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SBB Cargo AG

Die Zerstörung des Service public

von Matteo Poretti
28.11.2005

Übersetzung M.Feistmann

Seit einigen Jahren läuft eine Diskussion über die Zukunft der Schweizerischen Bundesbahnen. Zur Erinnerung: seit dem 1. Januar 1999 sind die SBB kein Regiebetrieb des Bundes mehr. Sie wurden in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt, die SBB AG. Ihre Aktivität wird in einem speziellen Gesetz geregelt, im Bundesgesetz über die Schweizerischen Bundesbahnen vom 20. März 1998.

Das Aktienkapital gehört zu 100% dem Bund. Das Gesetz legt fest, daß die Unternehmensführung der SBB den Normen eines privaten Unternehmens im gegenwärtigen wettbewerbsfähigen Umfeld entsprechen muß.

Um besser zu operieren, sind „Divisionen“ (Filialen) eingerichtet worden. Insgesamt vier: Personenverkehr, Güterverkehr (SBB Cargo), Infrastruktur und ab 2003 Immobilien – was u. a. die aktuelle Führung der Bahnhöfe als profit centers erklärt. Hinzu kommen die zentralen Dienste, denen u. a. das Finanzwesen und die Personalverwaltung angehören.

Seit 1996 ist der für die SBB zuständige Bundesrat ein Zürcher Sozialdemokrat, Moritz Leuenberger. Ein anderer Sozialdemokrat, Benedikt Weibel, ist der Vorsitzende der Geschäftsleitung (CEO) der SBB. Der Leiter der SBB Cargo AG ist der Sozialdekomkrat Daniel Nordmann, ehemaliger Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Die Bundesbahnen sind zur SP-Domäne geworden, oder, mit anderen Worten, zu einem Paradebeisipel dafür, wie die bürgerlichen Eliten den SozialdemokratInnen die Aufgabe der schleichenden Privatisierung der öffentlichen Dienste... im Rahmen der „Europakompatibilität“ übertragen.

Personalabbau

Am 28. Oktober 2005 hat die Division SBB Cargo AG einen wichtigen Umstrukturierungsplan veröffentlicht. Der beschlossene Arbeitsplatzabbau beläuft sich auf 650 Vollzeitstellen, davon 590 im Bereich SBB Cargo AG und 60 in der Infrastruktur. Die Umstrukturierung soll bis Juni 2006 abgeschlossen sein.

Ende 2004 zählte die SBB Cargo 4’739 Vollzeitstellen. Der angekündigte Stellenabbau beträgt somit 12,5%. Diese Zahlen sind beeindruckend. Allerdings hat die SBB Cargo AG vergessen, die Anzahl der Lohnabhängigen anzugeben, die tatsächlich von dieser Umstrukturierung betroffen sein werden. 2002 arbeiteten 9,93% des Personals der SBB AG halbtags, was bedeutet, daß sicher mehr als 650 LohnempfängerInnen ihren Arbeitsplatz verlieren müssen.

Der Entscheid der SBB Cargo entspricht voll der Orientierung des Unternehmens, die die Muttergesellschaft SBB AG definiert hat. In der Tat hat das Personal der SBB AG (früher SBB...) in den letzten 15 Jahren einen Frontalangriff erfahren: von 1990 – dem Jahr, in dem die Logik des öffentlichen Dienstes durch jene des Privatunternehmens ersetzt wurde – bis 2004 wurden 11’146 Vollzeitstellen, das heißt 29,6% des gesamten Personalbestandes abgebaut. All das mit dem Segen der Sozialdemokratie und der „Gewerkschaften“. Führende Köpfe der SP stehen ja selber an der Spitze der ganzen Operation.

„Keine Entlassungen“?

Stolz hat die Direktion der SBB Cargo angekündigt, daß es keine Entlassungen geben werde. Die „Mitarbeitenden“ werden einfach ihren Arbeitsplatz verlieren, denn laut Gesamtarbeitsvertrag (GAV) darf die SBB formell keine Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen Umstrukturierungen aussprechen. Aber die SBB-Lohnabhängigen können ihren Job trotzdem verlieren.

Wie sieht das bei der SBB Cargo aus? „Mitarbeitenden“, die 58 Jahre oder älter sind (es handelt sich um 146 Personen), wird das Programm „Crescendo“ angeboten. Es bietet ihnen für einen „flexiblen Übergang in den Ruhestand“ spezielle Lösungen an. Es wäre interessant zu wissen, was das konkret bedeutet... Und insbesondere welche Auswirkungen dies auf die reale Rente nach Erreichen des Pensionsalters hat.

Für die 446 anderen „Mitarbeitenden“ kommt das Projekt „Chance“ (sic!) zum Einsatz. Dieses Projekt sieht auf die gleiche irreführende Weise wie die Pläne der Post oder der Swisscom die Lohnfortzahlung für maximal zwei Jahre vor. Bis Ende 2002 verbrachten die im Projekt „Chance“ eingebundenen LohnempfängerInnen durchschnittlich 267 Tage in diesem Projekt. Hinzu kommt eine ganze Reihe individueller Maßnahmen: Unterstützung bei der Stellensuche und bei der Weiterbildung; Beratung und Unterstützung bei der beruflichen Neuausrichtung; Stellenangebote entweder intern (in der SBB AG), oder extern in Form von Temporärarbeit, befristeten Verträgen, Praktika und unbefristeten Anstellungen .

In der Realität sieht das ganze viel weniger rosig aus. Das Personal wird gezwungen (innerhalb oder ausserhalb des Unternehmens SBB AG), „zumutbare Arbeit“ zu akzeptieren – selbst wenn eine Verschlechterung gegenüber der früher ausgeübten Tätigkeit, eine massive Lohnkürzung oder ein erheblich längerer Arbeitsweg in Kauf genommen werden muss.

Nach Ablehnung einer Arbeit, die als „zumutbar“ eingestuft wird, hat das Unternehmen gegenüber seinem ex-Angestellten keine Verpflichtung mehr. Es kann folglich das Arbeitsverhältnis auflösen, ohne Entschädigungen leisten zu müssen. Das entspricht der Logik der Reform des Arbeitslosenversicherungsgesetztes (AVIG) – an dem ein anderer profilierter Gewerkschaftsführer, Serge Gaillard, mitgearbeitet hat.

Seit das Projekt „Chance“ besteht, haben etwa 50% der Leute, die es benutzt haben, eine neue Stelle innerhalb des Unternehmens (d. h. innerhalb des ehemaligen Regiebetriebes) gefunden. Etwa 40% wurden pensioniert. Die restlichen 10% wurden von anderen Unternehmen angestellt. Diese Zahlen sagen nichts aus über die Arbeitsbedingungen und die Löhne und somit auch nichts über die Höhe der Rente nach der Pensionierung.

Den Personalbestand senken und die Profite erhöhen

Diese neueste Umstrukturierung wurde von der SBB Cargo AG als notwendige Massnahme zur Sanierung der Unternehmensfinanzen dargestellt: Verluste sollen mit Kostensenkungen reduziert werden, d. h.: mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und mit der Erhöhung der „Produktivität“ jedes übriggebliebenen Beschäftigten.

In der Mediendokumentation behauptet die Direktion: „Für das laufende Jahr wird mit einem Verlust im hohen zweistelligen Millionenbereich gerechnet, zusätzlich fallen Rückstellungen für die beschlossene Restrukturierung an. Dank den Massnahmen erwartet SBB Cargo ab 2007 ein ausgeglichenes Finanzergebnis“ .

Dabei stand zu diesem Zeitpunkt der Rechnungsabschluss für das Jahr 2005 kurz bevor. Für die Buchhaltung der SBB Cargo wäre es nicht schwierig gewesen, für das laufende Rechnungsjahr (2005) einen provisorischen Rechnungsabschluss zu liefern. Aber nichts wurde veröffentlicht. Sogar über die angekündigten Verluste wurden keine Zahlen genannt. Trotzdem wird behauptet: „SBB Cargo rechnet heute für 2005 mit einem Defizit im hohen zweistelligen Millionenbereich. Dieses widerspricht dem Auftrag des Eigners, ein ausgeglichenes Finanzergebnis zu erzielen“ (...).

An einer anderen Stelle können wir folgendes lesen: „Insgesamt erwartet SBB Cargo von diesen und weiteren Massnahmen eine Ergebnisverbesserung von 85 Millionen Franken pro Jahr und eine konkurrenzfähige Kostenstruktur“ . Nehmen wir also an, das Defizit belaufe sich auf 40 Millionen Franken: der Arbeitsplatzabbau würde in diesem Fall bereits im Jahr 2006 eine Verbesserung der Firmenrentabilität um über 40 Millionen Franken bringen. Es drängt sich auf jeden Fall die Vermutung auf, dass nur ein Teil des Arbeitsplatzabbaus der Defizitreduktion dienen soll; ein Teil der Ergebnisverbesserung soll direkt dem Posten „Gewinne“ zugeführt werden. Warten wir es ab.

Profitlogik

Es ist die Firmenleitung der SBB Cargo selbst, die den Grund ihrer Politik der Profitmaximierung erklärt: wie bereits erwähnt widerspricht ein Defizit im laufenden Rechnungsjahr dem „Auftrag des Eigners“. Der Besitzer – der Bund als Aktionär – befiehlt; die „Verantwortlichen“ folgen. Wie bei allen Bundesgesetzen ist der erwähnte „Auftrag“ das Ergebnis eines Prozesses, der zur Umwandlung des Service public in ein Unternehmen geführt hat, das wie eine Privatfirma geführt wird und dies unabhängig von seinem ursprünglichen Rechtsstatus.

Wie in allen grossen Privatfirmen legt der Verwaltungsrat die Ziele bezüglich der zu erreichenden Profite im laufenden Jahr und längerfristig fest. Es obliegt den Konzernleitungen, aktiv zu werden, um diesen Befehlen Folge zu leisten und dafür die besten Lösungen zu finden. Das ist, was heute zwischen dem Bund und der SBB AG abläuft.

Der Bundesrat hat ein Dokument ausgearbeitet, das die erwähnten Zielsetzungen festlegt und folgenden Titel trägt: „Eignerstrategie – Ziele des Bundesrates für die SBB AG 2003-2006“. Dieser Titel allein reicht aus, um die Kohärenz der Orientierung und der verfolgten Ziele aufzuzeigen. Der Bundesrat als Patron der SBB befiehlt: „Die SBB AG erhöht die Produktivität im Personenverkehrsbereich im Durchschnitt um jährlich mindestens 3 %“ . Im Güterverkehrsbereich (also bei der SBB Cargo) muss „die Produktivität im Durchschnitt um jährlich mindestens 5 %“ erhöht werden!

Wir wissen nicht, wieviele Privatunternehmen sich solche Zielsetzungen geben. Aber die Schlußfolgerung ist klar: mit dieser Politik, wie wir sie hier kurz beschrieben haben, wird es zu weiterem Personalabbau kommen wie jener, der Ende Oktober 2005 angekündigt worden ist. In der Tat wird SBB-Cargo unter dem Zwang zur Profitmaximierung in eine Lage gedrängt, in der sie nur beschränkt Marktanteile gewinnen kann. Das nicht nur wegen der Konjunktur, sondern auch, weil der Eigentümer Bund seine Beiträge bis zum Jahre 2008 auf Null reduzieren will (47 Millionen im Jahre 2005; je 17 Millionen für 2006 und 2007).

Hinzu kommt die Konkurrenz zum Strassentransport, die sich in Zukunft wegen der 40 Tönner noch verstärken wird. Die Politik der SBB Cargo entpuppt sich als umweltschädigend und als Förderung der privaten Camioneure. Dies ist ein Merkmal der zunehmenden Auslagerung an Zulieferfirmen und der just in time-Produktion .

Die Strategie des Bundes führt zur Liquidierung von Hunderten von Arbeitsplätzen. Die SBB Cargo AG funktioniert bereits in dieser Logik und gleichzeitig unterstützt sie faktisch die grossen, privaten Logistikfirmen.