Anfang
Juni hat in der Nähe von Solothurn die
vorkonstituierende Versammlung der Bewegung
für den Sozialismus (BFS) stattgefunden.
Sie erlaubte es, einen wichtigen Schritt nach
vorne zu tun, nachdem in den vorangegangenen
Monaten bereits mehrere Treffen stattgefunden
haben: ein politisches Schulungswochenende,
nationale Versammlungen und eine Pressekonferenz
im März. Die vor--konstituierende Versammlung
soll einen Prozess einleiten, der noch in diesem
Jahr zur eigentlichen Gründungsversammlung
der BFS führen wird.
Während
zwei Tagen haben ungefähr einhundert Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aus den drei Sprachregionen sowohl
über die internationale Situation als auch
über Fragen der schweizerischen Politik
debattiert. Der internationale Teil wurde durch
den italienischen Genossen Livio Maitan, langjähriges
Leitungsmitglied der IV. Internationalen und
Mitglied des nationalen politischen Komitees
von Rifondazione Comunista (PRC), eingeleitet.
Die Versammlung hat auch die organisatorischen
Grundlagen gelegt, um die BFS als nationale
Organisation funktionstüchtig zu machen,
indem sie einen Statutenentwurf zu Handen der
Gründungsversammlung verabschiedet und
eine provisorische nationale Arbeitsgruppe gewählt
hat.
Ende
August wird ein politisches Seminar stattfinden,
das der Vorbereitung der Diskussionen der Gründungsversammlung
dienen soll, welche am 30. November und 1. Dezember
2002 stattfinden wird. An diesem Seminar werden
die Analyse des Imperialismus in der Phase der
"Globalisierung" (auch die Position
des schweizerischen Imperialismus, der sich
am Prozess der internationalen Konzentration
des Kapitals beteiligt), der aktuelle Stand
der feministischen Debatte und die Aktivitäten
der BFS in den nächsten Monaten einen zentralen
Platz einnehmen.
Eine
internationalistische Perspektive
Mit
diesem Ausdruck kann der Geist, der die vor-konstituierende
Versammlung und insbesondere den ersten Tag
geprägt hat, am besten beschrieben werden.
Es ging um das Verständnis der Elemente,
die der Analyse und Intervention einer antikapitalistischen,
sozialistischen und feministischen Kraft zu
Grunde liegen. Livio Maitan hat einige Grundtendenzen
des internationalen Umfelds skizziert. Er hat
die neuen, positiven Entwicklungen des politischen
Panoramas auf der internationalen Ebene aufgezeigt
: einerseits den Aufschwung der vielfältigen
Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung,
mit ihren Höhepunkten in den Foren von
Porto Alegre und an den grossen internationalen
Demonstrationen in Genua und in Barcelona ;
andererseits die erneute Stärkung von Kämpfen
der Lohnabhängigen in einigen grossen europäischen
Ländern (Italien, Spanien, Frankreich und
Deutschland).
Livio
Maitan hat aber auch die Grundzüge der
heutigen imperialistischen Offensive aufgezeigt,
die von der immer aggressiveren Rolle des US-Imperialismus
und seiner Verbündeten gekennzeichnet ist
und im Rahmen einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise
vorangetrieben wird.
Es
ist deshalb für eine sozialistische Kraft
in der Schweiz eine alltägliche Notwendigkeit,
sich in einer internationalistischen Perspektive
zu bewegen - so eindeutig, wie es Rolle des
schweizerischen Imperialismus in den internationalen
Zusammenhängen geworden ist. Um eine Kraft
aufzubauen, die sich dem System, in dem wir
leben, radikal entgegenstellt, ist ein neues
internationales und internationalistisches Paradigma
unumgänglich.
Diese
Aufgabe trägt in gewisser Hinsicht Züge
einer Rückkehr zu den (inzwischen verschütteten
und vergessenen) Ursprüngen der ArbeiterInnenbewegung
in sich. Ein internationalistisches Paradigma
neu zu begründen bedeutet, die eigene (auch
die alltägliche) Aktion in dieser Optik
zu betrachten, sowohl auf der im engeren Sinne
politischen wie auf der sozialen und gewerkschaftlichen
Ebene. Ohne diese Perspektive - welche sicherlich
nicht neu ist, aber durch die Entwicklungen
des Kapitalismus in den letzten zwei Jahrzehnten
noch viel an Bedeutung gewonnen hat - erscheint
jedes politische Projekt als gegenstandslos,
auf die nationale Ebene beschränkt und
somit nicht in der Lage, die politische Dynamik
zu erfassen und ein Minimum an realistischen
Vorschlägen zu erarbeiten.
Die
Notwendigkeit eines "gemeinsamen politischen
Alphabets"
Dieser
internationalistische rote Faden bedeutet natürlich
nicht, dass uns die Analyse und die Erarbeitung
einer klaren politischen Perspektive auf der
nationalen Ebene erspart bleiben. Die erste
Priorität stellt in dieser Hinsicht der
Aufbau eines gesamt-schweizerischen politischen
Projekts dar, das nicht durch das einfache Zusammenfügen
von sektoriellen oder regionalen Realitäten
bewerkstelligt werden kann, die entsprechend
begrenzte Analysen und Interventionen einbringen,
sondern nur durch eine Synthese der verschiedenen
Erfahrungen. Die grundlegenden Veränderungen
des schweizerischen Kapitalismus in den letzten
Jahren zeigen auf, dass eine politische und
ökonomische Zentralisierung der Macht auf
der ganzen Linie gesiegt hat, die auf keinen
Widerstand auf nationaler Ebene stösst.
Im Gegenteil ist die SP als Regierungspartei
aktiv an der Umsetzung der Grundlinien der Politik
der Bourgeoisie auf nationaler, kantonaler und
Gemeindeebene beteiligt. Bei den Privatisierungen,
in der Gesundheitspolitik, der Finanzpolitik
und der Aussenpolitik - um nur einige wenige
Beispiele zu nennen - unterscheidet sich die
tatsächliche Politik der SP nur geringfügig
von der Linie, welche die bürgerlichen
Kräften vorgeben. Natürlich verlangt
das politische Schattenboxen (im Stil der "Arena"
zum Beispiel) von jeder Partei, eine andere
als ihre wirkliche Rolle zu spielen. Auf diese
Weise lässt die SP glauben, dass sie eine
oppositionelle Kraft ist, obwohl sie seit fast
50 Jahren aus freien Stücken in der Regierung
sitzt. Und für die Gewerkschaftsbewegung
sieht die Sache nicht viel anders aus.
Die
Wirkung einer Opposition, die nur eine lokale
oder kantonale Dimension annimmt, bleibt deshalb
sehr beschränkt. Nur mit dem Aufbau einer
politischen und sozialen Gegenkraft auf nationaler
Ebene, die auch "ideologische" Gegensätze
zwischen Regionen und Kantonen überwindet,
wird es möglich sein, die absolute Macht
der herrschenden Klassen in diesem Land tatsächlich
in Frage zu stellen. Ohne eine solche nationale
Perspektive wird in der Gewerkschaftswüste
Schweiz auch der Aufbau einer neuen Gewerkschaftsbewegung,
die dazu in der Lage wäre, sich zu einer
echten sozialen Bewegung zu entwickeln, die
Macht der Unternehmer in den Betrieben und in
der Gesellschaft zu erschüttern und eine
Form breiter gesellschaftlicher Gegenmacht zu
werden, ein frommer Wunsch.
Um
diese und weitere Probleme hat sich die Diskussion
über die schweizerische Situation und über
den Aufbau des politischen Projekts gedreht.
Es sind Elemente, die zum "politischen
Alphabet", zur gemeinsamen Sprache aller
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Projekt
werden müssen.
Welche
Organisation für dieses politische Projekt
?
Auch
die Diskussion über die Art der politischen
Organisation, die wir aufbauen wollen, wurde
intensiv geführt. Mehrere Interventionen
haben die Notwendigkeit einer Kombination von
politischer Zentralisierung und Demokratie hervorgehoben.
Dies beinhaltet auf der einen Seite die Erfordernis
einer Bewegung, die einen Standpunkt zum Ausdruck
bringt, der nicht nur von besonderen sektoriellen
oder regionalen Bedürfnissen geprägt
ist. Im Gegensatz dazu muss die BFS die Fähigkeit
entwickeln, zentrale politische Fragen aufzugreifen
und Prioritäten der eigenen Aktion in einer
nationalen und internationalen Perspektive festzulegen.
Auf der anderen Seite brauchen wir aber eine
Bewegung, die alle Aspekte berücksichtigt
und integriert, welche in den besonderen Standpunkten
zum Ausdruck kommen ; die eine möglichst
breite Diskussion und Beteiligung ihrer Mitglieder
fördert ; und die schliesslich eine Synthese
der notwendigerweise verschiedenartigen Standpunkte
und Beiträge hervorbringt. Um dies zu erreichen,
muss die Organisation in einer Weise funktionieren,
welche die organisierte Vermittlung und Vertretung
aller Standpunkte in den Gremien der BFS ermöglicht
(aus diesem Grund sieht der verabschiedete Statutentwurf
unter anderem das Tendenz- und Fraktionsrecht
vor).
Es
braucht aber auch eine Struktur, welche die
Förderung die Beteiligung der Mitglieder
an den politischen Aktivitäten, an der
Diskussion und an der Ausarbeitung der grundlegenden
Ausrichtung der Bewegung privilegiert. Deshalb
werden die Versammlungen auf lokaler und nationaler
Ebene eine entscheidende Rolle spielen : von
den Sektionsversammlungen, die zum Motor der
Aktivitäten der BFS-Sektionen werden sollen,
bis hin zu den nationalen Konferenzen, an denen
alle Mitglieder dazu eingeladen werden, über
wesentliche und aktuelle Fragen zu diskutieren.
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