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Rot-Grüne "Armutsbekämpfung" in Zürich


Flyer der BFS Zürich, 27. Januar 2006

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Jugendorganisation der Grünen Partei dem Anderen Davos anbietet, eine Party im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Titel "Armutsbekämpfung - Kampf gegen die Armut oder gegen die Armen?" zu schmeissen...

In der Stadt Zürich finden am 12. Februar Wahlen statt. Die Grünen und ihre Jugendorganisation machen aktiv Wahlkampagne: ihr "Zugpferd" ist die Stadträtin und Vorsteherin des Sozialdepartements, Monika Stocker. Sie stellt sich als Stadträtin zur Wiederwahl und wird von den Jungen Grünen unterstützt (http://www.gruenezuerich.ch http://zuerich.jungegruene.ch ).

Als Folge der wirtschaftlichen "Umstrukturierungen" der letzten Jahre, die zu einer starken Erhöhung der Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit sowie zu einer wachsenden "Umverteilung des Reichtums von unten nach oben" (die Durchschnittslöhne sind zwischen 2002 und 2005 um magere 0,9% gestiegen, die Profite der börsenkotierten Unternehmen hingegen um 328%) geführt haben, wächst auch in der Schweiz die Armut im konventionellen Sinne. Nach einer Studie der Caritas gibt es in der Schweiz 850'000 "Armutsbetroffene": davon sind 300'000 SozialhilfeempfängerInnen.

Zur "Lösung" dieses Problems führt Monika Stocker in Zürich Billiglohnjobs ein: schlecht entlöhnte, vom Staat subventionierte Jobs, zu denen SozialhilfeempfängerInnen im Nahmen ihrer Arbeitsintegration verdonnert werden. Die Aktion erfolgt im Zuge einer linearen Kürzung um 7% der Sozialhilfeleistungen und der neuen Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), die am 1. April 2005 in Kraft getreten sind. Es geht um eine grundlegende "Reform der Sozialhilfe", die unter dem Motto "Arbeit soll sich lohnen" stattfindet und in Richtung "Workfare" ("Hilfe durch Zwangsarbeit") zielt. Sozialhilfeabhängige, Langzeitarbeitslose, usw. sollen möglichst rasch und wenn nötig mit Druck und Zwang in Arbeit gebracht werden. (Wie es in Deutschland Angela Merkel ausdrückt: "Sozial ist, was Arbeit schafft").

Diese Politik wurde in den 1980er Jahren von Ronald Reagan in den USA propagiert und dann unter Bill Clinton in den 1990er Jahren eingeführt. In der Schweiz haben "linke" Stadtregierungen wie die in Basel und eben in Zürich diese Idee aufgegriffen, um "effizient" und "modern" zu erscheinen (soziale Unternehmen, usw.). Das Konzept greift dabei bis auf die Armen- und Arbeitshäuser des 17. Jahrhunderts zurück. In Deutschland wurden Arme unter der Weimerer Republik und unter den Nazis zu Zwangsarbeit verdonnert. Der Sturz des Faschismus 1945 führte zu einer Ächtung von staatlicher Zwangsarbeit, die im Grossen und Ganzen in Westeuropa einige Jahrzehnte lang galt. Das scheint sich nun nach der ersten grossen Rezession 1973/74 und nach der "neoliberalen Wende" (die übrigens gerade in diesem Bereich sich klar als eine "neokonservative" entpuppt) zu ändern.

Aus dieser Perspektive sind Sozialhilfeabhängige, Arbeitslose, Arme, usw. selber, individuell an ihrem Schicksal schuld. Sie werden implizit oder explizit als "faule Schmarotzer" diffamiert und sollen durch Entzug von Sozialhilfe diszipliniert und zur Annahme irgendeiner Arbeit getrieben werden. Die Aushöhlung von grundlegenden, bürgerlichen Freiheiten wird dabei von "Linken" wie Monika Stocker in Kauf genommen und immer mehr als normal betrachtet... (umso mehr als sogar die Verletzung des Folterverbots von der Schweizer Regierung und ihrer sozialdemokratischen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey toleriert wird, im Namen des Kampfes gegen Terrorismus, der Freundschaft mit den USA und somit "unserer Interessen").

Die neue Sozialpolitik der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und der Zürcher Sozialvorsteherin Monika Stocker, die zur Politik der "leeren Kassen" passt, verschleiert die strukturellen Ursachen von Armut. Sie sollen unangetastet bleiben. Armut ist keine Nebenerscheinung, sondern Bedingung für die Existenz und die Reproduktion des kapitalistischen Systems, auch und gerade in der Globalisierung. Ohne Armut kein Reichtum und umgekehrt. Nur mit der ständigen Spaltung der Gesellschaft in eine kleine, herrschende Minderheit, die die wichtigsten Produktionsmittel besitzt und eine besitzlose, lohnabhängige Mehrheit, die zum Überleben ihre (physische und mentale) Arbeitskraft verkaufen muss (also mit der Trennung der Gesellschaft in "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer", "Unternehmer" und "Unternommene"...), kann dieses private Profitsystem funktionieren. Solange Menschen auf eine Ware reduziert werden (die Ware Arbeitskraft) und von den Bedingungen ihrer Existenz und dem Produkt ihrer gesellschaftlichen Arbeit getrennt werden, wird es Armut geben. Daher liegt auch "in dem Begriff des freien Arbeiters schon (...) dass er ein Armer ist, ein potentieller, unsichtbarer Armer" (K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie).

Arbeitsflexibilisierung, Entlassungen, Lohndruck, Senkung der Arbeitslosenhilfe, Kürzung der Sozialhilfe, usw., führen zu einer Prekarisierung der Existenz aller Lohnabhängigen. Sie bedeuten eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit: die Klasse der grossen Firmenbesitzer, der Superreichen, die am WEF zelebriert werden, wird gestärkt und die grosse Mehrheit der Lohnabhängigen geschwächt. Die von den Grünen betriebene Erosion der Grundsicherung reiht sich in diese Logik ein (was bei einigen Grünen womöglich nicht ganz bewusst geschieht, aber die Sache deshalb nicht besser macht): mit ökologischen und sozialen Anliegen hat diese Politik wenig zu tun. "Dadurch, dass den von Armut betroffenen Menschen keine Basissicherung mehr offen steht, können sie leicht in prekärste Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Wer sich für bessere Arbeitsverhältnisse zur Wehr setzt, riskiert nicht nur, aus dem Beschäftigungsprogramm respektive Job geschmissen zu werden, sondern gleichzeitig, vor dem Nichts zu stehen" (Kurt Wyss, Letzte Grundsicherung zerschlagen, im Internet).

Für die von dieser Politik betrofenen Menschen sieht es unter Monika Stocker und der rot-grünen Regierung in Zürich nicht "cool" aus. Das sollten wir nicht vergessen. Für "Alternativen von unten" und für eine andere Politik einzustehen wird wahrlich nötig.