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Chinesische Abteilung der Weltwerkstatt?

Man kann schwerlich Zeitungen und Zeitschriften (von The Economist bis Der Spiegel) aufschlagen, ohne auf die „gigantische Wirtschaftsentwicklung“ Chinas zu stoßen. Auch die Tatsache, dass 2008 in Peking die Olympischen Spiele stattfinden, erklärt die Aufmerksamkeit nur zum Teil. Hier einige Hintergrundinformationen.

Von Charles-André Udry aus Inprekorr Nr. 402/403 Mai/Juni 2005

 

Die zunehmende Integration der chinesischen Wirtschaft in die kapitalistische Weltwirtschaft stellt ein wichtiges Element ihrer zukünftigen Gestalt dar. Chinas Beitritt zur WTO (Welthandels-organisation) im November 2001, nach 15 Jahren Verhandlungen, zeigte in aller Deutlichkeit die Wende an. Diese Integration findet auf dem Hintergrund einer lang anhaltenden und gleichzeitig ablaufenden Krise der Überproduktion von Waren und der Überakkumulation von Kapital statt. Die Reaktion des Kapitals ist gegenwärtig überall sichtbar z. B. mit Entlassungen und dem out-sourcing in der Automobilindustrie, die mit dem Aufbau von richtigen transnationalen (globalisierten) Produktionsketten einhergehen, die wiederum unter das Kommando von „holdings“ (Finanzgesellschaften, die andere kontrollieren) gestellt werden. Diese Politik hat das Ziel, die Rentabilität zu erhöhen und stellt eine der wichtigsten Quellen der Arbeitslosigkeit dar. Die „Verlagerung von Arbeitsplätzen“, gleich ob nach China oder anderswo hin, spielt beim Beschäftigungsumfang nur eine sehr geringe Rolle, wie die Studie von Maury Harris von der UBS (Schweizer Bank) für die USA beweist. (Wall Street Journal, 17. September 2004) Doch ermöglicht es die Dämonisierung Chinas, die „Burgfriedenspolitik“ gegen „die Chinesen“ in Europa, in der Schweiz, Deutschland oder anderswo zu erleichtern und dadurch die Politik des Kapitals und seiner Vertreter, sowie die Verteidigung der Lohnabhängigen vergessen zu machen, und zwar hierzulande und in China.

EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE INTERNATIONALEN DIREKTINVESTITIONEN (ADI)

Werfen wir nun einen Blick auf das Anwachsen und die geographische Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen. Sie werden von den Kapitaleignern in den Güter produzierenden Unternehmen und bei den Dienstleistern vorgenommen. Man möchte damit Firmen schaffen oder sich an bestehenden beteiligen oder einen Zusammenschluss mit einem anderen großen „Akteur“ vornehmen. Die ADI zeigen ein bestimmtes Bild von der internationalen Umstrukturierung des internationalen Kapitalismus. Für den Zeitraum 2000 bis 2002 lagen die ankommenden ADI (die also in die Länder einflossen) für die verschiedenen Länder wie folgt (Angaben in US-$): USA 162,7 Mrd. $ (17% der weltweiten ADI), Deutschland 91,7 Mrd. $ (9,6%), Frankreich 50,0 Mrd. $ (5,2%), China 46,9 Mrd. $ (4,9%), Hongkong (als Tor zu China) 33,1 Mrd. $ (3,5%) und Brasilien (als lateinamerikanischer Gigant) 23,9 Mrd. $ (2,9%).

Im Jahre 2003 erhielten die USA insgesamt 86,6 Mrd. (13,3% der gesamten ADI), Deutschland 36,3 Mrd. $ (5,6%), Frankreich 36,4 $ (5,6%), China 57 Mrd. $ (8,7%), Hongkong 14,3 Mrd. $ (2,2%), Brasilien 9,1 Mrd. $ (1,4%).

In den Jahren 2000–2002 kam China auf den achten Platz bei den einlaufenden Direktinvestitionen; wenn man aber die eingehenden und abfließenden Direktinvestitionen berücksichtigt, lag es, direkt hinter Deutschland, auf dem zweiten Platz. Der Verkauf auf dem chinesischen Markt (Marktdurchdringung) ist ein entscheidender Faktor für die Firmen, die dort investieren. Doch sie lassen sich dort auch im Rahmen des Aufbaus weltweiter Produktionsketten zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen und für Exporte in andere Filialen nieder. Diese ADI gehören somit zu den Versuchen der Multis, global Mehrwert zu erheischen. Seit Mitte der 90er Jahre haben die ADI in China eine starke Tendenz, neue Industrieproduktionen aufzubauen, entweder eigene oder aber jointventures (gemeinsame Firmen von transnationalen Konzernen und solchen, die sich noch im Staatsbesitz befinden, aber auch privaten chinesischen). Dies unterscheidet sich erheblich von den Prozessen, die in Argentinien oder Brasilien abgelaufen sind, wo im Gefolge der Privatisierungen großer öffentlicher Bereiche ganze Industriebranchen aufgekauft wurden. Diese Charakteristika erklären zum Teil den Aufschwung der chinesischen Exporte. Stephen Roach, ein Ökonom der großen US-Geschäftsbank Margan Stanley – die für Investitionen, Aufkäufe und Fusionen von Firmen tätig ist, gibt an, dass fast 65 Prozent der chinesischen Exporte, die sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts verdreifacht haben, aus Gütern bestehen, die aus der Zuarbeit für transnationale Konzerne (Zulieferungen zu den Produktionsketten), sowie aus jointventures entstehen. Die Ausfuhren haben sich explosionsartig entwickelt: Von 121 Mrd. $ im Jahr 1994 auf 365 Mrd. $ Mitte 2003. Wenn wir zur Messung der Entwicklung der Warenexporte für das Jahr 1970 den Index 1 ansetzen, dann erreichte China 2002 141,1 und Indien 21,4, was auf die unterschiedliche Integration dieser beiden Länder in die kapitalistische Weltwirtschaft hinweist. China befindet sich inzwischen beim Welthandel auf Platz 4 und konnte sein Anteilsvolumen (an den weltweiten Exporten) von einem Prozent 1980 auf 5 Prozent 2003 steigern. Bei den Exporten handelt es sich hauptsächlich um fabrikmäßig erstellte Güter. (s. Portrait)

WACHSTUM, LÖHNE UND UMVERTEILUNG

Das hohe und lang anhaltende Wachstumsniveau des chine-sischen Brutto- Inlandsproduktes (BIP) hat viele in Erstaunen versetzt. Die Industrieproduktion ist 2003 trotz der Ausbreitung der SARS-Epidemie um 16 Prozent gestiegen (2002 13%). Die Wachstumsraten des BIP bewegen sich zwischen sieben und neun Prozent. Die Analysten warten auf einen Abschwung, doch die Wachstumsrate lag im zweiten Quartal 2004 bei 9,6% und im dritten bei 9,1%!

Hier folgt ein kurzer historischer Exkurs. Deng Xiaoping kam 1977 schließlich wieder ans Ruder. 1978 wurde die Wende der sogenannten „Reformen“ vollführt. Deng schrieb: „Es ist wichtig, die Gelegenheit zu ergreifen, die in der gegenwärtig düsteren Lage der westeuropäischen Länder besteht (eine Anspielung auf die Rezession in den OECD-Ländern von 1974/1975, auf die die Rezession von 1981/1982 folgte; sie betraf nicht nur die OECD-Länder, sondern auch die „Peripherie“, aber auch Polen, die UdSSR etc.), um eine Kooperation mit ihnen aufzubauen. (...) China stellt einen riesigen Markt dar, viele Länder möchten mit uns kooperieren und Handel treiben, und wir müssen unsererseits daraus unseren Vorteil ziehen. Dies ist ein Problem von strategischer Bedeutung.“

Seitdem wurde der Kurs der „Reformen“ in verschiedenen Phasen weiter vertieft. Der letzte (16.) Parteitag der Chinesischen Kommunistischen Partei im November 2002 hat das Ziel aufgestellt, das chinesische BIP bis 2020 zu vervierfachen. Wenn die Wachstumsraten bei über sieben Prozent bleiben, wird dieses Ziel erreicht werden können.

Jedoch stellt sich vor jeder Spekulation über das zukünftige Wachstum der chinesischen Ökonomie und ihrer Rolle, ob sie mittelfristig der kapitalistischen Weltwirtschaft neuen Atem einhauchen kann oder nicht, folgende Frage: Welche politischen Zeichensetzungen wurden in Richtung imperialistische Länder, vor allem in Richtung USA, gegeben, damit die bürokratische Kaste eine solche Wende vollführen konnte?

Wir können sie hier, wenn auch nur unvollständig, aufzählen:

1. Im Februar 1972, mitten im Vietnam-Krieg, traf sich Richard Nixon mit Mao Zedong.

2. Im Februar 1979 gab es einen militärischen Angriff gegen Vietnam, angeblich, um dieses Land wegen seiner Intervention in das von Pol Pot beherrschte Kambodscha zu bestrafen. Wang Hui erklärte: „Ein Grund für jenen Angriff gegen den kleinen Nachbarn, der ansonsten keinen Sinn gemacht hätte, lag darin, neue Beziehungen mit den USA aufzubauen.“

3. Ende Januar 1979 begab sich Deng in die Vereinigten Staaten mit dem Ziel, eine Koalition gegen die Sowjetunion zu schaffen.

4. Zwischen 1978 und 1979 wurden die Verbindungen zu chinesischen Diaspora wieder aufgenommen und ihnen ein Teil ihrer Vermögen zurückgegeben. Diese Diaspora (die Chinesen von Singapur, Hongkong, Taiwan, Thailand usw.) spielte eine entscheidende Mittlerrolle bei den kommenden Investitionen.

5. Die Repression gegen die Massenbewegung vom Juni 1989, die sich symbolisch auf dem Tian-An-Men-Platz (Platz des himmlischen Friedens) versammelt hatte. Umgehend schrieb ein Sprecher der chinesischen Diaspora, Desmond Wrong: „Der frühere Ministerpräsident Lee Kuan Yew beobachtete, dass, während Amerikaner, Europäer und Japaner nach den Ereignissen auf dem Tian-An-Men-Platz mit ihrem Kapital aus China flohen (weil sie den Ausbruch einer politischen Krise an der Spitze und eine gesellschaftspolitische Instabilität befürchteten), glaubten die Chinesen der Diaspora, diese Wirren seien nur vorübergehend; ihnen waren sehr attraktive Investitions-möglichkeiten gewährt worden, die auch nicht wieder in Frage gestellt wurden.“

6. Die Investoren aus den imperialistischen Ländern sollten recht schnell ihr Vertrauen in die Rolle der Einheitspartei, der Armee, der Polizei und der Gewerkschaften als Transmissionsriemen der KPCh wiederfinden. Dies waren Faktoren der „gesellschaftlichen Stabilität“ und der Unterwerfung der Arbeitenden unter eine brutale Ausbeutung. Sicherlich sind die USA und die Länder der Europäischen Union (EU) bei den Investitionen weiterhin in der Minderheit. Auch haben sie ihren Zustrom erst im vergangenen Jahrzehnt beschleunigt. Die Inspektionsreise von Deng 1992 in den südlichen Regionen (Wuhan, Schenzen, Tschuhai, Schanghai), den von den ausländischen Investoren privilegierten Zonen, hatte vor dem 14. Parteitag der KPCh im Oktober desselben Jahres ein klares Zeichen gesetzt.

7. Die gnadenlosen Maßregelungen von protestierenden Bauern/Bäuerinnen und ArbeiterInnen, die regelmäßig gegen die sozialen Auswirkungen der „Reformen“ protestieren. 8. Die sehr deutlichen Annäherungen an die Forderungen des IWF, wie sie von Jiang Zemin auf dem 15. Parteitag der CHKP im September 2007 verdeutlicht wurden.

9. Schließlich die vom Volkskongress im März 2004 vorgenommene Verfassungsänderung. Darin heißt es nun, das Recht auf Privateigentum sei unverletzlich (was deutlich weiter geht als die Änderungen von 1988 und 1999, die bereits einen Bruch mit dem Text von 1982 darstellten).

Diese Aufzählung von Ereignissen zeigt eine Verkettung von Entscheidungen und sozio-ökonomischen Transformationen, die dazu geführt haben, die Modalitäten der Kontrolle des Mehrprodukt der chinesischen Gesellschaft, wie es von den Arbeitenden und den Bauern/Bäuerinnen erstellt wird, zu verändern, wiewohl es wie früher von der herrschenden Kaste kontrolliert wurde. Trotzki schrieb 1940, dass „diejenigen, die über das Mehrprodukt verfügen, Herren der Lage“ des Staates und die „Kirchenchefs“ (in unserem Fall die KPCh) sind. Sie veränderten also die Formen und die Instrumente (das Privateigentum) dieser Kontrolle über das Mehrprodukts, reorganisierten sich als herrschende Klasse mit ihren Führungseliten (die Partei, die Verwaltung) und verbündeten sich mit dem imperialistischen Kapital, um ihren Gewinn aus der „neuen Werkstatt der Welt“ zu ziehen.

Die „Korruption“ ist nur eines der Mittel – wie übrigens auch in der Geschichte des Kapitalismus –, Kapital zu akkumulieren, um zu versuchen, zu den herkömmlichen Mechanismen der Erheischung von Mehrwert zu gelangen.

EIN VON EISERNER HAND REORGANISIERTES PROLETARIAT

Um den ablaufenden Prozess zu verstehen, muss man einen Gesichtspunkt besonders im Auge behalten. Von den 740 Millionen Erwachsenen im arbeitsfähigen Alter, die es in China gibt und die ausgebeutet werden könnten, leben 490 auf dem Lande, wo sie häufig unbeschreiblicher Armut ausgesetzt sind und keinen sozialen Schutz genießen. Die Kluft zwischen Stadt und Land steigt beständig an.

Dies ist ein wesentliches Element jener gigantischen industriellen Reservearmee, die eine so brutale Ausbeutung ermöglicht. Dieses Verhältnis gab es weder beim Zusammenbruch der UdSSR noch in den osteuropäischen Ländern, noch in den halb-industrialisierten Ländern, die sich mehr oder weniger in der Krise befinden, wie Argentinien oder Brasilien. Diejenigen, die Die Polizeirepression soll auch die ausländischen Investoren beruhigen INPREKORR 402/403 35 CHINA die Arbeitsgesetzgebung bemühen, sollten ihr Ohr den Worten des Direktors „für gute Unternehmensführung“ des internationalen Sportartikelherstellers Reebok von 2002 leihen. „Wer kümmert sich heute in China um die Arbeitsgesetze? Niemand. Würden jene Gesetze respektiert werden, wären die Arbeitsbedingungen deutlich besser. Doch mehr als anderswo, wo ich arbeite, werden jene Gesetze mit Füßen getreten!“ (Associated Press Newswire, Hongkong, 29. Mai 2002.)

In groben Zügen hat der Prozess, der bei der Unterwerfung der Arbeit unter die Ausbeutung durch das neue chinesische und imperialistische Kapital am Werk ist, vier Dimensionen:

1. Es sind vor allem junge Arbeitende (zwischen 17 und 24 Jahren), die die Arbeitskräfte stellen, denn danach „sind sie ausgelaugt und nicht mehr so leicht zu kontrollieren“. Dies ermöglicht Unternehmen, die sich in einer Stadt wie Dongguan befinden – einer Küstenstadt, die, um sich ausdehnen zu können, wie in Holland dem Meer Land abringen musste – Schuhe für den Weltmarkt zu „wettbewerbsfähigen Preisen“ zu produzieren. Die Löhne (wenn sie überhaupt ausgezahlt werden) sind niedriger als in den „maquiladores“ an der Grenze von Mexiko zu den USA. Die Mehrheit der Frauen kommt vom Lande. Es handelt sich um Migrantinnen, die allen nur möglichen Zwängen der Erpressung ausgesetzt sind, die von der Verschuldung, die sie eingegangen sind, um die Erlaubnis zu erhalten, von zu Hause wegzugehen und die Transportkosten zu bezahlen, bis zum Einzug der Papiere durch den Direktor der Fabrik und nicht ausgezahlten Löhnen gehen können. Der Ausbeutungsgrad ist maximal: Arbeitsdauer (12 Stunden und mehr), Arbeitsintensität, Löhne, die sich noch häufig unter dem schon lächerlich geringen Mindestlohn bewegen. In diese Richtung bewegen sich im Rahmen der Konkurrenz auf einem globalisierten Arbeitsmarkt die Untergrenzen für den Verkauf der Arbeitskraft.

2. Teile der Arbeitenden der alten industriellen Zentren (wo es noch zahlreiche Staatsunternehmen gibt) werden massiven Entlassungen ausgesetzt. Sie gehören zu den Arbeitslosen, deren Umfang sich in keiner offiziellen Sta-tistik findet. Sie werden in die Armut geschleudert. In einer Studie über die Privatisierungen in Schengjang im alten industriellen Norden stellte Antoine Kernen fest: „Mehr als 70 Prozent der neuen städtischen Armen sind frühere Beschäftigte des staatlichen Sektors, freigesetzte Angestellte, solche im Ruhestand oder Vorruhestand. (...) Ihre Kinder sind indirekt von der Krise (der Abwicklung) der Staatsunternehmen betroffen. Heute ist es nicht selten, dass es die Eltern nicht mehr schaffen, die Kosten für die Schulbildung der Kinder zu bezahlen, die fortwährend ansteigen.“ Die Konkurrenz zwischen diesen Arbeitssuchenden, den MigrantInnen, denjenigen, die das Land verlassen, ist heftig und wird noch durch die verschiedenen Politikansätze auf Provinzebene verschärft.

3. Bataillone von Bauern trifft die Beendigung ihres Zugangs zum Land mit voller Härte. Häufig werden sie von einer Verwaltung enteignet, die ihnen nur eine lächerliche Entschädigung zahlt. Laut Gesetz müsste die Summe 16 durchschnittlichen Jahresernten entsprechen. Aber das Gesetz wurde gemacht, um gebrochen zu werden. Die Ländereien werden mit beträchtlichem „Mehrwert“ an Immobilienverkäufer, an Unternehmen für öffentliche Arbeiten oder an neu zu errichtende Unternehmen weiterverkauft. Das Regime hat die für eine Kommerzialisierung des bebaubaren Landes bestehenden Einschränkungen aufgehoben, was die Vertreibung der Bauern und Bäuerinnen von ihrem Land noch beschleunigen wird. Man muss dabei bedenken, dass der häufig sehr intensiv vorgenommene chinesische Ackerbau eine besondere und (auch vom autoritären Regime) disziplinierte Arbeitskraft hervorgebracht hat; gewissermaßen eine proto-industrielle Arbeitskraft. Hier gibt es ein Reservoir an Arbeitskräften, wie sie vom industriellen und Immobilienboom verlangt werden, aber auch von den neuen Firmen, die sich „in der Ferne“, also entlang der Küsten, ansiedeln. Die Vereinbarungen über das brasilianische Soja und andere landwirtschaftliche Produkte (im Rahmen der Verträge mit Brasilien und des Beitritts zur WTO) werden die bäuerlichen Massen außerdem entwurzeln und verarmen lassen. (Business Week, 4. Oktober 2004) betont, dass China 40 Mio. Tonnen Soja verbraucht und nur 16 Mio. selbst produziert und es weder ausreichend Wasser noch Land hat, um mehr zu produzieren. Dies verspricht für die brasilianische kapitalistische Agrar-Export-Wirtschaft ein Glücksfall zu werden.

4. Seit einiger Zeit gibt es die Tendenz, Fertiggüter in eigenen Fabriken zusammenzubauen: Photokopierer, Fotoapparate, Computer und sogar Autos, sogar mit der Absicht, Hybridfahrzeuge auf den Markt zu bringen, um Benzin zu sparen und etwas gegen die schreckliche Umweltverschmutzung zu tun. Doch das Handelsdefizit im Bereich der Hochtechnologie wächst unaufhörlich. Logitech, ein US-Schweizer Unternehmen, verkauft seine Maus (ohne Kabel) „Wanda“ in den USA für 40 Dollar; das chinesische Unternehmen erhält gerade mal 3 $ für die Löhne, den Strom, den Transport und die übrigen Kosten. Diese Sektoren beruhen also bis heute sehr viel mehr auf einer schrecklichen Überausbeutung der Arbeitskraft als auf einer „Übernahme“ von (neuen) Technologien. Unsere Schlussfolgerung: Die neue „Werkstatt der Welt“ dient bereits – und wird dies in Zukunft noch mehr tun – als Beispiel für Maßnahmen der Lohndrückerei in einem Globalisierungsprozess, in dem die Arbeitenden der Welt mittels des Handels in den Freihandelszonen und durch transnationale Produktionsketten immer stärker zueinander in Konkurrenz gesetzt werden. Dies war bereits nach der Krise 1997/1998 in den asiatischen „Schwellenländern“ deutlich geworden.

Das gewöhnliche Leben von MigrantInnen

Die „Kontrolle“ der Binnenmigration in China (die zu den größten Migrationen der Weltgeschichte gehört, vor allem, wenn man die kurze Zeitspanne betrachtet, in der sie abläuft), erfolgt mittels einer Niederlassungserlaubnis (Hüku); es gibt eine für die Städte, eine andere für die ländlichen Regionen. Der Hindernislauf von MigrantInnen, die sich in China auf die Binnenwanderung machen, gleicht jenem von nicht-europäischen MigrantInnen oder AsylbewerberInnen, die in die Euro-päische Union gelangen wollen.

Prekäre Lebensbedingungen, polizeiliche Kontrollen, die häufig von Amtsmissbrauch begleitet sind, Erpres-sungen durch Unternehmer, verstärkt durch das Fehlen von Gewerkschaften, sowie Zwangsarbeit sind das Los von Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen. Hier ein kurzes Beispiel.

»Gao Mingju, ein Arbeitsmigrant aus der Provinz Henan, leitete eine Gruppe von 50 Migranten auf einer Baustelle in Peking im Jahr 2002. Fünf Monate später war der Bau fertiggestellt. Doch die Löhne wurden nie ausgezahlt. „Zunächst habe ich mich jeden Tag ins Büro der Gesellschaft begeben und sie gebeten, meinen Leuten zu Essen und Zigaretten zu geben. Aber keiner von ihnen hat uns unsere Löhne bezahlt.“ Herr Gao sagte: „Es handelte sich um Böswilligkeit. Sodann habe ich mich zu diversen Behörden begeben, doch sie alle sagten mir, ich müsste mich an die Justiz wenden. Aber ein gerichtlicher Antrag würde 2 500 Jüan kosten und wir konnten uns dieses Geld nicht leisten. Schließlich wurde ein Richter geschickt, damit er unsere Klagen anhöre. Doch die Unternehmer haben einfach abgestritten, dass wir beschäftigt gewesen seien. Und der Richter schien ihnen zu glauben. Sie schienen ihn bestochen zu haben. Jetzt lebe ich mit Freunden und kann mir nicht einmal eine Mahlzeit leisten, doch ich möchte nicht nach Hause gehen, ohne meinen Lohn erhalten zu haben.“ (Geoffrey York, Globe and Mail, 23. Oktober 2004).

Etwa 40 Prozent der Landbevölkerung überlebt dank der Überweisungen durch die MigrantInnen. Gleichzeitig gibt es aber einen von der OECD auf 24 Mrd. Dollar geschätzten Transfer aus der ländlichen Wirtschaft in die Städte, eine massive Zerstörung von sozialer Infrastruktur auf dem Lande und „pompöse“ Ausgaben in einigen Städten; auf den Bauern lasten sehr hohe Steuern, sie sind verpflichtet, ihre Ersparnisse bei Banken anzulegen, die städtische Projekte finanzieren usw. Vom Land kommende MigrantInnen sind also in einer Falle gefangen.

„Es gibt eine starke und weit verbreitete Diskriminierung der MigrantInnen. Sie werden von der Polizei drangsaliert, die sie verhaftet und Schmiergeld von ihnen verlangt, weil sie keinen festen Aufenthalt nachweisen können. Millionen von MigrantInnen werden festgenommen und wieder in ihre Heimatdörfer zurückgeschickt. Die meisten von ihnen können ihre Kinder nicht in die Schule schicken, weil die Kosten zu hoch sind und sonstige Verwaltungshindernisse bestehen.“ (ebd.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Die Polizeirepression soll auch die ausländischen Investoren beruhigen

 

Einige Daten und Fakten
zu China

Untergliederung: 22 Provinzen, dazu Taiwan, das von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird, außerdem fünf autonome Regionen: die innere Mongolei, Guangxi, Ningxia, Xinjiang (das frühere Ost- Turkistan), Xizang (Tibet). Es gibt eine große Ungleichheit bei den Durchschnittseinkommen zwischen den Regionen: Wenn man für 2002 Schanghai mit dem Index 100 bedenkt, dann liegt Peking bei 67,8 und Guangxi am unteren Ende bei 15,3. Der nationale Durchschnitt beläuft sich auf 27,8.

Bevölkerung: 1,3 Mrd., aktive Bevölkerung im Jahre 2000 757 Mio. Offiziell arbeiten noch 350,5 Mio. Menschen in der Landwirtschaft, dazu etwa 140 Mio. in Aktivitäten, die von der Landwirtschaft abhängig sind. Die Industrie beschäftigt offiziell 132,5 Mio. Aus diesem Bericht ergibt sich die „unerschöpfliche Quelle“ ausbeutbarer Arbeitskraft (unter ihnen die Migrant-Innen). Es findet ein kolossaler Transfer von Reichtum vom Land in die Stadt statt.

Wachstum des BIP: (in %): 1998: 7,8, 1999: 7,1, 2000: 8,0, 2001: 7,3, 2002: 8,0, 2003: 9,1. Das langfristige Wachstum lag in Südkorea in den siebziger Jahren bei 8,7% und in den neunziger Jahren bei 6,3%. Seit 2000 bewegt es sich bei 5,2%. Wird sich China diesem Trend anschließen? Dies ist eine wirtschaftliche und soziale Frage.

Investitionen: Sie lagen 2001 bei 36,3% des BIP, im Zeitraum 1989- 1991 bei 26,2%. Dies ist ein sehr hoher Anteil. Es stellt sich das Problem der möglichen Dauer und der Effizienz.

Ausfuhren (in Mrd. Dollar): 1998: 183,5, 1999: 194,7, 2000: 249, 2001: 266,1, 2002: 325,7, 2003: 390. Einfuhren: 1998: 136,9, 1999: 158,7, 2000: 214,7, 2001: 232,1, 2002: 281,5, 2003: 370. In der Tendenz ist die Entwicklung der Einfuhren (Basisprodukte und Halbfertigwaren) stärker als die der Ausfuhren. Der Handelsüberschuss hat daher die Tendenz, abzunehmen.

China und die WTO: Ab 2006 muss China den „Schutz geistigen Eigentums“ durchsetzen. Dies wird auf Schwierigkeiten stoßen, denn das Kopieren hat einen riesigen Umfang angenommen. Ein ernsthafteres Problem: Die Tätigkeit von Privatbanken in China muss liberalisiert werden. Gewisse Studien kommen zum Schluss, dass etwa 250 Mio. Menschen in China ein im Verhältnis zu ihrem Einkommen ziemlich hohes gespartes Guthaben besitzen (wegen der Ungewissheiten der Zukunft). Man schätzt es insgesamt auf zwei Billionen Dollar. Doch die Staatsbanken (es gibt vier wichtige) haben viele faule Kredite zu vertreten. Daher sichert die private Ersparnis als Guthaben ihr Gleichgewicht. Wenn US oder japanische Banken diese Ersparnisse zu sich umlenken könnten, würden die Bilanzen der öffentlichen Banken in den Keller gehen, und dies umso mehr, als letztere häufig spekulative Immobilienprojekte finanzieren. Sie sind auch stark in staatlichen Firmen engagiert, die sich in schwieriger Lage befinden. Es zeichnet sich eine Zerstörung von Kapital und von Produktivkräften ab, was aber nicht mit einem wirtschaftlichen Crash zu verwechseln ist.

Drei Phasen der Öffnung der Wirtschaft: In der ersten Phase (Ende siebziger und 80er Jahre) kamen die Gewinne aus dem Aufschwung der Landwirtschaft, in der sich eine ländliche Leichtindustrie entwickelte (die heute in der Krise ist). In der zweiten (Ende der 80er/Beginn 90er Jahre) kam es zu einem Zustrom von ausländischen Direktinvestitionen aus Taiwan, Hongkong, Macao, Singapur usw. Sie stellten bis zu 47,5% der Investitionen in der Provinz Guandong. In einer dritten Phase beschleunigte sich der Zustrom von ADI aus imperialistischen Ländern; China baute neue Wirtschaftsbeziehungen mit den ASEAN-Staaten oder gewissen latein-amerikanischen Ländern (Brasilien, Argentinien, Chile) auf.

 

 

 

 


China bietet ein Reservoir an Arbeits-kräften, wie sie vom industriellen Boom
verlangt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

Stephan Roach, „How Global Labour
Arbitrage will shape the World Economy“,
Global Agenda. Partnering for Security and Prosperity, 2004. Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, Basel), 74.
Jahresbericht, Basel 2004. World Investment Report 2004, Cnuced, Genf 2004.
World Trade Report, WTO, Genf 2004. Wall Street Journal, 22. Oktober 2004. Sondernummer des The Economist, „The Dragon and the Eagle“, 2.
Oktober 2004, S. 26ff. Deng Xiaoping, Textes choisis, Editions en langues étrangères, Peking 1983.
Der Spiegel, Nr. 42/2004. Anita Chan,
China’s Workers under Assault.
The Exploitation of Labor in a Globalizing
Economy, London, M.E. Sharpes, 2001. Qion Hui, „Dividing the Big Familiy Assets“, in: New Left Review, März/April 2003, S. 83-110.
Wang Hui, „Fire at The Castele Gate“, in: New Left Review, November/Dezember 2000, S. 66-99.
Foreign Direct Investment on the
Development Gateway: The SGV Review,
September 2004, Artikel von Desmond Wrong, „Do You Know Where Your Competitors Are“.
Trotzki, Marx vu par Trotzki, Buchet Chastel 1970.
Antoine Kernen, La Chine vers l’économie de marché. Les privatisations àShenyang, Karthale 2004. Politics in China.
Moving Frontiers, ed. by F. Mongin und J.L. Rocca, Palgrave Macmillan, New York 200.
John King Fairbank, La grande révolution
chinoise 1980-1989, Falammarion 1998. Cong Cao, « L’industrie chinoise face au défi technologique. Les investiteurs étrangers sont les premiers pourvoyeurs de technologies, in: Perspectives chinoises, Nr. 83, Mai/Juni 2004.