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Libanon:
Gegen die Resolution 1701, gegen
den Einsatz von Nato-Truppen


von Gilbert Achcar* aus INPREKORR 420/421, November/Dezember 2006



Die UN-Resolution vom 11. August 2006 legt fest, wie es nach dem Krieg weitergehen soll – und verfestigt das Unrecht

Der Libanon war in den letzten Jahren ein bevorzugtes Areal für die veränderte Rolle der UNO, die durch das Ende des „Gleichgewichts der Kräfte“ verursacht wurde, welches sich die beiden Supermächte des Kalten Krieges bis 1990 gegenseitig auferlegt hatten. Die Sicherheitsratsresolution 1559 (2004) zum Thema Libanon ist sowohl eine der schamlosesten Verletzungen der UN Charta als auch ein Denkmal der Heuchelei.

Ohne dass die libanesische Regierung eine Eingabe an den Sicherheitsrat eingereicht hätte wurde die Resolution angenommen und verkündet ihr Festhalten an der Souveränität des Libanon, während gleichzeitig in die inneren Angelegenheiten des Landes eingegriffen wird, in Verletzung von Artikel 2, Punkt 7 der Charta, der jede Intervention bei Angelegenheiten „...die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“... verbieten1.

Es bedarf außerdem einer außerordentlichen Naivität um zu glauben, dass auch nur ein einziger der ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates in irgendeiner Weise der Souveränität eines Staates verpflichtet wäre, außer der des eigenen. Resolution 1559 passt in ganz offensichtlicher Weise zum Vorgehen der USA gegen den Iran im Zuge der Besetzung des Irak und zielt klar auf die Verbündeten Teherans – das syrische Regime und Libanons Hisbollah – und die Tatsache, dass diese Resolution 2004 und nicht früher, verabschiedet wurde, demonstriert diesen Sachverhalt zur Genüge.

Die UN-Resolution über den Einsatz von UNO-Truppen
verfestigt das Unrecht gegen den Libanon.


Die Resolution 1701 vom 11. August 2006 ist in jeder Hinsicht genauso ungeheuerlich. Sie wurde nach mehreren Wochen Hinhaltetaktik Washingtons, um Israel genug Zeit für den Angriff zu gewähren, im Sicherheitsrat angenommen. Die Ungerechtigkeit der Resolution ist insoweit himmelschreiend, als sie bei der Verurteilung der kriminellen Handlungen Israels versagt und nur den „Angriff der Hisbollah auf Israel“ und die „weitere Eskalation der Feindseligkeiten in Libanon und in Israel“ (sic) erwähnt. Die Resolution zeigt unglaubliche Heuchelei, indem sie fordert, Israel solle seine „offensiven Militäroperationen“ einstellen ohne die sofortige Aufhebung der dem Libanon auferlegten Blockade zu verlangen, als ob eine Blockade nicht eine besonders offensive militärische Aktion wäre.

Die Ungerechtigkeit ist genauso erschreckend, wenn die neue UNIFIL – die bemerkenswerter Weise nur im besetzten Gebiet stationiert wird – da
für sorgen soll, „dass ihr Einsatzgebiet nicht für feindselige Aktivitäten gleich welcher Art genutzt wird.“ Die Resolution 1701 sagt nichts über den Schutz libanesischen Territoriums gegen die wiederholten Angriffe Israels, das 18 Jahre Besatzungsmacht im Libanon war (ganz zu schweigen von dem seit 1967 besetzten Gebiet).

Um einen Eindruck der voreingenommen Vision der UNIFIL zu bekommen, die die europäischen Staaten haben (die auch das Rückgrat des Truppenkontingents bilden), sollte mensch das Interview in Le Monde (31.August 2006) mit Jean-Marie Guéhenno, dem Vorsitzenden der UN-Friedensmissionen lesen. Dazu bedarf es keiner weiteren Kommentare:
„Könnten Sie sich veranlasst sehen, Gewalt gegen die Hisbollah einzusetzen? “

„Wir könnten uns dazu veranlasst sehen, und zwar im Hinblick auf Elemente die unsere Bewegungsfreiheit einschränken oder eine Bedrohung für den Frieden oder die Bevölkerung darstellen [...]“.

„Was würde UNIFIL bei einem Angriff der israelischen Armee auf den Libanon tun?“

„Unglücklicherweise gab es seit der Beendigung der Feindseligkeiten mehr israelische Übergriffe als durch bewaffnete libanesische Elemente. [...]“ „Könnten Sie sich veranlasst sehen, in diesem Fall Gewalt gegen Israel einzusetzen? “

„Ich denke, dass Israel die Aufrechterhaltung des internationalen Gesetzes gewahrt wissen will, und dass Israel – im Bestreben, dass Verantwortung und Souveränität im Libanon Hand in Hand gehen – seiner Verantwortung bei der Beachtung internationaler Gesetze gerecht wird.“


geschätzte Kosten der Zerstörungen: 2,5 Mrd. $

UN-TRUPPEN

Resolution 1701 ist voller absichtlich doppeldeutiger Formulierungen, die auf die Perspektive einer bewaffneten Mission unter Kapitel VII der Charta weisen, die durch Washington und Paris in ihrem Entwurf vom 05. August eingebracht worden war und von der Hisbollah und der libanesischen Regierung abgelehnt wurde. Angesichts dieser Einwände gaben Washington und Paris die Idee einer neuen internationalen Truppe im Libanon auf und gaben sich mit der bereits in Position gebrachten UNIFIL-Truppe zufrieden.

Dennoch wurde das Mandat der letzteren beträchtlich geändert, nicht nur im Sinne der obigen Änderung, sondern auch bezüglich ihres Einsatzgebietes. UNIFIL II ist nicht nur dazu befugt, sich entlang der Syrisch-Libanesischen Grenze in Stellung zu bringen, sondern auch Libanons Luft- und Seezugang zu kontrollieren.

Zusammengefasst ist der Grundtenor dieser Resolution, Libanon als den Aggressor zu behandeln! In diesem Sinne stellt dies einen Versuch dar, den israelischen Krieg gegen den Libanon auf andere Weise weiterzuführen, was kurzoder mittelfristig weitere Kriegshandlungen implizieren kann. Darum sollte die Resolution von jedem und jeder, die den Geist der UN Charta aufrechterhält, vehement abgelehnt werden.

Das bedeutet nicht, dass mensch die Anwesenheit der UNIFIL entlang der Libanesisch-Israelischen Grenze ablehnen soll. UNIFIL ist seit 1978 dort und wird von allen libanesischen politischen Kräften akzeptiert. Trotz der offensichtlichen Wirkungslosigkeit beim Schutz gegen israelische Übergriffe auf Libanons Souveränität und ihrer Tatenlosigkeit bei der Invasion des Libanon durch Israel 1982 und der darauf folgenden 18 Jahre währenden Besetzung des Südlibanon, ist die UNIFIL ein wichtiger Zeuge dieser Angriffe.

Es ist wichtig, erstens die grundlegende und gefährliche Änderung des UNIFIL-Mandats durch Resolution 1701 abzulehnen und zweitens Wider- stand zu leisten gegen die Verwendung von UNIFIL II und dem UN-Deckmantel zur Weiterführung des Krieges für die gemeinsamen Ziele von Israel, Washington und Paris im Libanon.

Was sich hier gerade abspielt ist eine erneute Anwendung der Praxis, die symptomatisch für die momentane Lage ist: die Verwendung der UN als ein Feigenblatt für militärische Operationen, angeführt von Washington mit der Nato und anderen Verbündeten, wie es in Afghanistan seit Dezember 2001 der Fall ist.

Gesundem Menschenverstand zufolge sollte eine Eingreiftruppe aus Soldaten neutraler Länder zusammengestellt sein. Jedoch sind im Libanon-Konflikt Washington und Paris in keiner Weise neutral. Keine Macht, die mit den USA verbündet ist, wird in einer Auseinandersetzung zwischen einem Hauptverbündeten Washingtons und einem anderen Staat als neutral gesehen. Darum sollten alle, die Frieden für den Nahen Osten herbeisehnen und denen die US Projekte in diesem Teil der Welt Sorgen bereiten, die Entsendung und die Präsenz von Truppen der Natomitgliedsstaaten energisch ablehnen.

Eine Protestbewegung in diesem Sinne hat in den in Frage kommenden Ländern, von Deutschland bis zur Türkei, über Frankreich, Italien und Spanien begonnen. Diese Aufgabe ist umso notwendiger, als sich Israel das „Recht des Stärkeren“ herausnimmt, um die Beteiligung von Truppen gewisser muslimischer Länder in UNIFIL abzulehnen, mit der Begründung, dass sie im Israelisch-Arabischen Konflikt nicht neutral sind.

Übersetzung: Lex Schmidt

*Gilbert Achcar lebte bis 1983 im Libanon und unterrichtet Politikwissenschaften an der Universität Paris-VIII. Sein Buch „The Clash of Barbarisms“ erschien soeben in der 2. Auflage (dt. im Neuen ISP-Verlag: Der Schock der Barbarei. Der 11. September und die „neue Weltordnung“, 131 S., € 12.-). Ein Buch mit seinen Gesprächen mit Noam Chomsky über den Nahen Osten, „Perilous Power“ erscheint demnächst. Weitere Bücher: „Gerechtigkeit und Solidarität. Ernest Mandels Beitrag zum Marxismus“ (Neuer ISP Verlag); The Israeli Dilemma (2006). Achcar ist Mitglied der IV. Internationale.

1 „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angele¬genheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angele¬genheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet wer¬den; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel II wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“