Entwicklungsländer
verlieren jährlich 50 Milliarden Dollar.
Netzwerk Steuergerechtigkeit kämpft für
gleiche Wettbewerbsbedingungen. Ein Gespräch
mit Bruno Gurtner
* Bruno Gurtner ist Volkswirtschaftler und
in der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke
(Bern) für internationale Finanzpolitik
verantwortlich. Er ist außerdem Mitbegründer
des globalen Netzwerkes Steuergerechtigkeit.
F: Nach Schätzung von Finanzexperten
sind dem deutschen Fiskus im Laufe der Jahre
durch Steuerflucht etwa 600 Milliarden Euro
entgangen. Ist Steuerflucht in dieser Größenordnung
nur ein deutsches Phänomen?
In
Frankreich und Italien ist das ähnlich.
Privatleute aus diesen Ländern haben
viel Steuerfluchtgeld alleine in der Schweiz
deponiert. Beliebt sind auch Luxemburg, Belgien,
Österreich und die kleinen Finanzzentren
umliegender Länder. Ich denke außerdem
an die Kanalinseln oder an Andorra. Und dann
gibt es die exotischen Offshore-Zentren in
der Karibik, neuerdings kommt auch Singapur
hinzu. Vor einigen Jahren hat es kaum ein
Dutzend solcher Finanzzentren gegeben, heute
sind es 60 oder 70, die nach OECD-Kriterien
in diese Kategorie fallen.
F:
Welche Rolle spielt die Schweiz?
Die
Besonderheit bei uns ist die Unterscheidung
zwischen einfacher Steuerhinterziehung und
Steuerbetrug. Betrug ist laut Gesetz ein Delikt,
einfache Steuerhinterziehung wird nur administrativ
verfolgt. Ausländische Steuerhinterzieher
bleiben ungeschoren, weil die Schweiz in solchen
Fällen keine Rechts- und Amtshilfe leistet.
F:
Gibt es Schätzungen, wie viele entzogene
Steuergelder in der Schweiz geparkt sind?
Die
einen gehen davon aus, daß 40 Prozent
des in der Schweiz deponierten Auslandsgeldes
im Ursprungsland nicht ordentlich versteuert
wurde. Andere sprechen von 80 bis 90 Prozent.
F:
Welche ökonomischen Auswirkungen hat
es, wenn Steuergelder hinterzogen und woanders
geparkt werden?
Zum
Schweizer Finanzplatz gehören auch Niederlassungen
ausländischer Geldinstitute – wie
die Deutsche Bank. Ebenso wie alle anderen
betreiben sie das Geschäft mit der Vermögensverwaltung.
Der gesamte Bankensektor trägt mit etwa
zwölf Prozent zum Bruttosozialprodukt
bei, fünf bis sechs Prozent aller Beschäftigten
arbeiten in diesem Bereich. Die Vermögensverwaltung
ist sehr einträglich, sie deckt vielleicht
ein Drittel des gesamten Bankgeschäfts
der Schweiz ab.
F:
Auch Entwicklungsländer leiden unter
Steuerflucht. Welche Auswirkungen hat das
dort?
Die
Schweiz verwaltet ein Drittel aller Offshore-Vermögen.
Demnach dürfte auch ein Drittel aller
Gelder, die unversteuert aus Entwicklungsländern
abfließen, in der Schweiz landen. Eine
Studie der internationalen Hilfsorganisation
OXFAM geht davon aus, daß die Entwicklungsländer
pro Jahr 15 Milliarden US-Dollar durch Steuerflucht
alleine ihrer Bürger verlieren. Fünf
Milliarden würden also in der Schweiz
landen. Verglichen mit der Entwicklungshilfe
von einer Milliarde US-Dollar wäre das
ein Verhältnis von eins zu fünf.
Für diese Zahl kann ich nicht meine Hand
ins Feuer legen. Aber sie zeigt, daß
viel mehr Geld abfließt, als die Schweiz
an Entwicklungshilfe leistet. Laut Oxfam-Studie
verlieren die Entwicklungsländer zusätzlich
35 Milliarden pro Jahr durch schädlichen
Steuerwettbewerb und die Praktiken transnationaler
Konzerne.
F:
Welche Möglichkeiten gibt es, dagegen
vorzugehen?
Entweder
muß die Schweiz die einfache Steuerhinterziehung
strafrechtlich verfolgen oder sie verpflichtet
sich, Rechts- und Amtshilfe zu leisten. Außerdem
muß der Informationsaustausch zwischen
Bankensystem und Steuerbehörden verbessert
werden. Dieses Anliegen wird auch in der OECD
verfolgt. In der EU scheiterte der vollständige
Informationsaustausch an Luxemburg, Belgien
und Österreich.
F:
Welche Rolle spielt das »Netzwerk Steuergerechtigkeit«?
Globale
Probleme müssen global gelöst werden.
Das Netzwerk kämpft auf nationaler und
globaler Ebene – etwa in internationalen
Institutionen – für gleiche Wettbewerbsbedingungen.
Wir wollen, daß die Entwicklungsländer
zu ihrem Geld kommen, zu ihrem legitimen Anteil
an den Profiten der transnationalen Konzerne,
die in diesen Ländern tätig sind.
Es gibt zur Zeit eine Steuerverlagerung vom
Kapital zur Arbeit, von den Großen zu
den Kleinen. Diese Entwicklung muß gestoppt
und umgekehrt werden.
*
Info: www.taxjustice.net