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Studentenbewegung in Quebec

Eine Schlacht wurde gewonnen, der Kampf geht weiter

von José Bazin aus Inprekorr Nr. 404/405 Juli/August 2005

Übersetzung: Paul B. Kleiser


Nach über sieben Wochen Streik und einer mit der Regierung geschlossenen Vereinbarung ist es für einen großen Teil der Studentenbewegung in Quebec an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Der Streik, der am 24. Februar von den Studentenverbänden, die Mitglied bei CASSEE 1 sind, begonnen worden war, wurde nach einer zunehmenden Radikalisierung der Jugend in Quebec und einigen Rückziehern der Regierung beendet.

Seit ihrer Regierungsübernahme am 14. April 2003 hat die Regierung Jean Charest 2 versucht, die Steuern zu senken, damit die Steuersätze mit denen in den USA und im englischsprachigen Kanada vergleichbar würden. Diese Obsession für Steuersenkungen erfreute den Arbeitgeberverband von Quebec, konnte aber nur durch Mittelkürzungen bei einigen Ministerien gegenfinanziert werden. Auch das Erziehungsministerium entging der Logik der Mittelkürzungen nicht. Um im Erziehungswesen zu sparen, beschloss die Regierung eine Reform der finanziellen Hilfen für die Studenten (AFE), die unter anderem eine Kürzung des Etats für die Stipendien um 103 Mio. kanadische Dollar 3 pro Jahr, eine Anbindung der Schuldenhöhe der StudentInnen an ihre Leistungen, ein Programm der späteren Rückzahlung der Stipendien gemäß den Einkünften und eine langfristige Streichung von Stipendien vorsah. Außerdem sollte das Netz von Colleges 4 (eine Art Fachhochschule, [d.Übers.]) an die Privatwirtschaft angebunden und dezentralisiert werden.


Mehr als sieben Wochen streikten die StudentInnen in Quebec.


Alle diese Reformen ließen den Zorn der ASSE 5 anwachsen. Von Seiten der FEUQ und der FECQ 6 wurden die studentischen Forderungen eher gebündelt und in einer einzigen defensiven Teilforderung eingebracht: Rücknahme der Regierungsmaßnahme der Umwandlung der Stipendien in Darlehen, was der Regierung die Einsparung von 103 Mio. $ ermöglicht hätte. So wurden ab Herbst von den drei studentischen Gruppierungen die Strategien ausgearbeitet, die das Ziel hatten, die Regierung zum Nachgeben zu zwingen. Während FEUQ und FECQ ihre Mitglieder vorbereiteten, die 103 Mio. $ zu verteidigen, entwickelte ASSE eine breite politische Strategie, die auch zu einer Diskussion über das Gesellschaftsmodell führen sollte. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Streik wurde im Januar erreicht, als ASSE und unabhängige Studentenverbände die CASSEE gründeten. Dies war ein qualitativer Sprung, der der neuen Koalition ermöglichte, die Mitgliederzahl zu verdoppeln. Ursprünglich wollte CASSEE nur eine vorübergehende Struktur um ASSE herum sein, um eine demokratische Koordination des Streiks zu ermöglichen. Aber CASSEE brachte die Diskussion qualitativ voran, indem es eine Plattform mit drei Punkten vorschlug:
• Völlige Rücknahme der AFE-Reform (und nicht nur der Budget- Kürzung um 103 Mio. $);
• Stopp jedes Dezentralisierungsprojektes oder der Anbindung des Netzes der Colleges an den Markt;
• Ziel wurde die Erreichung des kostenlosen Schulbesuchs und die Abschaffung der Verschuldung der StudentInnen.

Dank dieser Plattform wurde eine Debatte über den Platz und die Funktion des Erziehungswesens in der Gesellschaft Quebecs eröffnet.

ACHTER STUDENTENSTREIK

Die ersten studentischen Organisationen, die zumeist Mitglied von CASSEE waren, hielten in der zweiten und dritten Februarwoche Streikvollversammlungen ab. So wurde am 24. Februar 2005 der achte unbefristete allgemeine Studentenstreik ausgerufen. Wir möchten daran erinnern, dass die Studentenstreiks von 1968, 1974, 1978, 1986 und 1996 wirklich zu Siegen geführt haben, und unter anderem den Aufbau eines Netzes öffentlicher Universitäten, 7 die Einführung von Verbesserungen bei Stipendien und Krediten und das Einfrieren der Kosten der Colleges und Universitäten zum Ergebnis hatten. Der Streik von 1988 wurde von den StudentInnen als Teilsieg empfunden, weil er zum Ende einer Reform der AFE führte, aber die Regierung nicht in allen Punkten zurückweichen musste. Was den Studentenstreik von 1990 angeht, so führte er zur schlimmsten Niederlage in der Geschichte der Studentenbewegung Quebecs, weil es der Regierung gelang, die Schulgelder um 140 Prozent hochzusetzen. 8

Als am 24. Februar 2005 ein unbefristeter Streik ausgerufen wurde, ließ nichts erahnen, dass er nicht nur der längste, sondern auch der größte Studentenstreik in der Geschichte Quebecs werden und sogar den von 1974 noch übertreffen sollte.9 Am 24. Februar waren es die Mitgliedsorganisationen von CASSEE, die den unbefristeten Streik auf der Grundlage der Forderungen der Koalition und ohne Absprache mit der FEUQ oder der FECQ ausriefen. Schon Ende Januar hatte die Vollversammlung der StudentInnen Quebecs (AEQ) die Unmöglichkeit aufgezeigt, eine nationale Streikkoordination aufzubauen, die gleichermaßen Mitglieder der FEUQ, der FECQ, der CASSEE und der unabhängig gebliebenen Organisationen umfasst hätte. Trotz der Tatsache, dass es nach der AEQ vom Januar keine Gespräche zwischen den verschiedenen Gruppierungen mehr gab, begann die FECQ mitzumachen und rief ihrerseits Anfang März zum Streik auf. Als die FEUQ erkennen musste, dass sich die Regierung nicht bewegte, rief auch sie am 8. März erstmals in ihrer Geschichte mit der Forderung nach Rückgabe der 103 Mio. $ zum Streik auf. So wuchs der Streik trotz der Spaltung der Bewegung weiter an.


Der Kampf der StudentInnen hat eine Radikalisierung der Jugend insgesamt
ermöglicht.

ROTES VIERECK

Ab Ende Februar zog die CASSEE die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Verschuldung der StudentInnen, indem sie das rote Viereck bekannt machte, das bedeuten sollte, dass sich die StudentInnen „klar im Rot befanden“. Das rote Viereck wurde so schnell zum Symbol der Unterstützung der studentischen Forderungen und der Gegnerschaft zur Politik der Regierung der liberalen Partei. Das Frühjahr 2005 wird als Frühjahr des roten Vierecks in die Geschichte eingehen! Das fragliche Objekt wurde von Hunderttausenden von Menschen angesteckt. Man fand es aus Stoff, aus Papier, als Kunst usw. Es breitete sich wie ein Ölfleck überall in Quebec aus. Es wurde zum Vereinigungszeichen des Volkszorns der Bevölkerung Quebecs gegen die Regierung, die an ihren neoliberalen Maßnahmen festhielt. Mit diesem Zeichen gelang CASSEE ein Meisterstück, weil es allen zeigte, dass sich die Studentenbewegung großer Sympathie in der Bevölkerung erfreute.

Es gelang dem roten Viereck, die Spaltungen zu überwinden, da auch die FECQ und die FEUQ dieses Symbol als dasjenige des gesamten studentischen Kampfes annahmen. Von nun an liefen die Demonstrationen gegen die neoliberale Politik der Regierung Jean Charest unter dem Zeichen des roten Vierecks, gleichgültig welche Gewerkschaft dazu aufgerufen hatte. Es war diesem Symbol gelungen, eine gewisse Einheit in der Bewegung herzustellen, auch wenn sich die verschiedenen Strömungen in der Sache weiterhin stritten.

Eine erste negative Auswirkung der Spaltung der Studentenbewegung lag darin, dass die FEUQ und die FECQ alleine mit der Regierung verhandelten. Die CASSEE war vom neuen Erziehungsminister Jean- Marc Fournier vom Verhandlungstisch ausgeschlossen worden. Er wollte die CASSEE nicht dabeihaben, weil sie angeblich zu radikal und zu „gewalttätig“ sei. Da sich aber die Kontakte zwischen der FECQ und FEUQ auf der einen und der CASSEE auf der andern Seite auf einem toten Punkt befanden, hatten die beiden Gruppierungen seit Beginn des Streiks beschlossen, in die Verhandlungen einzutreten, auch wenn die CASSEE ausgeschlossen bliebe. Minister Fournier spielte dann auch die Spaltungskarte aus, was es ihm ermöglichte, den Forderungen der StudentInnen nicht allzu weit entgegenkommen zu müssen.

Mit dieser Karte der Mäßigung in der Hinterhand bot Minister Fournier am 15. März an, 41 Mio. $ (etwa 26 Mio. € ) von den 103 gekürzten Mio. $ zurückzugeben. Doch dieses Angebot wurde sowohl von der FEUQ und FECQ als auch von der CASSEE als völlig lächerlich abgelehnt. Die Arroganz der liberalen Regierung stachelte die Bewegung an und am Folgetag befanden sich 250 000 StudentInnen im Streik. Am gleichen Tag demonstrierten fast 100 000 Menschen in den Straßen von Montreal und kritisierten den Vorschlag von Fournier. Der Zornging so hoch, dass nicht nur die militanteren Studentenorganisationen auf die Straße gingen. Sogar die Hochschule für Management der Universität von Quebec in Montreal erklärte sich zwar nicht für den unbefristeten Streik, streikte jedoch eine Woche. Dies öffnete den Weg zu Streiktagen an der Handelshochschule, an der nationalen Hochschule für öffentliche Verwaltung, am Polytechnikum und an der Universität McGill.

Als der Minister Fournier am 1. April sein zweites Angebot abgab, waren die studentischen Organisationen, die den Streik begonnen hatten, bereits seit fünf Wochen im Streik. Diesmal musste die Regierung in einigen Punkten zurückweichen. Auch wenn sie die AFE-Reform nicht völlig zurücknahm, so verzichtete sie auf eine Rückzahlung der Kredite gemäß dem Einkommen, dem Programm der Schuldenreduzierung gemäß den Leistungen der StudentInnen und auf ihr Projekt, die Stipendien längerfristig auslaufen zu lassen. Außerdem wurden den StudentInnen für das Schuljahr 2006/ 2007 wieder Stipendien in Höhe von 103 Mio. $ zugesagt.

Um dies tun zu können, musste sich die Regierung von Quebec das Geld bei der kanadischen Bundesregierung holen. Dieses Angebot stieß in der Studentenschaft nicht nur auf Zustimmung. Die FEUQ und die FECQ akzeptierten das Angebot und kehrten an ihren Studienplatz zurück, während die CASSEE das Angebot nicht annahm, aber den Streik abbrach.

Denn das Angebot von Fournier war auf mehreren Ebenen problematisch. Um zu einem Abkommen zu kommen, musste die Studentenschaft akzeptieren, dass sie die 103 Mio. für das Schuljahr 2004/2005 verliert, sowie weitere 33 Mio. $ für das Schuljahr 2005/2006. Dies bedeutet, dass sich die StudentInnen für diejenigen geschlagen haben, die zwischen 2006 und 2010 studieren werden und somit an die Stipendien von 103 Mio. herankommen. Ein weiteres Problem mit dem Abkommen besteht darin, dass ein Artikel der AFE vorsieht, dass die Erhöhungen der Stipendien und Kredite wegen der Inflationsrate jedes Jahr neu verhandelt werden sollen. Und schließlich ist das Geld aus den Kassen des Bundesstaates durchaus willkommen, ermöglicht aber der Regierung von Quebec, ihre Steuersenkungsmaßnahmen und ihren neoliberalen Kurs fortzusetzen. Weil die CASSEE nicht am Verhandlungstisch saß, konnten die FEUQ und FECQ nicht gedrängt werden, die 103 Mio. $ in Gänze einzufordern, und zwar auch für die Jahre 2004/2005 und 2005/ 2006. Der Kampf ist also noch nicht zu Ende.

DER KAMPF GEHT WEITER

Die Studentenbewegung konnte die Regierung zurückdrängen; nun muss sie auf dieses Kapital setzen, um ihre Verbindungen zu den lebendigen Kräften der Gesellschaft zu erweitern, um den Kampf gegen den Neoliberalismus fortzusetzen. Der Kampf der StudentInnen hat eine Radikalisierung der Jugend ermöglicht. In den Tagen nach dem Ende des Streiks sah sich die FEUQ Angriffen ihrer Basis ausgesetzt. Verschiedene StudentInnenverbände haben Vollversammlungen angesetzt, um den Austritt aus der FEUQ zu beschließen. In dieser Studentenbewegung war die FEUQ der Schwanz der Bewegung, sie beteiligte sich nur, weil sie musste und es kam zu keiner politischen Diskussion. Nach diesem Streik wird sich die studentische Linke nur außerhalb der FEUQ aufbauen können, um die Diskussion in Richtung Generalstände des Bildungswesens zu treiben und den Kampf gegen den Neoliberalismus fortsetzen zu können. Die CASSEE wird sich noch mehr für Gruppierungen öffnen müssen, die sich im Verlauf des Streiks radikalisiert haben. Sie darf nicht auf den harten Kern zurückfallen, wie ihn die ASSE zu Anfang 2005 stellte. Die CASSEE verfügt über eine politische Plattform von Forderungen, die es der studentischen Linken ermöglicht, Hoffnung in die Zukunft zu haben. Wird sie den Willen besitzen, geduldig eine langfristige Strategie auszuarbeiten, um zu bewirken, dass jene Plattform auch in die Tat umgesetzt wird? Diese Frage muss sich die studentische Linke ab sofort stellen. Die ASSE muss sich so umstrukturieren, dass aus ihr eine demokratische Massenorganisation der StudentInnen wird, die auf der Linken verankert ist.

(1) Koalition für ausgedehnte studentische Solidarität: der radikale Flügel der Studentenbewegung in Quebec.



(2) Vorsitzender der liberalen Partei und Ministerpräsident von Quebec.




(3) Entspricht gegenwärtig etwa 64 Mio. Euro.

(4) In Quebec besteht das Netz von Colleges aus Colleges allgemeiner und beruflicher Bildung, wo junge Menschen (im Allgemeinen zwischen 17 und 20) hingehen, die ihre Sekundarbildung
abgeschlossen haben. Sie bereiten sich
dort aufs Berufsleben oder aber auf den Eintritt in eine Universität vor.







(5) Assoziation für die Solidarität unter den StudentInnen; sie stand am Anfang der CASSEE.

(6) Föderation der UnistudentInnen Quebecs und Föderation der Colleges-StudentInnen Quebecs.































(7) Das Netz der Universität von Quebec, die mittlerweile Universitäten in mehreren Regionen Quebecs unterhält.

(8) Die Niederlage von 1990 erklärt zum Teil das Verschwinden der nationalen Vereinigung der Studenten und Studentinnen Quebecs (ANEEQ), die nach dem Streik von 1974 entstanden war. Nach dem Ende von ANEEQ gab es keine einheitliche Organisation der Studentenbewegung in Quebec mehr.

(9) Die Streik von 1974 hatte vier Wochen gedauert, aber drei Viertel der Colleges und ein Teil der Universitäten waren in einen unbefristeten Streik getreten.