In ihrer
Regierungserklärung im Herbst dieses Jahres
hatte die Regierung Cameron erklärt, die
Folgen der Sparpolitik würden gerecht verteilt.
Die ist eine Lüge: Ihre Maßnahmen
führen zu mehr Arbeitslosigkeit, mehr Armut
und sie zerstören den öffentlichen
Dienst. Dabei nimmt das Wirtschaftswachstum
nicht zu, vielmehr fällt Großbritannien
immer tiefer in eine Rezession.
Weniger
Lohn, mehr Arbeitslosigkeit, höhere Schulden
Seit
April 2011 haben 110000 Beschäftigte im
öffentlichen Dienst ihren Job verloren.
Sofern sie in der Lage sind, im privaten Sektor
einen neuen Arbeitsplatz zu finden, geraten
sie in gewerkschaftlich nicht organisierte Bereiche
und werden schlechter bezahlt, aller Voraussicht
nach müssen sie Jobs annehmen, die ihrer
Qualifikation nicht entsprechen. Außerdem
verlieren sie die Ansprüche, die sie im
öffentlichen Dienst aufgrund ihres Dienstalters
gesammelt hatten.
Die
Arbeitslosenquote ist mit 8,1% so hoch wie seit
1994 nicht mehr, 1,6 Millionen Menschen bezogen
im September Transferleistungen. Die Jugendarbeitslosigkeit
liegt bedeutend höher: Fast eine Million
Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren
sind erwerbslos, das sind 21,3%.
Der
Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen im öffentlichen
Dienst kann durch den privaten Sektor nicht
aufgefangen werden. Die privaten Unternehmen
investieren nicht mehr, weil sich das nicht
lohnt: Sie werden das Überangebot an Waren
nicht los, zumal die Massenkaufkraft unter dem
Angriff auf die Einkommen leidet.
Daran
ändert auch die quantitative Lockerung
der Geldpolitik durch die englische Notenbank
nichts, sie bewirkt nur, dass Unternehmen und
Banken mehr billiges Geld zur Verfügung
steht, womit sie ihre Schuldenlasten erleichtern
können. Die Kapitalanleger aber horten
dieses Geld oder bringen es in kurzfristigen
spekulativen Anlagen unter, was die Finanzmärkte
weiter destabilisiert.
Für
die Masse der Bevölkerung bleiben höhere
Inflation und niedrigere Reallöhne.
Wer
aber meint, mit dem Krieg gegen die Lohneinkommen
und den öffentlichen Dienst würden
Schulden abgebaut, wird auch diesbezüglich
eines Besseren belehrt:
Der
Schuldenstand Großbritanniens belief sich
Ende 2009 auf 68,2% des Bruttoinlandsprodukts.
Die Europäische Kommission geht in ihrer
Prognose vom Herbst 2010 von einem Anstieg der
Staatsschulden auf 77,8% im Jahr 2010 und 83,5%
im Jahr 2011 aus (Angaben nach Wikipedia).
Inflation
für die Kleinen
Während
Löhne, Sozialleistungen und Renten gesenkt
werden, steigen die Preise für Nahrungsmittel,
Energie und Mieten. Die Mehrwertsteuer wurde
auf 23% angehoben.
Der
bezahlte Urlaub steht auf dem Prüfstand.
Bei gleichbleibendem Lohn werden die Arbeitszeiten
ausgedehnt. Von den Beschäftigten im Gesundheitswesen
wird verlangt, dass sie in ihrer Urlaubszeit
arbeiten und unbezahlte Überstunden machen,
um die Löcher auszugleichen, die die Regierung
verursacht hat, indem sie die Mittel für
das öffentliche Gesundheitswesen kürzte.
Die Regierung will Teile des Gesundheitswesens
für den privaten Wettbewerb öffnen
und auf diese Weise mit EU-Vorschriften kompatibel
machen.
Die
Mieten steigen kolossal: Im September stieg
die Durchschnittsmiete auf 718 Pfund Sterling
(4,3% mehr als im Vorjahr). In 55% der englischen
Städte sind die Mieten auf dem privaten
Immobilienmarkt unbezahlbar geworden, mit Spitzen
in London, im Südosten und Osten, in Yorkshire
und Humber, Wales und den östlichen Midlands.
Mit
Angebot und Nachfrage allein lässt sich
der Mietanstieg nicht erklären. Die Regierungspolitik
begünstigt Wohnungseigentum und vernachlässigt
den sozialen Wohnungsbau. Gleichzeitig werden
die Käufer von Wohnungseigentum höher
verschuldet, weil Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen
ihre Fähigkeit beeinträchtigen, die
zunächst leicht zugänglichen, aber
teuren Kredite abzuzahlen; immer mehr verlieren
dadurch ihr Dach über dem Kopf. Jetzt schrumpft
der Kreditmarkt, und die Mietgesetze bevorzugen
traditionell den Vermieter gegenüber dem
Mieter.
Die
Regierung will auch das Wohngeld kürzen,
um die Armen aus der Londoner Innenstadt zu
vertreiben.
Kinderarmut
Diese
Politik macht nicht nur die Armen ärmer,
es verelendet auch die sog. Mittelklasse. Das
mittlere Haushaltseinkommen ist laut IFS real
um 7% oder 2000 Pfund Sterling zurückgegangen
– das ist der schärfste Rückgang
seit den 70er Jahren.
Damit
nimmt für die gesamte Bevölkerung
die Armut sowohl absolut wie auch relativ zu.
Das IFS rechnet damit, dass das Sparprogramm
der Regierung 600000 Kinder und 800000 Erwachsene
im Erwerbstätigenalter zusätzlich
in die Armut stößt. Bis 2020/21,
schätzt das Institut, wird die Kinderarmut
auf 23–24% steigen – ein Gesetz
zur Bekämpfung der Kinderarmut aus dem
Jahr 2010 hatte sich das Ziel gesteckt, bis
dahin das Niveau auf 5–10% zu senken!
Die
Regierung hat darauf keine andere Antwort als
die ihres Ministers für Arbeit und Pensionen,
Iain Duncan Smith: «Die Statistiken berücksichtigen
nicht, dass die Menschen dann gezwungen sind
zu arbeiten, weil die Transferleistungen zurück
gefahren werden.»
Weil
es aber keine Arbeitsplätze gibt, hat die
britische Regierung eine regelrechte Kampagne
gegen die Armen entfesselt: Sie denunziert sie
als Faulenzer, Drückeberger, unmoralische
Elemente, Schlampen und Trunkenbolde –
in der besten Tradition des radikalen Utilitaristen
Jeremy Bentham, der Anfang des 19.Jahrhunderts
predigte, der Mensch sei ein Nutzenmaximierer,
der ohne jede Rücksicht auf seine Mitmenschen
nur seine eigenen Interessen verfolge; die einzig
legitime Funktion des Staates sei, das Individuum
durch einen mächtigen Überwachungs-
und Kontrollapparat vor den Übergriffen
der anderen Individuen zu schützen. Wie
sagte Frau Thatcher: «Es gibt keine Gesellschaft.»
In
wachsendem Maße suchen Menschen jetzt
die Tafel auf um sich zu ernähren, vor
allem unter jungen Leuten ist deren Zahl in
den letzten zwölf Monaten sprunghaft gestiegen:
In Exeter, Cardigan oder der Isle of White nutzen
schon 70–80% der Jugendlichen dieses Angebot.
Die
Autorin lehrt Wirtschaftswissenschaften an der
DeMontfort University, Milton Keynes, England.
Sie forscht über Kapitaltheorien und die
Rolle der Ideologie in der klassischen und neoklassischen
Wirtschaftswissenschaft. (Quelle: http://socialistresistance.org.)