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Boom bei den Privatschulen

Deutschland: Wie Kommerzielle und Evangelikale
sich auf dem Bildungsmarkt breitmachen

von Larissa Peiffer-Rüssmann - SoZ Nr. 03/2010, April 2010


Der Staat zieht sich zunehmend aus der Bildungsfinanzierung zurück, Bildung wird vermehrt zur Privatsache. Der Bildungsbereich wird zu einem Markt, auf dem Wettbewerb herrscht und wo private Investoren die Ware Bildung für diejenigen anbieten, die zahlen können.

Schon heute müssen Eltern auch im öffentlichen Schulwesen für zusätzliches Lernmaterial aufkommen, für Essen und Betreuung im Ganztagsbetrieb, für Förderkurse und zusätzliche Angebote. Die Lehr- und Lernmittelfreiheit steht in den meisten Bundesländern auf der Kippe, in Bayern ist sie bereits abgeschafft.

Finanzkräftige Fördervereine gibt es vor allem in den gutbürgerlichen Wohnvierteln, so wächst die Kluft zwischen reichen und armen Schulen und zwischen den Schulformen verläuft ein tiefer Graben, die Hauptschule hier, das Gymnasium dort. Stiftungen und Konzerne drängen auf den Bildungsmarkt, die Schule wird zum «Marktplatz» für profitorientierte kommerzielle Bildungsanbieter.

«Zurzeit werden in Deutschland pro Woche zwei bis drei Privatschulen gegründet», meldete 2009 die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Durch das Allgemeine Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (GATS), durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie und die neue EU-Handelsstrategie sind den Liberalisierungsbestrebungen auch im Bildungsbereich Tür und Tor geöffnet.

Exklusivität
Im Schuljahr 2005/06 gab es bundesweit 4637 Privatschulen, das waren 43,5% mehr als 1992, besonders viele waren es in Ostdeutschland. Mit 40% bilden die Gymnasien den größten Anteil bei den allgemeinbildenden Schulen, denn nicht alle Schulformen sind für private oder freie Träger lukrativ. In NRW waren 98 Schulen in kirchlicher Trägerschaft: 3 Hauptschulen, aber 95 Gymnasien.

Die meisten Privatschüler gibt es in Sachsen mit 11,4%, dann folgen Bayern (9,8%) und Hamburg (7,9%), das Schlusslicht bildet Schleswig-Holstein (3,3%). Während in Deutschland nur 6,7% aller Schüler Privatschulen besuchen, sind es in Frankreich 21,3%, in Großbritannien 40,6% und in den Niederlande gar 76,4%. Doch die Zahlen steigen auch bei uns kontinuierlich an. Im Schuljahr 2005/06 war gegenüber 1992 bei den Privatschülern ein Anstieg von 52% zu verzeichnen, mit steigender Tendenz.

Die meisten Privatschulen sind in katholischer Trägerschaft, gefolgt von Schulen der evangelischen Kirche und den Freien Waldorfschulen, es folgen die Freien Alternativschulen und die Internationalen Schulen. Sie alle sind allgemeinbildende Ersatzschulen, die staatliche Schulen ersetzen, d.h. sie bieten Bildungsgänge und Abschlüsse an, die sich mit denen der staatlichen Schulen vergleichen lassen. Laut Grundgesetz sind sie «integraler Bestandteil des staatlichen Schulwesens» und stehen «unter Aufsicht des Staates».

Die Einnahmequelle der Privatschulen ist das Geld vom Staat und das Schulgeld der Eltern. Bei letzterem sind allerdings Grenzen gesetzt, denn das Grundgesetz schreibt vor, dass «eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern» zu unterbleiben habe. Das wird allerdings nicht so ganz ernst genommen. So kassiert die International School Hannover Region bereits bei der Anmeldung 2500 Euro Gebühren. Schon der Platz im Kindergarten kostet im Jahr 6150 Euro, in Klasse 11/12 sind dann 10990 Euro jährlich zu zahlen. In Deutschland gibt es rund 50 International Schools, die jüngste ist die Internationale Friedensschule in Köln, das monatliche Schulgeld beträgt rd. 1000 Euro. Das ist durchaus eine Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern, denn gleichzeitig sind die öffentlichen Schulen seit Jahren unterfinanziert.

Arbeitsweise und Ziele
In Ostdeutschland werden aufgrund rückläufiger Schülerzahlen viele Schulen geschlossen, zwischen 2000 und 2005 waren es 591 Schulen. Viele Eltern gründen Schulen in privater Trägerschaft, um ein wohnortnahes Angebot zu erhalten, im genannten Zeitraum waren es 39 neue allgemeinbildende Schulen. Allerdings werden aus den noch bestehenden öffentlichen Schulen häufig Schüler abgeworben, sodass weitere Staatsschulen in ihrem Bestand gefährdet sind – ein Teufelskreis.

In Westdeutschland wird das Privatschulenwesen durch die Unzufriedenheit vieler Eltern mit dem öffentlichen Schulwesen angekurbelt. Sie wollen ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung zukommen lassen, damit diese auf dem globalen Arbeitsmarkt bessere Chancen haben.

Diesen Trend nutzen die kommerziellen Anbieter. In Deutschland gibt es 50 privat geführte International Schools, so in Berlin, Hamburg, Dresden und München. Unterrichtet wird in Englisch, Deutsch kommt ab der 2.Klasse hinzu. Ziel ist es, der internationalen Gemeinschaft hier in Deutschland eine gute Bildungseinrichtung zu bieten, womit vor allem Beschäftigte internationaler Unternehmen gemeint sind. Diese Exklusivität hat natürlich ihren Preis. Indirekt zahlt der Fiskus mit, denn Privatschuleltern können 30% des Schulgelds von der Steuer absetzen.

In die Reihe der Exklusiven gehört auch die Swiss International School (SIS), eine zweisprachige Ganztagsschule bei Stuttgart. Eröffnet wurde sie 2008 von der Klett-Gruppe gemeinsam mit dem privaten Bildungsanbieter Kalaidos aus Zürich. Sie führt vom Kindergarten über die Grundschule ins Gymnasium. Das Schulgeld für den Grundschulzweig kostet einschließlich Mittagessen monatlich 606 Euro. Die Ernst-Klett AG, bekannt als Schulbuchverlag, und Kalaidos gründeten 2009 zwei weitere SIS-Schulen, die vierte Schule ist für das Umland von München geplant.

Immer sind die Schulen an Standorten mit hoher Kaufkraft angesiedelt. Für private Anleger gab Klett im Juni 2009 zum zweiten Mal ein «Bildungswertpapier» aus und nahm in vier Wochen 50 Millionen Euro ein. Kasse machen möchte auch die Privatschulkette Phorms, eine profitorientierte Aktiengesellschaft. Sie gründete 2006 eine zweisprachige Grundschule in Berlin, weitere Phorms-Ableger folgten in München, Köln, Hamburg, Hannover, Frankfurt: Kindertagesstätten, Grundschulen, Gymnasien. Gewinn will sie machen, indem die Dachgesellschaft Dienstleistungen an die einzelne Schule verkauft: Marketing, Personalauswahl, Curriculum-Entwicklung. Die Genehmigung zum Start eines Gymnasiums wurde Phorms allerdings zu Beginn des Schuljahres 2009/10 von der Bezirksregierung in Köln verweigert. Es gab Zweifel an der sozialen Ausgewogenheit der Schülerschaft und der Qualifikation des Lehrkörpers. Zudem sollen genaue Angaben zu den Elternbeiträgen gefehlt haben.

Weltanschauung
Unter den Privatschulen gibt es neben den bereits erwähnten Waldorfschulen noch weitere Exoten mit sehr fragwürdigen Inhalten und Bildungszielen.

Evangelikale Bekenntnisschulen etwa haben eine christlich-fundamentalistische Ausrichtung, sie stellen der Evolutionstheorie die biblische Schöpfungslehre gegenüber, «unter Rückgriff auf Forschungsergebnisse kreationistischer Naturwissenschaftler». Der Kreationismus ist Teilaspekt eines religiösen Fundamentalismus, der sich in den letzten Jahrzehnten vor allem in den USA verbreitet hat. Kernthese ist die absolute Irrtumsfreiheit der Bibel. Bundesweit gibt es 70 evangelikale Bekenntnisschulen. Wer als Lehrerin oder Lehrer an einer solchen Schule unterrichten will, darf nicht homosexuell leben, «vor- und außereheliche Beziehungen» sind ihnen untersagt. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) lobte die «Weitergabe christlicher Werte» und sah im 13 Millionen teuren Neubau für eine weitere Schule eine «herausragende Investition in die Zukunftsfähigkeit» der Landeshauptstadt.

Auch Opus Dei, eine erzkonservative katholische Laienorganisation mit sektenähnlichen Zügen, will im Privatschulwesen mitmischen, mit einem Jungengymnasium in Potsdam – ein Novum für die ostdeutschen Bundesländer. In Jülich bei Köln betreibt Opus Dei bereits seit 30 Jahren ein Mädchengymnasium. Im Opus Dei (lat. «Werk Gottes») sehen Kritiker eine fundamentalistische Organisation mit mafiaähnlichen Strukturen und Hang zum «Kadavergehorsam», obskuren Bußpraktiken sowie einem undurchsichtigen Finanzgebaren. Papst Benedikt XVI. gilt als Sympathisant der Organisation.

Im Juni 2009 berichtete die Märkische Allgemeine: «Opus Dei siegt vor dem Verwaltungsgericht. Brandenburg bekommt sein erstes Jungengymnasium.» Seit 2007 versucht Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) dies mit dem Argument zu verhindern, in Brandenburg gelte der Koedukationsgrundsatz, wonach Jungen und Mädchen gemeinsam zu unterrichten seien – leider erfolglos. Weiter unbehelligt betreiben die Pius-Brüder ein Mädchengymnasium in Ruppichteroth bei Köln. Sie sind bekannt als katholische Hardliner und Hassprediger. Ihr Erzbischof Williams machte kürzlich als hartnäckiger Holocaust-Leugner von sich reden. Den Vatikan störte das nicht weiter.

Neben diesen Extremen gibt es aber auch freie Schulträger, die als Elterninitiative Reformschulen gründen, wo Wert auf besondere pädagogische Konzepte mit neuen Lernformen gelegt wird. Diese Eltern fehlen dann allerdings im staatlichen Schulwesen als Impulsgeber, um das vorhandene Angebot an reformpädagogisch arbeitenden Schulen zu erweitern und Druck zu machen für bessere Lehr- und Lernbedingungen, kleinere Klassen und eine anregende Lernumgebung.

Bildungsgutscheine
Die Privatschullobby kämpft für mehr Geld vom Staat. Schon heute erhalten sie ca. 80–90% der Kosten vom Staat. Alles weitere müssen sie sich von den Eltern holen. Vor allem sollen sich die Rahmenbedingungen für Schulen in freier Trägerschaft verbessern. Dem käme das Konzept der Bildungsgutscheine entgegen. Der US-Ökonom Milton Friedman, ein Vordenker der Neoliberalen, hatte die Idee, dass der Staat nicht mehr die Bildungseinrichtung finanziert, sondern die Eltern für ihr schulpflichtiges Kind einen Bildungsgutschein erhalten, der sie berechtigt, ihr Kind wahlweise an einer öffentlichen oder privaten Einrichtung anzumelden.

Damit ist der Konkurrenzkampf der Bildungsanbieter eröffnet. Der Staat überwacht dann nur noch die Einhaltung der Mindeststandards. Bisher gibt es in Hamburg Erfahrungen mit Bildungsgutscheinen, die zum Besuch von Kindertagesstätten berechtigen. NRW vergibt Bildungsgutscheine für berufliche Fortbildung. Die GEW sieht in diesem marktwirtschaftlich ausgerichteten System große Probleme auf die Einrichtungen zukommen, da ihnen die Planungssicherheit fehle, was wiederum zu «Entlassungen, Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen und Zerstörung von Trägerstrukturen» führe.

Sind Privatschulen besser?
Der Privatschulverband behauptet, Schulen in freier Trägerschaft seien «häufig erfolgreicher als ihre staatlichen Pendants». Als Beweis wird die Studie des unternehmernahen Instituts der deutschen Wirtschaft vom März 2007 genannt. Dem widerspricht die Studie des Frankfurter Schulforschers Manfred Weiß, der feststellte, dass es keine signifikanten Leistungsunterschiede gibt, wenn die soziale Zusammensetzung berücksichtigt wird und die Tatsache, dass an Privatschulen oft der Mädchenanteil höher ist. Allein die Schulform zeige ein starkes Leistungsgefälle. Deshalb meint die GEW zu Recht: «Der Graben, den die Bildungspolitik zuzuschütten hat, verläuft zwischen Hauptschule und Gymnasium – und nicht zwischen öffentlicher Schule und Privatschule.»