„Es
ist klar, dass die unersättliche Suche
nach Gewinnen, die produktivistische und profitorientierte
Logik der kapitalistischen/industriellen Zivilisation
uns in eine Umweltkatastrophe mit unabsehbaren
Folgen führt.“ (Michael Löwy
Ecosocialism or barbarism)
Mit
den Bildern des riesigen Ölteppichs im
Golf von Mexiko bekommen wir nun tagtäglich
die Bedeutung dieser Worte vor Augen geführt.
Die Konsequenzen dieser Katastrophe für
die Menschen und die natürliche Umwelt
kann bisher noch niemand umfassend einschätzen.
Klar ist lediglich, das dass Ökosystem
Jahrzehnte benötigen wird, um sich regenerieren
zu können.
Auf der Suche nach dem „schwarzen Gold“
...
Die Katastrophe zeigt aber auch, welch hohe
Risiken für Mensch und Umwelt die großen
Ölkonzerne und ihre politischen HandlangerInnen
eingehen, um der Erdkruste noch die letzten
Barrel Öl zu entreißen. Die heute
bekannten Ressourcen von Erdöl reichen
nur noch ca. 40 Jahre. Insbesondere die Erdölmultis
aus den imperialistischen Zentren werden auf
der Suche nach dem „schwarzen Gold“
daher immer waghalsiger. Ihnen ist inzwischen
weitgehend der Zugang zu den einfachen, billigen,
aussichtsreichen Quellen in Asien und Lateinamerika
verwehrt. Mehr als drei Viertel der globalen
Erdölreserven befinden sich aktuell in
der Hand nationaler Ölgesellschaften. Die
staatlichen bzw. staatlich kontrollierten Ölkonzerne
Saudi Aramco (Saudi-Arabien), Gazprom (Russland),
NIOC (Iran) oder PDVSA (Venezuela) sind heute
die wahren Giganten im Geschäft. Ihre frühere
hegemoniale Rolle haben die privaten Konzerne,
wie BP oder Shell, längst verloren. Sie
kontrollieren gerade noch rund ein Zehntel der
globalen Öl- und Gasreserven. Ohne Zugang
zu den meisten einfach zu fördernden Erdölquellen,
bleibt ihnen nur das Ausweichen auf die aufwendigen,
teuren und gefährlichen Projekte. Aus der
Not heraus stoßen die Konzerne zu den
letzten Grenzen vor, zu Vorkommen, die sonst
keiner anfassen mag.
… im Sand und in der Tiefsee.
Die Jagd nach den letzten Reserven des immer
knapper werdenden Erdöls nimmt immer umweltzerstörerischere
Formen an. Ein Beispiel dafür ist die Förderung
der Ölsandvorkommen in Kanada. Erst durch
den wegen der Verknappung gestiegenen Ölpreis
wurde die Förderung von Erdöl aus
Sand rentabel. Da das Öl aus dem Sand extrahiert
werden muss, ist die Förderung extrem energieintensiv
und schmutzig. Fast die Hälfte der Energie,
die das geförderte Öl zu liefern in
der Lage ist, wird für die Förderung
und Raffinierung gebraucht, von dem gigantischen
Wasserverbrauch ganz abgesehen. Im Durchschnitt
benötigt man zwei Tonnen Ölsand und
2 bis 5 Barrel Wasser, um ein Barrel (159 Liter)
Rohöl zu gewinnen.
Ein
weiterer Ausdruck dieses Wettlaufs um die Ressource
Erdöl ist die in den letzten Jahren stetig
steigende Förderung von Erdöl aus
der Tiefsee. Die am 22. April havarierte Erdölplattform
Deepwater Horizon förderte ihr Öl
aus 1500 Metern Tiefe. Die von BP geleaste Plattform
wurde 2001 gebaut und stellte eine der modernsten
Bohrplattformen der Welt dar. Zwölf Meter
hohen Wellen und Winden in Orkanstärke
konnte sie trotzen. Sie operierte sogar schon
in Tiefen von bis zu 3 000 Metern. Vor allem
der enorme Druck in den unterirdischen Reservoirs
macht die Arbeit extrem gefährlich. Die
Ölfirmen bohren in Gesteinen, in denen
auf jedem Quadratzentimeter das Gewicht eines
Mittelklassewagens lastet. Wird bei der Bohrung
in eine solche Öl- oder Gasquelle vorgestoßen,
besteht die Gefahr, dass Öl explosionsartig
und unkontrolliert nach oben schießt.
Zu solch einem sogenannten „Blowout“
ist es vermutlich auch bei der Deepwater Horizon
gekommen. Heute werden weniger als ein Prozent
der Weltproduktion an Erdöl aus Förderanlagen,
die in solchen Tiefen operieren, gewonnen. Viele
Ölgesellschaften erwarten dennoch, dass
die Ölbohrung auf hoher See eine große
Zukunft hat. Zwischen 35 und 65 Dollar pro Barrel
kostet die Förderung des Tiefseeöls,
schätzte die Internationale Energieagentur
im Jahr 2009. Derzeit liegt der Ölpreis
schon bei rund 80 Dollar.
Augen zu und durch
Die Ölindustrie wird nach der Katastrophe
wohl weitermachen wie bisher – trotz der
sich abzeichnenden Ölpest. Anders als etwa
bei der Havarie des Tankers Exxon Valdez im
Jahr 1989 vor Alaska bahnt sich diesmal eine
schleichende Katastrophe an, ein langsames,
stilles Sterben der Vögel, Schildkröten
und Meeressäuger im Golf von Mexiko. Das
Unglück im Zeitlupentempo könnte BP
helfen, die Sache bald vergessen zu machen.
Auch der finanzielle Schaden wird das Unternehmen
kaum umwerfen, selbst wenn er in die Milliarden
gehen sollte: Der Gewinn von BP stieg im ersten
Quartal 2010 auf 5,6 Milliarden Dollar. Das
Katastrophen-management des Konzerns basiert
derweilen hauptsächlich auf Verschleierung
und Verschiebung des Problems.
„Im Kampf gegen die Ölpest –
und gegen verheerende TV-Bilder von verschmutzten
Wildvögeln – setzen der Ölkonzern
BP und Helfer in bisher nicht erprobtem Ausmaß
auf Chemie, auf sogenannte Dispergatoren. Diese
Chemikalien lösen das Öl nicht auf,
sie verwandeln es nur in eine Menge kleinerer
Tröpfchen, die dann vom Wasser umschlossen
werden. Ein Prinzip, das man zu Hause beim Abwaschen
mit Spülmittel kennt. Die sichtbare Bilanz
der Ölkatastrophe ist deshalb vergleichsweise
harmlos“ (Spiegel Online 17.5.10).
Doch
der Preis für Mensch und Umwelt ist dabei
sehr hoch. Die mittels Flugzeugen versprühten,
Corexit genannten, Chemikalien sorgen erstens
dafür, dass ölfressende Bakterien
unter Wasser eine größere Angriffsfläche
haben. Das klingt zwar gut, raubt aber anderen
Meereslebewesen den Sauerstoff zum Überleben.
ForscherInnen haben in den belasteten Gewässern
stellenweise bereits um 30 Prozent niedrigere
Sauerstoffwerte gemessen. Ein solch niedriger
Sauerstoffanteil im Wasser ist vor allem für
Fischeier, Plankton und Korallen höchst
problematisch. Was der Fauna und Flora mehr
schaden wird, das Erdöl, oder die versprühten
Chemikalien, wird sich noch zeigen. Für
BP bringt die Spezialflüssigkeit allerdings
einen großen Vorteil: einen Monat nach
dem Untergang der Bohrplattform Deepwater Horizon
ist der Großteil des bisher ausgetretenen
Öls unter Wasser geblieben. Das Problem
wirkt in den Fernsehbildern also weniger dramatisch,
als es wirklich ist. Durch den Einsatz der Chemie
bildeten sich dagegen große Ölwolken
unter Wasser, die bis zu 16 Kilometer lang,
sechs Kilometer breit und hundert Meter hoch
sind.
Eine Wende in der US-Energiepolitik?
Erst Ende März hatte US-Präsident
Obama verkündet, neue Seegebiete vor der
Ostküste der USA, nördlich von Alaska
und im östlichen Golf von Mexiko, für
solche Offshore-Bohrungen freizugeben. Damit
sollte die Abhängigkeit der US-Wirtschaft
von ausländischem Öl verringert werden.
Nach der Katastrophe im Golf von Mexiko ruderte
die US-Administration teilweise zurück.
US-Innenminister Ken Salazar stellte gar den
bisherigen energiepolitischen Kurs der Regierung
von Präsident Barack Obama in Frage. Die
Ölpest müsse den USA „eine Lehre
sein“, sagte der demokratische Politiker
in Robert im US-Bundesstaat Louisiana. Das ganze
Land müsse über grundsätzliche
Fragen wie Energieverbrauch und Konsum nachdenken,
forderte Salazar. Ob es wirklich zu einer breiten
gesellschaftlichen Debatte über die Energiegewinnung
und Nutzung führt, bleibt dabei allerdings
fraglich. Wie oft versprachen die Herrschenden
nach solchen Katastrophen schon ein generelles
Umdenken, ohne dass sich etwas geändert
hat? Wo blieb z. B. die Abkehr von der Atomenergie
nach Tschernobyl? Das reale Krisenmanagement
der US-Regierung, abseits von den großen
Reden, deutet derweilen nicht auf ein wirkliches
Umdenken in der Energiepolitik hin. Zwar hat
US-Präsident Barack Obama jetzt eine „unabhängige“
Kommission zur Untersuchung der Ölpest
im Golf von Mexiko eingesetzt. Als Konsequenz
aus der Ölkatastrophe wurde bislang
aber nur eine weitere Vergabe der Förderlizenzen
für Offshore-Bohrungen gestoppt, sowie
bei der besonders in der Kritik stehenden US-Behörde
für Rohstoffverwaltung (MMS) ein Abteilungsleiter
von seinen Aufgaben entbunden. Der für
die Kontrolle der Tiefsee-Bohrungen zuständige
Abteilungsleiter Chris Oynes ging in den Ruhestand.
Er arbeitete bereits 35 Jahre für die Behörde.
Obama kritisierte, diese pflege eine zu enge
„behagliche“ Beziehung zur Ölindustrie
(Spiegelonline 18.5.10).
Radikaler Bruch nötig
Socialist Action, eine der IV. Internationale
nahestehenden Organisation in den USA, fordert
dagegen einen radikalen Bruch mit der herrschenden
Politik: „Wir benötigen eine vollständige
Untersuchung des Unfalles und ein Gerichtsverfahren
sowie Gefängnisstrafen für die TäterInnen.
Aber die Quellen des Problems müssen auch
aufgeklärt werden. Das reine Profitinteresse
der Erdöl-KapitalistInnen ist die Wurzel
des Desasters. Das Mississippi Delta ist unzählige
Male durch Ölpests verschmutzt worden und
ein großer Teil des Erdbodens ging durch
den Bau von Kanälen für die Erdölpipelines
ans Meer verloren. Die Öl- und Chemie-Raffinerien
haben den Süden Lousianas zu einem der
am meisten verseuchten Gebiete der Erde gemacht.
BP trägt die Verantwortung für die
aktuelle Krise, aber auch die kapitalistischen
PolitikerInnen in beiden der großen Parteien,
die als ihre Handlanger arbeiten, indem sie
Versuche unternehmen, die Sicherheitsvorkehrungen,
den Arbeits- und den Umweltschutz zu untergraben“
(www.socialistaction.org).
Um den Herrschenden in den Konzernen und ihren
Regierungen das Handwerk zu legen, ist ein radikaler
Bruch mit diesem System nötig – mittels
Enteignung der Energieindustrie und deren Kontrolle
durch die dort Beschäftigten. Außerdem
ist eine Konversion der Arbeitsplätze in
der Erdölindustrie nötig, die
zur Schaffung einer auf Sicherheit, Sauberkeit
und Regenerativität basierenden Energieproduktion
führt. Nur so kann eine Energieproduktion,
die sich an den Interessen der Menschen und
der Nachhaltigkeit gegenüber der natürlichen
Umwelt orientiert, gewährleistet werden.
Wir benötigen ein Übergangsprogramm,
um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern,
egal ob Kohle, Erdöl oder Uran, zu lösen.
Ein erster Schritt in dieser Richtung kann der
Aufbau eines kostenlosen, flächendeckenden
öffentlichen Nahverkehrs sein. Letztendlich
muss allerdings das auf Streben nach privaten
Profit basierende System des Kapitalismus gestürzt
und durch eine an den Interessen der Menschen
und der natürlichen Umwelt orientierte
Planwirtschaft ersetzt werden. |