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Klassenkämpfe in China

Durch das kräftige Wirtschaftswachstum vollziehen sich tiefgreifende
Änderungen in der chinesischen gesellschaft. an die Stelle einer
einstmals von den Machthabern materiell umsorgten arbeiterklasse
ist ein verarmtes und geknechtetes Proletariat getreten.

von Alain Baron - Aus Rouge 2229 vom 29.11.2007

Die Austragung der Olympischen Spiele in China steht symbolisch für die Wiedereingliederung dieses Landes in die kapitalistische Welt. Diese Entwicklung hat einen direkten Einfluss auf die Bevölkerung der gesamten Welt, da ein Fünftel der Weltbevölkerung in China lebt und das Land zur drittgrößten Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist und ein Drittel der weltweiten Dollarreserven hält. Die enormen Produktionsverlagerungen liefern zudem ein dauerndes Argument, um die Existenzbedingungen von Millionen von Lohnabhängigen nahezu überall infrage zu stellen. Um die Tragweite der stattfindenden Umwälzungen in diesem Land zu erfassen, bedarf es eines Rückblicks auf die chinesische Gesellschaftsstrukturen vor dreissig Jahren.

Vor den Reformen…

Damals galt die Arbeiterklasse als „die bestgestellte unter den herrschenden Klassen“. „Geschmückt mit dem Attribut als herrschende Klasse“1 rangierte sie unmittelbar hinter den Kadern, was Prestige und Existenzbedingungen anlangte. Die ArbeiterInnen und Angestellten unterlagen nicht den üblichen Zwängen der kapitalistischen Ausbeutung. Beamten ähnlich wurden sie bestimmten Produktionseinheiten zugewiesen. Ihr Einkommen hing nicht von der Leistung sondern von Rang und Aufgabe ab. Absentismus wurde toleriert, die Arbeitszeiten waren überschaubar und der Arbeitsrhythmus äußerst gemächlich. Da die Planvorgaben im Allgemeinen schnell erreicht waren, wurde man den Rest des Jahres fürs Nichtstun bezahlt. Zu Zeiten politischer Kampagnen wurde die Arbeit ohnehin zugunsten der politischen Versammlungen eingestellt.

Die sozialen Vorteile durch die Zugehörigkeit zu den Produktionseinheiten (danwei) machten die niedrigen Löhne teilweise wieder wett. Der danwei lebte weitgehend autark und bildete eine Art Dorfgemeinschaft in der Stadt, die sich um Wohnungen, kostenlose Gesundheitsfürsorge, beitragsfreie Renten, Kindererziehung, Freizeit usw. kümmerte. „Trotzdem gab es unter dieser Einparteienherrschaft keine politische Demokratie oder verbriefte Rechte, die Parteiführer abzuwählen. So wie der oder die Verantwortliche aus der Partei nicht das Recht hatte, Lohnabhängige aus wirtschaftlichen Gründen zu entlassen, waren die ArbeiterInnen ihrerseits an die Produktionseinheit gefesselt und konnten weder die Arbeit noch die Arbeitsstätte wechseln oder die ParteifunktionärInnen ihres danwei abwählen. Den ArbeiterInnen wurde das grundlegende Recht auf Selbstorganisation verweigert. Die einzige genehmigte Gewerkschaft war die ACFTU, in der die ArbeiterInnen Zwangsmitglieder waren, ohne aber das Recht auf Abwahl der FunktionärInnen zu haben. Das Ganze gipfelte in einem Dossierwesen, wo von jedem Lohnabhängigen all seine Äußerungen auf den Versammlungen und sonstigen Aktivitäten gespeichert wurden. Diese Dossiers wurden von dem Parteisekretär des danwei aufbewahrt und dienten als Grundlage für alle Sanktionen und Beförderungen. Diese politische und soziale Kontrolle hatte sowohl die extreme Zersplitterung als auch eine tiefgreifende politische Apathie der Arbeiterklasse zur Folge.“2

Die materielle Lage der Bauernschaft und damit der großen Mehrheit der Bevölkerung war ganz anders. Auf ihren Schultern lud der Staat die Hauptlasten der Industrialisierung ab. Die Zwangskollektivierungen nach 1958 sorgten für wahre Katastrophen mit 30 Millionen Hungertoten in der Zeit von 1958 bis 1961. Langfristig resultierte daraus eine äußerst geringe Produktivität in der bäuerlichen Landwirtschaft und deutlich geringerer Lebensstandard im Vergleich zu den Städtern. Daneben litten die Bauern unter beträchtlicher sozialer und rechtlicher Diskriminierung. Auch das neue Regime ließ es sich nicht nehmen, die 2000 Jahre alte Tradition der Residenzpflicht (hukou) für alle Bürger wieder einzuführen, weswegen es den Bauern verwehrt wurde, in der Stadt zu arbeiten oder zu leben.

… und der heutige Alltag

Das Aufkommen einer Bourgeoisie in der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft verdankt sich der Kontrolle der Partei über den Staatsapparat. Die Akkumulation von Privatkapital rührt vorwiegend durch Plünderung öffentlicher Vermögenswerte im Rahmen der Privatisierungen, durch Unterschlagung von Geldern, Bestechung und Raubbesteuerung der Bauernschaft. Zahlreiche Politkader haben sich dem Business zugewandt. Umgekehrt werden PrivatunternehmerInnen in die Partei aufgenommen und mit verantwortlichen Positionen bedacht. Zwar werden die ManagerInnen der privatisierten Großunternehmen nicht mehr vom Staat bezahlt, aber noch immer von der lokalen oder – in den wichtigsten Unternehmen – der übergeordneten Regierung bestimmt. Daher rangieren unter ihnen oftmals Verwandte hochrangiger politischer Kader. Parallel dazu vollzieht sich ein Generationenwechsel in der Verwaltung und den Unternehmen, in denen junge HochschulabsolventInnen Fuß fassen. Diese Privilegierung ist nur möglich, weil die Kommunistische Partei über das absolute Machtmonopol verfügt. Der Versuch, eine unabhängige Organisation auf po-litischer, gewerkschaftlicher oder Verbandsebene zu schaffen, wäre das sicherste Mittel, umgehend im Gefängnis zu landen.

Die „Mittelklasse“, die dank der wirtschaftlichen Entwicklung beträchtlich an Boden gewonnen hat, beträgt ungefähr 15 % der aktiven Bevölkerung. Unter ihr befinden sich die verlässlichsten Stützen des Regimes. Sie setzt sich zusammen aus einem Teil der Intelligenz und den Lohnabhängigen mit der höchsten Qualifikation. Hinzu kommt ein Teil der Staatsbeamten aus Verwaltung, Partei, Gewerkschaft und anderen offiziellen Institutionen.

Die Lohnabhängigen, die in dem noch verbliebenen öffentlichen Sektor arbeiten, machen mittlerweile weniger als 20 % der aktiven Bevölkerung aus. Seit 1993 ist die Beschäftigtenzahl in diesem Sektor um ca. 40 % geschrumpft. Teilweise konnte dies aufgefangen werden, indem Frauen ab 45 und Männer ab 50 in Rente geschickt wurden. Andere wurden freigestellt und erhielten einen Teil ihres Lohnes vorerst weiter. Später folgte jedoch die Entlassung und somit nicht nur der Verlust des Einkommens sondern auch der übrigen Vergünstigungen, die ihnen die Arbeitseinheit früher gewährt hatte: Wohnung, Gesundheitsfürsorge, Kindererziehung, Rente usw. Aus den einstigen VertreterInnen der „herrschenden Klasse“, wie das Regime gern vorgab, sind nunmehr Parias geworden, die sich mit kleinen Jobs und neuerdings einer Art Sozialhilfe über Wasser halten. Wie die meisten ChinesInnen haben sie normalerweise nicht das Recht auf Arbeit oder freie Wohnortwahl. Insofern gerät diese rechtlose Schicht zum regelrechten Glücksfall für die chinesischen und ausländischen KapitalistInnen. Ohne Aufenthaltsgenehmigung genießen sie auch nicht das Recht auf Gesundheitsfürsorge, Rente oder Wohnung. Seit 2001 erst dürfen ihre Kinder die Schule besuchen und sind die Aufenthaltsbestimmungen gelockert worden. Zum Teil arbeiten sie in Kleinunternehmen auf dem Land oder in Zweigen mit gefährlicher und gesundheitsgefährdender Arbeit wie Hoch- und Tiefbau oder unter Tage. Andere arbeiten im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Handel, bei der Müllabfuhr oder als GärtnerInnen. Oder in den Unternehmen an den Küsten, die auf Export spezialisiert sind. Meist sind es junge Frauen, manchmal aber auch Kinder unter sechzehn. Ihr Arbeitstag beträgt bis zu 15 Stunden – an 7 Tagen pro Woche. Angesichts der lächerlichen Löhne bleibt ihnen meist keine andere Wahl, als in den Schlafsälen der Unternehmen zu wohnen, die unter Aufsicht stehen. Oft müssen sie Schläge oder Drohungen erdulden, das ius primae noctis3 ist gang und gäbe. Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gehören zum Alltag und die Löhne werden oft verspätet gezahlt.

Dieser permanente Zustrom aus der inneren Emigration wird durch die Verelendung der Bauern unterhalten, die etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Im Zuge der „Reformen“ anfangs der 80er Jahre hat sich zwar die Lage der Bauern infolge der Wiedereinführung der bäuerlichen Familienbetriebe beträchtlich gebessert, aber bald darauf gerieten sie in die Zange der Zwangsbesteuerung. Seither geht es spürbar bergab und ihr Einkommen liegt drei bis sechsmal so niedrig als in den Städten. Daher ist das Land auch häufiger Schauplatz für Protestbewegungen in Form von Demonstrationen, Petitionen, Gerichtsklagen etc. Gewaltsame Zusammenstösse mit der Polizei und den paramilitärischen Kräften sind hier viel verbreiteter als in den Städten und auch die Repression ausgeprägter.

Widerstand ist nicht einfach

In den 90er Jahren gab es bedeutsame Kämpfe gegen die Privatisierung der staatlichen Unternehmen4 mit Demonstrationen, Straßen- und Schienenblockaden. Es kam auch zu Zusammenstössen mit der Polizei und manchmal sogar zu Betriebsbesetzungen mit Wiederaufnahme der Produktion. 2002 war der Kampf der ErdölarbeiterInnen die wichtigste Bewegung gegen Arbeitsplatzvernichtung, die China jemals erlebt hat. An einer Demonstration bspw. beteiligten sich 50 000 Menschen. Die dabei erlittene Niederlage wirkte lange nach. Inzwischen scheint sich aber ein neuer Zyklus der Kämpfe abzuzeichnen. Infolge des Beitritts von China zur WTO werden massenhaft Arbeitsplätze abgebaut in Sektoren, die zuvor verschont geblieben waren, wie Eisenbahnwesen, Luftfahrt und Banken. Während der letzten sieben Jahre hat z. B. die Industrie- und Handelsbank Chinas 110 000 von 400 000 Beschäftigten entlassen.

Unter den inneren EmigrantInnen konnten Staat und UnternehmerInnen bis dato erfolgreich Kampfmaßnahmen durch Repression verhindern. Mittlerweile sind aber genau diese Repression und die unmenschliche Ausbeutung dafür verantwortlich, dass Streiks entstehen, die oftmals gewaltsam und mitunter siegreich verlaufen. Meist entstehen diese Kämpfe spontan und unvorbereitet in den einzelnen Betrieben. Nach dem Ende eines solchen Streiks bleiben auch keine dauerhaften Organisationsformen bestehen, was sowohl an der Repression als auch an der Zersplitterung der Lohnabhängigen liegt. Die internationale Solidarität mit den Lohnabhängigen dieser Unternehmen ist wichtiger denn je und sollte bei denen beginnen, die direkt oder indirekt für die großen multinationalen Konzerne arbeiten.

Übersetzung: MiWe

1 Au Loong-Yu et al. Women Migrant Workers
under the Chinese Social Apartheid, s. www.
europe-solidaire.org/spip.php?article6342

2 Op. cit. (s. Fußn. 1)

3 le cuissage – vergleichbar dem Recht auf das
„erste Mal“, das sich Fürsten gegenüber ihren
weiblichen Untertanen herausgenommen haben.

4 Die Privatisierungen hatten den Abbau von
über 40 Millionen Arbeitsplätzen zur Folge.