Am
18. Dezember 2005 gab es keine Freudendemonstration
in den Straßen von La Paz, auch nicht
in dem rebellischen Vorort El Alto, vom dem
die Volkserhebungen ausgingen, die binnen
zwei Jahren der Amtszeit von zwei Präsidenten
ein Ende setzten. Trotzdem erlebten die Bolivianer
und Bolivianerinnen einen historischen Abend.
Denn dank ihrer massiven Stimmangabe wurde
Evo Morales zu ihrem neuen Präsidenten
gewählt. Der Führer der Kokabauern
und -bäuerinnen der Region Chapare (der
„illegalen“ Anbauzone nördlich
von Cochabamba in den Anden) und erklärter
Gegner der USA, die ihn jahrelang als „Drogenhändler“
und „Feind der Demokratie“ apostrophiert
haben, und der in der Vergangenheit als Maurer,
Bäcker, Trompeter, Fußballspieler
und Lamazüchter gearbeitet hat, ist nunmehr
Präsident des Staates Bolivien. Dieser
Aymara, der auf Quechua-Land lebt, ist der
erste indigene Bauer, der je zum Präsidenten
Boliviens gewählt worden ist. 1
Unbestreitbar
stellt der Sieg des Führers der Bewegung
für den Sozialismus (MAS) eine Quelle
der Hoffnung für alle sozialen Bewegungen
der ärmeren Menschen dar, die sich mittlerweile
seit fünf Jahren an einer langen Reihe
heftiger Kämpfe sowohl gegen das neoliberale
Modell, welches in der Wirtschaft vorherrschte,
beteiligt haben wie auch gegen die Diskriminierungen,
denen die indigenen Völker weiterhin
ausgesetzt sind, wiewohl sie in diesem Land
die Mehrheit stellen. 3
DER
ÜBERWÄLTIGENDE WAHLSIEG VON MORALES:
EINE ABSTIMMUNG FÜR DEN WECHSEL
Das
von Evo Morales erreichte Wahlergebnis, nämlich
53,7% oder über 1,5 Mio. Stimmen, ist
ganz einfach ohne historisches Vorbild.4
So kann der Kandidat der MAS verhindern, für
seine Wahl im Kongress Verhandlungen führen
zu müssen, eine Übung, der sich
bislang jeder Bewerber fürs Präsidentenamt
unterziehen musste, weil das bolivianische
Wahlsystem im Fall einer relativen Mehrheit
eine endgültige Wahl durch den Kongress
vorsieht; daher spricht man vom bolivianischen
politischen System auch als einer „Pakt-Demokratie“.
Für die einen begünstigt dieses
System den Konsens und die Stabilität
und für die anderen verunmöglicht
es, dass eine Partei allein regieren und ein
klares Programm umsetzen kann; jedenfalls
hatte es seit 1985 zur Folge, dass an der
Spitze des Staates eine homogene Gruppe der
konservativen Parteien stand, die alle Anhänger
des Neoliberalismus sind.
Obwohl sich die Wahlbündnisse je nach
politischer Konjunktur geändert haben,
war der Zeitraum 1985-2002 deutlich durch
eine Kontinuität in der Politik des Staates
gekennzeichnet, insbesondere in der Wirtschaftspolitik
(dort wurde das neoliberale Modell des Rückzugs
des
Staates aus dem produktiven Bereichs umgesetzt)
und in der Außenpolitik (Unterordnung
unter die Wünsche der USA, was zu einem
Konsens in der Koka-Frage führte).5
Es ergab sich auch eine Kontinuität des
politischen Personals in den verschiedenen
Kabinetten. Dieses Parteiensystem, das um
die drei Parteien National-Revolutionäre
Bewegung (MNR) von Gonzalo Sánchez
de Lozada, Bewegung der Revolutionären
Linken (MIR) von Jaime Paz Zamora und der
National-Demokratischen Aktion des früheren
Diktators Hugo Bánzer und von Jorge
Quiroga strukturiert wurde 6,
hatte bislang eine Reihe von „Pakten“
zu Wege gebracht, die durch wechselnde „Bündnisse“
gekennzeichnet waren, und die die geringen
ideologischen Unterschiede zwischen diesen
Strömungen aufzeigten. Es gab eine beinahe
vollständige Übereinstimmung bei
den Themen Wirtschaftspolitik, Ausfuhr von
Öl und Gas oder der Notwendigkeit, die
Koka-Kulturen auszurotten, was bei den beiden
letzten Regierungen zu einem Abkommen führte,
an dem fast das ganze Parteienspektrum beteiligt
war. Dies galt auch für die „Mega-Koalition“,
die es Hugo Bánzer Suárez ermöglichte,
mit der Unterstützung von über 70%
der Abgeordneten aus sieben Parteien (darunter
ADN und MIR) von 1997 bis 2002 7
Präsident zu sein. Dies galt für
das so genannte „Bündnis der nationalen
Verantwortung“, das um die MNR von Sánchez
de Lozada und den MIR von Jaime Paz herum
gebildet wurde und hinter dem ebenfalls etwa
70% der Abgeordneten standen.
Die hohen Popularitätswerte, die Carlos
Mesa (der frühere Mitkämpfer von
Goni8
)
genoss, der nach Gonis Amtsaufgabe am 17.
Oktober 2003 Präsident wurde, waren bereits
Ausdruck der Ablehnung jener Parteien durch
die Bevölkerungsmehrheit. Diese Unterstützung
hielt lange an, weil sich Mesa als Präsident
darstellte, der ohne den Kongress, also ohne
die Zustimmung jener Parteien regierte, als
wäre das an sich schon ein Ausweis von
Ehrlichkeit. Nach den Massakern vom Oktober
2003 wurde der Ausdruck „traditionelle
Partei“ für die genannten Parteien
allgemein üblich, die mit der Regierung
von Sánchez de Lozada zusammengearbeitet
haben, was soweit ging, dass sich dies als
Unterscheidungsmerkmal zwischen den Parteien
MAS oder MIP (indigene Bewegung Pachakuti)
und den genannten Formationen, die als Pfeiler
der „Pakt-Demokratie“ angesehen
wurden, einbürgerte.
Mit Blick auf diese Entwicklung kann die Stimmangabe
zugunsten der MAS als Zurückweisung der
„rosca“ (Clique) verstanden werden,
einer homogenen Gruppe, die zwanzig Jahre
lang an der Macht war und mit wenigen Nuancen
dieselbe Politik durchgezogen hat, die soweit
ging, die sozialen Bewegungen zu kriminalisieren
und sie notfalls wie im Oktober 2003 im Blut
zu ertränken.9
Diese „rosca“ war umso realer,
als einige Tage vor der Wahl das Parlament
die mehrheitliche Entscheidung traf, auf eine
parlamentarische Untersuchung der Verantwortung
von Gonzalo Sáchez de Lozada bei der
Meuterei der Polizisten im Februar 2003 zu
verzichten. Unter denjenigen, die eine solche
Untersuchung ablehnten, war die Mehrheit der
Abgeordneten der MNR, des MIR, der Neuen Republikanischen
Kraft (NFR) und der ADN. Einige von ihnen
waren sogar Kandidaten bei den Rechts- und
Mitte-Rechts-Bündnissen für die
Wahlen von 2005, und zwar bei PODEMOS (Sozial-Demokratische
Kraft) oder UN (Nationale Einheit). Es gibt
keinen Zweifel, dass die Erklärungen
von Ivan Morales Nava, dem Abgeordneten der
MAS von La Paz, der anlässlich dieser
Gelegenheit die „Neugründung der
Mega-Koalition“ anprangerte, bei Teilen
der Bevölkerung ihr Echo gefunden haben.
Zwei wichtige Faktoren scheinen daher bestimmend
zu sein, wenn wir bei der Stimmabgabe für
die MAS von einer Abstimmung für den
Wechsel sprechen: Zum einen die Ablehnung
der bisherigen Wirtschafts- und Sozialpolitik
und zum andern der Überdruss an einer
politischen Klasse, die bei jenen Wahlen von
PODEMOS und UN verkörpert wurde.
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Präsident
Evo Morales ist eine Quelle der Hoffnung
für alle
sozialen Bewegungen in Bolivien.
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EINE
STÄRKER WERDENDE ABLEHNUNG DES NEOLIBERALISMUS
DURCH DIE BEVÖLKERUNG
Das
erste Element, um den Wahlsieg der MAS zu
verstehen, ist ohne Zweifel der zunehmende
Anklang, den die seit dem Jahr 2000 vorgebrachten
Forderungen der sozialen Bewegungen fanden.
Diese Forderungen sind vor allem durch eine
Ablehnung des Neoliberalismus gekennzeichnet.
Die Auswirkungen der seit 1985 durchgeführten
Privatisierungen der Öffentlichen Dienste
und der Ausbeutung der Rohstoffe, die bis
dahin dem Staat gehörten, scheint von
der Bevölkerungsmehrheit immer negativer
beurteilt worden zu sein. Auf der Grundlage
dieser Entwicklung scheinen die Auswirkungen
der Privatisierungen auf das tagtägliche
Leben als schlecht eingeschätzt zu werden.
Ein exemplarischer Fall ist der „Krieg
ums Wasser“, der 2000 gegen die Übergabe
der Wasserversorgung an die US-Gesellschaft
Bechtel in Cochabamba stattfand. So war laut
Pablo Solón, einem Koordinator der
bolivianischen Bewegung des Kampfes gegen
die amerikanische Freihandelszone (ALCA) einer
der „wesentlichen Gründe für
diese Mobilisierungen in der Erhöhung
des Wasserpreises um 300% binnen weniger Wochen
zu suchen“. Diesen Fall kann man mit
den Mobilisierungen der FEJUVE (Verband der
Stadtteilkomitees) von El Alto gegen die Aguas
del Illimani (die zur französischen Suez-Lyonnaise
des Eaux gehören) im Februar 2005 vergleichen,
wobei die fehlende Versorgung von eher ländlichen
Stadtteilen bedeutsam war, oder auch mit den
spontanen Protesten der Einwohner von La Paz
gegen den Mangel an Gas wenige Wochen vor
den Wahlen.10
Dies war eine ziemlich surreale Lage in einem
Land, das weltweit zu den größten
Gasexporteuren gehört, was gleichzeitig
auch die fehlende Rationalität in der
Leitung der Wirtschaft deutlich werden ließ,
die vor allem auf den Export ausgerichtet
ist, was zu Lasten der gesellschaftlichen
Bedürfnisse geht. Klar ist, dass diese
Unannehmlichkeiten immer mehr das tagtägliche
Leben bestimmen und dazu geführt haben,
der Gasfrage in den Augen der Bevölkerung
eine große Bedeutung zu geben, sogar
bei den reicheren Schichten.
Als Ende der 1990er Jahre in Bolivien Gasvorkommen
entdeckt wurden, war der Ölsektor, der
wie der ganze öffentliche Sektor bereits
den neoliberalen Reformen unterworfen worden
war, bereits weitgehend umstrukturiert worden:
Das wichtigste Staatsunternehmen YPFB (Ölförderung
von Bolivien) hatte in diesem Bereich infolge
der Gesetze zur „Kapitalisierung“
und über die „Hydrokarburate“,
die von der Regierung Sánchez de Lozada
im Zeitraum 1994-1996 ausgearbeitet worden
waren, keine Initiativfunktion mehr. Laut
Mirko Orgáz García, einem auf
Öl und Gas spezialisierten Journalisten,
hat „die Kapitalisierung den Staat auf
eine einfache Kolonie zum Export von Rohstoffen“
reduziert.11
Die Entdeckung des Gases in der Zeit der Regierung
Bánzer-Quiroga hat zur Unterzeichnung
von Verträgen mit „geteiltem Risiko“12
geführt, die für den Staat nur Abgaben
in Höhe von 18% vorsehen, was weltweit
zu den geringsten Sätzen gehört,
wohingegen ein Konsortium namens Pacific LNG,
zu dem die wichtigsten Konzerne dieses Bereichs
gehören (Shell, Total, BP, Petrobras
und Exxon) 82% einstecken dürfen.13
In der Zeit, in der Goni den neoliberalen
Staat als „modernes“ Wirtschaftsmodell
pries, weil eine starke Staatstätigkeit
als „nicht mehr gangbar“ erschien,
waren diejenigen, die dagegen ankämpften,
nicht sehr zahlreich. Aber dieser Kampf gegen
„die Hegemonie“ (um in den Worten
Gramscis zu sprechen) fand nach und nach in
der Bevölkerung eine immer stärkere
Resonanz: Die Mobilisierungen von 2003 brachen
vor allem wegen der verbreiteten Ablehnung
aus, Gas via Chile in die USA zu exportieren14
,
und die Forderung nach der Verstaatlichung
wurde zunächst nur von einer Minderheit
um die bolivianische Gewerkschaftszentrale
COB von Jaime Solares, vom MIP von Felipe
Quispe und von der Koordination zur Verteidigung
des Wassers und des Gases, die von Oscar Oliveira
geführt wird, vertreten. Dann aber wurde
sie von der gesamten Linken und den indigenen
und Bauern-Bewegungen aufgegriffen, auch von
der MAS, die ihr längere Zeit ablehnend
gegenüberstand.15
Gemäß dem Zeitgeist haben alle
Kandidaten für die Präsidentschaft
die Forderung nach Verstaatlichung aufgegriffen,
auch wenn diese Haltung bisweilen durch semantische
Spitzfindigkeiten verdreht wurde.16
Dies zeigt, wie sehr die Verstaatlichung in
den Augen der Bevölkerung heute als legitim
angesehen wird. Sie nicht in der Wahlkampagne
zu erwähnen, hätte ein großes
Risiko bedeutet.
NIEDERLAGE EINER DISKREDITIERTEN POLITISCHEN
KLASSE
Der
zweite Faktor der Analyse der Stimmabgabe
zugunsten von Evo Morales als Votum für
den Wechsel liegt im Charakter der übrigen
Opposition, die ihm bei den Wahlen zum Präsidentenamt
und für die Präfekturen gegenüberstand.
Obwohl sie für neue Parteinen antraten,
hatten die Gegner der MAS alle eine gemeinsame
Laufbahn hinter sich gebracht: Sie waren Mitglieder
einer der drei „traditionellen Parteien“
und Minister in einer oder mehreren Regierungen
im Zeitraum 1985 bis 2002 gewesen. Selbst
wenn sie sich einige der Forderungen der Bevölkerung
auf ihre Fahnen schrieben, wie sie seit Oktober
2003 vehement vertreten wurden, etwa die nach
Verstaatlichung des Gases oder der Wahl einer
konstituierenden Versammlung, oder obwohl
sie versuchten, als Kandidaten des „Wechsels“
zu erscheinen, hatten Samuel Doria Medina
oder Jorge „Tuto“ Quiroga einige
Probleme, als glaubwürdige Vertreter
der Forderungen der Gesellschaft zu erscheinen.17
Dies umso mehr, als zu Beginn des Wahlkampfes
die MAS das beeindrukkende „Recycling“
von Mitgliedern der „traditionellen
Parteien“ auf den Listen der UN von
Doria Medina und vor allem von PODEMOS von
Quiroga verdeutlichte. Darüber braucht
man sich nicht zu wundern, wenn man die Ursprünge
dieser beiden Organisationen kennt.
Nationale Einheit (UN), die von Doria Medina
gegründete Partei, ist im Wesentlichen
aus dem MIR hervorgegangen. Als früheres
Mitglied des Kabinetts von Jaime Paz Zamora
(1989-1993) hat Doria Medina, ein reicher
Unternehmer vor allem der Zementindustrie,
Anfang 2000 versucht, im Apparat des MIR die
Macht an sich zu reißen. Er warf der
Parteiführung von Jaime Paz vor, wenig
demokratisch zu sein. Die Gründung der
UN 2004 ging also sowohl auf eine persönliche
Ambition von Doria als auch der Abschottung
des MIR durch Jaime Paz zurück.
Das politische Projekt von Jorge Quiroga namens
PODEMOS ist hingegen deutlich mit der früheren
Partei von „Tuto“, der ADN, verbunden,
weil es sich um ein politisches Bündnis
von „Parteien und Bürgergruppen“
handelt, ein Bündnis, an dem auch die
ADN teilhat. Aufgrund dieses Charakters stand
PODEMOS bei der Aufstellung der Listen vor
dem Problem, sehr heterogen zu sein, was umso
offensichtlicher war, als sich die KandidatInnen
im Verlauf des Wahlkampfes häufig eher
um ihre eigene Wahl als um die Umsetzung eines
nationalen politischen Projektes kümmerten.18
Sowohl aufgrund ihrer Geschichte wie der Vertretung
von Parteimitgliedern der Altparteien wurden
UN und PODEMOS als Listen des „continuismo“
(der Kontinuität) des Neoliberalismus
und einer pro-USA-Politik angesehen. Ihr Auftauchen
auf der nationalen Wahlbühne erfolgte
im Gleichklang mit dem Zusammenbruch des vorherigen
„Dreiparteiensystems“. Die recycelten
Parteien ADN und MIR fand man teilweise in
UN und PODEMOS wieder, und so blieb nur noch
die MNR. Eine MNR, die laut Erklärungen
eines ihrer Führer, nämlich des
gegenwärtigen Senatspräsidenten
Sandro Giordano19
,
auch weiterhin von Sánchez de Lozada,
nun aber von Washington aus, geführt
wird. In einem Klima starker interner Kämpfe
fiel die Entscheidung für die Präsidentschaftskandidatur
schließlich auf Michiaki Nagatani, einem
auf der politischen Bühne ziemlich unbekannten
Sohn japanischer Immigranten, der gerade eben
in die Partei eingetreten war. Das für
Nagatani von der MNR ausgeguckte Ziel war
ein doppeltes: Er sollte das Bild der Partei,
die als wichtigste Verantwortliche für
das Oktober-Massaker gilt, rein waschen und
sie in juristischer Hinsicht retten, was nur
durch eine Wahlbeteiligung geschehen kann,
bei der man mehr als drei Prozent der Stimmen
einfährt.
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Der
MAS ist es gelungen, die gesellschaftliche
Unzufriedenheit und die weit reichende
Verachtung der neoliberalen Eliten auszunutzen
und die Stimmen
für einen „Wechsel“
für sich zu gewinnen.
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ÜBERWÄLTIGENDER WAHLERFOLG DER MAS
IM GANZEN LAND
Die
MAS vermochte, die gesellschaftliche Unzufriedenheit
und die weitreichende Verachtung der neoliberalen
Eliten für sich auszunützen und
die Stimmen, die für einen „Wechsel“
eintraten, für sich zu gewinnen. Dies
gelang ihr umso mehr, als die Kampagne von
Felipe Quispe (MIP) bedeutend schwächer
war als 2002, während die radikalsten
sozialen Bewegungen (FEJUVE, COB) durch die
teilweise Übernahme ihrer Forderungen,
so derjenigen nach einer Verstaatlichung des
Gases, neutralisiert wurden. Diese Übernahme
wurde in den Augen eines Teil der Mittelklasse,
die laut Umfragen eher abgeneigt war, Evo
Morales ihre Stimme zu geben, wahrscheinlich
durch die Glaubwürdigkeit und das seriöse
Auftreten von Alvaro García Linera
als Kandidat für die Vizepräsidentschaft
und durch die Intellektuellen und Techniker
in seinem Umkreis, die das Kampagnenteam der
MAS verstärkten, kompensiert.
Die Stimmabgabe für die MAS erfolgte
massiv in allen Departements und in allen
Schichten der einfachen Bevölkerung,
was einige Vorurteile,nach denen das politische
Panorama in Bolivien zwischen West und Ost
oder Stadt und Land gespalten sei, schlecht
aussehen lässt. Dies alles bestätigt
unbestreitbar die Hypothese von einer Wahl,
in der die „Mega(-Koalition der Altparteien)
außerstande gesetzt werden sollte, noch
weiteren Schaden anrichten“ zu können.
„Das Ausmaß unseres Sieges hat
uns selbst überrascht“, gab Evo
Morales am Abend seines Triumphes zu. In der
Tat hat die MAS in den Andengebieten des Landes
die beeindruckendsten Resultate erzielt: über
60% in La Paz, Cochabamba und Oruro, über
50% in Potosí und Chuquisaca (wo die
verfassungsmäßige Hauptstadt Sucre
liegt), ein Sieg, der die Voraussagen von
Morales während seiner Schlusskundgebungen
in diesen Departement bestätigt: „Wir
haben im Westen des Landes keine intensive
Kampagne durchgeführt und wir entschuldigen
uns dafür. Aber wir wissen, dass wir
hier hochkant gewinnen werden und es daher
vordringlich ist, im Osten Wahlkampf zu machen.“
Diese voluntaristische Strategie in den Regionen,
die angeblich der MAS feindlich gesonnen sind,
scheint sich ausgezahlt zu haben, da die Partei
von Morales dort ganz und gar unerwartete
Ergebnisse einfuhr. Sie kam mit über
30% in Santa Cruz und Tarija auf den zweiten
Platz und mit geringem Abstand und über
20% in Pando auf den dritten. Nur die Ergebnisse
in Beni, einer historischen Bastion der ADN
und der MNR, wo die MAS mit 15% auf dem dritten
Platz landete, führten zu einiger Enttäuschung
in der Führung der Partei.
Die im Osten erzielten Wahlerfolge der MAS
– wiewohl die MAS dort organisatorisch
schwach vertreten ist – stellen grundlegend
eine Sicht von Bolivien in Frage, das zwischen
den „rückständigen und aufständischen“
Andengebieten und den Amazonasniederungen,
die „arbeitsam und dem Fortschritt zugewandt“
seien. Dies ist eine Sicht, die vor allem
vom Bürgerkomitee Pro-Santa-Cruz
20
und einem Teil der Rechten21
verkündet wird. Die in zahlreichen Zonen
eingefahrenen Resultate bestätigen die
Feststellung, dass es sich bei der Abstimmung
zugunsten der MAS um eine landesweite Entwicklung
gehandelt hat, besonders was die Anziehungskraft
dieser Formation auf die Mittelklassen angeht.
So hat die MAS im Departement von La Paz alle
Stimmbezirke für sich entschieden, auch
diejenigen im Süden des Regierungssitzes,
wo auch die örtliche Bourgeoisie wohnt,
eine Bourgeoisie, die sich im Oktober 2003
zu „Selbstverteidigungskomitees“
zusammengeschlossen hatte, um sich gegen die
Möglichkeit zu wehren, dass „der
Pöbel“ aus El Alto in die Stadtteile
der Reichen eindringen könnte. In dieser
historischen Bastion der Rechten war es der
unbekannte Kandidat der MAS, Guillermo Beckar,
der während der Kampagne verkündete,
er wolle „für eine Verbindung von
Bourgeoisie und sozialen Bewegungen“
sorgen, und der mit 35% der Stimmen den Wahlsieg
davongetragen hat.
Für das „neoliberale Lager“
war die Niederlage gewaltig. Sicherlich erreichte
Jorge Quiroga 28,6%, also deutlich mehr, als
ihm die Meinungsumfragen zutrauten, aber er
lag über 25% hinter Morales.22
In seinem Fall kommt zur politischen Niederlage
eine moralische hinzu, weil die Wahlkampagne
von „Tuto“ durch sein Engagement
für die „guerra sucia“, für
den „schmutzigen Krieg“ gegen
seine Rivalen gekennzeichnet war, die er fortwährend
in den Dreck zog, gleich ob es sich um Evo
Morales oder Samuel Doria Medina handelte.23
Letzterer erhielt eine deutliche Ohrfeige:
7,8%, wodurch die UN zu einer randständigen
Kraft im politischen Leben Boliviens wurde.
Beide Politiker haben, auch wenn ihre Zukunft
ernstlich in Frage steht, versprochen, eine
„konstruktive Opposition“ machen
zu wollen, wobei sie wahrscheinlich wie viele
andere Akteure des politischen Lebens in Bolivien,
auf einen raschen Misserfolg der kommenden
Regierung der MAS setzen. Nur die MNR hat
allen Grund, sich über ihr Ergebnis von
6,5% zu freuen. Der Wahlkampf von Nagatani
war erfolgreich, weil die Partei mit diesem
Ergebnis ihren juristischen Status bewahren
kann. Dies zeigt wiederum, dass diese historische
Partei noch über einige Bastionen verfügt,
auf die sie immer noch zählen kann, so
in Beni, wo sie über 30% der Stimmen
erhielt.
Trotz der sehr günstigen Wahlergebnisse
ist die MAS nicht in der Lage, völlig
unabhängig regieren zu können. Wenn
die Partei von Evo Morales mit 72 von 130
Abgeordneten auch über die absolute Mehrheit
in der Deputiertenkammer verfügt (bei
43 für PODEMOS, 8 für die UN und
7 für die MNR)24,
so ist sie im Senat mit 12 Mandaten in der
Minderheit (13 für PODEMOS, 1 für
UN und 1 für die MNR) und muss somit
verhandeln, um ihre Gesetzesprojekte durchbringen
zu können. Das gilt auch in den Sitzungen
des Kongresses (wo die Abgeordneten und Senatoren
zusammen sind), wo die Zustimmung zu einigen
„besonderen“ Gesetzen, etwa dem
Gesetz über die Einberufung einer Verfassungsgebenden
Versammlung, eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangt
(also 105 Mandate von 157 insgesamt; die MAS
verfügt nur über 84). Dies bedeutet,
dass die MAS trotz überwältigender
Mehrheit nicht nach ihrem Gusto regieren können
wird und mit einer hinterhältigen Rechten,
die wohl zu allem bereit ist, rechnen muss,
besonders im Fall der PODEMOS, das versuchen
wird, ihr Handeln zu behindern und noch aus
dem kleinsten Fehler der Regierung Profit
zu schlagen, um wieder in die Offensive zu
gelangen.
Diese Lage wird noch durch die Ergebnisse
der Wahlen der Präfekten verstärkt,
wo die MAS nur drei der neun Präfekturen25
(Oruro, Potosí und Chuquisaca) erobern
konnte. Auch wenn PODEMOS ebenfalls drei Präfekturen
erobern konnte (La Paz, Beni und Pando), waren
diese Wahlen vor allem durch den „Rückzug
ins Lokale“ von wichtigen Figuren des
politischen Lebens Boliviens, die für
die rosca stehen, geprägt, wahrscheinlich
weil sie nicht nur vom Wahlsieg von Morales
überzeugt waren, sondern auch die Möglichkeit
sahen, der Regierung Verantwortlichkeiten
zugunsten der Präfekten zu entziehen
(die nun ja über die Legitimation von
freien Wahlen verfügen).
Dabei geht es um eine wichtige Sache, besonders
hinsichtlich der Regionen, die über die
natürlichen Reichtümer des Landes,
also Öl und Gas, verfügen, etwa
Tarija oder Santa Cruz, wo einige nach Autonomie
strebende Sektoren die Hoffnung hegen, allein
von den Reichtümern profitieren zu können.
Hierin liegt auch die Bedeutung des Sieges
des früheren Vorsitzenden des Bürgerkomitees,
Rubén Costas in Santa Cruz und des
früheren Abgeordneten der MNR, Mario
Cossio in Tari
ja .26
Gleichzeitig zeigen diese Wahlen auch das
Gewicht der Vetternwirtschaft auf lokaler
Ebene. Es gibt das Paradox, dass der Sieg
der MAS bei den allgemeinen Wahlen in bestimmter
Hinsicht einerseits ein Sieg über die
Praktiken der Vetternwirtschaft ist, die bei
den „Altparteien“ üblich
sind27,
wodurch die von Morales geforderte „Wahl
des Gewissens“ befördert wurde,
dass jedoch andererseits die Wahlen der Präfekten
eine weiter bestehende Form lokaler Ergebenheiten
und einer „entideologisierten“
Politik zugunsten einer Demonstration von
Effizienz bei der Beschaffung öffentlicher
Arbeiten zeigen. Das gilt z.B. für José
Luis „Pepelucho“ Paredes, dessen
Kampagne auf die Arbeiten konzentriert war,
die er als Bürgermeister von El Alto
und als Präfekt hatte durchführen
lassen; dabei zögerte er nicht, sich
von Jorge Quiroga abzusetzen, wiewohl er für
dessen Parteiengruppierung kandidierte (vgl.
FN 15). Ein anderes Beispiel ist Leopoldo
Fernández, der als „Kazike“
von Pando bekannt ist, und von dem die politischen
AnalystInnen in Bolivien sagen, dass „in
Cobija [der Hauptstadt des Departements] ihm
viele ihre Karriere verdanken“; dies
gilt für Manfred Reyes Villa, den früheren
Bürgermeister von Cochabamba, der der
ADN nahe steht, aber mit Blick auf die Wahlen
von 2002 eine eigene Partei, die NFR gegründet
hatte, für die er zu den Präsidentschaftswahlen
[2002] antrat und lange als Favorit galt,
bis er schließlich auf dem dritten Platz
landete.
DIE
MAS IST GEFORDERT, REGIERUNGSHANDELN UND SOZIALE
MOBILISIERUNG MITEINANDER ZU VERBINDEN
Auf den ersten Blick scheint es so, als wäre
die Lage der MAS in Bolivien mit derjenigen
der Arbeiterpartei in Brasilien nach dem Wahlsieg
von Lula 2001 zu vergleichen: Ein riesiger
Wahlsieg, der jedoch kein freies Handeln auf
der Ebene der Regierung ermöglicht. Dennoch
ist ein solcher Vergleich aus meh reren Gründen
nur beschränkt zulässig. Zunächst
im Hinblick auf die Legitimation der Regierung.
Wenn Lula auch mit deutlicher Mehrheit über
José Serra, seinen sozialdemokratischen
Konkurrenten von der PSBD, gesiegt hat, so
doch erst im zweiten Wahlgang, in dem es Absprachen
und Bündnisse in letzter Minute gab.
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Die
sozialen Bewegungen in Bolivien haben
in der Krise Mai/Juni 2005 gezeigt,
dass sie Einfluss auf die politischen
Entscheidungen der MAS nehmen können.
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Der Sieg von Morales hingegen, der mit absoluter
Mehrheit im ersten Wahlgang erfolgte, verschafft
dem Führer der Koka-Bauern eine gesellschaftliche
Legitimation, die nicht angezweifelt werden
kann.
Sodann auf programmatischer Ebene: Wenn die
Wahlergebnisse der MAS Morales wahrscheinlich
zwingen werden, im Rahmen des Kongresses zugunsten
kurzfristiger Verbündeter einige Zugeständnisse
zu machen, so hat doch seine Partei ihren
Wahlkampf auf der Grundlage klarer Versprechungen
hinsichtlich der Verstaatlichung der fossilen
Energieträger (Öl und Gas), der
Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung
und der Abschaffung der Bestrafung des Koka-Anbaus
geführt. Auch hat sie ihre Unabhängigkeit
gegenüber den Parteien der Rechten bewahrt,
trotz einiger ausgestreckter Hände aus
den Reihen der UN im Hinblick auf ein eventuelles
Bündnis bei einem zweiten Wahlgang im
Kongress. Dies hat mit dem Wahlkampf der Arbeiterpartei
PT von 2001 wenig gemein, deren Motto „der
‚kleine’ Lula, Friede und Liebe“
war, eine PT, die im Voraus alles getan hatte,
um den IWF hinsichtlich der makroökonomischen
Politik günstig zu stimmen, und Wahlbündnisse
mit Teilen des konservativen Lagers eingegangen
war. Lula sorgte persönlich dafür,
dass ein reicher neoliberaler Unternehmer
zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft
gemacht wurde.
Schließlich gab es noch einen Unterschied
im Stand der Mobilisierungen der sozialen
Bewegungen und dem Charakter der Beziehungen
dieser Parteien zu ihnen. Offensichtlich kam
Lula zu einem Zeitpunkt an die Macht, als
die sozialen Bewegungen in Brasilien im Rückfluten
waren und so konnte der Wahlsieg als eine
„Beruhigungspille“ für gescheiterte
oder sich im Niedergang befindende soziale
Mobilisierungen dienen. Ein anderes Element,
das man in Anrechnung stellen muss, ist die
starke Institutionalisierung der PT, die seit
über fünfzehn Jahren fortwährend
auf der Ebene des Bundes, der Einzelstaaten
und der Gemeinden im Staatsapparat vertreten
war, was nicht ohne Auswirkungen auf die Partei,
ihre politische Ausrichtung und ihre soziologische
Zusammensetzung blieb.
Im Fall der MAS kann man schwerlich von einer
Institutionalisierung reden, sowohl weil die
Partei noch relativ jung ist, aber auch, weil
sie als „politisches Instrument“
im Dienste der indigenen Bauernbewegungen
gegründet wurde.28
Dies führt zu deutlichen Konsequenzen
im Hinblick auf das Verhältnis der Partei
zu den Institutionen wie zu den sozialen Bewegungen.
Denn im Fall der PT scheint die Beziehung
zu den Bewegungen in eine relative „Instrumentalisierung“
abgeglitten zu sein, was zu einer Schwächung
der Mobilisierungsfähigkeiten der ohnehin
schon ziemlich „sprachlosen“ Bewegungen
wie der Einheitszentrale der Arbeiter (CUT)
geführt hat. Im Gegensatz dazu war das
Wachstum der MAS von dem der kämpfenden
sozialen Bewegungen begleitet, ob es nun in
den letzten fast 20 Jahren um die Verteidigung
des Koka-Anbaus oder der Rechte der indigenen
Bevölkerung oder in den letzten fünf
Jahren gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell
ging. Vor kurzem hat die MAS gezeigt, dass
sie die ihr ergebenen sozialen Bewegungen
(die Koka-Bauern oder den Teil der Bauernbewegung,
den sie führt), ihren Interessen unterordnen
und durchsetzen kann, dass sie nicht zu Mobilisierungen
greifen, etwa während der Krise mit den
Gasverkäufen nach Argentinien zu einem
Solidaritätspreis durch die Regierung
Mesa im April 2004. Aber im Gegensatz zur
Lage in Brasilien haben die sozialen Bewegungen
in Bolivien, vor allem in der Krise vom Mai/Juni
2005, in ihren Aktionen und Mobilisierungen
auch eine relative Autonomie gegenüber
der MAS gezeigt, sowie die Fähigkeit,
auf die politischen Entscheidungen dieser
Partei Einfluss zu nehmen.29
Wahrscheinlich wird die MAS-Regierung einer
relativen „Kontrolle“ durch die
gesellschaftlichen Organisationen unterworfen.
Die Haltung eines Führungsmitglieds wie
Ramón Loayza, Führer eines Teil
der Bauernzentrale von Bolivien (CSUTCB),
die die MAS unterstützt, zeigt die ganze
Ambivalenz vieler MAS-Leute, die bisweilen
zwischen ihrer Verantwortung als Parteiführer
und der als Gewerkschafter, der seine Basis
zu verteidigen sucht, hin und her schwanken:
Als Loayza beschuldigt wurde, einen Staatsstreich
anzustreben, weil er im Verlauf des Wahlkampfes
erklärt hatte, eine Regierung Jorge Quiroga
würde sich keine sechs Monate im Amt
halten, erklärte er einige Tage später,
er gebe einer von Morales geführten Regierung
ganze drei Monate, ihre Verpflichtungen hinsichtlich
einer Verstaatlichung von Erdgas und -öl
und der Einberufung einer verfassungsgebenden
Versammlung zu erfüllen. Die Führung
der MAS zwang ihn, einen Rückzieher zu
machen. Kurz nach dem Wahlsieg erklärte
diese Schlüsselfigur der Partei, für
die er bereits als Senator amtiert hatte,
er fordere „mindestens vier von Mitgliedern
der CSUTCB geführte Ministerien“!
Ohne jeden Zweifel ist diese offensichtliche
Schizophrenie nur zu verstehen, wenn man die
besondere Beziehung der MAS zu diesen Organisationen
betrachtet. Diese Organisationen haben zwar
ihre Loyalität gegenüber der Partei
häufig bewiesen30,
doch stellen sie an ihre Führer klare
Forderungen, setzen sie also erheblichem Druck
aus. Man sollte sich aber vor jeder Idealisierung
der MAS hüten, denn die Forderungen der
„Basis“, die durchaus „politisch“
sein können, laufen häufig auf die
Verteidigung rein korporatistischer Interessen
hinaus, wie das am Fall Loayza zu sehen ist,
bei dem auf besondere Weise die Praktiken
reproduziert wurden, die man leicht als „Versorgung
der Klientel“ bezeichnen könnte.31
Die am 21. Dezember 2005 in Cochabamba abgehaltene
Vollversammlung der Führung der MAS,
der Abgeordneten und neu gewählten Senatoren
und der FührerInnen der sozialen Bewegungen
hat auf symbolische Weise illustriert, welches
in der Theorie das Verhältnis von Gewählten
zu den Bewegungen zu sein hätte: eine
Beziehung der Unterordnung und des Respekts.
Die Führer der wichtigsten Bauern- und
Idigena-Organisationen, sowie (was neu war)
auch solche von Arbeiter- und städtischen
(die VertreterInnen der KleinhändlerInnen
und der Bergarbeiter der Kooperativen zum
Beispiel) Organisationen saßen auf der
Bühne neben Morales und Alvaro García
Linera und hörten dem neuen Vizepräsidenten
zu, der ihnen erklärte: „Ihr seid
die Soldaten der sozialen Bewegungen, ihr
müsst euch immer diesen Organisationen
zur Verfügung stellen, die dieses politische
Instrument der Unterdrückten erst geschaffen
haben“. Evo Morales hat auf die kritischen
Fragen zahlreicher Basismitglieder hinsichtlich
der „Invasion“ von Arbeitskommissionen,
die mit der Ausarbeitung des Programms befasst
sind und zu denen Ingenieure, Techniker und
andere Menschen freier Berufe zählen,
die bisher nicht Parteimitglieder waren, erklärt:
„Die MAS braucht kompetente Leute und
diejenigen, die sich in den Dienst der Regierung
stellen möchten, werden genügend
Platz haben. Aber die Posten der Minister
und stellvertretenden Minister werden nur
an Leute gegeben, die außer ihrer Kompetenz
bereits den Beweis erbracht haben, dass sie
über ein soziales Gewissen verfügen
und für das Volk arbeiten.“
Die Gefahren einer Unterordnung der sozialen
Bewegungen unter die Regierung sind jedoch
ganz real. Denn die FührerInnen, die
im Spagat zwischen unbedingter Unterordnung
und Drohung mit radikalen Mobilisierungen
eine nuancierte Position zur MAS vertreten,
sind wenig zahlreich. Auf der einen Seite
haben viele Führungsmitglieder die Divergenzen
von früher vergessen, die ihr hartnäckiges
Verhalten Morales gegenüber rechtfertigten.
So hat Abel Mamani, der Führer der FEJUVE
von El Alto, der vor den Wahlen mit den Vorstellungen
der KandidatInnen der MAS zugunsten seiner
Organisation unzufrieden war und der sich
im Verlauf des Wahlkampfes als unabhängig
dargestellt hat, am 22. Dezember mit Morales
ein Abkommen geschlossen, in dem betont wird,
dass die FEJUVE gegenüber der kommenden
Regierung nicht zu einem Ultimatum greifen
wird. Und Alberto Aguilar, der Führer
der Bergarbeiter der Staatsbetriebe, hat zugestimmt,
die Kommissionen in die
MAS zu überführen, unter der einzigen
Bedingung, dass das Ministerium für Bergbau
keinem Menschen aus dem Bereich der Kooperativen
übergeben wird, denn diese werden von
seinen Mitgliedern als „Verräter“
angesehen. Schließlich hat am 24. Dezember
Edgar Patana, ein Führer der regionalen
Arbeiterzentrale (COR) von El Alto, erklärt,
die MAS stelle „das Land des Wechsels“
dar. Vor den Wahlen hatte er aber angekündigt,
er werde Morales nicht unterstützen;
denn sowohl „er wie ›Tuto‹
müssen erst zeigen, dass sie es ernst
meinen“.32
Andere Führer wie Felipe Quispe und Jaime
Solares (COB) bewahren jedoch eine unnachgiebige
Haltung gegenüber dem Führer der
MAS. Ist dies das Ergebnis einer starken Abneigung
hinsichtlich des Sieges eines Mannes, auf
den sie oft mit dem Finger gezeigt und den
sie als „Volksfeind“ bezeichnet
haben? Jedenfalls haben sie große Schwierigkeiten,
nicht als die „Verlierer der anderen
Seite“ des 18. Dezember zu erscheinen.
Felipe Quispe hat einen harten Schlag abbekommen:
Seine Partei, die MIP, bekam nicht einmal
zwei Prozent der Stimmen und verliert damit
ihre juristische Zulassung, was sie im Übrigen
daran hindert, ihr Parlamentsmandat einzunehmen,
das ihr nach dem Wahlergebnis eigentlich zustünde.
Sogar seine Bastion Achacachi, ein Dorf im
Aymara-Altiplano, das so häufig das Zentrum
von Mobilisierungen von Indigenas war, hat
„Evo“ ihm vorgezogen; die MAS
siegte dort mit über 55% der Stimmen
gegenüber 28,5% für die MIP. Man
darf wohl glauben, dass für Quispe dieser
Wahlkampf der letzte gewesen ist, denn er
ist bereits 62 Jahre alt.
Was nun Jaime Solares angeht, so hat er seine
Basis bereits zu Mobilisierungen in drei Monaten
aufgerufen, wenn es bei der Regierung keine
Fortschritte in den Bereichen Verstaatlichung
des Gases und Erhöhung der Gehälter
im Öffentlichen Dienst, so wie sie auf
dem nationalen und Volksgruppen-Gipfel von
El Alto Anfang Dezember 2005 eingefordert
worden sind, geben sollte.
Wenn die Autonomie der Gewerkschaftsbewegung
im Hinblick auf die Führung der MAS an
sich auch ein positives Zeichen ist, so überrascht
doch die Radikalität der Stellungnahme.
Sie erinnert an die unerbittliche Haltung
der COB zu Beginn der achtziger Jahre, die
den Sturz der UDP-Regierung beschleunigt hat,
weil die COB den Dialog mit ihr abbrach. Auch
heute wurde der Dialog zwischen Solares und
Morales, der seit Juni 2005 wegen des Bruchs
des revolutionären Einheitspaktes unterbrochen
ist, nicht wieder aufgenommen, ein Pakt, der
es ihnen doch ermöglicht hatte, gemeinsame
Mobilisierungen gegen die Regierung Mesa durchzuführen.
Daher läuft Solares Gefahr, sich zu isolieren,
wo doch seine Organisation nicht mehr über
das Prestige und die Repräsentativität
verfügt, die sie vor gut dreißig
Jahren noch hatte.
|
Die
MAS hat ihren Wahlkampf auf der Grundlage
klarer Versprechungen
geführt: Verstaatlichung der Öl-
und Gasförderung, Legalisierung
des Koka-Anbaus und Einberufung einer
verfassungsgebenden Versammlung.
|
ZAHLREICHE
ERWARTUNGEN RICHTEN SICH AUF DIE
MAS-REGIERUNG
Die
bolivianischen sozialen Bewegungen, die zwischen
korporatistischer Treue und unerbittlicher
Radikalität schwanken, scheinen die Modalitäten
ihrer Beziehung zur Regierung erst noch klären
zu müssen, was man zu diesem Zeitpunkt
durchaus verstehen kann. Trotzdem ist es wichtig,
dass sich diese Bewegungen rasch in die Lage
versetzen, eine adäquate Haltung einzunehmen,
in der einerseits eine „Kontrolle“
der Regierung erfolgt, sie aber wenn nötig
gegen die politische Rechte unterstützt
wird. Dies wird natürlich teilweise auch
vom realen Platz abhängen, den diese
Bewegungen im Rahmen der Regierung besetzen
können, sowie den Mechanismen, die eingerichtet
werden, ihn sich zu erobern. Die Dialektik,
die sich zwischen dem Regierungshandeln und
den sozialen Bewegungen herausbilden wird,
wird von entscheidender Bedeutung für
die Umsetzung des im Wahlkampf verbreiteten
Programms als auch die Machtausübung
in Bolivien in Richtung einer Form partizipativer
Demokratie, die auf die Selbstorganisation
ausgerichtet ist, sein. Wahrscheinlich können
die sozialen Bewegungen nur unter dieser Bedingung
wirklich zu den besten Verteidigerinnen der
MAS-Regierung werden.
Ein erster entscheidender Programmpunkt wird
die Verstaatlichung der Kohlenwasserstoffe
(Öl und Gas) werden. Evo Morales hat
klargestellt, dass dies eine der ersten Handlungen
der neuen Regierung sein würde. Die MAS
trat lange für eine Verteilung der Profite
zwischen dem Staat und den Ölgesellschaften
im Verhältnis 50:50 ein und ist erst
in der Krise vom Mai/Juni 2005 zur Forderung
der Verstaatlichung umgeschwenkt. Doch die
von Evo Morales vorgesehene Verstaatlichung
vermag nicht alle sozialen Bewegungen zu überzeugen,
denn die radikalsten Führer wie Quispe
oder Solares verdächtigen den neuen Präsidenten,
mit den Multis ein abgekartetes Spiel zu betreiben.
Denn während die MIP im Verlauf des Wahlkampfes
eine Verstaatlichung ohne Entschädigung
vertrat, verlangte die MAS eine „Nationalisierung
der Hydrokarburate ohne Enteignung“.
Diese auf den ersten Blick ambivalente Formel,
die von Morales gerechtfertigt wurde, indem
er sagte, es ginge darum, „die Hydrokarburate
zu verstaatlichen, aber nicht die Güter
der Ölgesellschaften“, verfügt
aber über eine solide juristische Grundlage
und politisch praktische Rechtfertigung. Denn
auf juristischer Ebene sind die zwischen dem
bolivianischen Staat und den Ölgesellschaften
zu Beginn des neuen Jahrtausends abgeschlossenen
Verträge in der Tat verfassungswidrig
(vgl. Anm. 9), wiewohl diese Interpretation
von den Ölgesellschaften angefochten
wird, die auf die internationalen Geflogenheiten
verweisen, um den Status quo aufrecht erhalten
zu können. Was nun den Willen angeht,
nicht auf die Güter dieser Gesellschaften
zuzugreifen, entsteht er aus einer konkreten
Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, sagen
zu müssen, wie sich der Staat die fossilen
Brennstoffe wieder aneignen soll, ohne das
Know how für den Export dieser Ressourcen
zu verlieren. Zumal die staatliche Gesellschaft
in diesem Bereich, die YPFB, durch die „Kapitalisierung“
Mitte der neunziger Jahre fast völlig
entkernt wurde.
Die Vorschläge der MAS würden also
zur Errichtung eines gemischt öffentlich-privaten
Konsortiums zur Ausbeutung des Gases führen,
in dem das Staatsunternehmen (also die YPFB,
die „neugegründet“ würde)
Mehrheitsaktionär wäre. Somit würde
aus der YPFB das Gegenstück zur brasilianischen
Petrobras werden, wenn man den Platz, den
dort der Staat im Ölbereich einnimmt,
betrachtet. Der Vorschlag der MAS läuft
auf ein Gleichgewichtsmodell hinaus, weil
er die Souveränität des Staates
bei den Rohstoffen durchsetzen und gleichzeitig
eine Industrialisierung der Gasförderung
voranbringen möchte; dabei sollen juristische
Repressalien, aber auch der Verlust an technischem
Know how, über das die multinationalen
Konzerne verfügen, vermieden werden.
Bei Umsetzung dieses Vorschlages, der von
einigen als sehr begrenzt eingeschätzt
wird, weil darin die Multis immer noch einen
bedeutenden Platz einnehmen, würden diese
aber die Grundlage ihrer enormen Profite in
Bolivien verlieren: Eine Industrialisierung
der Gasförderung würde den Verlust
der Ölrente zur Folge haben, der bislang
durch den Direktexport dieser Ressource und
seine Verarbeitung im Ausland garantiert wurde.34
Dies lässt trotz der Glückwünsche,
die am Tag nach dem Wahlsieg Morales persönlich
übermittelt wurden, erwarten, dass es
zu Drohungen der multinationalen Konzerne
gegen die Regierung kommt, deren Handeln in
einem solchen Fall durch die Mobilisierung
der Gesellschaft legitimiert werden könnte.
Das andere zentrale Thema in diesen ersten
Tagen der MAS-Regierung wird die Einberufung
einer konstituierenden Versammlung sein. Diese
Forderung wird seit langen Jahren von der
Gesamtheit der bolivianischen sozialen Bewegungen,
besonders aber der indigenen Bauernbewegung
vorgetragen; sie soll gewährleisten,
dass der postkoloniale Staat, der durch den
Mythos der vereinigten Republik zusammengehalten
wird, beseitigt wird. Alvaro García
zögerte nicht, als Soziologe von dieser
Republik als von einem „monoethnischen
und monokulturellen Staat zu sprechen, von
dem man sagen kann, dass er in diesem Sinne
ausschließend und rassistisch ist“35.
So bleibt zu erkunden, unter welchen Bedingungen
diese Versammlung vorbereitet werden wird.
Die möglichen Szenarien sind heute sehr
zahlreich. Schließlich könnte sich
die Konstituante sehr leicht auf eine institutionelle
Übung beschränken, deren einziges
Ziel es wäre, die Präsenz der MAS
an der Spitze des Staates durch eine einfache
Abänderung der „Spielregeln“
zu konsolidieren. Oder aber diese Konstituante
führt zu einem Prozess demokratischer
Selbstorganisation und ermöglicht es
den Organisationen der Indigenas, der Bauern
und der einfachen Bevölkerung, dort ihr
ganzes Gewicht einzubringen. Wenn es auch
Unsicherheiten darüber gibt, welchen
Weg die MAS einschlagen wird, dann u.a. wegen
der Befürchtungen, dass sich die Rechte
im Verlauf eines „offenen“ Prozesses
der Konstituante wieder aufrappeln könnte,
wenn die ersten Monate der Regierung durch
ein chaotisches Szenario geprägt wären;
denn dann könnten die Wahlen zur Konstituante
zu einer Abstrafung führen. Daraus ergibt
sich noch einmal die Bedeutung der Fähigkeit
der sozialen Bewegungen, ihr Gewicht ins politische
Leben einzubringen, sowohl um die Regierung
zu verteidigen als auch von ihr zu verlangen,
ihre Wahlversprechungen zu erfüllen.
|
Der
Bruch mit den neoliberalen Politikansätzen
ist bis zur Stunde nur ein
Wahlversprechen. Morales ist dem Druck
der sozialen Bewegungen
ausgesetzt. |
EINE
AUSSENPOLITIK ZWISCHEN BOLIVIANISCHER RADIKALITÄT
UND INTERNATIONALER REALPOLITIK
Ein
Schlüssel hinsichtlich der Fähigkeit
der MAS-Regierung, positiv auf die in sie
gesetzten Erwartungen zu reagieren, liegt
auch in der Haltung, die sie auf internationaler
Ebene einnehmen wird, und in den Verbündeten,
die sie für sich gewinnen kann. Momentan
haben die MAS und Evo Morales persönlich
gegenüber den USA eine unbedingt antiimperialistische
Haltung eingenommen. Am Abend nach seinem
Wahlsieg hat der neue Präsident Boliviens
seine Rede mit dem berühmten, radikalen
Slogan der Bewegung der Cocaleros geendet,
„Kausachun coca, Wañuchun yankis!“
(Es lebe das Koka, Amis raus!) Das war eine
kleine Überraschung im Hinblick auf den
im Verlauf des Wahlkampfes der MAS wachsenden
Druck, sich „zu mäßigen“.
Danach hielt er zahlreiche Reden für
die Medien, in denen er beteuerte, er wolle
die diplomatischen Beziehungen zum
Nachbarn in Nordamerika nicht abbrechen, er
würde jedoch nicht zögern, solches
zu tun, falls die USA nicht aufhörten,
Bolivien wie eine Kolonie zu behandeln. Juan
Ramón Quintana, der in der MAS auf
die Frage der nationalen Verteidigung spezialisiert
ist, erklärte, „die Regierung ist
bereit, auf die Finanzhilfe der USA zu verzichten,
wenn diese an irgendwelche Bedingungen geknüpft
wird“.
Im Einklang mit diesem Verhalten hat Evo Morales
starke Zeichen für seinen Willen abgegeben,
die Beziehungen zwischen Bolivien und der
Achse Kuba-Venezuela zu vertiefen. Seine erste
Auslandsreise führte den neuen Präsidenten
am 30. Dezember 2005 nach Havanna. Bei dieser
Gelegenheit unterzeichnete er mit Fidel Castro
ein Abkommen, das die Zusammenarbeit zwischen
den beiden Ländern verstärken soll.
Am 4. Januar traf Morales in Carácas
ein, um sich dort mit dem venezolanischen
Präsidenten Hugo Chávez zu treffen.
Dies war ein Zeichen dafür, dass sich
Bolivien in der „Bolivarischen Alternative
für die Amerikas“ (ALBA) engagieren
möchte, und dies umso mehr, als die beiden
Führer die Hoffnung geäußert
haben, diese „Achse des Guten“
zwischen La Paz, Carácas und Havanna
zu konsolidieren. Auch hier wurde ein Abkommen
unterzeichnet, das Bolivien mit Venezuela
verbindet, ein Abkommen, das eine ganz besondere
Bedeutung hat, weil zuletzt in den persönlichen
Beziehungen zwischen Chávez und Morales
Spannungen aufgetreten waren. Denn Morales
sah ungern, wie Chávez in der OAS (Organisation
amerikanischer Staaten) den Chilenen Insulza
unterstützte, eine Kandidatur, die von
der gesamten politischen Klasse Boliviens
abgelehnt wurde; außerdem hatte Chávez
die Soja-Importe aus Bolivien durch solche
aus den USA ersetzt. Wahrscheinlich war es
dieser Grund, weshalb Boliviens neuer Präsident
auf seiner internationalen Rundreise zunächst
nicht in Carácas Station machen wollte.
Hugo Chávez vergab für 2006 30
Mio. Dollar nicht an Bedingungen geknüpfte
Hilfsgelder an Bolivien und hoffte damit auf
Vergebung seiner „Irrungen“ bei
seinem neuen Partner.
Wahrscheinlich wird eine Herausforderung an
die neue bolivianische Regierung darin liegen,
diese antiimperialistische Haltung in Amerika
aufrecht zu erhalten. Wenn Morales auch mit
Kommentaren über die Profite der europäischen
Ölgesellschaften wie die spanische Repsol
oder die französische Total nicht gegeizt
hat, so hat er hinsichtlich der europäischen
Staatschefs doch eine erheblich mildere Haltung
eingenommen. Der Fall des französischen
Präsidenten Jacques Chirac ist bezeichnend.
Chirac ist in zahlreichen Ländern Südamerikas
wegen seiner ablehnenden Haltung zum Irakkrieg
populär. In Bolivien war er es bereits
vorher, weil er in einem nicht besonders politischen
Konflikt, als es darum ging, ob die bolivianische
Nationalmannschaft trotz der Höhenlage
weiterhin in La Paz spielen konnte, den bolivianischen
Nationalismus gestreichelt hatte.36
Das ermöglichte ihm, ein Image als Freund
Boliviens aufzubauen. Dies erklärt teilweise
das Prestige, dessen er sich in La Paz erfreuen
kann, auch bei Führungsmitgliedern der
MAS.
Eine solche Haltung ist natürlich nicht
nur von der Liebe zum Fußball oder einem
Nationalismus ohne Grenzen bestimmt. Denn
die Führung der MAS sieht in Europa einen
Partner, der die USA ersetzen könnte,
falls es zu einer schnellen Verschlechterung
der Beziehungen zum Weißen Haus kommen
sollte. Wenn auch die europäischen Länder
keineswegs ohne Vertretung in Bolivien sind,
und handle es sich nur um Kooperationsprojekte,
so gibt es
keinen Zweifel daran, dass sie gerne einen
wichtigeren Platz einnehmen würden, vor
allem im wirtschaftlichen Bereich.
Es besteht somit die Gefahr, dass die neue
bolivianische Regierung eine diplomatische
Haltung einnimmt, die darin besteht, keine
nennenswerte Kritik an den neuen Partnern
zu üben. Eine solche „Realpolitik“
kann bisweilen zu schweren politischen Fehleinschätzungen
verleiten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
die Freundschaft zwischen Chávez und
Castro und dem französischen Präsidenten
eine erhebliche Rolle bei der undifferenzierten
Verurteilung des Aufruhrs von jungen Leuten
in den französischen Vorstädten
im November 2005 gespielt hat. Wie wird Morales
in dieser Hinsicht handeln?
DEMOKRATISCHE
REVOLUTION … ODER EIN PROZESS, DER ERST
NOCH DEFINIERT WERDEN MUSS?
Der
Wahlsieg von Morales hat sowohl bei den indigenen
Völkern Boliviens und Lateinamerikas,
wie auch bei der
internationalen Linken, eine unglaubliche
Begeisterung ausgelöst. Die Linke sieht
darin ein Zeichen der Bestätigung einer
grundsätzlichen Bewegung gegen den Neoliberalismus
auf planetarischer Ebene. Davon ausgehend
in dem in Bolivien ablaufenden Prozess bereits
einen „Bruch mit dem alten Regime“
zu sehen, war nur ein Schritt, den einige
Analysten und Kommentatoren umstandslos gemacht
haben. Zu ihnen zählt der argentinische
Historiker Adolfo Gilly, der im Wahlsieg nichts
weniger sah als „die erste Revolution
des 21. Jahrhunderts“37,
eine Revolution, die viele etwas voreilig
als „demokratisch“38
bezeichnet haben. Der Begriff „demokratische
Revolution“ ist an sich schon problematisch,
denn er führt dazu, nur den Weg über
Wahlen als Methode der gesellschaftlichen
Transformation zu legitimieren. Indirekt tendiert
er dazu, jede andere Form von Aktionen zu
diskreditieren, die durch die im Ausdruck
selbst liegende Zweigleisigkeit unerbittlich
als „antidemokratisch“ verurteilt
wird, und dies unabhängig von den politischen
und gesellschaftlichen Bedingungen, unter
denen diejenigen Männer und Frauen vorangehen,
die solche Aktionen vollführen.
Auch die Benutzung des Begriffs „Revolution“
eröffnet eine Diskussion über die
Realität der gesellschaftlichen Transformationen,
zu denen der Sieg der MAS bei den Wahlen führen
könnte. Bei Adolfo Gilly zum Beispiel
gibt es den Willen, den Begriff „Revolution“
zu rechtfertigen, der bei anderen Autoren
nur in literarischer Weise gebraucht zu werden
scheint. Eine solche Analyse verdient es,
nach mehreren Richtungen hin diskutiert zu
werden. Man kann mit Gilly nur übereinstimmen,
wenn er betont, der Sieg von Morales sei der
Ausdruck „einer gewaltigen und anhaltenden
Welle gegen die neoliberale Herrschaft in
einem rassistischen Staat mit kolonialen Grundlinien,
so wie es der bolivianische Staat immer gewesen
ist“. Indem er aber den Wahlsieg als
„Revolution“ bezeichnet, lässt
Gilly glauben, dieser Sieg genüge sich
selbst. Darin liegt im Übrigen der Sinn
der Schlussfolgerung seines Textes, wenn er
sagt, dass, was „nach dem Sieg kommt,
danach kommt“. Könnte man nicht
die Meinung vertreten, dass das, „was
danach kommt“, einen durch den Wahlsieg
vom 18. Dezember eröffneten offenen Prozess
charakterisiert, der später vielleicht
als „revolutionär“ eingeschätzt
werden kann?
Sicherlich schreibt Gilly, „Revolutionen
sind gewaltsame Verschiebungen der –
dominierenden und subalternen – Kräfteverhältnisse
in einer bestimmten Gesellschaft. Diese Verschiebungen
führen die politische Form der bestehenden
Herrschaft in die Krise“. In diesem
Sinne gibt es keinen Zweifel, dass der 2000
in Bolivien eröffnete Prozess der Mobilisierungen
ein potenziell revolutionärer Prozess
ist, der es ermöglicht hat, die Existenz
des bolivianischen kolonialen Staates in Frage
zu stellen. Man muss aber einschätzen,
ob „die Verschiebung des Kräfteverhältnisses“
am 18. Dezember „wirklich konkrete Gestalt
angenommen hat, oder ob sie noch durchgeführt
werden muss. Diese Einschätzung kann
man treffen, wenn man sich mit der Frage der
›Staatsmacht‹ beschäftigt“.
Diese Aussage von Morales ermöglicht
es, sich die Frage nach dem Charakter der
Staatsmacht zu stellen. Man kann sie sicherlich
wegzaubern, indem man glaubt, sie sei erobert,
wenn der Präsidentenplast in Besitz genommen
wird. Aber die Herausforderungen und die Spannungen,
denen die MASRegierung ausgesetzt ist, zeigen
bereits recht gut, dass die (Staats-)Macht,
verstanden als gesellschaftliche Beziehung
zwischen zwei oder mehreren Individuen, oder
in diesem Fall zwischen dem Staat und der
Gesellschaft, nicht erworben, sondern aufgebaut
wird. Denn eben nach dem Aufbau eines Kräfteverhältnisses
gegenüber der USBotschaft, gegenüber
den Bürgerkomitees von Santa Cruz oder
der Armee, ja in bestimmtem Grade auch denjenigen,
die heute als Verbündete erscheinen wie
die kubanische oder venezolanische Regierung,
wird man einschätzen können, wie
real die Macht wirklich ist, über die
die MAS-Regierung verfügt. Eben erst
dann. Dies gilt auch für die Art und
Weise der Machtausübung, die von dieser
Regierung bewerkstelligt wird, besonders im
Hinblick auf den Platz, der den sozialen Bewegungen
eingeräumt wird. Erst wenn dies klar
ist, wird man die Wirklichkeit „des
Umsturzes des Kräfteverhältnisses
zwischen den Klassen“ einschätzen
und den Prozess als „revolutionär“
bezeichnen können … oder aber nicht.
Die gegenwärtige „Macht“
von Evo Morales erscheint als in dem Maße
eingeschränkt, wie sein Wahlsieg, auch
wenn dieser dazu führen wird, das bolivianische
politische Personal zu erneuern, bislang nur
auf die politische Sphäre konkrete Auswirkungen
hat. Aber die Macht beschränkt sich nicht
auf die politische Sphäre, woran uns
Gilly so schön erinnert, indem er den
Fall der mexikanischen Mandatsträger
schildert, die gezwungen werden, sich dem
Diktat der nationalen Finanzmärkte zu
fügen, weil sie den Pakt von Chapultepec
respektieren, den er als ein „kapitalistisches
Manifest“ versteht. Sie bestimmt sich
auch über die Beziehungen, die die politische
Sphäre zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
aufweist.
Was nun den Bruch mit den früheren neoliberalen
Politikansätzen angeht, so stellt sie
bis zur Stunde nur ein Wahlversprechen dar
und wird es so lange bleiben, wie die MAS-Regierung
nicht Gesetze zur Abschaffung des Dekretes
21 060 verabschiedet (das den gesetzlichen
Rahmen für die Privatisierungen darstellte).
Der Fall Gutiérrez in Ecuador zeigt,
dass Positionsänderungen trotz schöner
Reden und Wahlversprechen möglich sind.
Dem enormen Druck, dem Morales vor Ort wie
auf internationaler Ebene ausgesetzt sein
wird, stand zu halten, wird die Aufgabe seiner
Regierung ziemlich delikat machen, trotz einer
relativ gesunden Wirtschaft und einem eher
günstigen internationalen Umfeld, seit
dem letzten Gipfel der OAS in Mar del Plata
(vom 3.-5. November 2005 in Argentinien) besonders
auch auf der kontinentalen Ebene. In diesem
Sinn werden die ersten Monate der MAS an der
Spitze des Staates, wenn die ersten Entscheidungen
getroffen werden, entscheidend sein. Dies
zeigt nur, dass die größte Bedeutung
auf dem liegt, „was danach kommt“.
Aus dem Französischen von Paul B. Kleiser
1
Im Allgemeinen zählt man mehr als 30
verschiedene Ethnien, die auf dem bolivianischen
Staatsgebiet leben. Die wichtigsten sind die
Aymara, die vor allem im Altiplano leben,
sodann die Quechuas, die in den Andentälern
von Cochabamba und Tarija wohnen, und die
Guaranis, die man im Chaco und den Ebenen
des Amazonas, in der Grenzregion zu Brasilien
und Paraguay findet.
3
Laut Volkszählung von 2001 definieren
sich über 60% der BolivianerInnen als
„Indigene“. In El Alto liegt diese
Zahl bei über 80%.
4
In der Vergangenheit sind nur zwei Präsidenten
über 30% gekommen: 1980 Hernán
Siles Zuazo, der Kandidat der Linkskoalition
UDP (demokratische Volksunion) und Gonzalo
Sánchez de Lozada von der National-Revolutionären
Bewegung (MNR) 1993, die jeweils 34% bekommen
haben.
5
Diese Einschätzung gilt für alle
Regierungen mit Ausnahme derjenigen, die von
Jaime Paz Zamora (MIR) im Rahmen des „patriotischen
Abkommens“ mit der ADN von 1989 bis
1993 geführt wurde. Jaime Paz unterschied
sich in der Koka-Frage von den andern, weil
er mit der Parole „coca no es cocaïna“
(Koka ist kein Kokain) für den Abbau
der Strafbestimmungen eintrat. Das trug ihm
die Feindschaft der USA ein, aber der MIR
wurde bei den Gewerkschaftern der Koka-Bauern
eine Zeit lang zu einer populären Partei.
(Zu diesem Theme vgl. Kevin Healy, „Political
Ascent of Bolivia’s Peasant Coca Leaf
Producers“, in: Journal of Interamerican
Studies, Jahrgang 33, Nr. 1,1991).
6
Die MNR wurde in den 1940er Jahren als Oppositionspartei
gegen die Oligarchie gegründet,
die vom Export von Zinn und Kupfer lebte.
Sie war entscheidend an der Revolution von
1952 beteiligt, in der die Bergwerke verstaatlicht
wurden und eine Landreform durchgeführt
wurde. Unter dem Einfluss ihres Führers
Victor Paz, danach unter dem von Sánchez
de Lozada, konvertierte sie zum Neoliberalismus.
Der MIR wurde in den siebziger Jahren von
einer Gruppe von chilenischen ExilantInnen
gegründet, die sich den chilenischen
MIR zum Vorbild nahmen. Der MIR bekämpfte
die Bánzer-Diktatur, aber seine
Führung verbündete sich Ende der
neunziger Jahre mit ihm. Die Namenskürzel
dieser beiden Parteien, die zunächst
für sozialen Wandel standen, verweisen
heute eher auf die Überreste der Vergangenheit
als auf die heutige Ideologie. Bei der ADN
handelt es sich um die Partei des früheren
Diktators Bánzer, die er gründete,
um an den Wahlen teilnehmen zu können.
7
Hugo Bánzer musste wegen starker gesundheitlicher
Probleme 2001 sein Amt aufgeben. Er wurde
von seinem Vizepräsidenten Jorge Quiroga
abgelöst, der bis 2002 amtierte.
8
Goni ist der Spitzname des früheren Präsidenten
Gonzalo Sánchez de Lozada.
9
Die Menschenrechtsverletzungen waren nicht
die einzige Missetat der Regierung Sánchez
de Lozada. Wenn das Ausmaß der Massaker
vom Oktober 2003 in der Geschichte der bolivianischen
Demokratie auch ohne Beispiel ist, wobei
man auch die blutige Unterdrückung des
Aufstandes von Polizisten im Februar 2003
hinzufügen muss, so hat die Regierung
Bánzer-Quiroga laut der Volksversammlung
für Menschenrechte in Bolivien (APDHB)
die Verantwortung am Mord an über
dreißig Koka-Bauern zu übernehmen,
die zwischen 1997 und 2002 ermordet wurden
Vgl. Donna Lee van Gott, „From Exclusion
to Inclusion: Bolivia’s 2002 Elections“,
in: Journal of Latin American Studies, Jahrg.
35, Teil 4, 2003.
10
Einige Wochen vor den Wahlen hat es im Departement
von La Paz einen Mangel an Gas gegeben,
dessen Hintergründe bis heute unklar
sind. Wahrscheinlich hat eine Rolle gespielt,
dass viele Gasflaschen nach Peru verkauft
worden sind, weil dort der Gaspreis deutlich
höher ist, doch der Verdacht richtet
sich auch gegen die Ölgesellschaften,
die man beschuldigte, die Regierung erpressen
zu wollen, um sich gegen die Neuverhandlungen
der Kontrakte mit dem bolivianischen Staat
zu wenden. Der Gasmangel führte
zu Mobilisierungen der BewohnerInnen,
die mit leeren Gasflaschen die Straßen
nach La Paz und El Alto blockierten.
11
Vgl. dazu Mirko Orgáz García,
La guerra del Gas: Nación versus Estado
transnacional, La Paz (Ofavin) 2002; sowie
La Nacionalización del Gas, La Paz,
C&C Editores, 2005.
12
Laut dem Spezialisten für diese Fragen
in der MAS, Manuel Morales Oliveira, „sind
diese Verträge null und nichtig, weil
sie illegal sind, denn sie respektieren die
Vorgaben der Verfassung nicht“.
In der Tat sieht die Verfassung vor, dass
solche Verträge vom Kongress abgesegnet
werden müssen, was nie geschehen ist.
13
Das im Juni 2005 beschlossenen Gesetz über
Öl und Gas sieht die Besteuerung der
Gewinne der Konzerne in Höhe von 32%
vor, was den Anteil der Staates Bolivien an
den Profiten aus dem Gas auf 50% anheben würde.
Vgl. dazu Pablo Stefanoni, „Polarisation
électorale et crise de l’Etat,
in: Inprecor Nr. 511/512, Nov./ Dez. 2005.
14
Seit dem Pazifik-Krieg von 1879, als sich
Chile die zu Bolivien gehörende
Pazifikküste unter den Nagel riss, gibt
es in Bolivien ein starkes gegen Chile gerichtetes
Vorurteil, das durch jede neue Diskussion
über einen Zugang zum Meer verstärkt
wird.
15
Über
die Veränderung der Haltung der MAS zugunsten
der Verstaatlichung vgl. Thierry Vermorel,
„Der zweite Krieg ums Gas“, in:
Inprekorr 406/407, September/Oktober
2005.
16
So hat der wichtigste Kandidat der Rechten,
Jorge Quiroga, eine Nationalisierung „der
Ressourcen an Hydrokarburaten“
vorgeschlagen, was auf den ersten Blick Unsinn
ist, weil es die Nationalisierung von Ressourcen
bedeutete, die sowieso dem Staat gehören!
Hinter dem Begriff „Nationalisierung
“ versteckte sich die Idee einer Transparenz
der Umverteilung der Mittel, die aus dem Gas
in den Staatssäckel fließen. Dies
hat natürlich wenig mit einer wirklichen
Verstaatlichung des Gases zu tun.
17
Jorge Quiroga verkündete eine „Revolution
mittels der Demokratie, gegen die Streikenden
und diejenigen, die die Straßen blockieren“
(was die sozialen Bewegungen häufig machen),
ohne dass er erklärte, um welche Revolution
es sich denn handle, denn sein Programm
plädierte für die Fortsetzung des
neoliberalen Modells. Seine Phrasen schmückte
er mit revolutionären Bildern, denn PODEMOS
trat mit dem Logo eines weißen Sterns
auf rotem Grund auf. Laut dem Pressesprecher
dieser Gruppierung, Hernán Terrazas,
verwandte man das Logo aufgrund einer Umfrage
durch eine Werbeagentur. Doria Medina stellte
sich als Vertreter einer vernünftigen
linken Mitte dar und stellte Morales und Quiroga
als Vertreter von zwei radikalen Gesellschaftsprojekten
hin; er entwickelte einen moderaten anti-neoliberalen
Diskurs, dessen Glaubwürdigkeit durch
seine Vergangenheit nicht gerade befördert
wurde, war er doch früher Minister in
einer neoliberalen Regierung!
18
José Luis Paredes, der frühere
MIR-Bürgermeister von El Alto, der
jetzt zum Präfekten des Departements
La Paz gewählt wurde, stellt dafür
eine hervorragende Illustration dar: Zunächst
ging es ihm darum, als Kandidat auf irgendeiner
Liste zu erscheinen und so verhandelte
er bis zur letzten Minute gleichzeitig mit
UN und PODEMOS und versuchte sogar, mit der
MAS Kontakt aufzunehmen. Gegen Ende der Kampagne,
als er von der Niederlage von „Tuto“
überzeugt war, erklärte er ins Mikro
des nationalen Rundfunks, es sei kein Problem
für ihn und störe ihn ganz und gar
nicht, die Präfektur unter einem
Präsidenten Morales zu führen.
(Vgl. La Prensa, 30. November 2005) Er scheint
von Quiroga zur Ordnung gerufen worden
zu sein, der ihn anscheinend gezwungen hat,
in einem Fernsehspot aufzutreten, in dem zu
seiner Wahl als Präfekt von La Paz und
zur Wahl von “Tuto” bei den Präsidentschaftswahlen
aufgerufen wurde.
19
Vgl La Prensa, „Giordano: “En
el MNR manda Goni y se erró con
Nagatani”, 18. September 2005.
20
Das Bürgerkomitee der Region von Santa
Cruz umfasst die gewerkschaftlichen und die
Unternehmerorganisationen (die darin über
die Mehrheit verfügen) und wird von einigen
Mitgliedsorganisationen als „moralische“
und legitime Regierung der Cruceños
(Bewohner von Santa Cruz) bezeichnet.
21
Einige Tage vor der Wahl erschien in den Fernsehkanälen
von Santa Cruz ein Werbespot, dessen
Herkunft bislang ungeklärt ist und dessen
wichtigster Slogan war: „Nur Santa Cruz
kann Evo aufhalten!“ In Trinidad meinte
der Kandidat von PODEMOS für die Präfektur
von Beni, Ernesto Suárez, zu seinem
Wahlsieg: „Die Leute meinten, sie wollten
nicht mehr, dass über das Budget in 3
600 m Höhe bestimmt wird“.
(Das bezieht sich auf La Paz!) Laut La Razón,
19. Dezember 2005.
22
Anfang Dezember kam die für Morales günstigste
Meinungsumfrage auf gerade mal 36%!
23
Nur ein Beispiel: PODEMOS verbreitete einen
Spot mit einem Textilarbeiter, der meinte,
er habe Angst, seine Arbeit zu verlieren,
wenn Morales an die Regierung käme. Auf
diesen Spot antwortete die MAS, indem sie
bewies, dass der fragliche Arbeiter nicht
nur seinen Namen falsch angegeben hatte,
sondern dass es sich in Wahrheit um den persönlichen
Chauffeur von Jorge Quiroga handelte!
24
Die Zahlen stammen vom nationalen Wahlge
richt (CNE) Boliviens, 28. Dezember 2005.
25
Die Präfekten leiten die neun Departements,
aus denen Bolivien besteht. Dank eines Dekretes
von Präsident Carlos Mesa vom Januar
2005, das unter dem Druck der Autonomie-Forderungen
aus Santa Cruz erlassen wurde, wurden die
Präfekten im Verlauf dieser Wahlen
erstmals gewählt. Bis jetzt wurden sie
einfach vom Präsidenten ernannt.
26
Mario Cossío war Vorsitzender der Abgeordnetenkammer
während der Krise vom Mai/Juni 2005.
Als sich Hormando Vaca Diez schließlich
entschied, das Mandat der Präsidentschaft
nicht anzunehmen, stand ihm das Recht zu,
Präsident zu werden. Er musste schließlich
verzichten, weil ihm die sozialen Bewegungen
vorwarfen, ein Vertrauensmann von „Goni“
zu sein. Zur Krise vom Mai/Juni 2005 vgl.
den zit. Artikel von Thierry Vermorel in Inprekorr.
27
Nehmen wir Doria Medina als Beispiel: Eines
seiner Unternehmen, Viacha, ist nationaler
Marktführer in der Zementproduktion;
außerdem gehören ihm die Filialen
von Burger King in Bolivien. Er hat im Verlauf
der Kampagne in den Dörfern des Departements
Potosí Säcke mit Zement verteilt
und bei allen seinen Besuchen gab es
freies Essen mit Hamburgern und Pommes frites
für die Leute!
28
Zu diesem Thema vgl. den Artikel von Hervé
do Alto, „Zwischen Indigena-Utopie und
Wirtschaftspragmatismus: Die MAS erobert
die Macht“, in: Inprekorr Nr. 410/411,
Januar/Februar 2006.
29
Vgl. den Artikel von Thierry Vermorel, op.
cit.
30
Das zeigen die in Chapare, der Region, wo
Koka produziert wird und Morales seine
ersten Schritte als Gewerkschaftsführer
tat, erzielten Resultate; in einigen Ergebnissen
lag die MAS bei klar über 90%.
31
Zu diesem Gesichtspunkt vgl. Pablo Stefanoni,
„Hegemonia, discurso y poder: la emergencia
del MAS-IPSP“, in: Temas sociales, Revista
de Sociologia de la UMSA, Nr. 24, 2003, S.
23.
32
Vgl. dazu den bereits zitierten Artikel von
Hervé do Alto.
33
Vgl. Remberto Arias, «Du pacte pour
la dignité et la souverainité
au 1er Sommet National Ouvrier » , in
: Inprecor Nr. 511/512, November/Dezember
2005.
34
Mirko Orgáz García, La nacionalización
del Gas, op. cit., S. 143f.
35
Alvaro Garía Linera, „La lucha
por el poder en Bolivia“, in: Horizontes
y limites del estado y el poder, La Paz, (Muela
del Diablo) 2005, S. 11-74.
36
Als die internationale Fußballförderation
(FIFA) 1996 Bolivien gedroht hatte, seine
Fußball-Nationalmannschaft dürfe
nicht mehr international in la Paz spielen,
weil sich die gegnerischen Mannschaften
über die dünne Höhenluft
beklagten, entfaltete Chirac unglaubliche
diplomatische Bemühungen, um in den Instanzen
der FIFA eine Lobby-Arbeit durchzuführen
mit dem Ziel, Bolivien zu unterstützen
und jenes Verbot zu unterlaufen. Laut einem
Bericht der Satirezeitschrift Canard enchaîné
erhielt der französische Präsident
dafür den Ehrentitel „Kondor der
Anden“!
37
Adolfo Gilly, „La violenta, prolongada
y clara revolución boliviana”,
in: La Jornada, 24. Dezember 2005.
38
Als Beispiel möchten wir die argentinischen
und bolivianischen Ausgaben von Le Monde diplomatique
nehmen, die in ihrer Ausgabe vom Januar 2006
schrieben: „Demokratische Revolution
in Bolivien“.