Das
industrielle Herz Italiens besteht hauptsächlich
aus einem Konzern: dem Autobauer Fiat. Diesem
geht es seit langem schlecht; auf dem von Überkapazitäten
geprägten Automobilmarkt verliert er stetig
Marktanteile, die Krise 2008 hat ihn noch einmal
zurückgeworfen. Vom Vorstandsvorsitzenden
und Italo-Kanadier Sergio Marchionne stammt
das Wort: Sechs (von 13 Autokonzernen weltweit)
bleiben übrig. Fiat will nicht zu denen
gehören, die unten runter fallen, und Marchionne
hat eine eigene Strategie des Überlebens
entwickelt:
Als
2009 General Motors und Chrysler in den USA
Insolvenz anmelden mussten, bot er sich an,
Chrysler zu übernehmen, von dem sich Daimler
gerade getrennt hatte. Im Zuge des Insolvenzverfahrens
wurde der Pensionsfonds der Belegschaft neuer
Mehrheitseigentümer bei Chrysler (gegen
den Verzicht auf 57% seiner Ansprüche und
die Zustimmung der Autogewerkschaft UAW zu Lohnsenkungen),
Fiat erhielt gegen Technologietransfer 20%.
Für den Deal kassierte das neue Unternehmen
Chrysler Group LLC 3,3 Mrd. Dollar von der Regierung
Obama, 4 Mrd. hatte Bush noch kurz vor seinem
Amtsende im November 2008 zugesteuert, weitere
4,76 Mrd. stellte Obama in Aussicht –
«um das Überleben Chryslers in den
kommenden Jahren zu sichern». Fiat kann
seinen Anteil bei Chrysler auf 35% aufstocken,
wenn es «in den USA die Produkton energiearmer
Motoren aufnimmt» (Wall Street Journal,
1.Mai 2009).
Mit
dem US-Geld, den niedrigeren Lohnkosten und
der sehr geschwächten Position der UAW
im Rücken, hat Marchionne sich als erstes
daran gemacht, die italienische Produktion zu
einer verlängerten Werkbank für die
USA umzubauen: denn der Autoabsatz in Italien
stagniert und der US-Markt ist unvergleichlich
vielversprechender. Im Zuge dessen wird das
Werk in Termini Imerese (Sizilien) geschlossen,
während die Belegschaften in den anderen
Werken nacheinander vor die Wahl gestellt werden,
entweder einer drastischen Verschlechterung
ihrer Arbeitsbedingungen oder einer Werksschließung
zuzustimmen.
Verlängerte
Werkbank
Im
Stammwerk Mirafiori in Turin haben die Gewerkschaften
am 28.Dezember ein Diktat unterzeichnet, das
ihre Rechte im Betrieb auf Null fährt.
Ein ähnlicher Vertrag (noch ohne die Abschaffung
der gewerkschaftichen Rechte) wurde im Mai 2010
für das Werk Pomigliano unterzeichnet,
weitere sind für die Werke Cassino und
Termoli vorgesehen. Diktat deshalb, weil die
Verträge nicht mit den Gewerkschaften ausgehandelt,
sondern von ihnen erpresst wurden mit der Bemerkung:
«Entweder das, oder wir machen das Werk
zu.»
Die
Gewerkschaften FIM, UILM sowie die Vertretungen
der Angestellten und Außertariflichen
haben unterschrieben – die FIOM, die Metallarbeitergewerkschaft
in der CGIL und Mehrheitsgewerkschaft bei Mirafiori
– nicht. Deren Vorstandsmitglied Giorgio
Cremaschi hat das Diktat als «Rückkehr
zu einer faschistischen Unternehmensverfassung»
bezeichnet. Es bedeutet auch eine Kampfansage
an landesweite Tarifabschlüsse und wird
deshalb Folgen für die industriellen Beziehungen
insgesamt in Italien haben.
Das
Diktat (von einem Vertrag oder einem Abkommen
zu reden wäre Hohn) schafft ein neues Unternehmen,
Mirafiori Plant. Damit umgeht der Konzern Art.2112
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach «bei
Betriebsübergängen die Rechte der
Arbeitnehmer gewahrt bleiben». Fiat fühlt
sich an frühere Betriebsvereinbarungen
wie auch an die Verpflichtungen des Unternehmerverbands
Confindustria nicht mehr gebunden. Marchionne
hat folgerichtig den Austritt von Fiat aus der
Confindustria in Aussicht gestellt, deren Leitung
das Unternehmen jahrzehntelang innehatte.
Alle
Beschäftigten werden bis Anfang Februar
2012 in Kurzarbeit geschickt (die aus der Sozialversicherung
plus zusätzlichen staatlichen Hilfen bezahlt
wird). Danach muss jeder neu Eingestellte das
Diktat einzeln unterschreiben. Damit schafft
sich Fiat die Möglichkeit, Neinsager, aber
auch nicht mehr ganz so Leistungsfähige
auszusortieren. In das neue Werk will Marchionne
angeblich 1 Mrd. Euro investieren; produziert
werden SUVs der Marke Chrysler und Alfa. Die
Motoren dafür werden in den USA produziert,
nach Italien verfrachtet, dort auf Plattformen
eingebaut, die ebenfalls von Chrysler stammen,
und in die USA zum Verkauf zurückgeschickt.
Das Stammwerk Mirafiori wird keine Autos der
Marke Fiat mehr bauen.
Was
steht in dem «Schandvertrag»?
Arbeitszeiten:
Die Geschäftsleitung kann ohne Rücksprache
mit den Gewerkschaften frei zwischen verschiedenen
Optionen wählen: 15 Acht-Stunden-Schichten
verteilt über fünf Tage; 18 Acht-Stunden-Schichten
verteilt über sechs Tage; 12 Zehn-Stunden-Schichten
verteilt über sechs Tage. Die Belegschaft
ist zu 120 Überstunden im Jahr verpflichtet,
die auf bis zu 200 aufgestockt werden können.
Die
Pausen werden verkürzt auf 3 mal 10 Minuten
pro Schicht, die Essenspause kann auch am Ende
der Schicht eingenommen werden; für diese
Zeiten erhält der Arbeiter 32 Euro im Monat.
Die Arbeitsabläufe am Fließband sind
extrem durchgerechnet; ein US-amerikanisches
Zeiterfassungsmodell teil die Stunde in 100.000
Einheiten ein.
Krankheit:
Die ersten beiden Krankheitstage werden nicht
bezahlt – das soll die angeblich zu hohen
Fehlzeiten senken. Der hohe Arbeitsdruck und
die extrem kleinteiligen Arbeitsabläufe
von langer Dauer ziehen einen hohen Krankheitsstand
nach sich. Eine Umfrage der FIOM zufolge klagen
68% der Beschäftigten über Bandscheibenbeschwerden,
Sehnenscheidenentzündungen u.ä. Das
Durchschnittsalter liegt bei 48 Jahren; aber
auch Beschäftigte um die 38 leiden zu 45%
unter solchen Beschwerden (in der EU sind es
30%).
Arbeitnehmerrechte:
Gewerkschaften, die (wie die FIOM) das Diktat
nicht unterschrieben haben, haben kein Recht,
im Betrieb vertreten zu sein, die FIOM ist im
Werk Mirafiori die größte Gewerkschaft.
Aber auch jene, die den Vertrag unterschrieben
haben, können jederzeit vor die Tür
gesetzt werden. Die Eingangsklausel hebt den
«integralen Charakter» des Diktats
hervor: Wird nur eine der eingegangenen Verpflichtungen
von einem Einzelnen oder von einer Gruppe verletzt,
fühlt sich die Geschäftsleitung an
nichts mehr gebunden. Damit wird auch das Streikrecht
aufgehoben.
Vertretung:
Die gewerkschaftlichen Vertreter der Beschäftigten
dürfen von diesen nicht mehr gewählt
werden, sondern werden von den Gewerkschaften
ernannt.
Das
Referendum
Die
Geschäftsleitung hat das Diktat der Belegschaft
zur Abstimmung («Referendum» genannt!)
vorgelegt; die zur Information der Beschäftigten
notwendigen Betriebsversammlungen organisierte
sie selbst. Das Schriftstück bekamen die
Arbeiter nicht mal zu sehen; allein die FIOM
hat es vor den Werkstoren verteilt. Sie hat
das Referendum als «illegitim» verurteilt
und aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Mit Hilfe
der ebenfalls im Werk vertretenen Basisgewerkschaft
COBAS und unterstützt von zahlreichen Gruppen
aus dem Bündnis vom 14.Oktober –
u.a. durch verschiedene Aufrufe und Unterschriftensammlungen
von Intellektuellen und linken Medien –
hat sie eine äußerst intensive Informationsarbeit
gegenüber der Belegschaft und der Öffentlichkeit
betrieben.
Die
Abstimmung fand am 14.Januar statt. Alle gingen
davon aus, dass eine große Mehrheit mit
Ja stimmen würde – wegen der Gehirnwäsche
durch die Unternehmerpropaganda, aber vor allem
wegen der Erpressung: Stimmst du mit Nein, bist
du deinen Arbeitsplatz los. Doch so kam es nicht:
Das Ja hat knapp mit 54%, gegenüber 46%
Nein-Stimmen, gewonnen; unter den Arbeitern
war das Ja mit nur 9 Stimmen (!) in der Überzahl;
an den Montagebändern war das Nein überwältigend.
Die FIOM, die bei Mirafiori bislang 600 Mitglieder
zählte und deren Vertreter bei Wahlen 900
Stimmen erzielten, hatte fast 2500 Arbeiter
hinter sich gebracht. Unter den Arbeitern war
die Schwelle von 51%, die Marchionne selbst
als Voraussetzung für die Durchführung
seiner Pläne genannt hatte, nicht erreicht
worden. Es waren auch diesmal wieder die Vorarbeiter,
Angestellten und Manager, die den (sehr knappen)
Ausschlag für das Ja gegeben haben. Alle,
die in diesem Konflikt auf der Seite der FIOM
standen, haben das Ergebnis als großen
Erfolg gewertert.
Hoffnungsträger
Die
FIOM war wegen ihrer Weigerung, das Diktat zu
unterzeichnen, einer massiven Kampagne ausgesetzt
– nicht nur von Seiten der gesamten Presse
und aller im Parlament vertretenen Parteien
sowie der Wissenschaftler und Journalisten in
deren Schlepptau, sondern auch innerhalb der
CGIL, deren Mitgliedsorganisation sie ist. Die
Demokratische Partei (PD, ein Überbleibsel
der früheren KP) betonte, zur versprochenen
Milliardeninvestition gebe es «keine Alternative».
Der PD-Bürgermeister von Turin, Piero Fassino,
hat rundheraus erklärt: «Ich würde
mit Ja stimmen.» Der Flügel in der
CGIL, der sich an der PD orientiert, gab zu
bedenken, die Gewerkschaften dürften die
Unterschrift nicht verweigern, und sei der Vertrag
noch so schlecht – sonst wären sie
«aus dem Spiel». Selbst noch nach
der Abstimmung legten sie der FIOM nahe, nachträglich
eine «technische Unterschrift» zu
leisten.
Die
FIOM hat das konsequent zurückgewiesen.
Sie hat dafür vier Argumente ins Feld geführt:
1. Eine nachträgliche Unterschrift wäre
ein Canossagang, der die im «Referendum»
neu gewonnenen Legitimität und Verhandlungsmacht
wieder aufs Spiel setzen würde.
2.
Die FIOM verliert durch den Vertrag bedeutende
Rechte, darunter das Recht, Betriebsversammlungen
einzuberufen, sich frei im Betrieb zu bewegen,
Versammlungsräume und Infotafeln zu bekommen,
die Mitgliedsbeiträge von der Geschäftsleitung
einziehen zu lassen, das Recht auf Information
und Beratung. Doch sie ist nicht handlungsunfähig:
Das Koalitionsrecht ist nicht aufgehoben, die
Arbeiter dürfen sich versammeln und für
die Gewerkschaft werben, da die von den Gewerkschaftern
zu benennenden Vertreter mindestens 40% der
Arbeiter vertreten müssen, kann die FIOM
vor den Werkstoren eigene Versammlungen durchführen
und Delegierte wählen.
3.
Den Gewerkschaften, die unterschrieben haben,
sind durch die Präambel die Hände
gebunden, ihre Rechte können jederzeit
von der Geschäftsleitung widerrufen werden.
Sie werden nur als Anhängsel der Geschäftsleitung
toleriert, als Agenten des Kapitals.
Die
FIOM will den Konflikt offenhalten und erwägt
weitere Schritte.
Gerichtlich: Sie will gegen die Präambel
klagen und behält sich vor, jeden Schritt
der Geschäftsleitung, der «die freie
Ausübung der gewerkschaftlichen Betätigung
und das Streikrecht be- oder verhindert»,
vor Gericht zu bringen. Dabei stützt sie
sich auf das Arbeiterstatut (Betriebsverfassung)
von 1970.
Aber
auch politisch: Sie hat den Generalstreik vom
28.Januar einberufen, dem sich auch die Studenten
angeschlossen haben – das «Volk
der Linken» wird auch diesmal wieder geschlossen
auf den Beinen sein. Dieser Streik ist nochmals
aktueller geworden, weil der Verband der Metallarbeitgeber,
die Federmeccanica, gefordert hat, den nationalen
Tarifvertrag ganz abzuschaffen.
Und
die FIOM setzt die Auseinandersetzung innerhalb
der CGIL fort, indem sie von ihr verlangt, dass
sie die Teile der Verträge von Pomigliano
und Mirafiori kündigt, die das Streikrecht
verletzen.
Der
große Erfolg der FIOM in dieser Auseinandersetzung
besteht darin, dass sie es geschafft hat, die
Linke, die einen kompromisslosen Kampf um die
Würde der arbeitenden Menschen und um die
Bürgerrechte führt, hinter sich zu
vereinen und die Arbeiterfrage wieder in den
Mittelpunkt der öffentichen Auseinandersetzung
zu rücken. Ein gewerkschaftlicher Kampf
erhält wieder eine zentrale strategische
Bedeutung für die gesellschaftliche Orientierung
des Landes.
Die
FIOM ist damit über ihre Rolle als Gewerkschaft
hinaus gewachsen und zu einem politischen Hoffnungsträger
geworden. Sie hat die Ehre der Gewerkschaft
als Instrument der Verteidigung der Arbeiter
gerettet.
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