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Finanzkrise trifft Industrieproduktion

Produktionsstopp und Entlassungen in der Autoindustrie

10. Oktober 2008 - Dietmar Henning - www.wsws.org


Während die Regierungen überall Milliardensummen in die Kassen der Banken pumpen, um Schaden von den Spekulanten abzuwenden, droht Millionen von Arbeitern der Verlust von Arbeitsplatz und Einkommen, ohne dass sie mit Hilfe rechnen können.

Geht man nach den jüngsten Meldungen aus der Autoindustrie, so werden die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Beschäftigung ebenso dramatisch sein, wie dies nach dem Krach von 1929 der Fall war. Damals verloren Millionen ihren Arbeitsplatz.

Alle großen Autokonzerne melden drastische Absatzeinbussen und haben Produktionspausen oder Entlassungen angekündigt. Dabei sind die gegenwärtigen Absatzprobleme zum Teil noch auf die Benzinspreissteigerungen zu Jahresbeginn zurückzuführen. Die Folgen der Finanzkrise beginnen sich erst abzuzeichnen und werden sich in den kommenden Wochen weiter verschärfen.

Betroffen ist sowohl der Markt für Luxusfahrzeuge wie die Massenproduktion.

Die teuren Sportwagen und Luxuskarossen von Porsche und BMW fanden bisher vor allem unter jenen Schichten Absatz, die durch Finanzgeschäfte große Vermögen verdienten und denen es auf einige Zehntausend Euro mehr oder weniger für ein Auto nicht ankam. Viele sind nun ihren Job los und schaffen sich kein neues Auto an.

So berichtet die Süddeutsche Zeitung über den Sportwagenhersteller Porsche: "Bislang galt Russland für den kleinen Sportwagenhersteller als eine sichere Bank. Wenn irgendwo ein Markt nachgab, glich Russland den Schwund locker aus. Die Stuttgarter fanden bis zuletzt genügend Reiche, die ihnen ihre 100.000 im Jahr produzierten Gelände- und Sportwagen abkauften. Das scheint vorbei zu sein."

BMW, wie Porsche auf Wagen der oberen Preisklassen spezialisiert, meldet für September einen weltweiten Absatzrückgang von 14 Prozent. In den USA ging der Absatz von BMW im selben Monat sogar um ein Viertel zurück. Porsche verzeichnete in den USA einen Rückgang von 44 Prozent, die deutschen Autohersteller insgesamt 27 Prozent. Auch der weltgrößte Autobauer Toyota erlitt in den USA im September ein Minus von 32 Prozent.

Aber auch unter normalen Kunden bricht der Absatz ein. Viele schrecken angesichts der Ungewissheiten der Krise vor den hohen Ausgaben für einen Neuwagen zurück. Andere erhalten den erforderlichen Kredit von ihrer Bank nicht mehr.

Laut ifo-Forschungsinstitut sind die Geschäftserwartungen der deutschen Autoverkäufer so schlecht wie seit Anfang der neunziger Jahre nicht mehr.

"Auf dem Automobilsalon in Paris herrscht Alarmstimmung", meldete die Deutsche Presseagentur (dpa). Und ein Sprecher von Opel (General Motors) in Rüsselsheim kommentierte: "Die Finanzkrise führt dazu, dass die Menschen in Europa sich beim Autokauf zurückhalten." Das gelte besonders für Spanien, Deutschland und Großbritannien.

Der Autoabsatz in Spanien, das von der Immobilienkrise besonders hart betroffen ist, liegt im Moment 44 Prozent unter dem Vorjahreswert. Nach Berechnungen des CAR Instituts der Fachhochschule Gelsenkirchen wird der italienische Markt in diesem Jahr mindestens 14 Prozent einbüßen, der US-Markt 13 Prozent, der englische fünf bis sechs Prozent und der deutsche Markt ein bis zwei Prozent.

Produktionsstopp und Arbeitsplatzabbau

Obwohl sich die Auswirkungen der Krise erst abzeichnen, haben die Autokonzerne sofort mit Produktionsstopp und Entlassungen reagiert. Die Autoindustrie klagt seit langem über Überkapazitäten. Nun nutzt sie die Gelegenheit, um Pläne zu verwirklichen, die bisher am Widerstand der Belegschaften gescheitert sind.

Der zum Ford-Konzern gehörende schwedische Autoproduzent Volvo hat die Entlassung von zusätzlichen 3.000 Mitarbeitern bekannt gegeben. Damit erhöht sich die Zahl der Stellenstreichungen auf insgesamt 6.000. Als Grund gab Unternehmenschef Stephen Odell die "schnell einbrechende Marktlage der weltweiten Autoindustrie" an.

In Deutschland entlässt Ford im Werk in Saarlouis zum 31. Oktober rund 200 Zeitarbeiter zwei Monate früher als geplant. Das Werk im Saarland mit rund 6.500 Beschäftigten produziert vor allem für den Export.

Der bayerische Autoproduzent BMW stellt die Produktion im Werk Leipzig Ende Oktober vier Tage lang ein. Auch in anderen Fabriken soll die Produktion zeitweilig ruhen. BMW will in diesem Jahr etwa 20.000 bis 25.000 Autos weniger produzieren als im Vorjahr.

Daimler hatte schon im Sommer mitgeteilt, den Ausstoß bis zum Jahresende um 45.000 Fahrzeuge senken zu wollen. Eine darüber hinaus gehende Drosselung der Produktion sei bislang nicht geplant.

VW drosselt zwar nicht die Produktion, aber den geplanten Bau neuer Fabriken. "Weitere Ausbaustufen werden wir hinten anstellen, bis wir eine Verbesserung der Lage haben", sagte Hans Dieter Pötsch, der Finanzchef des Konzerns. Die Rahmenbedingungen hätten sich "erheblich verschlechtert".

Die tschechische VW-Tochter Skoda wird die Produktion einschränken und in diesem Jahr 13.000 Fahrzeuge weniger bauen als geplant. So stand die Produktion am vergangenen Freitag für einen Arbeitstag weitgehend still.

Am radikalsten geht die europäische General-Motors-Tochter Opel vor. Sie will die Produktion bis Jahresende um rund 40.000 Fahrzeuge drosseln. Im Werk in Eisenach mit 1.800 Beschäftigten stehen ab Montag für drei Wochen alle Bänder still. In Bochum mit knapp 5.000 Arbeitern hatten Betriebsrat und Geschäftsführung schon im August eine zweiwöchige Schließung während der nordrhein-westfälischen Herbstferien ab Ende September vereinbart.

Und schon Ende Oktober soll die Produktion erneut stehen. Opel hat angekündigt, in der Zeit vom 20. bis 31. Oktober die Produktion in allen europäischen Werken mit Ausnahme von Rüsselsheim zu stoppen. Damit wären auch die Opel-Standorte in Kaiserslautern, Gliwice (Polen), Ellesmere Port und Luton (England) sowie Saragossa (Spanien) betroffen.

"Die Menschen sind verunsichert und halten ihr Geld fest. Die Nachfrage ist im Keller", rechtfertigte Opel-Sprecher Andreas Krömer diese Maßnahmen. "Wir müssen mit Anpassung reagieren. Wir bauen keine Autos auf Halde."

Tatsächlich ist Opel seit langem dabei, Arbeitsplätze wegzurationalisieren und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Im Bochumer Opel-Werk sind dem Betriebsrat zufolge unabhängig von der derzeitigen Absatzflaute wegen Rationalisierungen 900 Stellen in der Produktion in Gefahr. Die Firmenleitung habe errechnet, dass durch straffere Arbeitsabläufe und neue Roboter die Produktionszeit von 27 auf 15 Stunden gesenkt werden könne.

Massenarbeitslosigkeit

Die Krise in der Autoindustrie wird eine Lawine von Entlassungen nach sich ziehen. Allein in den direkten Kernsektoren der Automobilindustrie sind in Europa 2,1 Millionen Arbeiter beschäftigt. Zählt man die indirekten Sektoren hinzu, so sind über 12 Millionen Beschäftigte vom Automobil abhängig.

Die Drosselung der Produktion wirkt sich direkt auf die Zulieferindustrie aus, die oft auf mittelständischen Betrieben beruht, die mit geringen Gewinnmargen arbeiten und schnell vor dem Bankrott stehen. Hinzu kommen Autohandel und Kfz-Handwerk, die allein in Deutschland 468.000 Menschen beschäftigen, darunter 90.000 Auszubildende. Die durchschnittliche Betriebsgröße beträgt zwölf Personen, und viele sind hoch verschuldet.

Der Verband des Kraftfahrzeuggewerbes sieht "schwierige Zeiten" kommen. Zwischen 75 und 80 Prozent der Vertragshändler hätten schon in den vergangenen drei Jahren rote Zahlen geschrieben. Die Rendite der Betriebe läge bei allenfalls einem Prozent. Die meisten Betriebe verdienten nur noch mit Reparaturen und Service Geld. Das Geschäft mit Neuwagen sei praktisch zum Erliegen gekommen. Neue Autos ließen sich nur noch mit hohen Rabatten von 15 bis 30 Prozent verkaufen. Gewinn lasse sich damit nicht mehr erzielen.

Wie die Banken fordern inzwischen auch die großen Automobilkonzerne Geld vom Staat. In den USA stimmte am Mittwoch das Repräsentantenhaus einem Entwurf zu, der den Autoherstellern zinsgünstige Kredite von 25 Milliarden Dollar zur Verfügung stellt.

Deutsche Hersteller kritisieren dies: "Das bringt eine Verzerrung im internationalen Wettbewerb", sagte der Chef des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA) Matthias Wissmann.

Das hindert die europäische Autoindustrie nicht daran, von der Europäischen Union ebenfalls ein Hilfspaket zu fordern. Die Hersteller verlangen Unterstützungsmaßnahmen - unter anderem ein niedrig verzinstes Kreditpaket über 40 Milliarden Euro zur Entwicklung sparsamerer Fahrzeuge sowie Anreize für Kunden, Autos, die älter als acht Jahre sind, auszutauschen.

Profitieren werden davon die großen Konzerne und ihre Aktionäre. Die Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, können dagegen nicht mit Unterstützung rechnen. In Deutschland hat die Bundesregierung erst diese Woche beschlossen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ab dem nächsten Jahr um 0,5 Prozentpunkt auf 2,8 Prozent des Bruttolohns zu kürzen. Damit sollen die Unternehmen von Lohnnebenkosten entlastet werden.

Die Folge wird sein, dass die Bundesagentur für Arbeit kein Geld in der Kasse hat, um das Schicksal der Autoarbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, abzufedern und sie zu unterstützen.