In
Griechenland ist seit den vorgezogenen Parlamentswahlen
vom 6. Mai und 17. Juni 2012 die Neonazi-Partei
Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), auf
dem Vormarsch: Sie vermochte im Mai 440’966
Stimmen (7%) und im Juni 426’025 Stimmen
(6,9%) auf sich zu vereinen. Seither verfügt
sie über 18 Sitze in einem 300 Abgeordnete
zählenden Parlament. Am 7. November
2010 erzielte sie bei den Athener Kommunalwahlen
5,3% der Stimmen und sicherte sich damit
zum ersten Mal einen Sitz im Stadtrat. In
einigen Quartieren beliefen sich ihre Wahlresultate
gar auf 15 bis 20%. Im Januar 2013 ergaben
Umfragen zu den Wahlabsichten 10% für
Chrysi Avgi.
Um diesen
politischen Aufstieg zu erklären, genügt
es nicht, sich einfach auf die schwere soziale
Krise im Zusammenhang mit den drei verheerenden
Austeritätsplänen zu beziehen, die
der griechischen Bevölkerung von der Troika
(EU, Europäische Zentralbank und Internationaler
Währungsfond) sowie ihren politischen Verbündeten
in Griechenland, der Regierung Antonis Samaras
von Nea Dimokratia, aufgezwungen wird. Letztere
beruht auf einer Koalition mit der sozialdemokratischen
Pasok und der Demokratischen Linken (Dimar).
Ebenso
genügt es nicht, den Erfolg von Chrysi
Avgi einfach ihrer Politik und ihren verbrecherischen
Angriffen gegen MigrantInnen im Kontext einer
rekordhohen Arbeitslosenrate von 27,2% (Januar
2013) der aktiven Bevölkerung und 59,2%
der Jungen zwischen 15 und 24 Jahren zuzuschreiben.
Um Chrysi Avgi im sozialen und institutionellen
Kontext Griechenlands verorten zu können,
ist es notwendig, einen Blick auf die Geschichte
zu werfen.
Ihre
politisch-institutionellen Wurzeln
Die formelle
Gründung von Chrysi Avgi geht auf die Veröffentlichung
einer Zeitschrift mit dem gleichnamigen Titel
im Dezember 1980 durch eine Gruppe um Nikolaos
Michaloliakos (einem ehemaligen Reserveoffizier
der griechischen Armee) zurück. Nikolaos
Michaloliakos war Mitglied einer faschistischen
Organisation – der Bewegung des 4. August
– die in den 1960er-Jahren gegründet
wurde. Er war auch Gefolgsmann des Beraters
von Georgios Papadopoulos, dem führenden
Kopf der Militärdiktatur (1967-1974). Nikolaos
Michaloliakos, der nach dem Sturz der Junta
im Gefängnis landete, arbeitete mit Georgios
Papadopoulos und anderen hohen Militärs
zusammen, die im Gefängnis die Nationale
Politische Union (EPEN) gründeten, welche
das Projekt der Junta weiterführen sollte.
Dieses Netzwerk bezog sich, ebenso wie Chrysi
Avgi heute, auf die nationalistische und autoritäre
Ideologie des Generals und Diktators Ioannis
Metaxas, der an der Spitze des sogenannten Regimes
des 4. August (1936-1941) stand.
Die Bezüge
zum Nationalsozialismus sind allgegenwärtig.
So wird Adolf Hitler von der Partei als "grossen
Sozialreformer" und "militärisches
Genie" bezeichnet. Am 18. August 1987,
anschliessend an den Selbstmord von Rudolf Hess
am 17. August – der Stellvertreter Hitlers,
der in den Nürnberger Prozessen zu einer
lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt
worden war – verteilten Mitglieder von
Chrysi Avgi eine Flugschrift mit dem Titel "Der
unsterbliche Rudolf Hess". Im selben Jahr
schrieb Nikolaos Michaloliakos einen Artikel
mit dem Titel "Hitler für Tausend
Jahre". Die Bezeichnung "Neonazi-Partei"
ist also durchaus gerechtfertigt.
Nachdem
Chrysi Avgi die „judeo-christlichen“
Ideologien, den Marxismus und den Liberalismus
denunziert hatte, wandte sich die Partei dem
griechisch-orthodoxen Christentum zu, um die
antiken hellenischen Werte und die „weisse
Rasse“ zu verteidigen. Die Zusammenarbeit
mit einem Teil der Orthodoxen Kirche spielt
eine wichtige Rolle in der politischen Praxis
von Chrysi Avgi.
Gewalt
als zentrale politische Praxis
Die ersten
gewalttätigen Aktionen begannen anfangs
der 1990er Jahre unter dem Kommando von Jannis
Jiannopoulos, einem ehemaligen Offizier, der
in den 1980er Jahren in der Afrikaaner Widerstandsbewegung,
einer rechtsextremen Burenbewegung in Südafrika,
aktiv war. Auch reihten sich Mitglieder von
Chrysi Avgi (die Griechische Freiwilligeneinheit)
in den 1990er Jahren in die Drina-Sektion der
serbischen Armee ein. Einige von ihnen waren
beim Massaker an Tausenden Bosniaken in Srebrenica
im Juli 1995 dabei.
1998 begannen
die physischen Attacken gegen Aktivistinnen
und Aktivisten der radikalen Linken. Der Studentenführer
Dimitris Kousouris entkam nur knapp dem Tod.
Der Angreifer, Antonios Androutsopoulos, ein
wichtiges Mitglieder von Chrysi Avgi, entwischte
dank seinen Verbindungen zum Polizeiapparat
während sieben Jahren seiner Verhaftung.
Als er sich 2005 schliesslich stellte, wurde
er wegen Mordversuchs an drei linken Aktivisten
(darunter Kousouris) zu 21 Jahren Haft verurteilt.
Bei der Wiederaufnahme des Prozesses 2009 wurde
das Urteil allerdings auf 12 Jahre reduziert
und schliesslich wurde er nur einige Monate
später entlassen.
Versuch
als „alternative“ Staatsmacht aufzutreten
Nach einer
Bündniskrise und einer politisch-organisatorischen
Neuorientierung ist Chrysi Avgi wieder auf dem
politischen Parkett erschienen und hat ihre
Aktivitäten im Anschluss an ihren 6. Kongress
vom März 2007 neu lanciert. Im Zentrum
stehen nationalistische, rassistische, sexistische
und homophobe Themen sowie Attacken gegen die
Linke und die ArbeiterInnenbewegung.
Mit dem
Ausbruch der sozio-ökonomischen Krise seit
2008 und ihrer Zuspitzung 2010 verfolgt Chrysi
Avgi – mit den seit Langem bestehenden
Verbindungen in den Staatsapparat, den Geheimdienst
und die Polizei eine zweigleisige Politik: 1.
gegen ImmigrantInnen (vor allem aus Albanien,
Pakistan, Afghanistan und Afrika), die aufgrund
des Schengen- und des Dublinabkommens in Griechenland
geradezu in der Falle sitzen; 2. gegen die Austeritätspläne,
die von der Pasok- und später der Nea-Dimokratia-Regierung
gutgeheissen worden sind. Der Zusammenbruch
dieses Zweiparteiensystems (Nea Dimokratia und
Pasok) und die anschliessende Krise des Klientelismus
und der Korruption hat das politische Parkett
für Chrysi Avgi geöffnet. Ausserdem
wird der Niedergang von Laos (Völkisch-Orthodoxer
Alarm), einer nationalistischen, xenophoben
und antisemitischen Partei, das Einzugsgebiet
von Chrysi Avgi ausweiten. Laos erzielte bei
den Wahlen im Juni 2012 nur noch 1,58% der Stimmen
und verpasst den Einzug ins Parlament.
Chrysi
Avgi versucht seit 2012, den öffentlichen
Raum zu besetzen und zu kontrollieren, was zumindest
in der Anfangsphase ein grosses Medienecho auslöste.
Die Partei kann sich zudem auf finanzielle Mittel
ihrer parlamentarischen Fraktion abstützen.
Ihre Initiativen zielen darauf ab, ihre brutalen
und gewalttätigen Aktionen als Präsenz
einer „alternativen“ Staatsmacht
erscheinen zu lassen. So kontrollieren ihre
Mitglieder beispielsweise in Begleitung von
Abgeordneten die Identitätskarten von Markthändlern
und vertreiben nicht griechische Händler,
zerstören ihre Marktstände und jagen
ihnen nach. Seit 2009 versucht Chrysi Avgi,
das nördlich des Zentrums gelegene Athener
Quartier Agios Panteleimonas unter dem Slogan
„Migranten raus aus unserem Quartier“
zu ihrer Hochburg zu machen, was ihr teilweise
auch gelungen ist.
Rassistische
Pogrome und Morde haben in den letzten Monaten
drastisch zugenommen. Die Verbindungen zur Polizei
und zu politischen Netzwerken, die bis in die
Nea Dimokratia hinein reichen, sind der Grund
für die relative Straflosigkeit, die Chrysi
Avgi in den meisten Fällen geniesst. So
werden ihre Taten unter den Teppich gekehrt
oder die Prozesse endlos hinausgeschoben.
Die Mobilisierung
gegen die Neonazis von Chrysi Avgi – deren
Wähleranteil und Wahlvoraussagen sich noch
nicht annähernd in einer ähnlich gut
organisierten Strassenpräsenz auszudrücken
vermag – muss sich auf eine radikale Opposition
gegen die Austeritätsmassnahmen und die
Antiimmigrationspolitik der Regierung abstützen.
Es sind Aktionen und Initiativen einer vereinigten
Linken im grossen Rahmen nötig, um Chrysi
Avgi daran zu hindern, den öffentlichen
Raum zu vereinnahmen.
Lernen
wir aus der Geschichte und schicken wir den
Faschismus ein für alle Mal auf den Müllhaufen
derselben!
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