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Das britische Sparprogramm

Krieg gegen Arbeiter und Arme

von Susan Pashkoff - aus Sozialistische Zeitung 01/2012


In der britischen Regierung sitzen 23 Millionäre (von 29 Kabinettsmitgliedern). Die destabilisieren mit ihrem überflüssigen Vermögen nicht nur die Kreditwirtschaft, sie führen unter dem Deckmantel des Sparens auch einen regelrechten Krieg gegen Lohnabhängige und Arme.

Vor Wochen hat die Regierung Cameron angekündigt, sie werde die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst auf 1% deckeln. Das kommt einem realen Einkommensverlust gleich, denn der Index für Verbraucherpreise ist im Oktober im Vergleich zur Vorjahresmonat um 5% gestiegen (der Index für Einzelhandelspreise sogar um 5,4%). Außerdem sollen die öffentlich Beschäftigten höhere Beiträge in die Rentenkasse einzahlen. Vor allem aber sollen im öffentlichen Dienst 710 000 Arbeitsplätze abgebaut werden

Seit 2009 fallen die real verfügbaren Haushaltseinkommen; bis 2014 prognostiziert das Wirtschaftsforschungsinstitut IFS einen Rückgang um 4,7%.

In ihrer Regierungserklärung im Herbst dieses Jahres hatte die Regierung Cameron erklärt, die Folgen der Sparpolitik würden gerecht verteilt. Die ist eine Lüge: Ihre Maßnahmen führen zu mehr Arbeitslosigkeit, mehr Armut und sie zerstören den öffentlichen Dienst. Dabei nimmt das Wirtschaftswachstum nicht zu, vielmehr fällt Großbritannien immer tiefer in eine Rezession.

Weniger Lohn, mehr Arbeitslosigkeit, höhere Schulden

Seit April 2011 haben 110000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst ihren Job verloren. Sofern sie in der Lage sind, im privaten Sektor einen neuen Arbeitsplatz zu finden, geraten sie in gewerkschaftlich nicht organisierte Bereiche und werden schlechter bezahlt, aller Voraussicht nach müssen sie Jobs annehmen, die ihrer Qualifikation nicht entsprechen. Außerdem verlieren sie die Ansprüche, die sie im öffentlichen Dienst aufgrund ihres Dienstalters gesammelt hatten.

Die Arbeitslosenquote ist mit 8,1% so hoch wie seit 1994 nicht mehr, 1,6 Millionen Menschen bezogen im September Transferleistungen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bedeutend höher: Fast eine Million Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sind erwerbslos, das sind 21,3%.

Der Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst kann durch den privaten Sektor nicht aufgefangen werden. Die privaten Unternehmen investieren nicht mehr, weil sich das nicht lohnt: Sie werden das Überangebot an Waren nicht los, zumal die Massenkaufkraft unter dem Angriff auf die Einkommen leidet.

Daran ändert auch die quantitative Lockerung der Geldpolitik durch die englische Notenbank nichts, sie bewirkt nur, dass Unternehmen und Banken mehr billiges Geld zur Verfügung steht, womit sie ihre Schuldenlasten erleichtern können. Die Kapitalanleger aber horten dieses Geld oder bringen es in kurzfristigen spekulativen Anlagen unter, was die Finanzmärkte weiter destabilisiert.

Für die Masse der Bevölkerung bleiben höhere Inflation und niedrigere Reallöhne.

Wer aber meint, mit dem Krieg gegen die Lohneinkommen und den öffentlichen Dienst würden Schulden abgebaut, wird auch diesbezüglich eines Besseren belehrt:

Der Schuldenstand Großbritanniens belief sich Ende 2009 auf 68,2% des Bruttoinlandsprodukts. Die Europäische Kommission geht in ihrer Prognose vom Herbst 2010 von einem Anstieg der Staatsschulden auf 77,8% im Jahr 2010 und 83,5% im Jahr 2011 aus (Angaben nach Wikipedia).

Inflation für die Kleinen

Während Löhne, Sozialleistungen und Renten gesenkt werden, steigen die Preise für Nahrungsmittel, Energie und Mieten. Die Mehrwertsteuer wurde auf 23% angehoben.

Der bezahlte Urlaub steht auf dem Prüfstand. Bei gleichbleibendem Lohn werden die Arbeitszeiten ausgedehnt. Von den Beschäftigten im Gesundheitswesen wird verlangt, dass sie in ihrer Urlaubszeit arbeiten und unbezahlte Überstunden machen, um die Löcher auszugleichen, die die Regierung verursacht hat, indem sie die Mittel für das öffentliche Gesundheitswesen kürzte. Die Regierung will Teile des Gesundheitswesens für den privaten Wettbewerb öffnen und auf diese Weise mit EU-Vorschriften kompatibel machen.

Die Mieten steigen kolossal: Im September stieg die Durchschnittsmiete auf 718 Pfund Sterling (4,3% mehr als im Vorjahr). In 55% der englischen Städte sind die Mieten auf dem privaten Immobilienmarkt unbezahlbar geworden, mit Spitzen in London, im Südosten und Osten, in Yorkshire und Humber, Wales und den östlichen Midlands.

Mit Angebot und Nachfrage allein lässt sich der Mietanstieg nicht erklären. Die Regierungspolitik begünstigt Wohnungseigentum und vernachlässigt den sozialen Wohnungsbau. Gleichzeitig werden die Käufer von Wohnungseigentum höher verschuldet, weil Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen ihre Fähigkeit beeinträchtigen, die zunächst leicht zugänglichen, aber teuren Kredite abzuzahlen; immer mehr verlieren dadurch ihr Dach über dem Kopf. Jetzt schrumpft der Kreditmarkt, und die Mietgesetze bevorzugen traditionell den Vermieter gegenüber dem Mieter.

Die Regierung will auch das Wohngeld kürzen, um die Armen aus der Londoner Innenstadt zu vertreiben.

Kinderarmut

Diese Politik macht nicht nur die Armen ärmer, es verelendet auch die sog. Mittelklasse. Das mittlere Haushaltseinkommen ist laut IFS real um 7% oder 2000 Pfund Sterling zurückgegangen – das ist der schärfste Rückgang seit den 70er Jahren.

Damit nimmt für die gesamte Bevölkerung die Armut sowohl absolut wie auch relativ zu. Das IFS rechnet damit, dass das Sparprogramm der Regierung 600000 Kinder und 800000 Erwachsene im Erwerbstätigenalter zusätzlich in die Armut stößt. Bis 2020/21, schätzt das Institut, wird die Kinderarmut auf 23–24% steigen – ein Gesetz zur Bekämpfung der Kinderarmut aus dem Jahr 2010 hatte sich das Ziel gesteckt, bis dahin das Niveau auf 5–10% zu senken!

Die Regierung hat darauf keine andere Antwort als die ihres Ministers für Arbeit und Pensionen, Iain Duncan Smith: «Die Statistiken berücksichtigen nicht, dass die Menschen dann gezwungen sind zu arbeiten, weil die Transferleistungen zurück gefahren werden.»

Weil es aber keine Arbeitsplätze gibt, hat die britische Regierung eine regelrechte Kampagne gegen die Armen entfesselt: Sie denunziert sie als Faulenzer, Drückeberger, unmoralische Elemente, Schlampen und Trunkenbolde – in der besten Tradition des radikalen Utilitaristen Jeremy Bentham, der Anfang des 19.Jahrhunderts predigte, der Mensch sei ein Nutzenmaximierer, der ohne jede Rücksicht auf seine Mitmenschen nur seine eigenen Interessen verfolge; die einzig legitime Funktion des Staates sei, das Individuum durch einen mächtigen Überwachungs- und Kontrollapparat vor den Übergriffen der anderen Individuen zu schützen. Wie sagte Frau Thatcher: «Es gibt keine Gesellschaft.»

In wachsendem Maße suchen Menschen jetzt die Tafel auf um sich zu ernähren, vor allem unter jungen Leuten ist deren Zahl in den letzten zwölf Monaten sprunghaft gestiegen: In Exeter, Cardigan oder der Isle of White nutzen schon 70–80% der Jugendlichen dieses Angebot.

Die Autorin lehrt Wirtschaftswissenschaften an der DeMontfort University, Milton Keynes, England. Sie forscht über Kapitaltheorien und die Rolle der Ideologie in der klassischen und neoklassischen Wirtschaftswissenschaft. (Quelle: http://socialistresistance.org.)