In der Schweiz dürfen abgewiesene Asylsuchende
und solche mit Nichteintretensentscheid (NEE)
nicht arbeiten. Sie leben in Kollektivunterkünften
mit einer Nothilfe, die nicht einmal die minimalen
Bedingungen eines Lebens in Würde sichert.
Vorläufig Aufgenommene haben sehr beschränkte
Möglichkeiten, eine Arbeit – oder
Lehrstelle – und eine Wohnung zu finden.
Papierlose (Sans-papiers) leben und arbeiten
ohne jenes Mindestmass an Sicherheit, das
ein Minimum an Würde im sozialen Leben
und bei der Arbeit ermöglicht. Sie sind
rechtlos. Tagtäglich müssen sie
die Ausschaffung befürchten.
Bleiberecht
– und was dazu gehört:
Bleibereicht für alle heisst konkret:
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Kollektive
Regularisierung aller Sans-papiers. |
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Eine
automatisch erteilte Aufenthaltsbewilligung
für jede Person, die in der Schweiz
lebt oder arbeitet, d.h. die sich in
diesem Land an der Produktion des gesellschaftlichen
Reichtums beteiligt. |
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Stopp
jeglicher Ausschaffung von Menschen
– und deren Familien – welche
in die Schweiz einreisen um zu arbeiten,
ob ihre Arbeit nun als qualifiziert
gilt oder nicht, ob sie erwerbstätig
sind oder eine soziale Tätigkeit
ausüben, einschliesslich des Bettelns,
eine Aktivität die von den Kirchen
seit Jahrhunderten anerkannt wird. |
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Stopp
jeglicher Ausschaffung von abgewiesenen
Asylsuchenden und solchen mit Nichteintretensentscheid
sowie von vorläufig Aufgenommenen. |
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Stopp
der Doppelbestrafung: Keine Ausschaffung
einer ausländischen Person nach
Verbüssung einer Gefängnisstrafe
auf Grund einer Straftat, dies unabhängig
vom Aufenthaltsstatus. |
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Recht
auf Familiennachzug für jede ausländische
Person, die in der Schweiz lebt, unabhängig
von ihrer Lebensweise, und das Recht
auf Leistungen der Krankenversicherung,
der Unfallversicherung und der Sozialhilfe. |
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Stopp
der Befragung und Bespitzelung von Ehen
mit einer Person, die im Ausland lebt,
die einen prekären Aufenthaltsstatus
besitzt, von Ausschaffung bedroht ist
oder keine Papiere vorweisen kann. |
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Stopp
der Koppelung der Aufenthaltsbewilligung
an moralisierende Anforderungen in Sachen
Integration. |
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Umsetzung
einer wirklichen Politik der interkulturellen
Integration: bedingungslose Bereitstellung
von realen Mitteln zum gegenseitigen
Kennenlernen der Kulturen im weitesten
Sinne; Anerkennung der im Herkunftsland
erworbenen schulischen und beruflichen
Ausbildungen sowie der zahlreichen gesprochenen
Sprachen; es geht nicht an, dass nur
die drei Landessprachen und das Englische
anerkannt werden – die reiche
Sprachenvielfalt der MigrantInnen muss
gewürdigt werden. |
In
Wirklichkeit decken sich diese Rechte grösstenteils
mit Grundrechten, die allen Lohnabhängigen
und ihren Familien gewährt werden müssen,
unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus
in der Schweiz. Wenn Zehntausende Menschen,
die in der Schweiz leben und an der Produktion
von gesellschaftlichem Reichtum beteiligt
sind, in einem Zustand der Rechtlosigkeit
gehalten werden, wird es umso leichter, die
sozialen Rechte der niedergelassenen Lohnabhängigen
zu beschneiden.
Recht
auf Gesundheitsversorgung und geregelte Löhne
Derzeit
müssen mehr als 75% der Sans-papiers ohne
Krankenversicherung leben. Abgewiesene Asylsuchende
und solche mit Nichteintretensentscheid haben
grossmehrheitlich keinen Zugang zu medizinischen
Leistungen. Nur in den Kantonen Bern, Freiburg,
Genf und Zürich existieren – mehr
oder weniger prekäre – Netzwerke,
die diesen Menschen eine medizinische Versorgung
ermöglichen. Die Betroffenen müssen
aber zunächst einmal den Mut aufbringen,
diese Einrichtungen aufzusuchen – das
Klima der Repression zielt auch darauf ab, sie
von diesem Schritt abzuhalten.
Mehr als 80% der papierlosen Frauen gebären
ohne medizinische Schwangerschaftskontrolle
und Nachsorge. Die Bedingungen für den
Zugang zu einer Krankenversicherung wurden für
diese Menschen, die in extrem prekären
Situationen überleben, noch verschärft.
Der Grundsatz des Rechts auf eine Krankenversicherung
für alle Menschen, die in der Schweiz leben,
wird in Frage gestellt durch die Feststellung
von Fällen von "offensichtlichem Missbrauch
durch Personen, die für eine bestimmte
medizinische Behandlung in der Schweiz von Leistungen
der Krankenversicherung zu profitieren suchen"
(Bundesgerichtsentscheid BGE 9C_217/2007
von April 2008).
Der durchschnittliche Lohn eines Sans-papiers
wird auf 1000 bis 1600 Franken pro Monat geschätzt
– aber offiziell gibt es ja nichts dergleichen.
Das Bundesamt für Statistik berücksichtigt
die Sans-papiers in seiner sehr offiziellen
und sehr fiktiven Lohnstatistik nicht.
Rechtliche
Repression hat System
Die
rechtlichen Instrumente zur Repression der Sans-papiers
wurden massiv verschärft. Seit 2007 produzieren
neue Gesetze noch mehr Sans-papiers. Die Gewerkschaften
haben das neue Gesetz gegen die Schwarzarbeit
akzeptiert, obwohl dieses die rechtlichen Grundlagen
der Hetzjagd gegen papierlose Lohnabhängige
verstärkt. Und die Revision von Ausländer-
und Asylgesetz – 2007 und 2008 in Kraft
getreten – heizt die Produktion von Sans-papiers
noch mehr an.
Im Juli 2008 wurden die repressiven Bestimmungen
der Zwangs-massnahmen dahingehend erweitert,
dass sie sich gegen "Ausschaffungshäftlinge",
aber auch gegen inhaftierte Schweizer Bürgerinnen
und Bürger richtet, die "zwangsverlegt"
werden. Damit werden eine breite Palette von
Instrumenten zur polizeilichen Brutalität
sowie gewisse Formen von Folter legalisiert,
wie die Elektro-schockpistole Taser, die von
zahlreichen Menschenrechtsorganisationen als
Folterinstrument bezeichnet wird.
Die
Schweiz gleicht sich also vollständig der
Praxis der Europäischen Union an: Sie fichiert,
sie sammelt Fingerabdrücke und biometrische
Daten, sie vollzieht Ausschaffungen und Einsperrungen
von illegal Eingereisten, von Sans-papiers,
von abweisbaren oder abgewiesenen Asylsuchenden
und von Ausländerinnen und Ausländern
in Ausschaffungsverfahren. In der EU und in
der Schweiz sind permanent Zehntausende MigrantInnen
eingesperrt.
Es wird massiver Druck ausgeübt auf die
100'000 bis 200'000 Sans-papiers, auf abgewiesene
Asylsuchende oder solche mit Nichteintretensentscheid,
auf ihre Angehörigen – ob diese nun
Papiere besitzen oder nicht – sowie auf
SchweizerInnen, die sich nicht strikte an die
herrschenden Ordnung halten.
Zu
Beginn des Sommers 2008 hat die Leitung der
Sozialdemokratischen Partei zum Thema Sicherheit
das Terrain besetzt, das von den Rechten aller
Schattierungen abgesteckt wurde. Für den
SP-Kongress im Oktober wird eine Ausrichtung
vorgeschlagen, die im Kern die propagandistischen
Forderungen jener Parteien übernimmt, mit
denen die SP tagtäglich im Bundesrat verkehrt
(siehe das Papier der SP-Leitung zur "öffentlichen
Sicherheit").
Konkrete,
aber grundlegende Forderungen
Es
ist nicht nur die gesetzliche Ebene, die diese
extrem prekarisierten Menschen und ihre Familien
daran hindert, ein Leben in Würde zu führen.
Ausschaffungen finden in der ganzen Schweiz
statt. Was hindert Kantone mit "linker"
Regierungsmehrheit – nehmen wir das Beispiel
Genf – daran, Ausschaffungen in der Praxis
zu unterlassen? Nichts – ausser der totalen
Unterwerfung unter die bürgerlichen Gesetze,
die meist Sonderrecht darstellen. Hinzu kommt
eine politische Orientierung die seit Jahrzehnten
Gesetze und Massnahmen akzeptiert, die immer
mehr Kategorien von Lohnabhängigen schaffen
und somit das Ziel der Spaltung verfolgen.
So
werden junge Sans-papiers daran gehindert, eine
Lehre zu absolvieren, denn es kann ihnen kein
Fähigkeitszeugnis nach "eidgenössischer"
Norm ausgehändigt werden. Warum schaffen
Kantone oder Städte mit "linker"
und "humaner" Regierungsmehrheit keine
kantonalen oder städtischen Fähigkeitszeugnisse,
als offizielle Anerkennung der durchlaufenen
Lehren für Sans-papiers? Die Gründe
sind wiederum in der oben skizzierten Haltung
zu suchen.
Diese
extrem prekarisierten Menschen haben keinen
oder kaum Zugang zu einer medizinischen Versorgung.
Was hindert die kantonalen Behörden daran,
dieser Bevölkerungsgruppe auf kantonaler
Ebene das Gesundheitssystem vollständig
zugänglich zu machen? Nichts – ausser
den oben angeführten Gründen, und
die sorgsam gepflegte Fremdenfeindlichkeit.
Was
hindert Unternehmer daran, die eine utilitaristische
(auf den wirtschaftlichen Eigennutz ausgerichtete)
Migrationspolitik befürworten, gleichzeitig
die Regulierung der Bewilligungs- und der Lohnfrage
einzufordern? Nichts – ausser der Benutzung
der Prekarität als Instrument zur Lohnsenkung,
umso mehr als das Subunternehmertum immer mehr
Raum einnimmt.
Wollen
wir uns nicht mit dem Anprangern der allgemeinen
Zustände zufrieden geben – eine sicher
notwendige Haltung – so sollten alle Organisationen
und Verbände, die für die vollständige
Gewährung von politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Rechten einstehen, sich für
diese beschränkten, aber konkreten Forderungen
mobilisieren. Alle diese Forderungen beziehen
sich auf die Grundrechte. Alle können als
Hebel wirken im Kampf gegen die Selektion der
"erwünschten" Migration, gegen
die Selektion der erzwungenen Illegalität,
gegen die Selektion der "erwünschten"
Regularisierung und Ausschaffung – aber
auch im Kampf gegen die Gefahr der Resignation.
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