Mehrere internationale Medienberichte machen darauf aufmerksam,
dass professionelle Spekulanten und Hedge Fonds
maßgeblich daran beteiligt sind, die Preise
lebenswichtiger Güter, besonders von Lebensmitteln,
in die Höhe zu treiben. Der starke Anstieg
der Lebensmittelpreise in den letzten Monaten
hat in zahlreichen Ländern in aller Welt
zu Hungerrevolten geführt.
Am Dienstag, den 22. April,
prägte eine UN-Sprecherin den Begriff vom
"stillen Tsunami" des Hungers, der
mehr als hundert Millionen Menschen auf allen
Kontinenten akut bedrohe. Josette Sheeran, Direktorin
des UN-Welternährungsprogramms (WFP): "Das
ist das neue Gesicht des Hungers: Millionen
Menschen, die vor sechs Monaten noch nicht zu
den Hungernden zählten - heute aber schon."
In einem Artikel im britischen
New Statesman werden unter der Überschrift
"Der Handelswahnsinn, der die Preise hochtrieb",
zunächst das Anwachsen der Weltbevölkerung
und die Zunahme von Biotreibstoffen als wichtige
Faktoren für den Anstieg der Lebensmittelpreise
genannt. Doch dann heißt es weiter:
"Diese langfristigen Faktoren
sind wichtig, aber es sind nicht die wirklichen
Gründe, warum sich die Lebensmittelpreise
verdoppelt haben, warum Indien den Reis rationiert
oder warum britische Bauern ihre Schweine töten,
weil sie sich die Futtermittel nicht mehr leisten
können. Der wirkliche Grund ist die Kreditkrise."
In dem Artikel heißt
es, dass sich die Nahrungskrise in "unglaublich
kurzer Zeit entwickelt hat - im Wesentlichen
in den letzten achtzehn Monaten." Weiter
heißt es: "Der Grund für die
‚Nahrungsmittelknappheit’ ist die
Warenspekulation nach dem Zusammenbruch der
Märkte für Finanzderivate. Auf der
verzweifelten Suche nach schnellem Profit ziehen
Händler Milliarden Dollar aus Einlagen
und Hypothekenpapieren ab und werfen sie in
Nahrungsmittel und Rohstoffe. Das nennt man
an der Wall Street den ‚Waren-Superzyklus’,
und vermutlich führt es zu Hunger in epischen
Ausmaßen."
Die Weltmarktpreise für
Grundnahrungsmittel wie Getreideprodukte, Speiseöl
und Milch sind seit 2000 kontinuierlich gestiegen.
Aber seit die Finanzkrise sich 2006 in den USA
bemerkbar machte, steigen sie dramatisch. Der
durchschnittliche Weltmarktpreis für Reis
ist seit Anfang 2006 um 217 Prozent angestiegen,
für Weizen um 136 Prozent, für Mais
um 125 Prozent und für Sojabohnen um 107
Prozent.
Angesichts zunehmender fauler
Kredite infolge der amerikanischen Subprimekrise
verlagern Spekulanten und Hedge Fonds ihre Investitionen
immer stärker aus hochriskanten, "gebündelten"
Wertpapieren auf so genannte "Wertspeicher",
die von Gold und Öl einerseits bis hin
zu "weichen Waren" wie Mais, Kakao
und Vieh andererseits reichen. Der Artikel im
New Statesman weist darauf hin, dass "Spekulanten
inzwischen schon mit dem Preis von Wasser spekulieren",
und kommt dann zum Schluss:
"Genau wie der Boom bei
den Immobilienpreisen, nährt sich die Warenpreisinflation
selbst. Je mehr die Preise steigen und hohe
Profite gemacht werden, desto mehr investieren
auch andere, in der Hoffnung auf hohe Gewinne.
Schauen Sie sich die Websites der Finanzwelt
an: Gott und die Welt werfen sich auf Waren...
Das Problem ist nur, wenn Sie zu den 2,8 Milliarden
Menschen zählen - und das ist fast die
Hälfte der Weltbevölkerung - die mit
zwei Dollar am Tag oder weniger auskommen müssen,
dann bezahlen Sie vielleicht mit ihrem Leben
für diese Profite."
Investitionen in "weiche
Waren" werden zurzeit von führenden
Marktanalysten wärmstens empfohlen. So
schreibt Patrick Armstrong, Manager bei Insight
Investment Management in London: "Rohstoffe
können sich als die besten Investitionen
für Hedge Fonds erweisen, weil der Markt
so ineffizient ist. Das führt zu besseren
Profitchancen."
Ein erheblicher Teil der internationalen
Spekulation mit Nahrungsmitteln findet an der
Chicagoer Börse (CHX) statt, wo mehrere
Hedge Fonds, Investmentbanken und Pensionsfonds
ihre Aktivitäten in den letzten beiden
Jahren beträchtlich verstärkt haben.
Seit Januar sind die Investmentaktivitäten
im Agrarsektor an der CHX um ein Viertel gestiegen.
Der Chicagoer Firma Cole Partners zufolge haben
sich die Aktivitäten von Hedge Fonds bei
Rohstoffen in den letzten beiden Jahren auf
55 Mrd. Dollar verdreifacht.
Großinvestoren wie Hedge
Fonds oder Pensionsfonds kaufen so genannte
Futures, das sind Anteile an grundlegenden Versorgungsgütern
und Lebensmitteln, die zu einem bestimmten Zeitpunkt
in der Zukunft geliefert werden. Wenn der Preis
der Ware zwischenzeitlich deutlich steigt, kann
der Investor einen hohen Profit einstreichen.
Im Licht der aktuellen Nahrungskrise
sind beträchtliche Profite garantiert.
Nach den Zahlen der CHX werden Futures (für
Dezember) mit Weizen vermutlich um mindestens
73 Prozent steigen, mit Sojabohnen um 52 Prozent
und mit Sojaöl um 44 Prozent.
Große Naturkatastrophen,
wie die kürzliche Dürre in Australien,
die die Nahrungsproduktion beeinträchtigen
und den Preis von Grundnahrungsmitteln in die
Höhe treiben, sind für die Großinvestoren
gute Nachrichten.
Deutlich schlechtere Ernten
in Australien und Kanada haben in diesem Jahr
zu stark steigenden Weizenpreisen geführt.
Die Deutsche Bank schätzt, dass sich der
Preis für Reis verdoppeln und der Preis
von Weizen kurzfristig um 80 Prozent steigen
wird.
Solche Naturkatastrophen können
Bauern ruinieren und Millionen wegen steigender
Lebensmittelpreise in Armut und Hunger stürzen.
Aber an den erwähnten Rohstoffmärkten
sind sie Bestandteil der "Ineffizienz",
die die "weichen Waren" gegenwärtig
für Großspekulanten so attraktiv
machen.
Tödliche
Gier
Ein Artikel mit dem Titel "Tödliche
Gier" in der aktuellen Ausgabe des Spiegel
liefert einige Details darüber, wie Hedge
Fonds bei der Spekulation auf den Lebensmittelmärkten
vorgehen. Das Magazin zitiert als Beispiel den
Hedge Fond Ospraie, der allgemein als der größte
Fond angesehen wird, der mit Grundnahrungsmitteln
handelt.
Der Manager des Fonds, Dwight
Anderson, trägt den Spitznamen "Rohstoffkönig".
Schon im Sommer 2006 empfahl Anderson seinen
Aktionären die "außerordentliche
Profitabilität" der Landwirtschaft.
Ospraie möchte seine bei der Spekulation
mit Grundversorgungsgütern erzielten Profitraten
nicht ausposaunt wissen, aber ein großer
deutscher Investor hat da weniger Hemmungen.
Andreas Grünewald gründete
seinen Münchner Investment Club (MIC) 1989
mit einem Gründungskapital von umgerechnet
nur 15.000 Euro. MIC verwaltet nun 50 Millionen
Euro, von denen 15 Millionen Euro aus Investitionen
in Rohstoffe generiert wurden.
Grünwald zufolge sind
"Rohstoffe der Megatrend des Jahrzehnts",
und seine Firma hat die Absicht, ihr Engagement
in Wasser und landwirtschaftliche Produkte zu
intensivieren. Investitionen des MIC in Weizen
haben alleine schon Profitraten von 93 Prozent
für die 2.500 Mitglieder des Clubs abgeworfen.
Der Spiegel -Artikel weist
darauf hin, dass der MIC und seine Mitglieder
keinen Gedanken an die katastrophalen Folgen
verschwenden, die ihre spekulative Investitionspolitik
für unterentwickelte Länder hat. "Die
meisten unserer Mitglieder sind eher passiv
und renditeorientiert," schreibt Grünwald.
Der MIC gehört mit seinen
50 Millionen Euros an Einlagen im Vergleich
zu dem Finanzgiganten ABN Amro zu den kleineren
Spielern. Amro erwarb kürzlich ein einzigartiges
Zertifikat, das es der Firma erlaubt, im Namen
kleinerer Investoren an der CHX zu spekulieren.
Kurz vor den Hungerrevolten
der letzten Wochen veröffentlichte ABN
Amro einen Prospekt, in dem darauf hingewiesen
wurde, dass Indien einen Ausfuhrstopp für
Reis verhängt habe, was im Zusammenspiel
mit schlechten Ernten in mehreren Ländern
zu einer Verknappung von Reis geführt habe.
"Jetzt ist es zum ersten Mal möglich,
einen Anteil an dem Lebensmittel Nummer eins
in Asien zu erwerben", schrieb ABN Amro
in seinem Prospekt.
Dem Spiegel -Bericht zufolge
konnten die Investoren von ABN Amro innerhalb
von drei Wochen eine Profitrate von 20 Prozent
realisieren. In dieser Zeit gab es in Chicago
und anderen großen Zentren einen riesigen
Anstieg der Investitionen in Reis.
Investititonen
in Agrotreibstoff
Ein weiterer, besonders lukrativer
Investitionsbereich ist der Agrotreibstoff.
Er hat beträchtlich zu der aktuellen globalen
Nahrungskrise beigetragen. Ursprünglich
wurde der Biosprit als eine Möglichkeit
gesehen, die Klimaveränderung einzudämmen.
Aber inzwischen ist er für die Industrie
vor allem zu einer profitablen Alternative zum
teuren Öl geworden. Innerhalb weniger Jahre
ist der Agrosprit zum boomenden Industriezweig
geworden, der hohe Profite abwirft.
In den letzten Jahren ist auf
riesigen Landstrichen weltweit der Lebensmittelanbau
auf den Anbau für die Produktion von Bioethanol
umgestellt worden, das Benzin auf Ölbasis
ersetzen soll. Im nächsten Jahr wird erwartet,
dass in den USA der Anbau von Mais für
Ethanol auf 114 Millionen Tonnen ansteigt, das
ist fast ein Drittel des gesamten Maisanbaus.
Der Sonderberichterstatter
der Vereinten Nationen für das Recht auf
Ernährung, Jean Ziegler, nennt den Anbau
für Agrotreibstoff auf Kosten der traditionellen
Landwirtschaft ein "Verbrechen gegen die
Menschheit".
Obwohl auf der ganzen Welt
der Anbau von Mais weiter steigt, wird die Zunahme
durch die Diversifizierung auf Agrotreibstoff
mehr als aufgefressen. Der Weltbank zufolge
hat die Weltmaisproduktion von 2004 bis 2007
um 57 Millionen Tonnen zugenommen. In dieser
Zeit hat allein in den USA die Produktion von
Mais für Biosprit (hauptsächlich Ethanol)
um 50 Millionen Tonnen zugenommen, wodurch der
größte Teil des globalen Zuwachses
aufgefressen wurde.
Angespornt durch Subventionen
der amerikanischen Regierung haben amerikanische
Farmer 30 Prozent ihres Maisanbaus auf die Produktion
von Ethanol umgestellt. Dadurch wird der Preis
für andere, teurere Viehfutter, die als
Ersatz gekauft werden müssen, zusätzlich
verteuert.
Auch die Europäische Union,
Indien, Brasilien und China haben Zielgrößen
für die Steigerung von Agrotreibstoff festgelegt.
Die EU hat beschlossen, dass bis zum Jahr 2010
5,75 Prozent von allem Benzin aus Agrotreibstoff
bestehen muss. In Großbritannien ist soeben
ein Gesetz erlassen worden, demzufolge an den
Tankstellen verkaufter Treibstoff zu 2,5 Prozent
Agrosprit enthalten muss. Ein ähnliches
Gesetz, das in Deutschland die Beimischung von
10 Prozent Biotreibstoff vorsah, wurde auf Druck
der Autoindustrie und der Autobesitzer zurückgezogen.
Andernfalls hätten viele von ihnen neue
Autos kaufen müssen, um das neue Benzin
tanken zu können, oder aber sie hätten
das deutlich teurere Super-Benzin tanken müssen.
Der Rückgang der Produktion
von Getreide als Nahrungsmittel trägt nicht
nur dazu bei, dass die Preise für Grundbedarfsgüter
rasch ansteigen. Die Umstellung der Produktion
auf Mais für Agrotreibstoff führt
außerdem dazu, dass sich die Nahrungspreise
tendenziell dem hohen Ölpreis annähern.
Es entwickelt sich eine Äquivalenz zwischen
Nahrungsmittelpreisen und dem Ölpreis.
Josette Sheeran vom Welternährungsprogramm
schreibt: "In vielen Teilen der Welt bewegen
sich die Nahrungspreise in Richtung der Treibstoffpreise".
Immer größere Mengen von Nahrungsmitteln
"werden von den Energiemärkten für
die Produktion von Agrotreibstoff aufgekauft".
Weil der Ölpreis pro Barrel
inzwischen die 100 Dollar Marke überschreitet,
wird der Agrospritsektor gegenwärtig als
Investitionsfeld mit hohen Profitchancen gewertet.
In einer Einladung zu einem Kongress im Jahr
2006 wurde die Hoffnung auf maximalen Profit
im Agrospritsektor in folgende Worte gekleidet:
"Biofuels Finance
and Investment World ist Europas führender
Investorenkongress, der sich ausschließlich
auf die Wertschöpfungskette der neuen Agrotreibstoffindustrie
konzentriert. Investoren und Finanzinstitutionen
werden wichtige industrielle Anteilseigner kennen
lernen, mit denen sie künftige Investitionschancen
und Risiken diskutieren und Gebiete mit enormen
Profitmöglichkeiten kennen lernen können."
Die Zeitschrift Money Week
empfiehlt in ihrer Ausgabe vom 22. April allen
von der Subprime-Krise geschädigten Investoren,
ihre Gelder auf die lukrativen Biospritmärkte
zu verlegen. Wie das Magazin Fortune
sieht auch Money Week in dem Ölkonzern
Royal Dutch Shell einen Garanten für hohe
Gewinne. "Wir lieben ihn, denn er erzielt
hohe Profite und ist sehr billig, aber offenbar
hat er auch ein festes Standbein in Iogen, einem
kanadischen Unternehmen mit spannenden 'Durchbruch-Potential
in Ethanol-Technologie’."