Die
Leiharbeit hat sich in den letzten Jahren zu
einem sozialpolitischen Thema ersten Ranges
entwickelt. Sie steht wie kaum ein anderes Konfliktfeld
stellvertretend für den Umbau der Arbeitswelt
in Richtung Prekarisierung.
Dabei
gibt es das Recht auf die sog. Arbeitnehmerüberlassung
bereits seit 1952 und die Gründung der
ersten Unternehmen, die sich darauf spezialisierten,
erfolgte Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts.
1970 schloss die damalige DAG den ersten Tarifvertrag
mit einem Zeitarbeitsunternehmen ab. In den
70er Jahren wurden gesetzliche Regelungen für
einen sozialen Mindestschutz der Zeitarbeiter
beschlossen. In der Kohl-Ära wurde das
Baugewerbe aus dem Bereich der erlaubten Leiharbeit
herausgenommen und die Höchstverleihdauer
von 3 auf 6 Monate verlängert.
Richtig
in Fahrt kam die Branche jedoch erst durch die
Regierung Schröder, die 1997 eine Reform
des AÜG auf den Weg brachte. Die Höchstverleihdauer
wurde von 9 auf 12 Monate verlängert, und
der Start ins Berufsleben wurde als Leiharbeit
möglich. Die Befristung des Arbeitsvertrags
ohne Vorliegen sachlicher Gründe wurde
ebenso erlaubt wie die lückenlose Aufeinanderfolge
von Leiharbeitsverträgen. Schließlich
entfiel die Wartefrist für die Wiedereinstellung
von Zeitarbeitern. 1999 schloss die IG Metall
einen ersten Arbeitsvertrag in der AÜG
für die Expo in Hannover ab.
Die
SPD schob auch die zweite Reform der Arbeitnehmerüberlassung
an. Im Rahmen der Hartz-Gesetze wurde 2004 das
Gesetz «für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt» verabschiedet. Es hob
die zeitliche Grenze fürs Verleihen ganz
auf und auch das sog. Synchronisationsverbot
– Zeitarbeitsunternehmen können Arbeitnehmer
danach für einen zeitlich befristeten Bedarf
an einen einzigen Arbeitgeber ausleihen und
danach kündigen.
Miese
Bedingungen trotz Tarifverträge
Inzwischen
gibt es über 42.000 Betriebe in der Zeitarbeit.
Mitgliederstärkster Verband ist der Arbeitgeberverband
der Mittelständischen Personaldienstleister
(AMP). Der Umfang der abgeschlossenen Arbeitsverträge
hat sich binnen eines Jahrzehnts fast verdreifacht.
Ermittelte der DGB-Bundesvorstand für 2001
noch 367.000 Zeitarbeiter, so waren es 2010
923.000. Dieses Jahr erwartet er das Überschreiten
der Millionengrenze. IG-Metall-Vorstand Wetzel
hält es nicht für ausgeschlossen,
dass diese Entwicklung anhält und am Ende
2,5 Millionen abhängig Beschäftigte
in dieen Bereich verschoben werden. Diese Größenordnung
hat der Bezirksleiter der IGM Hannover, Jörg
Köther, aus den Prognosen der Branchenverbände
hochgerechnet.
Eine
Umfrage unter 5150 Betriebsräten im Organisationsbereich
der IG Metall ergab, dass 85% der 2009 bis Mitte
2010 einstellenden Betriebe überwiegend
auf prekäre Arbeitsverhältnisse setzten.
Leiharbeiter sind mit 43% darunter die größte
Gruppe. Zeitarbeit ist ein dauerhaftes und wachsendes
Segment des Arbeitsmarkts geworden, sie ist
kein Wirtschaftszweig, der nur die berühmten
Auftragsspitzen abarbeitet oder Arbeitskräfte
für saisonale oder projektbegrenzte Tätigkeiten
vermittelt.
Der
Lohn eines Leiharbeiters liegt im Durchschnitt
30% unter dem Einkommen ihrer Kollegen aus den
sog. Stammbelegschaften. Auch 50% sind keinesfalls
eine große Ausnahme. Diese Schlechterstellung
trifft auch den Teil der Zeitarbeiter, der eine
Ausbildung hat: auch sie erhalten oft weniger
als unqualifizierte Festangestellte. Die Mehrheit
der Beschäftigten in der Zeitarbeit gehört
zum Niedriglohnsektor. Der durchschnittliche
Lohn einer Vollzeitkraft in diesem Bereich betrug
2009 1393 Euro brutto, einschließlich
sämtlicher Zulagen. Nach Berechnungen der
Bundesagentur für Arbeit hat die Branche
mit 12% auch den größten Anteil an
Hartz IV-Aufstockern. Nach einer Studie des
DGB ist das Risiko, arbeitslos zu werden, für
Ausgeliehene im verarbeitenden Gewerbe zehnmal
größer als für Stammbelegschaften.
Die Chance auf Überwindung des Leiharbeiterstatus
und auf eine dauerhafte Übernahme in ein
reguläres Arbeitsverhältnis liegt
bei gerade 7%.
Die
Zeitarbeit hat ihr anfängliches Nischendasein
hinter sich gelassen und ist zu einem wirksamen
Hebel geworden, mit dem Unternehmen die Gehälter
und Arbeitsbedingungen ihrer Belegschaften verschlechtern
können. Sie ersetzt Teile der Stammbeschäftigten
durch Arbeitnehmer, die weniger verdienen und
länger arbeiten. Die Betroffenen sind einem
starken Anpassungsdruck ausgesetzt, weil sie
sich im Status «ständiger Probezeit»
befinden. Ihre Kündigung ist problemlos.
Die noch verbleibenden regulär Beschäftigten
wiederum bekommen vorgeführt, was ihr Schicksal
sein kann, sollten die Firma mit ihrer Arbeitsleistung
nicht mehr zufrieden sein.
Auf
dem Vormarsch
Leiharbeit
ist im verarbeitenden Gewerbe auf dem Vormarsch
und boomt auch im Dienstleistungssektor. Große
Unternehmen wie die Volkswagen AG unterhalten
eigene Zeitarbeitsfirmen (Autovsion): Letztere
wurde etwas bekannter, als ein Teil der in der
Krise abgebauten Zeitarbeitnehmer sich gegen
ihre Entlassung mit einem Hungerstreik öffentlichkeitswirksam
zur Wehr setzten. BMW hat die Leiharbeiterquote
seines Leipziger Werks auf 30% erhöht,
und auch die Daimler AG will den Anteil ihrer
Zeitarbeit über die mit dem Betriebsrat
vereinbarte Höchstgrenze hinaus aufstocken.
Ob der Verlag Gruner + Jahr, Wohlfahrtsverbände
wie die AWO, die in Dortmund allein vier eigene
Zeitarbeitsfirmen betreibt, oder öffentliche
Einrichtungen wie das Klinikum Essen, das gern
3000 der 5500 Beschäftigten als hauseigene
Leihkräfte beschäftigen möchte
– überall wird zum Angriff auf gewerkschaftlich
erkämpfte Sozialstandards und Rechte geblasen.
In
besonders dreister Form versuchte es der Drogeriediscounter
Schlecker, der Dutzende von Standorten schließen
und sie dann als XL-Märkte wieder öffnen
wollte. Tausende von Beschäftigten sollten
über eine als 100%ige Tochter firmierende
Zeitarbeitsfima so verschoben werden, dass sie
entweder ihren Job los gewesen oder bereit gewesen
wären, als Leiharbeiter ohne Tarifbindung
bei halbierten Löhnen und ohne Zahlung
von Urlaubs- und Weihnachtsgeld weiterzuarbeiten.
Dieser Coup konnte jedoch durch öffentlichen
Druck verhindert werden.
Schlecker
unterschrieb eine Vereinbarung mit Ver.di, die
künftig allen 34000 Beschäftigten
den Tarifvertrag des Einzelhandels zusichert.
Die Grauzone ist wahrscheinlich riesig. So wurde
durch einen Selbsttest im Niedriglohnsektor
des Journalisten Markus Breitscheidel bekannt,
dass die Bayer AG ihren Festangestellten in
der Pillenproduktion 17,50 Euro plus Zulagen
zahlt, Leiharbeiter jedoch mit einem Hungerlohn
von 6,42 Euro abspeist.
DGB
blamiert
Die
Politik der Gewerkschaften in diesem Bereich
ist lehrreich, jedoch nicht unbedingt im positiven
Sinn. Bis zur rot-grünen Ära lehnte
der DGB das Vertragsverhältnis der Leiharbeit
ab, da sie die Unsicherheit und Abhängigkeit
der Arbeitnehmer fördert. Zeitarbeitsfirmen
hatten den Ruch moderner Sklavenhalter. Doch
dann stimmte der DGB der AÜG-Reform der
Schröder-Fischer-Regierung zu und vollzog
– getrieben durch die sog. christlichen
Gewerkschaften, die im großen Stil begannen,
Gefälligkeitstarifverträge abzuschließen
– die Wende von der Ablehnung zur Regulierung
der Zeitarbeit.
Das
Ergebnis ist für gewerkschaftliche Ansprüche
ein Desaster. Die von der Tarifgemeinschaft
der christlichen Gewerkschaften CGZP vereinbarten
Mindestlöhne (Entgeltgruppe 1) –
sie gelten für 200.000–300.000 Beschäftigte
– liegen aktuell bei 7,60 Euro (West)
und 6,40 Euro (Ost). Die Einstiegslöhne
der Tarifgemeinschaft des DGB, iGZ, die für
rund 500.000 Zeitarbeitnehmer Anwendung finden
– liegen im Westen ebenfalls bei 7,60
Euro und sind im Osten mit 6,65 Euro gerade
mal um 0,15 Euro günstiger.
Bekanntlich
beträgt die offizielle Mindestlohnforderung
der DGB-Gewerkschaften 8,50 Euro. Und auch diese
Forderung ist magere Kost, bedenkt man, dass
– so eine Studie des WSI – ein Stundenlohn
von 9,47 Euro über 45 Versicherungsjahre
nötig ist, um auch nur die Grundsicherung
von 676 Euro zu erreichen.
Wenn
jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Tarifverträge
der CGZP wegen fehlender Tariffähigkeit
für nichtig erklärt hat, können
die Beschäftigten in diesem Bereich auf
Nachzahlungen hoffen, denn für sie gilt
jetzt die EU-Gleichstellungsrichtlinie. Die
den Verträgen der iGZ unterworfenen Leiharbeiter
können dies nicht. Statt den Spruch des
BAG abzuwarten, haben die DGB-Vertreter einen
Vertrag geschlossen, der bis zum 31.10.2013
gilt.
Der
DGB-Vorstand hat die Überlebenshoffnungen
vieler Stammbelegschaften bedient, die darauf
setzen, dass die Prekarisierung eines Teils
der Beschäftigten die Wettbewerbsfähigkeit
der Firma verbessert und damit die Sicherheit
des eigenen Arbeitsplatzes erhöht.
Doch
die reale Entwicklung dokumentiert eher den
Verfall gewerkschaftlicher Grundwerte. Und sie
macht auch deutlich, dass dieses Kalkül
nicht aufgeht. Denn die Unternehmen setzen gerade
auf die Zeitarbeit, um die sog. Stammbelegschaften
besser angreifen zu können. Das ist jetzt
auch in den Gewerkschaftsvorständen angekommen.
Doch zur naheliegenden Konsequenz können
sie sich nicht durchringen: Rückkehr zur
Forderung nach Abschaffung der Leiharbeit.
|