Die
UN-Resolution vom 11. August 2006 legt fest,
wie es nach dem Krieg weitergehen soll –
und verfestigt das Unrecht
Der
Libanon war in den letzten Jahren ein bevorzugtes
Areal für die veränderte Rolle der
UNO, die durch das Ende des „Gleichgewichts
der Kräfte“ verursacht wurde, welches
sich die beiden Supermächte des Kalten
Krieges bis 1990 gegenseitig auferlegt hatten.
Die Sicherheitsratsresolution 1559 (2004) zum
Thema Libanon ist sowohl eine der schamlosesten
Verletzungen der UN Charta als auch ein Denkmal
der Heuchelei.
Ohne dass die libanesische Regierung eine Eingabe
an den Sicherheitsrat eingereicht hätte
wurde die Resolution angenommen und verkündet
ihr Festhalten an der Souveränität
des Libanon, während gleichzeitig in die
inneren Angelegenheiten des Landes eingegriffen
wird, in Verletzung von Artikel 2, Punkt 7 der
Charta, der jede Intervention bei Angelegenheiten
„...die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit
eines Staates gehören“... verbieten1.
Es bedarf außerdem einer außerordentlichen
Naivität um zu glauben, dass auch nur ein
einziger der ständigen Mitgliedsstaaten
des Sicherheitsrates in irgendeiner Weise der
Souveränität eines Staates verpflichtet
wäre, außer der des eigenen. Resolution
1559 passt in ganz offensichtlicher Weise zum
Vorgehen der USA gegen den Iran im Zuge der
Besetzung des Irak und zielt klar auf die Verbündeten
Teherans – das syrische Regime und Libanons
Hisbollah – und die Tatsache, dass diese
Resolution 2004 und nicht früher, verabschiedet
wurde, demonstriert diesen Sachverhalt zur Genüge.
Die
UN-Resolution über den Einsatz von UNO-Truppen
verfestigt das Unrecht gegen den Libanon.
Die Resolution 1701 vom 11. August 2006 ist
in jeder Hinsicht genauso ungeheuerlich. Sie
wurde nach mehreren Wochen Hinhaltetaktik Washingtons,
um Israel genug Zeit für den Angriff zu
gewähren, im Sicherheitsrat angenommen.
Die Ungerechtigkeit der Resolution ist insoweit
himmelschreiend, als sie bei der Verurteilung
der kriminellen Handlungen Israels versagt und
nur den „Angriff der Hisbollah auf Israel“
und die „weitere Eskalation der Feindseligkeiten
in Libanon und in Israel“ (sic) erwähnt.
Die Resolution zeigt unglaubliche Heuchelei,
indem sie fordert, Israel solle seine „offensiven
Militäroperationen“ einstellen ohne
die sofortige Aufhebung der dem Libanon auferlegten
Blockade zu verlangen, als ob eine Blockade
nicht eine besonders offensive militärische
Aktion wäre.
Die Ungerechtigkeit ist genauso erschreckend,
wenn die neue UNIFIL – die bemerkenswerter
Weise nur im besetzten Gebiet stationiert wird
– da
für sorgen soll, „dass ihr Einsatzgebiet
nicht für feindselige Aktivitäten
gleich welcher Art genutzt wird.“ Die
Resolution 1701 sagt nichts über den Schutz
libanesischen Territoriums gegen die wiederholten
Angriffe Israels, das 18 Jahre Besatzungsmacht
im Libanon war (ganz zu schweigen von dem seit
1967 besetzten Gebiet).
Um einen Eindruck der voreingenommen Vision
der UNIFIL zu bekommen, die die europäischen
Staaten haben (die auch das Rückgrat des
Truppenkontingents bilden), sollte mensch das
Interview in Le Monde (31.August 2006) mit Jean-Marie
Guéhenno, dem Vorsitzenden der UN-Friedensmissionen
lesen. Dazu bedarf es keiner weiteren Kommentare:
„Könnten Sie sich veranlasst
sehen, Gewalt gegen die Hisbollah einzusetzen?
“
„Wir könnten uns dazu veranlasst
sehen, und zwar im Hinblick auf Elemente die
unsere Bewegungsfreiheit einschränken oder
eine Bedrohung für den Frieden oder die
Bevölkerung darstellen [...]“.
„Was würde UNIFIL bei einem Angriff
der israelischen Armee auf den Libanon tun?“
„Unglücklicherweise gab es seit der
Beendigung der Feindseligkeiten mehr israelische
Übergriffe als durch bewaffnete libanesische
Elemente. [...]“ „Könnten
Sie sich veranlasst sehen, in diesem Fall Gewalt
gegen Israel einzusetzen? “
„Ich denke, dass Israel die Aufrechterhaltung
des internationalen Gesetzes gewahrt wissen
will, und dass Israel – im Bestreben,
dass Verantwortung und Souveränität
im Libanon Hand in Hand gehen – seiner
Verantwortung bei der Beachtung internationaler
Gesetze gerecht wird.“
geschätzte Kosten der Zerstörungen:
2,5 Mrd. $
UN-TRUPPEN
Resolution
1701 ist voller absichtlich doppeldeutiger Formulierungen,
die auf die Perspektive einer bewaffneten Mission
unter Kapitel VII der Charta weisen, die durch
Washington und Paris in ihrem Entwurf vom 05.
August eingebracht worden war und von der Hisbollah
und der libanesischen Regierung abgelehnt wurde.
Angesichts dieser Einwände gaben Washington
und Paris die Idee einer neuen internationalen
Truppe im Libanon auf und gaben sich mit der
bereits in Position gebrachten UNIFIL-Truppe
zufrieden.
Dennoch wurde das Mandat der letzteren beträchtlich
geändert, nicht nur im Sinne der obigen
Änderung, sondern auch bezüglich ihres
Einsatzgebietes. UNIFIL II ist nicht nur dazu
befugt, sich entlang der Syrisch-Libanesischen
Grenze in Stellung zu bringen, sondern auch
Libanons Luft- und Seezugang zu kontrollieren.
Zusammengefasst ist der Grundtenor dieser Resolution,
Libanon als den Aggressor zu behandeln! In diesem
Sinne stellt dies einen Versuch dar, den israelischen
Krieg gegen den Libanon auf andere Weise weiterzuführen,
was kurzoder mittelfristig weitere Kriegshandlungen
implizieren kann. Darum sollte die Resolution
von jedem und jeder, die den Geist der UN Charta
aufrechterhält, vehement abgelehnt werden.
Das bedeutet nicht, dass mensch die Anwesenheit
der UNIFIL entlang der Libanesisch-Israelischen
Grenze ablehnen soll. UNIFIL ist seit 1978 dort
und wird von allen libanesischen politischen
Kräften akzeptiert. Trotz der offensichtlichen
Wirkungslosigkeit beim Schutz gegen israelische
Übergriffe auf Libanons Souveränität
und ihrer Tatenlosigkeit bei der Invasion des
Libanon durch Israel 1982 und der darauf folgenden
18 Jahre währenden Besetzung des Südlibanon,
ist die UNIFIL ein wichtiger Zeuge dieser Angriffe.
Es ist wichtig, erstens die grundlegende und
gefährliche Änderung des UNIFIL-Mandats
durch Resolution 1701 abzulehnen und zweitens
Wider- stand zu leisten gegen die Verwendung
von UNIFIL II und dem UN-Deckmantel zur Weiterführung
des Krieges für die gemeinsamen Ziele von
Israel, Washington und Paris im Libanon.
Was sich hier gerade abspielt ist eine erneute
Anwendung der Praxis, die symptomatisch für
die momentane Lage ist: die Verwendung der UN
als ein Feigenblatt für militärische
Operationen, angeführt von Washington mit
der Nato und anderen Verbündeten, wie es
in Afghanistan seit Dezember 2001 der Fall ist.
Gesundem Menschenverstand zufolge sollte eine
Eingreiftruppe aus Soldaten neutraler Länder
zusammengestellt sein. Jedoch sind im Libanon-Konflikt
Washington und Paris in keiner Weise neutral.
Keine Macht, die mit den USA verbündet
ist, wird in einer Auseinandersetzung zwischen
einem Hauptverbündeten Washingtons und
einem anderen Staat als neutral gesehen. Darum
sollten alle, die Frieden für den Nahen
Osten herbeisehnen und denen die US Projekte
in diesem Teil der Welt Sorgen bereiten, die
Entsendung und die Präsenz von Truppen
der Natomitgliedsstaaten energisch ablehnen.
Eine Protestbewegung in diesem Sinne hat in
den in Frage kommenden Ländern, von Deutschland
bis zur Türkei, über Frankreich, Italien
und Spanien begonnen. Diese Aufgabe ist umso
notwendiger, als sich Israel das „Recht
des Stärkeren“ herausnimmt, um die
Beteiligung von Truppen gewisser muslimischer
Länder in UNIFIL abzulehnen, mit der Begründung,
dass sie im Israelisch-Arabischen Konflikt nicht
neutral sind.
Übersetzung:
Lex Schmidt
*Gilbert
Achcar lebte bis 1983 im Libanon und unterrichtet
Politikwissenschaften an der Universität
Paris-VIII. Sein Buch „The Clash of Barbarisms“
erschien soeben in der 2. Auflage (dt. im Neuen
ISP-Verlag: Der Schock der Barbarei. Der 11.
September und die „neue Weltordnung“,
131 S., € 12.-). Ein Buch mit seinen Gesprächen
mit Noam Chomsky über den Nahen Osten,
„Perilous Power“ erscheint demnächst.
Weitere Bücher: „Gerechtigkeit und
Solidarität. Ernest Mandels Beitrag zum
Marxismus“ (Neuer ISP Verlag); The Israeli
Dilemma (2006). Achcar ist Mitglied der IV.
Internationale.
1
„Aus dieser Charta kann eine Befugnis
der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angele¬genheiten,
die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit
eines Staates gehören oder eine Verpflichtung
der Mitglieder, solche Angele¬genheiten
einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen,
nicht abgeleitet wer¬den; die Anwendung
von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel II wird
durch diesen Grundsatz nicht berührt.“
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