Der Streik im öffentlichen Dienst in Deutschland
geht in die 3.Woche. In Baden-Württemberg,
Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen,
Hamburg, dem Saarland und Sachsen stehen derzeit
insgesamt 33.000 Beschäftigte im Streik:
Müllwerker, Krankenhausangestellte, Straßenreinigungsdienste,
Universitätskliniken, aber auch Theaterhäuser,
Stadtverwaltungen, Sparkassen…
Auf
dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger
als die Verteidigung der bisherigen Arbeitszeiten
und die Existenz eines einheitlichen Tarifvertrags
im öffentlichen Dienst. Die Tarifgemeinschaft
der Länder will die Ausdehnung der Arbeitszeit
von 38,5 auf 40 Stunden pro Woche, außerdem
eine Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld
sowie Sonderzuweisungen je nach Kassenlage der
Länder. Die Gewerkschaft Ver.di und der
kleinere Beamtenbund wollen, dass die Länder
den im vergangenen neu ausgehandelten Tarifvertrag
öffentlicher Dienst übernehmen, der
formal die 38,5-Stunden-Woche unangetastet lässt.
Am 26.3. sind in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz
und Sachsen-Anhalt Landtagswahlen. Ver.di hofft,
dass dies auf die Innenminister der Länder
genügend Druck ausübt, damit sie kompromissbereit
werden.
Das
Problem ist, dass es "den" öffentlichen
Dienst immer weniger gibt, seit im vergangenen
Jahr der seit 1961 bestehende Bundesangestelltentarifvertrag
durch den Tarifvertrag öffentlicher Dienst
abgelöst wurde. Die föderale Struktur
bringt es mit sich, dass es drei Arbeitgeber
im öffentlichen Dienst gibt: den Bund,
die Länder und die Kommunen. Nur mit zweien
konnte Ver.di den neuen Vertrag abschließen:
mit dem Bund und mit den Kommunen. Die Länder
scherten frühzeitig aus den Verhandlungen
aus, weil sie keine Festschreibung der 38,5-Stunde-Woche
wollten. Jetzt will Ver.di sie dazu in einem
separaten Arbeitskampf zwingen – die Chancen
stehen nun deutlich schlechter. Auf die Salamitaktik
der Arbeitgeber hatte Ver.di im vergangenen
Jahr keine Antwort – und das droht sich
jetzt zu rächen. Hinzu kommt, dass der
neue Tarifvertrag öffentlicher Dienst so
recht nach dem Geschmack der neoliberalen Modernisierer
in Politik und Verwaltung war – und auch
von der Ver.di-Spitze als Aufbruch in ein "modernes
Staatswesen" gefeiert wurde: mit flexiblen
Arbeitszeiten, niedrigeren Einstiegstarifen
und leistungsorientierter Bezahlung statt dem
bisher geltenden Beförderungsprinzip. "Angesichts
neuer Rahmenbedingungen muss der öffentliche
Dienst seine Veränderungsbereitschaft beweisen,
wenn er nicht abgewickelt werden will",
sagte Ver.di-Chef Bsirske damals und steht auch
heute noch zu. Die Arbeitgeber lobten den Vertrag
über den grünen Klee und die Reformbereitschaft
der Gewerkschaft.
Tatsache
aber ist, dass der neue Tarifvertrag einen Einstieg
in den Ausstieg aus dem Flächentarif darstellen
sollte. Diesen Kurs setzen die öffentlichen
Arbeitgeber jetzt sehr gezielt fort. Der Bund
setzt die Beamten als Vorreiter ein: die Große
Koalition hat diesen die Arbeitszeit von 40
auf 42 Stunden in der Woche verlängert
– der Bund kann das einseitig festsetzen,
Beamte dürfen nicht streiken. Ein weiterer
Spaltpilz ist der Osten: hier sind die Löhne
generell niedriger und die Arbeitszeiten länger.
Ver.di hatte mit den ostdeutschen Bundesländern
die 40-Stunden-Woche fest vereinbart. "Was
im Osten richtig ist, kann im Westen nicht falsch
sein", sagen sie jetzt. hinzu kommt, dass
die kommunalen Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz
und in Baden-Württemberg den gerade erst
geschlossenen Tarifvertrag wieder gekündigt
haben und sich der Forderung der Länder
nach Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich
anschließen.
Die
öffentlichen Arbeitgeber operieren vor
allem mit zwei Argumenten. Sie sagen: Für
18 Minuten Mehrarbeit am Tag bricht man keinen
teuren Streik vom Zaun. Und: Die Kassen sind
leer. Und: Wenn die Gewerkschaft nicht nachgibt,
privatisieren wir die öffentlichen Dienste.
Gegen diese "Argumente", die an Erpressung
grenzen, hilft nur eine Politisierung des Streiks,
also eine maximale Ballung gewerkschaftlicher
Kampfkraft bei maximaler Einbeziehung der Belegschaften
und der Konsumenten. Gegen die Angriffe der
Arbeitgeber stellt Ver.di nur den Abwehrkampf,
und den auch noch gepaart mit früheren
Konzessionen. Das ergibt keine Perspektive für
einen gesamtgesellschaftlichen Kampf für
Arbeitszeitverkürzung. Ohne die wird sich
der Tarifkampf aber nicht gewinnen lassen. Es
besteht die Gefahr, dass Ver.di diesen Kampf
ähnlich mit Pauken und Trompeten verliert
wie die IG Metall ihre Versuch, die 35-Stunden-Woche
in Ostdeutschland durchzusetzen - allein gestützt
auf die schwache Mobilisierungskraft im Osten.
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