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Ja zu den demokratischen und sozialen
Rechten derVersicherten

Flyer der BFS vom Februar 2007

Die Gegner der Initiative für eine soziale Einheitskasse schiessen aus allen Rohren gegen das Recht des Pflegepersonals und der Patienten, sich an der tripartiten Verwaltung dieser neuen Einrichtung zu beteiligen. Der Patron von Gottes Gnaden bleibt einer der höchsten Werte in der „ältesten Demokratie der Welt“, so wie Heiligkeit des helvetischen Mannes bis zur Einführung des Frauenstimmrechts… im Jahr 1971.

Es kommt die absolute Macht der Kassen

Das Informationsblatt Patrons des Unternehmerzentrums (Centre Patronal) im Kanton Waadt schreibt (Januar 2007): Die neue Kasse würde zwei Organe enthalten: einen Verwaltungsrat und einen Kontrollrat. In beiden Gremien würden je gleich viele Vertreter der öffentlichen Hand, der Leistungserbringer und der Versichertenorganisationen Einsitz nehmen. Diese tripartite Verwaltung durch Akteure mit unterschiedlichen Interessen wird unweigerlich beträchtliche Führungsschwierigkeiten verursachen.

Was ist aber vom Erfolg der einheitlichen Führung durch die schweizerische Elite zu halten, welche die Swissair ins Grounding geführt hat? Und von den Unternehmensfürsten der schweizerischen Uhrenindustrie, von Omega über Zenith bis zu Tissot, die ins Debakel der 1980er Jahre geführt haben? Und von der Führung der Schweizerischen Volksbank durch die Berner Patrizierfamilien, die in letzter Minute durch die Credit Suisse gerettet wurde? Was ist von der zentralisierten und militärischen Führung der Gruppe Tavaro aus Genf (Elna Nähmaschinen und 100% subventionierte Produktion für die Armee) zu halten, die das Unternehmen in den Konkurs geführt hat? Es könnte noch viele weitere Beispiele genannt werden.

Dass sich der Centre Patronal Vaudois so äussert, überrascht uns nicht. Aber einige Leser und Leserinnen waren vielleicht überrascht vom Editorial in der Tageszeitung Le Temps vom 12. Februar 2007, in dem Jean-Jacques Roth die Initiative unter Beschuss nahm. Der wichtigste Schwachpunkt liege in dem Verwaltungskonzept mit Delegierten der Kantone, der Versicherten und der Ärzte. Wenn auf diese Weise die Kostenexplosion eingedämmt werden solle, könnte man in seinen Augen genau so gut die Feuerwehrautos einem Verein von Brandstiftern anvertrauen!

Der Direktor und Chefredaktor von Le Temps weiss sicherlich Bescheid, wie viel Geld die verschiedenen Gegner der Initiative für die Einheitskasse durch ihre Anzeigen in die Kasse seiner Zeitung fliessen lassen. Aber er wäre sicherlich nicht fähig, ein ökonometrisches Modell betreffend den Zusammenhang zwischen „dem Angebot und der Nachfrage“ im Gesundheitsbereich zu verstehen. Verlangen wir nicht zu viel von einem Propagandisten und Verfasser von Spottschriften.

Trotzdem ist sich Rot einer Sache sicher: Man muss „die Kosten senken“! Und zu diesem Zweck das Geschäft denen überlassen, die sich auskennen: die Kassendirektoren, ihre Experten, das Departement Couchepin, die Pharmalobby, die Versicherungen, usw.

J.-J. Roth hat zweifellos nicht vergessen (auf der Ebene der Werbungen und Inserate), dass die Bevölkerung, je länger sie lebt, auch Bedürfnisse der Altersvorsorge (Pensionskassen, Dritte Säule und Vermögensverwaltung) und Pflege zum Ausdruck bringt.

Patienten als Partner und aktive BürgerInnen

Die Einwände gegen die tripartite Verwaltung verdienen die vier folgenden Antworten:

1. Die Ärzte, das Pflegepersonal und die Angestellten der Heime wissen, dass die aktive Teilnahme des Patienten einen sehr wichtigen Beitrag zur Heilung leistet. Die Patienten müssen Partner sein. Dies umso mehr bei chronischen Krankheiten, bei denen die Pflegenden mit den Strategien der Patienten und den vorgeschriebenen Behandlungen umgehen müssen. Der Chef der medizinischen Polyklinik von Genf, Hans Stalder, erklärte das in Le Temps am 23. Januar 2007 sehr gut.

2. Diese aktive Teilnahme und Partnerschaft müssen auch auf der Ebene der Organisation und der Kontrolle des Gesundheitssystems umgesetzt werden, um ein ganz wichtiges Ziel zu erreichen: Die Gesundheitsbedürfnisse aller Menschen müssen als soziale Rechte anerkannt werden. Das ist der Ausgangspunkt, um die notwendigen Mittel zu bestimmen, in der Gesellschaft vorzufinden und im Sinne einer richtigen öffentlichen Gesundheitspolitik zu verteilen.

3. Ein gewisses Informations- und Kontrollrecht der Patienten und Pflegenden entspricht einem grundlegenden demokratischen Prinzip. Dies gilt umso mehr, wenn alle Seiten sich der Tatsache weitgehend bewusst sind, dass die Verwaltung der Krankenkassen und des Gesundheitswesens sehr undurchsichtig funktioniert. Pierre-Marcel Revaz, der Chef von Groupe Mutuel, ist der Meinung, die Forderung nach Transparenz der Buchhaltung entspringe einer Neugier in schlechter Absicht, welche die Privatsphäre der Versicherten verletzt (Le Temps, 20.1.2007). Er bezieht sich auf einen Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG) vom 4. Dezember 2006. Das Gericht verpflichtet die Groupe Mutuel und deren Krankenkassen dazu, ihre Buchhaltung der Justiz zugänglich zu machen (24heures, 12.1.2007). Anders gesagt sehen sich die Richter des EVG nicht in der Lage zu wissen, wie die Groupe Mutuel ihre Leistungen verrechnet und die Prämien ihrer 14 Krankenkassen erhebt. Welcher Betrag umfasst die Verwaltungskosten? Wie schlägt sich dieser in den Prämien nieder? Werden diese 14 Mal erhoben? Wenn alles genau gleich verwaltet wird, warum gibt es denn verschiedene Prämien?

Diese Fragen zeigen auf, warum Revaz die Neugier der Versicherten nicht mag. Und warum der Sprecher von Groupe Mutuel und Santésuisse (Dachverband der Krankenkassen) zum angesprochenen Fall sagt, das Geschäftsgeheimnis bleibe gewahrt, und in keinem Fall werde ein unbegrenzter Zugang zur Buchhaltung garantiert (24heures, 12.1.2007).

4. Sogar die OECD stellte in ihrem Bericht von 2006 über das Gesundheitssystem in der Schweiz die Undurchsichtigkeit der Buchführung fest. Der Ökonom Alberto Holly von der Uni Lausanne muss ausserdem anerkennen, dass die Experten der OECD den Finger auf ein weiteres helvetisches Übel gelegt haben: Es gibt keine ausreichenden statistischen Daten für eine adäquate Kontrolle des Systems (Le Temps, 19.10.2006).

Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen, der Erklärungen der Verantwortlichen von Groupe Mutuel und des Entscheids des EVG ist es einfach die Gründe zu verstehen, weshalb so viel Widerstand gegen ein bescheidenes tripartites Gremium vorgetragen wird. Tatsächlich hören die demokratischen Rechte in der Schweiz zu existieren auf, so bald man in ein Unternehmen tritt. Das „Geschäftsgeheimnis“ ist mit einem weniger brüchigen Beton zu gemauert als das einstige Réduit National von General Guisan.

Die Versicherten müssen sich organisieren

Das ist ein weiterer Grund, der Initiative für eine soziale Einheitskasse zuzustimmen. Und nach dem 11. März 2007 müssen die Versicherten einen eigenen Dachverband organisieren. Vergessen wir nicht, dass der schweizerische Mieterverband im Zusammenhing mit der ersten Initiative für das Recht auf Wohnraum 1971 gegründet wurde. So war es möglich, die Forderungen der Mieter ein wenig voran zu bringen.

In dem langen Kampf für das Recht auf einen gleichen Zugang aller zu qualitativ hoch stehender medizinischer Versorgung wird die Organisation der Patienten in Zusammenarbeit mit dem medizinischen Pflegepersonal von entscheidender Bedeutung sein, um soziale und demokratische Rechte umzusetzen, deren Notwendigkeit sehr viele Menschen verspüren.

Das Recht „etwas zu kosten“
Je nach dem individuellen Lebenslauf und dem ausgeübten Beruf kann jemand mit 75 Jahren noch sehr jung sein und fähig, sich selbst zu pflegen. Andere sind in diesem Alter abhängig und benötigen Unterstützung durch Krankengymnastik oder Fusspflege. Dieser Gruppe von Personen wird auf skandalöse Weise vorgeworfen, „viel zu kosten“. Doch diese Menschen haben völlig Recht, sich einer Behandlung gegen Bluthochdruck zu unterziehen oder Schmerzmittel gegen Arthrosenleiden zu nehmen, usw.

Das therapeutische Überangebot für betagte Menschen kann sicher kritisiert werden. Das gilt aber auch für die therapeutische Unterversorgung. Ein Grossteil der Menschen im hohen Alter stirbt im Spital. Sie haben ein Anrecht auf die bestmögliche Behandlung. Dafür braucht es ausreichend Pflegepersonal, das gut ausgebildet ist und entsprechend bezahlt wird. Das körperliche und seelische Wohlbefinden im hohen Lebensalter ist das gute Recht aller Menschen.

Die so genannten Gesundheitsökonomen, die das Spital als ein Unternehmen betrachten, und das Pflegepersonal als Maschinen sehen, die mit maximaler Produktivität Behandlungen erbringen, sind Söldner im Dienste der Krankenkassen. Im hohen Lebensalter verliert die Technik an Bedeutung, und die Beziehung zwischen Pflegepersonal und kranken Menschen wird noch wichtiger. Es geht darum, ein würdiges Lebensende ohne unnötige Schmerzen sicherzustellen. Angesichts der „Kosten“ des Alterns stellt der Lebensabschnitt um die 50 Lebensjahre einen entscheidenden Moment dar, um Krankheiten im hohen Alter vorzubeugen, wie Oliver Saint-Jean festhält, der Leiter der Geriatrie im Spital Georges-Pompidou (Libération, 9.2.2007). Drei Tätigkeiten sind in dieser Hinsicht wichtig: 1. so lange wie möglich einen reichhaltigen sozialen Austausch zu pflegen; 2. eine regelmässige körperliche und sportliche Betätigung; 3. eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung. Diese drei Aspekte erklären laut O. Saint-Jean im Wesentlichen den Unterschied zwischen der Situation der reichen und armen betagten Menschen.