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Marx
reloaded
Kein
Betriebsunfall
Die Wiederkehr des ordinären
Kapitalismus.
Serie / Teil II:
Der kapitalistische Krisenzyklus – entzaubertes
BRD-Wirtschaftswunder
von
Winfried Wolf |
|
Im
ersten Teil der Serie wurde im Rückgriff
auf das »Kommunistische Manifest«
von 1848 die historische Genese der sogenannten
Globalisierung dargestellt und anhand von
wirtschaftsbezogenen Daten der letzten zehn
Jahre aufgezeigt, wie der Welthandel unter
dem Diktat weniger Staaten zunehmend strukturelle
Ungleichheiten und Armut verfestigt.
Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist eine
gesellschaftliche Produktion, die von Individuen
und isolierten Unternehmen ohne Plan organisiert
wird. Erst auf dem Markt erweist sich, ob
die Werte, die in den produzierten Waren stecken,
auch realisiert werden können –
ob sich kaufkräftige Kunden einfinden.
Im Fall eines direkten Austausches Ware gegen
Ware (W – W) gibt es keine Krisen. Oder
in den Worten von Karl Marx: »In Zuständen,
wo Männer für sich selber produzieren,
gibt es in der Tat keine Krisen, aber auch
keine kapitalistische Produktion.« (»Theorien
über den Mehrwert«, MEW 26.2, S.
503) Es dürfe nie vergessen werden, »daß
es sich bei der kapitalistischen Produktion
nicht direkt um Gebrauchswert, sondern um
Tauschwert handelt und speziell um Vermehrung
des Surpluswerts« (a.a.O., S. 495).
Es gibt die Produktion um des Profites und
um der Profitmaximierung willen.
Damit gilt G – W – G´: Geld
wird für Waren ausgegeben – für
den Kauf von Rohstoffen, Maschinen und von
Arbeitskraft, um nach dem Produktionsprozeß
wieder in Geld, nun jedoch in einen größeren
Betrag von Geld, eben G´, verwandelt
zu werden. Das veranlaßte Georg Fülberth,
seine »Kleine Geschichte des Kapitalismus«
(Köln 2005) auf den Punkt und den kürzest
denkbaren Buchtitel, eben »G Strich«,
zu bringen.
Karl Marx betonte, daß die Krisenhaftigkeit
des Kapitalismus bereits in der Warenproduktion
und in einer Produktion für einen Markt
selbst angelegt ist. »Bei der Warenproduktion
ist das Verwandeln des Produkts in Geld, der
Verkauf, conditio sine qua non (unerläßliche
Bedingung). Die unmittelbare Produktion für
das eigne Bedürfnis fällt fort.
Mit dem Nichtverkauf ist hier Krise da. Die
Schwierigkeit, die Ware – das besondre
Produkt individueller Arbeit – in Geld,
ihr Gegenteil, abstrakt allgemeine, gesellschaftliche
Arbeit zu verwandeln, liegt darin, daß
Geld nicht als besondres Produkt individueller
Arbeit erscheint, daß der, der verkauft
hat, also die Ware in der Form des Geldes
besitzt, nicht gezwungen ist, sofort wieder
zu kaufen (...) Die Schwierigkeit, die Ware
in Geld zu verwandeln, zu verkaufen, stammt
bloß daher, daß die Ware in Geld,
das Geld aber nicht unmittelbar in Ware verwandelt
werden muß, also Verkauf und Kauf auseinanderfallen
können. (...) Man kann also sagen: Die
Krise in ihrer ersten Form ist die Metamorphose
der Ware selbst, das Auseinanderfallen von
Kauf und Verkauf.« (MEW 26.2, S. 509f.)
Von den spezifischen Krisen ...
In der Geschichte des Kapitals gibt es seit
mehr als 350 Jahren Wirtschaftskrisen und
Finanzkrisen. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts
hatten diese vielfach politische Ursachen.
So brach in England 1667 eine Krise im Zusammenhang
mit dem Krieg gegen die Niederlande aus. Der
holländische Admiral Ruyter fuhr in die
Themse ein und bombardierte das Fort Tilbury,
das die Themsemündung beschützt.
In London entstand eine Panik. Die Banken
wurden gestürmt. 1775 bis 1783 führte
Großbritannien einen Krieg mit den amerikanischen
Kolonien; die hohen britischen Verluste mündeten
1778 in einer Wirtschaftskrise.
Oft hatten diese frühen Krisen auch einen
spezifischen Charakter. Anfang der dreißiger
Jahre des 17. Jahrhundert kam es etwa in Holland,
dem damals führenden kapitalistischen
Land, zu einem Spekulationsfieber, in dessen
Verlauf der Wert einer Tulpenzwiebel auf bis
zu 2500 Gulden anstieg. Man handelte mit Tulpenzwiebeln,
die gar nicht vorhanden waren – so wie
man heute an den Terminbörsen mit Waren
und Dienstleistungen handelt, die es irgendwann
– vielleicht – geben wird. Ein
großer Teil des holländischen produktiven
Kapitals und des Finanzsektors engagierte
sich in diesem Geschäft – bis die
Spekulationsblase 1637 platzte. Die Wirtschaft
und das Geld- und Kreditwesen der Niederlande
wurden nachhaltig erschüttert. In dem
bürgerlichen Standardwerk von Max Wirth
»Die Geschichte der Handelskrisen«
(1858) wurde die »Tulpenmanie«
wie folgt bilanziert: »Viele Jahre vergingen,
bis das Land sich von diesem Schlage wieder
erholte und bis der Handel von den Wunden
wieder genas, welche die Tulpenmanie ihm geschlagen
hatte, eine Manie, die sich nicht bloß
auf Holland beschränkte, sondern bis
nach London und Paris sich erstreckte und
in den zwei größten Hauptstädten
der Welt der Tulpe einen erdichteten Wert
beigelegt hatte, den sie in Wirklichkeit nie
besaß.«
Was uns heute absurd vorkommt, war im Wesen
nichts anderes als die Spekulationsprozesse,
die wir heute erleben: Wenn sich der Wert
von Immobilien in Spanien und in den USA in
der Periode 2002 bis 2005 teilweise mehr als
verdoppelte, so ist dies durch keine realen
Werte gedeckt, sondern allein Resultat des
spekulativen Fiebers. Wenn das US-Unternehmen
General Electric (GE) 2005 einen Börsenwert
von 377 Milliarden US-Dollar aufweist, so
drückt dieser Wert nur spekulative Hoffnungen
auf weiter gesteigerte GE-Profite bzw. auf
einen weiter steigenden GE-Börsenwert
aus. Es gibt keinen materiellen Grund dafür,
daß der ähnlich starke Konkurrent
Siemens mit 67,6 Milliarden US-Dollar nur
auf ein Fünftel des Börsenwerts
von GE kommt.
...
zum Krisenzylus
Mit dem Jahr 1825 begann eine neue Etappe,
die bis heute andauert und die bis zum Exitus
dieser Wirtschaftsform für den Kapitalismus
bestimmend sein wird. Anstelle der zufälligen
und nicht periodisierbaren Krisen kommt es
nun zu periodischen Wirtschaftskrisen, zu
einem kapitalistischen Krisenzyklus. Wie es
Karl Marx im Vorwort des ersten Bandes des
»Kapital« formuliert: Nun trat
»die große Industrie selbst (...)
aus ihrem Kindheitsalter heraus«; mit
der »Krise von 1825 (wurde) der periodische
Kreislauf ihres modernen Lebens eröffnet«
(MEW 23, S. 20).
Mit der industriellen Revolution hat das Kapital
– Resultat vorausgegangener, verausgabter
Arbeit; »geronnene«, »tote
Arbeit« – gegenüber der eingesetzten
lebendigen Arbeit ein überwiegendes Gewicht
erhalten. Ein großer Teil dieses »konstanten
Kapitals« ist in Produktionsmitteln
festgelegt, die erst im Verlauf einer relativ
festen Periode, eines Zyklus verschleißen
(»abgeschrieben« sind) und ihren
Wert auf die erstellten Produkte im Verlauf
dieser Umschlagszeit übertragen. Dieser
Teil des konstanten Kapitals, das in Gebäuden,
in Maschinen, in Computern, in Software usw.
angelegt ist, wird als »fixes Kapital«
bezeichnet. Das fixe Kapital wird zu einem
großen Teil am Ende der Krisen erneuert.
Seine Umschlagszeit – die Spanne zwischen
Erneuerung und seinem Verschleiß –
bestimmt wesentlich die Länge der Zyklen.
Wobei der Verschleiß ein materieller
sein kann – die Maschinerie ist dann
am Ende der Umschlagszeit nicht mehr funktionstüchtig.
In der Regel geht es jedoch gerade heute um
einen »moralischen Verschleiß«:
Das eingesetzte fixe Kapital ist zum Zeitpunkt
seines Ersatzes nicht mehr ausreichend produktiv
im Vergleich mit neuer, moderner Technologie;
es muß frühzeitig durch neues fixes
Kapital ersetzt werden, um die Konkurrenzfähigkeit
zu erhalten. Marx ging selbst von kürzer
werdenden Zyklen aus. In einer Ergänzung
zur französischen Ausgabe des »Kapitals«,
die 1872, fünf Jahre nach Veröffentlichung
der deutschen Erstausgabe erschien und bei
der er auf neue Erfahrungen über die
Krisenzyklen zurückblicken konnte, heißt
es: »Bis jetzt ist die periodische Dauer
solcher Zyklen zehn oder elf Jahre, aber es
gibt keinerlei Grund, diese Zahl als konstant
zu betrachten. Im Gegenteil, aus den Gesetzen
der kapitalistischen Produktion (...) muß
man schließen, daß sie variabel
ist und daß die Periode der Zyklen sich
stufenweise verkürzen wird.« (MEW
23, S. 662)
Phasen
des Zyklus
Seit 180 Jahren ist ein spezifischer Krisenzyklus
der kapitalistischen Produktion zu verzeichnen,
eine Wiederkehr von Aufschwung, Boom, Abschwung
und Krise. Die bürgerliche Wirtschaftstheorie
weigert sich weitgehend, dieser Tatsache Rechnung
zu tragen. Auch im Programm der neuen Großen
Koalition wird eine »Verstetigung«
der »Aufschwungtendenzen« gefordert.
Tatsächlich ist eine solche »Verstetigung«
nicht möglich, sondern es gibt immer
den folgenden Verlauf: Den Ausgangspunkt des
Zyklus bildet die Krise oder Rezession. Wenn
die Krise ausreichend »reinigend«
– und zerstörend – gewirkt
hat und ein gewisses Gleichgewicht auf nationaler
und internationaler Ebene hergestellt wurde,
beginnt die Belebung der Wirtschaft –
die »Konjunkturerholung«, wie
es im bürgerlichen Jargon heißt.
In großem Umfang wird neues fixes Kapital
angelegt, was meist zu einem ersten Aufschwung
der Produktionsmittel herstellenden Industrien
– etwa des Werkzeugmaschinenbaus –
führt. Es kommt zu Neugründungen;
die Nachfrage nach Arbeitskräften und
Rohstoffen steigt wieder. Exporte und Importe
wachsen. Und es steigen die Profite und die
Gewinnerwartungen. Schließlich nehmen
auch der Massenverbrauch und die Luxusnachfrage
zu; die Industrien, die kurzlebige Konsumtionsmittel
herstellen (die Nahrungs- und Genußmittelindustrie)
und die Industrien, die langlebige Konsumgüter
fertigen (etwa die Auto- und die Elektrogüterindustrie),
florieren. Auf diesem Höhepunkt der Konjunktur
wachsen erneut die Spekulation und das Gründungsfieber.
Das Busineß rund um Aufkauf, Zerschlagung
und Fusionierung von Unternehmen (»Merger
& Acquisition«) gedeiht. Es steigen
die Zinssätze. Die Aufnahmefähigkeit
des Marktes wird zunehmend strapaziert; die
Disparität zwischen kaum beschränkter
Produktionskraft und beschränkter Massennachfrage
tritt zutage. Sie wird aber nun verstärkt
überbrückt durch eine Ausweitung
des Kredits und durch Rabattschlachten. Die
Rohstoffpreise steigen – siehe aktuell
der Anstieg des Rohölpreises. Die Verschuldung
von privaten und öffentlichen Haushalten
wächst und stößt an ihre Grenzen.
Nun kommt es zur Rolle rückwärts:
Es entstehen Überkapazitäten. Die
Profite sinken. Aktienkurse fallen. Die Zahl
der Konkurse wächst. Spekulationsblasen
platzen. Die Krise tritt ein – und beginnt
ihr zerstörerisches Werk: Kapital liegt
brach und wird – ebenso wie nicht absetzbare
Waren – entwertet. Die Arbeitslosigkeit
steigt erneut. Die Reallöhne sinken;
die Arbeitszeiten werden verlängert.
Die Rohstoffpreise fallen. Bis zu dem Punkt,
an dem erneut ein sogenanntes Gleichgewicht
hergestellt wurde und ein neuer Zyklus beginnt.
Im 1848 veröffentlichten »Kommunistischen
Manifest« von Karl Marx und Friedrich
Engels werden die Krisen als konzentrierter
Ausdruck der Widersprüchlichkeit und
Irrationalität der kapitalistischen Produktionsweise
wie folgt beschrieben: »Seit Dezennien
ist die Geschichte der Industrie und des Handels
nur noch die Geschichte der Empörung
der modernen Produktivkräfte gegen die
(...) Eigentumsverhältnisse, welche die
Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer
Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen
zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr
immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen
Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen
wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten
Produkte, sondern sogar der bereits geschaffenen
Produktivkräfte regelmäßig
vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche
Epidemie aus, welche allen früheren Epochen
als ein Widersinn erschienen wäre –
die Epidemie der Überproduktion. Die
Gesellschaft findet sich plötzlich in
den Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt;
eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg
scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten
zu haben; die Industrie, der Handel scheinen
vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation,
zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel
Handel besitzt (...) Die bürgerlichen
Verhältnisse sind zu eng geworden, um
den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.«
(MEW 4, S. 467f.)
Die
»Sonderperiode« 1955–1975
Nun konnte gerade diese Passage des »Kommunistischen
Manifests« jahrzehntelang als überholt
abgetan werden. Auch westdeutsche Gewerkschaftsvertreter
glaubten vielfach, es gäbe einen geläuterten,
einen sozialen und weitgehend krisenfreien
Kapitalismus. Der DGB-Vorsitzende Heinz Vetter
ließ sich 1977 in einem Streitgespräch
mit dem Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin
Schleyer wie folgt vernehmen: »Wissen
Sie, wir sind gerade – und darin liegt
ja die Tragik! –, wir sind gerade in
der Transformation der Maloche in die Selbstdarstellung
durch Arbeit. Und da bricht dann diese katastrophale
Arbeitslosigkeit herein.«
Natürlich gab es im Kapitalismus nie
eine »Selbstdarstellung durch Arbeit«.
Es handelte sich immer um entfremdete Arbeit,
um Lohnarbeit. Richtig aber war, daß
der ordinäre Kapitalismus in Westeuropa
jahrzehntelang nicht in all seinen Erscheinungsweisen
offen zutage trat. Doch dabei handelte es
sich nicht um ein »Wirtschaftswunder«.
Vielmehr gab es drei handfeste Faktoren, die
diese besondere Periode im Zeitraum 1955 bis
1975 prägten – ein Zeitraum, der
wie folgt abgegrenzt ist: 1955 sank die Zahl
der BRD-Arbeitslosen erstmals unter eine Million;
1975 wurde erstmals die Zahl von einer Million
Erwerbsloser wieder überschritten.
Erstens gründete diese »Sonderperiode«
auf den Ergebnissen von Weltwirtschaftskrise,
Faschismus und Zweitem Weltkrieg: In der Periode
1929 bis 1945 waren die Reallöhne massiv
gesenkt und die Arbeitszeiten erheblich (von
einer 43- auf eine 49-Stunden-Woche) verlängert
worden. Erst 1970 wurde in der BRD wieder
die Wochenarbeitszeit von Ende der zwanziger
Jahren erreicht. Hinzu kam, daß sich
die Zahl der abhängig Beschäftigten
in Westdeutschland nach 1950 von 17 Millionen
auf 21 Millionen erhöhte, vor allem weil
ein Millionenheer von Flüchtlingen und
»Vertriebenen« integriert wurde
– und zu extrem günstigen Bedingungen
ausgebeutet werden konnte.
Zum zweiten gab es in dieser Zeit der weitgehenden
Vollbeschäftigung relativ starke Gewerkschaften,
die eine größere Zahl sozialer
Fortschritte – wie Arbeitszeitverkürzungen,
verlängerten Urlaub, Fünftagewoche,
steigende Löhne und die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall – u.a. mit Streiks
erkämpften.
Drittens gab es – in Westdeutschland
mehr als anderswo in der westlichen Welt –
die Systemkonkurrenz West-Ost, einen Wettbewerb
um das überzeugendere Gesellschaftsmodell.
In den Augen der Bourgeoisie und der bürgerlichen
Regierungen schien es lange Zeit wenig ratsam,
einen allzu radikalen Abbau des Sozialstaats
zu betreiben.
Ähnliche Sonderbedingungen existierten
– in abgeschwächter Form –
auch in anderen westlichen kapitalistischen
Staaten. In der Summe führten sie dazu,
daß es in dieser Periode kaum Krisen
mit einem absoluten Rückgang der Produktion,
sondern »nur« Rezessionen mit
abgeschwächten Wachstumsraten gab. Daß
es sich um eine »Sonderperiode«
handelte, konnte man bei dem Wetterleuchten
der westdeutschen Rezession 1966/67 erahnen,
als kurzzeitig die Arbeitslosenzahl auf 700000
hochschnellte. Diese »Sonderperiode«
wurde definitiv 1974/75 beendet, als es erstmals
wieder zu einer internationalen Wirtschaftskrise
kam und als in der BRD die Arbeitslosenzahl
kurzzeitig auf 1,4 Millionen anstieg. Georg
Fülberth sieht dabei hier bereits den
Beginn einer neuen Etappe. Er schreibt in
»G Strich«: »Das Jahr 1973
bildet ein Schlüsseldatum für den
Übergang zweier Perioden der kapitalistischen
Entwicklung: vom wohlfahrtsstaatlichen zum
neoliberalen Kapitalismus.«
Seither gibt es erneut einen weltweiten –
weitgehend synchronen – Krisenzyklus,
und nicht nur Rezessionen, die sich mal mehr,
mal weniger in einer gleichlaufenden internationalen
zyklischen Bewegung ausdrücken. Allerdings
wurde immer wieder versucht, die innere Logik
des Krisenzyklus abzustreiten und Krisen als
Ausnahmen zu deklarieren. Im Fall der weltweiten
Rezession 1974/75 hieß es, diese sei
Resultat einer »Ölkrise«,
des Anstiegs der Rohölpreise, die wiederum
Resultat des Nahostkriegs 1973 und eines gegen
den Westen gerichteten Ölboykotts der
erdölexportierenden Länder (OPEC-Staaten)
war. 1980–82 gab es die nächste
internationale Wirtschaftskrise. Dieses Mal
konnte als »Sonderfaktor« nur
noch auf einen allgemeinen Anstieg der Rohstoffpreise
1979/80 verwiesen werden. Als es 1990/91 zu
einer weiteren internationalen Krise kam,
hieß es hierzulande, diese habe mit
den »Lasten der deutschen Einheit«
zu tun. Die jüngste weltweite Krise,
diejenige der Jahre 2001/2002, wurde dann
weitgehend als typischer, zyklischer Betriebsunfall
der kapitalistischen Produktion hingenommen.
Tatsächlich hat sich damit die kapitalistische
Normalität – der ordinäre
Kapitalismus – eingestellt. Oder in
den Worten von Karl Marx: »Die Weltmarktkrisen
müssen als die reale Zusammenfassung
und gewaltsame Ausgleichung aller Widersprüche
der bürgerlichen Ökonomie gefaßt
werden.« (MEW 26.2, S. 510) Die BRD-Ökonomie
war spätestens Mitte der siebziger Jahre
Teil des internationalen Krisenzyklus (siehe
Tabelle in der Printausgabe).
Bei der Darstellung der längerfristigen
Entwicklung des deutschen Kapitalismus und
den Zahlen in der Tabelle sticht ins Auge:
Wir erleben nicht nur eine Wiederkehr der
Zyklizität von Krisen. Es gibt vor allem
eine spezifische »negative Dynamik«:
Die wirtschaftlichen Wachstumsraten nahmen
von Zyklus zu Zyklus ab. Seit dem fünften
Zyklus – seit 1967 – steigen die
Arbeitslosenquoten erneut an.
Dies deckt sich mit einer weiteren Erkenntnis
über die Bewegungsform des modernen Kapitalismus:
mit der Theorie der »langen Wellen«.
Danach gibt es ergänzend zur klassischen
Bewegung von Fünf- bis Zehnjahreszyklen
eine diese überlagernde Bewegungsform:
die von »langen Wellen der Konjunktur«.
Als ihre theoretischen Väter gelten die
Ökonomen Parvus (Alexander Helphand),
Nikolai D. Kondratieff und Joseph Schumpeter.
In jüngerer Zeit war es Ernest Mandel,
der diese Theorie aktualisierte. Danach kann
im Kapitalismus auch eine längerfristige,
rund ein halbes Jahrhundert währende
Bewegungsform der Konjunktur belegt werden.
Diese sieht wie folgt aus: Am Beginn der »langen
Welle« gibt es die klassischen Rezessionszyklen
von relativ hohen Wachstumsraten und niedrigerer
Arbeitslosigkeit. In dieser Phase äußern
sich Krisen »nur« in reduzierten
Wachstumsraten. Im zweiten Verlauf der »langen
Welle« kommt es am Ende der Zyklen zu
offenen Krisen. Die Arbeitslosigkeit steigt
stark an und erweist sich als strukturelle.
Die Wirtschaftskrisen werden ergänzt
durch Finanz- und Börsenkrachs. Vergleichbar
dem fixen Kapital, das in den normalen Zyklen
bestimmend wirkt, spielt die Einführung
grundlegender neuer Technologien, die am Beginn
einer »langen Welle« erfolgt,
eine wichtige Rolle. So war die vorausgegangene
»lange Welle«, die Ernest Mandel
auf den Zeitraum 1894 bis 1939 datiert, von
den Technologien des Benzinmotors und der
Elektrizität bestimmt. Es gab in ihr
im Zeitraum 1894 bis 1913 eine aufsteigende
Tendenz: Zyklen mit hohen Wachstumsraten.
Und im Zeitraum 1914 bis 1939 eine rückläufige
Phase: Zyklen mit niedriger Wachstumsrate
und schweren Wirtschaftskrisen. Die jüngste
lange Welle, die nach dieser Definition 1940
(USA) bzw. 1945 (Westeuropa) einsetzte, ist
geprägt von den Technologien der Elektronik,
der Atomkraft und der »Ölwirtschaft«,
letztere mit dem Schwerpunkt Autoindustrie.
Hier gab es bis Ende der sechziger Jahre eine
aufsteigende Phase mit relativ hohen Wachstumsraten.
Seither erleben wir eine absteigende Phase,
mit der beschriebenen Wiederkehr internationaler
Krisen.
Es gab auch wieder Börsenkräche
– so in den Jahren 1987 und 2001. Und
vor allem gibt es eine massiv ansteigende
Massenerwerbslosigkeit und immer schärfere
soziale Gegensätze. All dies findet weltweit
statt. Mit der sogenannten Globalisierung
wird auch auf dem Gebiet des kapitalistischen
Zyklus die Wiederkehr des ordinären Kapitalismus
dokumentiert.
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Einige
Quellen:
– Max Wirth, Die Geschichte der Handelskrisen,
Frankfurt/M. 21874, S.8; zitiert nach: Fred
Oelßner, die Wirtschaftskrisen –
die Krisen im vormonopolistischen Kapitalismus,
Berlin/DDR 1949, S.177;
– Börsenwerte 2005 von General Electric
und Siemens nach: Business Week, The Business
Week Global 1200, December 26, 2005;
– Oskar Vetter-Zitat nach: ARD-Fernsehen
vom 7.6.1977, wiedergegeben in: Ernest Mandel/Winfried
Wolf, Ende der Krise oder Krise ohne Ende?,
Berlin/W. (Wagenbach) 1977, S.231;
– Georg Fülberth, G Strich. Kleine
Geschichte des Kapitalismus, Köln 2005
(PapyRossa), S. 261;
– Theorie der langen Wellen u.a. nach:
Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt/M.
1972, S.124ff.
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