"Sowohl
in der Lehre als auch in der Forschung kontrastieren
die vergleichsweise vorteilhaften Arbeitsbedingungen
für Schweizer Professorinnen und Professoren
mit der häufig prekären Lage des unteren
und oberen Mittelbaus", ist einem
Bericht der OECD nachzulesen1. Reguläre
Arbeitsverhältnisse sind an den Schweizer
Universitäten die Ausnahme. Als Normalität
gelten befristete Verträge und Teilzeitanstellungen.
Im Mittelbau ist die Mehrheit (60%) teilzeitbeschäftigt.
Über alle Fakultäten und Unis hinweg
gezählt widmet der obere Mittelbau in der
Schweiz 61 Prozent seiner Arbeit der Grundausbildung
der Studierenden, die Professorenschaft nur
35 Prozent.2 Lücken in der Lehre
füllen zunehmend externe DozentInnen oder
Projekt-mitarbeiterInnen, die oft schlecht bezahlt
und teilweise nur für ein Semester angestellt
sind. Es kommt inzwischen sogar vor, dass Dozierende
unbezahlt – d.h. gegen „symbolische
Gratifikation“ – Lehraufträge
verrichten. Wissenschaftler-Innen ohne Professur
hangeln sich von Projekt zu Projekt und von
einerbefristeten Anstellung zur nächsten.
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In
Wien forderten die Lehrenden gemeinsam
mit der Protestbewegung ausreichende finanzielle
Ausstattung, eine Demokratisierung der
Universitäten sowie freien Zugang
zu Universitäten. |
Durch
die Zunahme des Drittmittelanteils in der Forschung
arbeiten immer mehr Nachwuchs-wissenschaftlerInnen
auf Projektstellen, die normaler-weise auf maximal
drei bis vier Jahre beschränkt sind. Die
Bezahlung ist für Schweizer Verhältnisse
und in Bezug auf die Gehälter in der Privatwirtschaft
eher gering: Doktorierende auf Projektstellen
verdienen bei Bezahlung durch den Schweizerischen
National-fondsknapp 40’000 Franken jährlich.
Wissenschaftler-Innen auf Assistenzstellen,
die aus Universitätsmitteln finanziert
werden, sind häufig nur zu 50 Prozent angestellt
respektive bezahlt, was bedeutet, dass die Doktorarbeit
und oft auch einbeträchtlicher Anteil des
persönlichen Aufwands für die Lehre
und Studierendenbetreuungun bezahlt geleistet
wird. Assistenzen sind in der Regel auf vier
bis max. fünf Jahre befristet. Die Einbindung
in die Lehre während der Assistenzzeit
ist wichtig und bringt viele wertvolle Erfahrungen.
Aber oft nimmt die Assistenztätigkeit überhand
– zumal die Arbeitsbelastung durch die
Korrekturen und die Administration der Leistungsüberprüfungen
in der Bologna-Punkte-Bürokratie enorm
gewachsen ist. Es bleibt wenig Zeit für
die eigentliche Doktorarbeit und die Dissertationsphase
zieht sich dadurch in die Länge. Zwischen
Dissertation und gesicherter akademischer Beschäftigung
liegt oftmals eine lange Durststrecke unsicherer
Erwerbsverhältnisse. Bis zum ProfessorInnentitel
gelten Wissen-schaftlerInnen als "akademischer
Nachwuchs" – was sich oft bis ins
Alter von 40 oder 45 Jahren hinzieht. Diese
unsichere „Schwebelage“ kann auch
in einer Sackgasse enden –wenn die erhoffte
Berufung auf eine ordentliche Professur nicht
erfolgt. Die wissenschaftliche Laufbahn birgt
also einige Risiken und Unsicherheiten und lässt
die Forschenden und Lehrenden über eine
lange Zeit im Ungewissen über die Zukunft.
Unterschiedliche
subjektive Verarbeitungsformen
Was objektiv als „prekäre Arbeit“
gilt, muss subjektiv nicht als Prekarisierung
empfunden werden – dies ist in speziellem
Masse bei Universitätsangestellten der
Fall, bei denen die Akzeptanz atypischer Beschäftigung
relativ hoch zu sein scheint. Für WissenschaftlerInnen
ist es "normal", höchst flexibel,
in Teilzeitanstellung, befristet und im Vergleich
zu Gleichqualifizierten in der Privatwirtschaft
eher schlechter entlohnt zu arbeiten. Eine Entschädigung
dafür kann sein, dass die eigene Arbeit
als interessant, kreativ und sinnvoll empfunden
wird und die Autonomie in der Zeiteinteilung
relativ gross ist. Denn wie, wann und wo gearbeitet
wird, bleibt dem/der Wissenschaftler(in) weitgehend
selbst überlassen. Das vergleichsweise
hohe Potenzial an Selbstverwirklichung in der
akademischen Beschäftigung scheint die
Sorgen um die materielle Dimension einer prekären
Existenz in den Hintergrund treten zulassen.
Die Bewertungs- und Verarbeitungsformen von
Prekarität sind unter WissenschaftlerInnen
jedoch recht unterschiedlich. Ob eine befristete
Anstellung in einem Forschungsprojekt oder eine
Assistenz als prekär empfunden wird, hängt
stark von den Perspektiven und den Erwartungen
an den Berufsweg ab, der vor einem liegt. Aber
auch die soziale Herkunft, das Lebensalter,
die familiäre Situation und nicht zuletzt
das Geschlechtbeeinflussen die Art der Auseinandersetzung
mit und die Bewertung von prekären Beschäftigungsverhältnissen.3
Zwang
zur Selbstvermarktung
Die
Risiken, die eine akademische Laufbahn mit sich
bringt, wirken sich im Kontext der Umstrukturierung
der Universitäten in Dienstleistungs-unternehmen
auch ganz konkret auf das Funktionieren des
akademischen Alltags und schliesslich auf die
Subjektivität der WissenschaftlerInnen
selbst aus. Nachwuchsforschende haben sich als
aktive „SelbstunternehmerInnen“
zu verstehen, Forschen ist als Wettbewerb zu
leben: Um sich überhaupt" im Rennen"
zu behalten und die wissenschaftliche Reputation
zu steigern, müssen Nachwuchs-wissenschaftlerInnen
möglichst viel in renommierten Fachzeitschriften
(sog. "peer reviewed journals",die
oft inhaltlich wenig pluralistisch sind) und
bei angesehenen Verlagen publizieren. "Publish
or perish!" – veröffentliche
oder gehe unter – ist im Wissenschaftsbetrieb
zu einer gängigen Redewendung und zum Karrieregebot
Nr. 1 geworden. Bibliometrische Kriterien stellen
im Konkurrenzkampf um Forschungs-gelder und
offene Stellen die „objektive“ Bewertung
der eigenen Leistung dar: Berufungs- und Evaluationskommissionen
schauen heute zuallererst auf die Menge (weniger
die Qualität) der publizierten Monographien,
Artikel und Aufsätze eines/r Kandidaten/in.
Entsprechend fleissig und ergebnisorientiert
erweitert ein/e ambitionierte/r Nachwuchswissen-schaftlerIn
die persönliche Publikationsliste, poliert
das Portfolio auf und betreibt aktives Networking.
Selbstvermarktung zählt heute zu einer
wichtigen habituellen Eigenschaft eines/r aufstrebenden
Wissenschaftlers/in. Der Umbau der Universitäten
hat demnach nicht nur formale Folgen und verändert
die Arbeitsweise und -belastung der Uniangehörigen,
sondern erwirkt auch die Etablierung einer ökonomischen
Rationalität. Die „unternehmer-ische
Universität“ von heute totalisiert
die Marktlogik und fördert eine selbstunternehmerische
Haltung zu Bildung und zum eigenen Lebensentwurf.
So haben sich Studierende als InvestorInnen
in ihr eigenes Humankapital zu verstehen, die
möglichst effizient,das heisst in kurzer
Zeit, möglichst viele Kreditpunkte akkumulieren.
Wissen wird zunehmend wie Fastfood konsumiert
und mechanisch angeeignet – für den
Blick auf Gesamtzusammenhänge und die kritische
Hinterfragung der Lehrinhalte fehlen Zeit und
Musse. Eine problemorientierte, offene und selbstreflexive
Erarbeitung und Diskussion wissenschaftlicher
Fragestellungen erweist sich im rigiden Punktefahrplan
als schwierig. Als Dozierende ist man wohl oder
übel damit konfrontiert, repressive und
disziplinierende Studienstrukturen mitzutragen
und den sichtlich unter Zeitdruck stehenden
Studierenden die „Spielregeln“ bekanntzugeben,
die zum Erwerb eines Leistungs-nachweises und
damit zur Gutschreibung der Kreditpunkteam Ende
des Semesters führen. Durch die zunehmenden
Disziplinierungsmass-nahmen erschwert sich die
Einübung antiautoritärer Lehr- und
Lernformen und es macht sich schleichend, aber
bemerkbar eine instrumentalistische, tendenziell
antiintellektuelle Haltung breit.
Marginalisierung
kritischer Wissenschaft
Kritische WissenschaftlerInnen, die sich in
einer linken Theorie- und Wissenschaftstradition
sehen, hatten nie einen einfachen Stand in der
Schweiz. Wenige tendenziell herrschaftskritische
ProfessorInnen – meist Kinder von 1968
– wurden auf einzelne Lehrstühle
berufen und versuch(t)en, kritische Lehre und
Forschung nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen,
d.h. Forschungsprojekte jenseits des wissenschaftlichen
Kanons oder der ökonomischen Verwertbarkeit
durchzuführen und Nachwuchswissen-schaftlerInnen
zu engagieren, die sich ausserhalb des "Mainstreams"
bewegen. Auch wenn es in seltenen Fällen
gelingen konnte, eingewisses Milieu für
kritisch-demokratische Wissensproduktion zu
kreieren, sehen sich heute alle WissenschaftlerInnen,
die eigentlich gegen den Strom schwimmen, den
Strudeln ausgesetzt, die von der Implementierung
der marktwirtschaftlichen Logik an den Universitäten
ausgehen. Herrschaftskritische, engagierte Wissenschaft
hat unter der Hegemonie des Neoliberalismus
einen schweren Stand. Unter dem Deckmantel scheinbarer
Werturteilsfreiheit werden systemkritische und
nichtstrom-linienförmige Wissen-schaftlerInnen
zunehmend verdrängt oder sie ziehen sich
selber zurück, weil sie sich dem Diktat
der Selbstvermarktung nicht unterordnen wollen.
Zeichnet sich die akademische Welt laut Franz
Schultheis, Soziologieprofessor an der Universität
St. Gallen, traditionellerweise durch ein ausgeprägtes
Potenzial an kritischer Beobachtung, Reflexion
und Kommentierung politischer Entwicklungen
und öffentlicher Belange aus, so ist diese
"kritische Dauerbeobachtung von Gesellschaft"
heute in Gefahr: "Die wachsende Hegemonie
ökonomischer Zweckrationalität in
einem bis dahin einigermassengeschützten
Bereich fängt an, die relative Autonomie
von Wissenschaft und Bildung dauerhaft zu untergraben."4
Verlangen
wir ein neues Spiel…
Bislang ist das wissenschaftliche Lehr und Forschungs-personal
vergleichsweiseruhig geblieben. Obwohl es nach
Kurt Imhof, Soziologieprofessor in Zürich,"eine
absolute Mehrheit von 'verborgenen' Anti-Bologna-Professoren"
gibt, werde Bologna wie eine biblische Heuschreckenplage
ertragen5. Immerhin hat die Bewegung
der Studierenden auch hier etwas ausgelöst:
Über 200 Dozierende und Forschende an Schweizer
Unis haben eine Erklärung unterschrieben,
in der sie ihre Kolleginnen und Kollegen in
Forschung und Lehre auffordern, "in
die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen,
ihren Unmut und ihre Kritik öffentlich
zu äussern und in einen ehrlichen und (selbst)
kritischen Dialog mit den Studierenden zu treten".
Diese Erklärung ist von den offiziellen
Medien bisher praktisch nicht aufgenommen worden.
Wahrscheinlich wird sich auch das Lehr- und
Forschungspersonal erst Gehör verschaffen,
wenn es aufhört, die vorgegebenen Spielregeln
achselzuckend umzusetzen und stattdessen zusammen
mit den Studierenden ein brandneues Spiel verlangt.
Dazu müssten sich die Lehrenden und Forschenden
in einem ersten Schritt einen eigenen Forderungskatalog
erarbeiten, wie dies die Studierenden in äusserst
basisdemokratischer Manier vorgemacht haben.6
Brauchen
wissenschaftliche Leistungen nicht ein Klima
geistiger Inspiration und Offenheit? Genügend
Zeit und intellektuelle Freiräume? Prekäre
Beschäftigung ist keine gute Basis für
kritische und unabhängige Lehre und Forschung.
Um ein konstruktives Klima der Wissens-produktion
zu schaffen, braucht es einen massiven Ausbau
an fair entlohnten, stabilen und unbefristeten
Anstellungen, die den Lehrenden und Forschenden
unterhalb der Professorenebene eine gewisse
Sicherheit in der Lebensplanung erlauben und
die Möglichkeit bieten, sich mit langem
Atem mit wissenschaftlichen Problemstellungen
auseinanderzu-setzen. Genauso dringend ist es,
anstelle der unternehmensförmigen Organisation
der Universitäten für demokratisch
legitimierte Strukturen einzutreten –
eine fundamentale Voraussetzung für kritische
Forschung und Lehre. Wir brauchen Hochschulen
als Räume des Denkens, Forschens, des Lehrens
und Lernens frei von Zwängen der Marktlogik.
Unabhängige
Forschung und Lehre sind kein überflüssiger
Luxus. Genauso wenig wie ein Studium jenseits
der Verwertungslogik von Bologna ein Luxus ist.
*
Sarah Schilliger arbeitet seit 2006 als Assistentin
und Lehrbeauftragte am Institut für
Soziologie an der Universität Basel und
hat zusammen mit Peter Streckeisen die
„Erklärung der Lehrenden und Forschenden“
lanciert.
1 OECD (2003): Examen der nationalen Bildungspolitiken.
Die tertiäre Bildung in der Schweiz. Paris/Bern.
Mittelbau
ist die umgangssprachliche Bezeichnung für
die
Gruppe der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen
an
Universitäten – er umfasst praktisch
alle WissenschaftlerInnen,
die keine Professor(inn)en sind: Assistent(inn)en,
Oberassistent(inn)en,
Projektmitarbeitende, Lehrbeauftragte, Doktorand(
inn)en, Post-Docs.
2 Vgl. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/
index/themen/15/06/data.Document.65040.xls
3 Ulrich Brinkmann/Klaus Dörre/Silke Röbenack
(2006):
Prekäre Arbeit. Ursachen, Ausmass, soziale
Folgen und subjektive
Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse.
Bonn.
4 Franz Schultheis (2008): Ach Bologna –
Das Elend der europäischen
Hochschulreform. In: UVK: DRUCKreif, Nr. 02/2008,
S. 8-10. http://www.alexandria.unisg.ch/EXPORT/DL/Franz_Schultheis/46881.pdf
5 Interview mit Kurt Imhof in der Sonntagszeitung
vom 4. November 2009:
„Es herrscht ein Bulimie-Lernen: Reinfuttern,
rauskotzen, vergessen.“
6 Vgl. Forderungskatalog der Lehrenden und Forschenden
in Wien:
http://unsereuni.at/?p=6188
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