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Deutschland vor den Wahlen

Eine linke Alternative?

von Peter Streckeisen, Juli 2005

 
Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai hat Bundeskanzler Schröder vorgezogene Neuwahlen angekündigt, die aller Voraussicht nach am 18. September 2005 stattfinden. Der Wahlgang in der „grössten Industrieregion Europas“, einer traditionellen Hochburg der Sozialdemokratie, hat der Partei des Kanzlers eine herbe Niederlage gebracht: Nach 39 Jahren „an der Macht“ muss die SPD die Landesregierung an eine konservativ-liberale Koalition abgeben. Damit ist die letzte verbleibende rot-grüne Landesregierung abgewählt worden.

Nun sucht der Kanzler die Flucht nach vorn. Auch im Vorfeld der letzten Bundestagswahl im Herbst 2002 hatten alle Umfrageinstitute die SPD schon lange abgeschrieben. Doch gelang es Gerhard Schröder, durch die Instrumentalisierung einer Hochwasserkatastrophe in Ostdeutschland und seine opportunistische Kritik an den US-Kriegsplänen im Irak, das Steuer in letzter Minute herumzureissen: SPD und CDU/CSU erzielten denselben Stimmenanteil, und weil die Grünen besser abschnitten als die FDP, konnte Schröder die nach 16 Jahren konservativer Regierung von H. Kohl im Herbst 1998 an die Macht gekommene rot-grüne Koalition weiterführen.

Das zweite Mandat von Rot-Grün war geprägt durch die Agenda 2010, den umfassendsten Angriff auf die sozialen und ökonomischen Rechte der Lohnabhängigen seit dem Zweiten Weltkrieg. Besonders das Gesetz Hartz IV, das den Anspruch auf Arbeitslosengeld drastisch senkt und die Arbeitslosen viel stärker als bisher zwingt, jeden verfügbaren Job anzunehmen (1-Euro-Jobs) oder „selbständig“ zu werden (Ich-AG), ist auf breite Ablehnung gestossen. Am 3. April 2004 gingen 500'000 Menschen auf die Strasse, um gegen die Politik der Regierung zu protestieren. Im Herbst 2004 beteiligten sich Zehntausende Woche für Woche an den so genannten Montagsdemos. Die SPD befindet sich in einer tiefen Krise und verliert nicht nur Wähleranteile, sondern auch Mitglieder in beträchtlichem Ausmass. In 9 von 11 Wahlgängen auf Landesebene, die nach der Bundestagswahl 2002 stattgefunden haben, musste die Partei eine Niederlage einstecken (siehe Tabelle).

Kurzum: Die Politik der rot-grünen Regierung ist unpopulär, und eine Wiederwahl von Schröder, Fischer & Co. ist unwahrscheinlich. Die SPD-Chefs, allen voran der Parteivorsitzende Franz Müntefering, malen zwar das Schreckgespenst eines Sozialkahlschlags im Falle eines Regierungswechsels an die Wand, reden plötzlich einer stärkeren Besteuerung der Reichen und höheren Löhnen das Wort und versuchen sogar, die Kapitalismuskritik des guten alten Marx für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Doch dieser Propaganda fehlt jegliche Glaubwürdigkeit, weil die rot-grüne Regierung selbst sieben Jahre lang ihre Politik im Dienste der „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Wirtschaft gegen alle sozialen Proteste kompromisslos durchgesetzt hat. Aus der Sicht der Bourgeoisie besteht das Verdienst von Gerhard Schröder sicherlich darin, die Transformation der Sozialdemokratie nach dem Vorbild des britischen New Labour entscheidend vorangebracht zu haben. Durch die Integration der Gewerkschaftsführungen in die Umsetzung der neokonservativen Agenda von Sozialabbau, Privatisierung und Unterdrückung wurde es möglich, deutlich weiter zu gehen, als dies vorher CDU-Kanzler Kohl tun konnte. Doch nun bricht Schröder wohl die Basis weg, und die Unternehmenschefs werden mehrheitlich auf die konservative Karte von Angela Merkel setzen, von der sie sich eine verschärfte Fortführung der bisherigen Politik erhoffen.

Im Gegensatz zum letzten Regierungswechsel von 1998, als Rot-Grün an die Macht kam, gibt es in der Bevölkerung weniger Illusionen bezüglich einer Veränderung der Regierungspolitik zum Besseren. Laut dem Allensbacher Institut für Demoskopie erwarten drei Viertel der Deutschen, dass es im Herbst zu einem Regierungswechsel kommt, aber nur 34% betrachten dies als Signal der Hoffnung für das Land (Neue Zürcher Zeitung, 17. Juni 2005). Vor dem Hintergrund dieser scheinbaren politischen Alternativlosigkeit, und angesichts einer durch die Politik der Regierungen, die brutalen Restrukturierungen der Konzerne und die auf über 5 Millionen gestiegene Zahl der Arbeitslosen weiter verschärften sozialen Krise stellt sich die Frage ob es möglich ist, den in der Bevölkerung verbreiteten Unmut und den Wunsch nach einer anderen Politik auf die politische Bühne zu tragen.

Als Reaktion auf die brutale Politik der Regierung Schröder ist eine neue Partei links von der SPD entstanden, die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) (siehe Kasten ). Sie hat in Nordrhein-Westfalen erstmals an Wahlen teilgenommen und einen Anteil von 2.2% (181'000 Stimmen) erreicht. Gleich nach diesem Wahlgang hat Oskar Lafontaine, der sozialdemokratische Rivale von Gerhard Schröder, seinen Austritt aus der SPD bekannt gegeben und erklärt, er stehe als Kandidat der WASG zur Verfügung, sofern eine gemeinsame Liste mit der PDS zustande komme.

Nach den Parteitagen der WASG (3. Juli) und der PDS (17. Juli) und nach der Urabstimmung in der WASG ist es zu einer gemeinsamen Liste, bei der es sich juristisch gesehen um eine offene Liste der PDS handelt, gekommen. Listenverbindungen sind in der Bundesrepublik nämlich verboten. Die PDS hat sich in "Die Linkspartei-PDS" umbenannt. Die Liste kann in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Bezeichnungen tragen, um den jeweiligen politischen Sensibilitäten Rechnung zu tragen. Die Anführer der Kampagne werden Oskar Lafontaine (siehe Kasten )und Gregor Gysi (siehe Kasten ), zwei bekannte Gesichter mit grosser Medienwirkung. Mittelfristig werden Verhandlungen über eine Fusion der beiden Parteien in die Wege geleitet.

Diese Entwicklung stellt für die deutsche Linke eine grosse Herausforderung dar. Es wäre ein bedeutender Schritt, wenn links von der SPD eine Opposition entstehen würde, die in der ganzen Bundesrepublik verankert und im Bundestag mit einer Fraktion vertreten ist. Meinungsforschungsinstitute sagen dem Linksbündnis ein Stimmenpotenzial von ca. 10% voraus, während sowohl die WASG als auch die PDS im Alleingang an der 5%-Hürde für den Einzug in den Bundestag scheitern könnten. Bedeutungsvoll wäre es auch, wenn eine Linkspartei das traditionelle „politische Monopol“ der SPD auf dem Gebiet der sozialen Frage angreifen könnte. Es stellte sich dann die Frage, wie die Gewerkschaftsführungen, die trotz zwischenzeitlicher Kritik im entscheidenden Moment der SPD immer die Stange gehalten haben, auf diese neue Konstellation reagieren würden.

Allerdings gibt es auch Bedenken, die vor allem innerhalb der WASG vorgetragen werden und wohl nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Da ist einmal die Tatsache, dass es sich um zwei sehr ungleiche Partner handelt. Die PDS ist aus der DDR-Staatspartei (SED) entstanden und zählt ca. 60'000 Mitglieder, wovon über zwei Drittel Rentner sind. In den alten Bundesländern ist es ihr 15 Jahre nach der Wende immer noch nicht gelungen, wirklich Fuss zu fassen. Es lässt sich kaum behaupten, die PDS habe sich in den letzten Jahren nach links entwickelt. Der Versuch eine PDS-Linke aufzubauen, die etwas anderes vertritt als eine nostalgische Verklärung vergangener Zeiten, ist klar gescheitert. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sich die Partei an Regierungen mit der SPD und trägt deren Politik von Sozialabbau und Privatisierung voll mit. Die PDS-Führung hat die aus den Reihen der WASG formulierte Forderung nach einem Austritt aus diesen Landesregierungen kategorisch zurückgewiesen. Doch sie will das Bündnis mit der WASG, weil es vielleicht die letzte Chance ist, das Image der Ost-Partei endlich abzustreifen.

Eine Gefahr liegt auch in den Eigendynamiken der institutionellen Politik, die jedem emanzipatorischen politischen Projekt zum Verhängnis werden kann. Die Führungen beider Parteien verfolgen offensichtlich in erster Linie wahltaktische Perspektiven, auch wenn viele Basismitglieder in sozialen Bewegungen aktiv sind. Die Art und Weise, in der im Eiltempo und hinter verschlossenen Türen über das Wahlbündnis verhandelt wird, hat vor allem in der WASG einige Kritik hervorgerufen. Zudem sind Oskar Lafontaine und Gregor Gysi keine unbekannten Grössen. Es handelt sich um ausgebuffte Politprofis, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie zu

opportunistischem Verhalten bereit sind und sich mehr um die Medien kümmern als um die Anliegen der Basis oder um demokratische Regeln in ihrer Partei. Und trotz der zur Schau gestellten Feindschaft zu Gerhard Schröder hat Oskar Lafontaine in Wirklichkeit bei der „Modernisierung“ der SPD eine zentrale Rolle gespielt. Dasselbe lässt sich von Gregor Gysi beim Umbau der SED/PDS von der „real-sozialistischen“ zur sozialliberal-kapitalistischen Regierungspartei sagen.

Im Schatten der Wahlkampfhektik finden derweil Entwicklungen statt, die weniger öffentliche Aufmerksamkeit finden als sie verdienen. Am 21. Juni 2005 hat die Gewerkschaft IG Bau einem Tarifvertrag für das Bauhauptgewerbe zugestimmt, der eine Erhöhung der Arbeitszeit von 39 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich vorsieht, was einer flächendeckenden Lohnkürzung von 2,5% entspricht (Junge Welt, 22. Juni 2005). Das den Unternehmern nahe stehende deutsche Handelsblatt hat daraufhin festgehalten: „Die Tarifabschlüsse (…) geben ein erstaunlich treffendes Bild vom Zustand der Republik: Die Sachzwänge hindern Gewerkschafter und Sozialdemokraten an der Flucht in verteilungspolitische Wunschwelten, egal, was sie in kämpferischer Rhetorik verkünden. Zugleich macht sich die Erwartung breit, dass der eigentliche Umbruch noch bevorsteht - ob beim Flächentarif, im Arbeitsrecht oder der Sozialversicherung. (…) Was nutzt ein Tarifvertrag, der auf breiter Front für Lohneinbussen sorgt? Er untergräbt den Rückhalt der Gewerkschaft bei den Beschäftigten“ (Handelsblatt online, 23. Juni 2005).

Wichtige politische Entwicklungen finden eben auch ausserhalb von Parlamenten und Regierungen statt oder werden diesen Instanzen durch das Kapital mehr oder weniger aufgezwungen. Auch dies ist zu berücksichtigen, wenn es darum geht, wie sich die Linke im Bundestagswahlkampf verhalten soll.

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WASG

Die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) entstand letztes Jahr aus Protest gegen die so genannte Arbeitsmarktreform der Regierung (Hartz-Gesetze). Sie hat am 6.-8. Mai 2005 in Dortmund ihren ersten Parteitag abgehalten. Die WASG zählt aktuell etwa 6'500 Mitglieder. Am stärksten ist sie in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg verankert. Ihr Programm plädiert für eine durch die SPD verratene sozialdemokratische und keynesianische Politik. Neben enttäuschten SozialdemokratInnen beteiligen sich zahlreiche AktivistInnen von sozialistischen Gruppierungen oder von ATTAC an der WASG. Im Bundesvorstand haben Gewerkschaftsfunktionäre (vor allem aus der IG Metall) viel Einfluss. Die WASG hat sich 2004 anlässlich der Montagsdemos und der Arbeitskämpfe bei Opel, Mercedes, usw. nicht gerade stark exponiert.

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Oskar Lafontaine

Der 1943 geborene Physiker war 1985-1998 Ministerpräsident des Saarlandes und 1979-1999 Mitglied des SPD-Bundesvorstands. 1988 wurde er mit der Leitung der Arbeitsgruppe betraut, die das Programm für die Bundestagswahl von 1990 ausarbeitete. Damals sprach er sich zum Beispiel für eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich aus. Nach dem Wahlsieg von 1998 ernannte Gerhard Schröder ihn zum Finanzminister. Durch den abrupten Rücktritt im März 1999 und sein Buch „Das Herz schlägt links“ wurde Lafontaine zur Galionsfigur der „traditionellen“ SozialdemokratInnen, welche die Verwandlung der SPD in eine sozialliberale Partei kritisieren. Am 18. Juni 2005 hat die WASG in Nordrhein-Westfalen Lafontaine zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt. Kurz zuvor hatte er für Schlagzeilen gesorgt, als er bei einer Rede in Chemnitz sagte, der Staat müsse verhindern, dass Fremdarbeiter den Deutschen ihre Arbeitsplätze wegnehmen.

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Gregor Gysi

Der 1948 geborene Jurist und Sohn eines DDR-Kulturministers war in den Jahren der „Wende“ (1989-1993) Vorsitzender der Staatspartei SED bzw. von deren Nachfolgepartei PDS. Dann leitete Gysi die PDS-Gruppe/Fraktion im Bundestag, bis er im Jahr 2000 alle Parteiämter niederlegte. 2001 wurde er Wirtschaftsminister der rot-roten Berliner Landesregierung (SPD/PDS), musste aber nach wenigen Monaten wegen der so genannten Flugmeilen-Affäre zurücktreten. In der DDR war Gysi ein bekannter Rechtsanwalt, der unter anderen „Systemkritiker“ wie R. Bahro verteidigte. 1988 wurde er zum Vorsitzenden des Berliner Kollegiums der Rechtsanwälte gewählt. Im Mai 1998 stellte der Immunitätsauschuss des deutschen Bundestags fest, Gysi habe Jahre lang im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit - im Volksmund „Stasi“ genannt - gearbeitet. PDS und FDP stimmten dem Urteil nicht zu.


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Ergebnisse der Landtagswahlen seit der letzten Bundestagswahl (2002) in Prozent
Bundesland Wahldatum
SPD
CDU/CSU
Grüne
FDP
PDS
Übrige
Niedersachsen 02.02.2003
33.4
48.3
7.6
8.1
0.5
2.1
Hessen 02.02.2003
29.1
48.8
10.1
7.9
-
4.1
Bremen 25.05.2003
42.3
29.8
12.8
4.2
1.7
9.2
Bayern 21.09.2003
19.6
60.7
7.7
2.6
-
9.4
Hamburg 29.02.2004
30.5
47.2
12.3
2.8
-
7.2
Thüringen 13.06.2004
14.5
43.0
4.5
3.6
26.1
8.3
Saarland 05.09.2004
30.8
47.5
5.6
5.2
2.3
8.6
Brandenburg 19.09.2004
31.9
19.4
3.6
3.3
28.0
13.9
Sachsen 19.09.2004
9.8
41.1
5.1
5.9
23.6
14.5
Schleswig-Holstein 22.02.2005
38.7
40.2
6.2
6.6
0.8
7.5
Nordrhein-Westfalen 22.05.2005
37.1
44.8
6.2
6.2
0.9
4.8
Bundestagswahl 22.09.2002
38.5
38.5
8.6
7.4
4.0
3.0