind die Mieten in der Schweiz um 52% gestiegen. In den Städten ist die Zunahme noch viel krasser.

Angesichts dieser Situation muss das NEIN zu Lohn- und Sozialdumping mit einer Reihe von Forderungen für die Zukunft verknüpft werden. Diese Forderungen müssen zu zentralen Bestandteilen eines echten Arbeitsrechts werden, das in der Schweiz – dieser Insel der Rechtlosigkeit für die Lohnabhängigen mitten in Europa – erkämpft werden muss. Die geforderten Rechte sind elementar, aber entscheidend für die Förderung kollektiver Kämpfe. Nur so kann der universelle Leitsatz von gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit umgesetzt werden. Dieses Prinzip wurde 1981 im Zusammenhang mit der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in der Verfassung verankert. Das Einführungsgesetz zum Verfassungsartikel wurde erst 1996 in Kraft gesetzt. Das Resultat ist in Bezug auf die Löhne nicht gerade erhebend: 1960 betrug der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern 32%, im Jahr 2002 sind es immer noch 26,4%. Das Ausbleiben von kollektiven Kämpfen der ArbeitnehmerInnen erklärt diese desolate Lage zum grossen Teil. Die Diskriminierung der Frauen in Sachen Beschäftigung ist in der Schweiz markanter als in der EU der 15 (NZZ am Sonntag, 26.6.05). Nun enthält aber das Gleichstellungsgesetz mehr eingreifende Bestimmungen als die „flankierenden Massnahmen“ der Abstimmungvorlage von 25. September. Diese hängen zudem vom guten Willen der Arbeitgeber und Behörden ab.

Willkürliche Diskriminierungen unter allen Beschäftigten werden immer krasser und alltäglicher. Das Individualisieren und Geheimhalten der Löhne – wie es oft von Arbeitgebern gefordert wird – fördert diese Entwicklung noch. Mit der gesteigerten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt werden Diskriminierung und Dumping weiter zunehmen, was auch fremdenfeindliche Spannungen schürt. Aus diesem Grund braucht es Rechte, die dieses Namens wert sind. Solche Rechte können jedoch nur durch kollektives und solidarisches Handeln bekannt und für alle geltend gemacht werden. Die Verpflichtungen der Arbeitgeber müssen präzis und verpflichtend festgelegt werden.

Die mit dem NEIN verknüpften Forderungen – zur Verstärkung der Rechte aller Lohnabhängigen und zur Konkretisierung des Rechts auf freien Personenverkehr mit gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit – sind im Folgenden ausgeführt.

1. Es braucht einen verstärkten Kündigungsschutz. Zuerst muss die Entlassung von gewählten Vertreter- Innen der ArbeitnehmerInnen verboten werden. Ungerechtfertigte Entlassungen müssen vom Richter aufgehoben werden können, wie es bei der Kündigung von Mietverhältnissen der Fall ist. Denn die Arbeit der tripartiten Kommissionen hängt in erster Linie von den Informationen ab, die ihnen die Beschäftigten liefern. Im Jahr 2003 gab der Schweizerische Gewerkschaftsbund noch zu: „Solange [Vertrauensleute der Gewerkschaft] aber nur über einen sehr schwachen Kündigungsschutz verfügen, ist es unrealistisch, auf eine solche sozialpartnerschaftliche Kontrolle der Arbeitsbedingungen zu setzen.“ Heute handeln die Arbeitgeber immer mehr nach dem Motto: „Wer nicht einverstanden ist, kann gehen“. Ein echter Kündigungsschutz ist daher wesentlich für unsere persönliche Würde sowie für den Kampf gegen Lohndumping, katastrophale Arbeitsbedingungen und Diskriminierung.

2. Für die Allgemeinverbindlichkeit der Gesamtarbeitsverträge (GAV) – d.h. ihre Ausdehnung auf die gesamte Branche – muss ein Gesuch der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ohne Zustimmung der Arbeitgeber ausreichen. Die GAV müssen (qualifikationsgerechte) Mindestlöhne und verbindliche Höchstarbeitszeiten festlegen. Der GAV darf nicht ein blosser Abklatsch des Obligationenrechts sein.

3. In allen Branchen ohne GAV müssen die Behörden (Kanton oder Bund) im Einverständnis mit den Beschäftigten Höchstarbeitszeiten, Minimallöhne (für ungelernte Beschäftigte ohne Erfahrung) und effektive („übliche“) Löhne festlegen.

4. Die Arbeitgeber müssen Löhne und Qualifikation aller neu eingestellten Beschäftigten im elektronischen Amtsblatt (unter Wahrung der Anonymität der Beschäftigten) veröffentlichen. Die Gewerkschaften können diese Daten verwenden, insbesondere im Rahmen der tripartiten Kommissionen, und den Lohnabhängigen vermitteln.

5. In allen Unternehmen müssen ArbeitsinspektorInnen – in genügender Anzahl, d.h. 800 für die ganze Schweiz – jederzeit und ohne Anmeldung Zutritt zu allen Räumlichkeiten und Unterlagen haben. Die InspektorInnen müssen über einen stabilen Status und abgesicherte Anstellungsbedingungen verfügen, damit sie unabhängig von einem Wechsel in den kantonalen Mehrheitsverhältnissen und von irgendwelchen Einflüssen arbeiten können. Sie müssen über eine angemessene juristische Ausbildung und einschlägige Erfahrung verfügen. Sie müssen qualifizierte ExpertInnen beiziehen können. 

Lohndumping im öffentlichen Dienst
Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Genf hat bei der Berufsklasse der „Fachfrauen/Fachmänner Betreuung“ im Erziehungsbereich missbräuchliches Lohndumping festgestellt. Die tripartite Kommission der Region Genf antwortet auf die Vorwürfe mit der Aussage: „Diese Arbeitsverhältnisse sind durch öffentlich-rechtliche Verträge geregelt, die durch die flankierenden Massnahmen zum Abkommen über die Personenfreizügigkeit nicht betroffen sind“ (24.6.05). Bereiche, die vom Staat subventioniert sind, können also Beschäftigte aus EU-Ländern mit entsprechender Qualifikation zu niedrigeren Löhnen einstellen. In solchen Fällen sind die ohnehin wirkungslosen „flankierenden Massnahmen“ nicht einmal anwendbar.

Referendumskomitee gegen Lohn- und Sozialdumping, Postfach 8707, 8036 Zürich stopdumping@bluewin.ch PCK 10-95859-4

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August 2005