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Grossdemo gegen Minarettverbot
Donnerstag, 10. Dezember 2009, 18:00 Uhr, Bürkliplatz, Zürich

Gleiche ökonomische, soziale und politische Rechte für alle Lohnabhängigen („Muslime“, „Kosovaren“, „Afrikaner“, „Latinos“, „Genfer“, „Waadtländer“, „Zürcher“...).


Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie
gegen die Lohnabhängigen

Charles-Andre Udry - 30. November 2009


Die Annahme der „Antiminarettinitiative“ führt zu vielen Reaktionen, die
den eigentlichen Hintergrund dieser Abstimmung verdunkeln. Die durch die
Politik geschürten Ängste haben System und machen die gesamte herrschende
Klasse für das Resltat verantwortlich.

Vermintes Gelände

Rechts stellen sich der kollegiale Bundesrat, das Parlament in seiner grosser Mehrheit und die Arbeitgeberverbände auf. Sie prangern die angeblichen Profiteure der Invalidenversicherung, der Arbeitslosen-versicherung, der „Sozialhilfe“ an und liefern sie dem Volkszorn aus; MigrantInnen sind hier die bevorzugte Zielgruppe. Damit kann gleich auf zwei Ebenen gepunktet werden: Die Verschlechterung der Sozialversicherungen für alle wird mit der angeblichen „Missbrauchsbekämpfung“ kaschiert, und ein Teil der AusländerInnen wird besonders ins Visier genommen (Menschen aus Kosovo, Ex-Jugoslawien, Türkei...).

Sie verschärfen die Überwachung aller Lohnabhängigen (Erwerbslosigkeit, IV, Absentismus usw.) und die polizeilichen Massnahmen gegen die prekärsten Beschäftigten (Asylsuchende, Papierlose), ganz zu schweigen von den BettlerInnen (Repression gegen Roma). Diese Politik von Law and Order greift auf verschiedene Bereiche des sozialen Lebens über: Fernüberwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz bis zum neuen Gesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS). Damit wird eine alte Polizeitechnik neu erfunden: Man spaltet die Leute in solche, die „sich nichts vorzuwerfen haben“ und in solche, die „sich allenfalls etwas vorzuwerfen haben“.

Bewusst werden zwei untrennbare Grundrechte auseinander dividiert: Einerseits der freie Personenverkehr und anderseits griffige Rechte zum Schutz der Lohnabhängigen (Gewerkschaftsrechte am Arbeitsplatz, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Schutz gegen Lohnund Sozialdumping, Recht auf Bildung und auf Schutz gegen Erwerbslosig-keit, Rechte auf eine anständige Rente). Die Untrennbarkeit dieser zwei Grundrechte wurde mit den Bilateralen Verträgen mit der EU mit Füssen getreten. Als Folge davon wurde ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Lohnabhängigen geschaffen, das Verunsicherung und ein Gefühl der Machtlosigkeit mit sich bringt. Beides führt zu einer misstrauischen Haltung im Stil „Alle gegen alle“ und zu Fremdenfeindlichkeit. Heute zeigt sich die Fremdenfeindlichkeit als Islamfeindlichkeit und richtet sich speziell gegen aussereuropäische MigrantInnen, während die „westlichen Werte“ in der Form der „schweizerischen Werte“ hochgehalten werden.

Gleichzeitig werden die Eigentümer von Sklavenstaaten wie Saudi-Arabien, den Arabischen Emiraten oder bis vor kurzem der libyschen Diktatur (welche bald auch wieder ein gern gesehener Gast sein wird) empfangen, entweder ganz diskret („Goldkoffer“ und Verträge) oder mit grossem Pomp (Einladungen an schweizerische Festivitäten wie im Fall der Stadt Genf mit linker Regierungsmehrheit).

Grosskapitalisten aus der ganzen Welt werden mit offenen Armen begrüsst oder sogar abgeholt, damit Schweizer Banken ihnen Schutz bieten können, während man sich gleichzeitig im Zeichen von Schengen am alltäglichen Krieg gegen aussereuropäische Lohnabhängige an den Toren Europas beteiligt (Teilnahme an der Schaffung von Lagern für Flüchtlinge-Gefangene an den EUGrenzen, von der Ukraine bis Libyen).

Realitätsverlust

Die offizielle Linke ist in allen Exekutiven des Landes vertreten. Grundsätzlich beteiligt sie sich also, meist zusammen mit den Grünen, an dieser Politik, in Zusammenarbeit mit der Rechten auf kommunaler, kantonaler und Bundesebene. Sie trägt Sparprogramme zulasten der sozialen Ausgaben mit, welche die schwächeren Teile der Bevölkerung treffen, und sie steht zu den repressiven Massnahmen, die mehr und mehr umgesetzt werden.

Die Gewerkschaftsapparate verwalten gewissenhaft die Bilateralen Verträge, die Zweite Säule, die IV, die SUVA, die Arbeitslosenver-sicherung usw., zusammen mit der „Wirtschaft“ (d.h. mit den Patrons). Für diese Rolle werden sie bezahlt (unter anderem über die sogenannten „Solidaritätsbeiträge). Die Gewerkschaftspresse erweckt den falschen Eindruck, dass Sicherheitsmassnahmen am Arbeitsplatz wirksam kontrolliert und Löhne überwacht werden und dass Gesamt-arbeitsverträge nicht systematisch verletzt werden. Faktisch akzeptieren sie, dass die Rechte die letzten Elemente von Kündigungsschutz aus dem Gesetz streicht. Beispielsweise tun sie nichts gegen die laufende Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, welche die Entlassungsmöglichkeiten erweitert. Entlassungen, die derzeit massenweise stattfinden, werden bestenfalls im Rahmen von Sozialplänen mitgestaltet.

Diese Linke hat es schon lange aufgegeben, den tatsächlichen Gegensatz in der Gesellschaft zu benennen, nämlich den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Damit verzichtet sie darauf, die sozioökonomische Realität adäquat abzubilden und den Lohnabhängigen Instrumente in die Hand zu geben, um ihr Denken, ihre Projekte und ihre Vorstellungen zu schärfen. Diese Leere führt dazu, dass „manche Leute, die durch die Krise mehrfach traumatisiert sind, sich bei der Abstimmung von Protest und Misstrauen, mehr noch als von Hass, haben leiten lassen“ (Editorial Tribune de Genève, 30.11.2009).

Die Karte der Islamophobie

Diverse Bestandteile der Politik der Rechten werden entweder in Abstimmung mit der SVP oder unter dem Druck dieser Partei entworfen und umgesetzt. In diesem Fall werden die Massnahmen der Regierung stets als das „kleinere Übel“ dargestellt, um die - passive oder aktive - Unterstützung der Vorlagen durch die Sozialdemokratische Partei zu rechtfertigen, welche an ihren beiden Bundesratssitzen klebt.

Selbst die Kampagne der Regierungsparteien gegen die Antiminarettinitiative liess die Grundzüge dieser politischen Konstellation erkennen. Über den Zusammenhang zwischen der Initiative und der Gesamtpolitik der Regierung gegen die MigrantInnen hat die offizielle Linke geschwiegen. Wie Fremdfeindlichkeit die offizielle „Handhabung von Migration“ untermauert, was sich unter anderem in Form der Islamophobie ausdrückt, auch darüber wurde geschwiegen. Hingegen wurde lang und breit über die Auslese zwischen „guten“ und „schlechten“ Muslimen, „Integrierten“ und „Nicht- Integrierten“, „Fundamentalisten“ und „Gemässigten“ und natürlich über die Terroristen gesprochen. All dies war eine grosse Hilfe für die Initianten, hinzu kam noch die Zensur ihrer Plakate.

Sobald die Ergebnisse bekannt waren, bedankten sich Freysinger & Co bei ihren Kontrahenten, die sie absichtlich „politische Eliten“ nennen. Diese „Eliten“ hatten nichts Besseres zu tun als zu erklären, die Stimmberechtigten hätten eben die Abstimmungsfrage nicht verstanden. Die gleichen, angeblich so dummen Wähler_ innen gelten aber plötzlich als klug, wann immer sie die Vorlagen der Regierung annehmen.

Was die SVP angeht, so sammelt sie in der Tradition der „patriotischen schweizerischen Rechten“ Kräfte, die von der neoliberalen Wirtschaftsrechten bis zu offen rechtsextremen Kreisen geht. Beziehungen zu faschistischen Organisationen gehören ebenfalls dazu. Mit einem so breiten Spektrum kann die SVP immer mehrere Karten spielen, damit sie eine Wählerschaft konsolidieren kann, die dann als Trumpf in den Verhandlungen innerhalb der Regierungskreise dient. Die Antiminarettinitiative war eine dieser Karten. In Krisenzeiten wird die SVP anderen solchen Karten einsetzen.

In Zeiten von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau gilt: Solange nicht klar gezeigt wird, wer gegen wen und für wessen Interessen kämpft, wird die SVP Wind in ihren Segel haben. Dafür entwickelt sich die grösste Schweizer Partei zum Profi in Sachen Plakatieren von Sündenbockbildern. Die SVP wird anderen Gesichtszügen einer rassistisch geprägten Islamophobie ausnutzen.

Der Fremdfeindlichkeit und der Islamophobie entgegenwirken

  • Die Demonstrationen gegen die Antiminarettabstimmung seit dem 29. November sind Ausdruck eines ansatzweise vorhandenen Widerstandes gegen diese Politik. Es ist dringend notwendig, diesen Protesten Perspektiven in Form von Themen und Forderungen zu geben.
  • Jeder und Jede, Individuen oder Gruppen, dürfen ihre religiösen Praktiken und Werte als spezifische Kulturform offen ausdrücken.
  • Vielfältige und verstärkte Förderung der Interkulturalität (Kultureller Austausch und gegenseitige kulturelle Bereicherung) wider die Zwangsassimilation, die bei den Regierungsparteien von links und rechts betrügerisch „Integration“ genannt wird.
  • Gleiche ökonomische, soziale und politische Rechte für alle Lohnabhängigen („Muslime“, „Kosovaren“, „Afrikaner“, „Latinos“, „Genfer“, „Waadtländer“, „Zürcher“...).
  • Stehen wir der utilitaristischen Ausländerpolitik der Schweizer Behörden kritisch gegenüber, die darauf zielt, ein Wirrwarr von schikanösen Aufenthaltsregelungen zu schaffen. Unterstützen wir die Bewegungen zur Regularisierung der Sands-Papiers sowie zur Regularisierung jeder Person mit Familie, die mindestens eine Stunde pro Woche arbeitet (amtliche Definition der Erwerbs-bevölkerung). Aktiver Widerstand gegen Zwangsausweisung von Ausländern.
  • Bekämpfen wir die nächste fremdfeindliche Kampagne der SVP zur „Ausländerkriminalität“, die schon durch rassistischen Polizei- und Verwaltungsmaßnahmen der Behörden gegen die Romas günstigen Nährboden erhalten hat.
  • Angesichts der jetzt wiederkehrenden Diskussion zur Personenfreizügigkeit mit der EU – die SVP wird diese instrumentalisieren – ist es dringend notwendig, die Einheit aller Lohnabhängigen zu errichten, indem Recht auf Personen-freizügigkeit und sozioökonomischen Rechte für Alle untrennbar und komplementär erkämpft werden.