Allgemein anerkannt ist, dass die verschiedenen
Rettungspakete nichts anderes als eine Sozialisierung
der Verluste sind. In den USA sind schon vor
dem Paulson-Plan gewaltige Summen in die kriselnde
Finanzwirtschaft gesteckt worden: bis zum
20. September bereits 380 Mrd. $ sowie seit
dem Sommer 2007, als also die Krise ihren
Anfang nahm, mehrere Hundert Milliarden $
Liquiditätsspritzen der Zentralbank (Fed).
Hinzu kommen 150 Mrd. $ in Form von besonderen
Schecks für alle SteuerzahlerInnen zur
Ankurbelung der Wirtschaft.
Sozialisierung der Verluste
Die europäischen Finanzinstitute sind
kaum besser dran. Schließlich haben
die meisten Großbanken bei der Entwicklung
und dem Kauf und Verkauf von „kreativen
Finanzprodukten“ (Derivaten) kräftig
mitgemischt. Und da das ganze Bankensystem
eng miteinander verflochten ist, können
die hiesigen Banken gar nicht wirklich verschont
bleiben. Schließlich hat die staatliche
KfW schon 8 Mrd. € in die IKB gebuttert
(insgesamt hat die IKB 10 Mrd. € verschlungen),
die Sachsen-LB hat so viel verloren, dass
sie von der Landesbank Baden-Württemberg
übernommen werden musste und die SteuerzahlerInnen
dafür 17 Mrd. € blechen. Diese hat
die Misere bisher schon annähernd 30
Mrd. € gekostet. In den nächsten
Wochen kommen wahrscheinlich ein paar weitere
Dutzend Milliarden € hinzu. In den anderen
Ländern Europas ist es nicht besser:
Die Schweizer UBS musste schwer bluten, die
britische Northern Rock wurde mit 34 Mrd.
€ Steuermitteln über Wasser gehalten,
in Spanien brechen die Banken der Immobilienwirtschaft
zusammen usw.
Die Sozialisierung der Verluste bedeutet
eine erhebliche Reduzierung der Mittel, die
dem Staat zur Sicherung der allgemeinen Daseinsfürsorge
zur Verfügung stehen, denn an den Kosten
für Kriege wie in Afghanistan wird bestimmt
nicht gespart. Somit ist das Einspringen des
Staates in allererster Linie ein weiteres
Mittel zur Umverteilung von unten nach oben,
denn die Nutznießer der kapitalistischen
Finanzwirtschaft konnten ihre astronomischen
Gewinne nur anhäufen, weil sie auf Pump
gearbeitet haben und die dabei nicht aufgehenden
Wetten jetzt von der Allgemeinheit beglichen
werden.
Kein Ende absehbar
Die in der US-Öffentlichkeit ständig
kolportierten 700 Mrd. $ sind nur ein vager
Anhaltspunkt. Paulsons Vollmachten werden
fast unbegrenzt sein, die Wirkung der eingesetzten
Mittel wird allerdings mehr als zweischneidig
sein. Dass nämlich trotz Paulson-Plan
die Börsenkurse sich nicht wirklich erholen,
sondern fast täglich neue große
Bankenpleiten bekannt werden, hängt mit
den tieferen Ursachen der Krise zusammen:
Wenn die angenommenen 700 Mrd. $ zum Einsatz
kommen, manche Regierungsbeamte in Washington
halten eine Billion für erforderlich,
dann erhöht sich das US-Staatsdefizit
von 10,6 Billionen $ auf 11,3 Billionen $.
Dies könnte im besten Fall, wenn alles
optimal liefe und keine neuen „Überraschungen“
kommen, nur eine kurze Verschnaufpause bilden.
Es würde unweigerlich die Inflationsgefahr
erhöhen und zwar spätestens dann,
wenn die anderen Volkswirtschaften kein Vertrauen
mehr in die US-Wirtschaft haben und kein weiteres
Geld in dieses Fass ohne Boden pumpen. Dann
wäre es mit der ständigen Alimentierung
der US-Konjunktur über zufließende
Geldmittel vorbei und der Pump müsste
über die Notenpresse „finanziert“
werden. Dies ist heute die wahrscheinlichste
Variante, allerdings kombiniert mit einem
gewaltigen Druck auf die Realeinkommen der
abhängig Beschäftigten in den USA.
Dort drohen also harte Zeiten.
„Gier
und Größenwahn“?
Wenn die Illustrierte Stern in ihrer Titelgeschichte
die „Gier“ und den „Größenwahn“
als die entscheidenden Momente für das
Ausbrechen der Finanzkrise anführt, dann
ist dies letztlich Volksverdummung. Der einzig
wahre Kern daran: Die modernen Finanzprodukte
machen die internationale Finanzwirtschaft
noch unübersichtlicher und die Zusammenbrüche
kommen abrupter, was besonders mit der „Hebelwirkung“
zusammenhängt: Vor allem die Hedgefonds
arbeiten zu einem beträchtlichen Teil
nur mit geliehenem Geld, um damit noch größere
Summen anzulegen und daraus jeweils Gewinn
abzuschöpfen. So haben die großen
Investmentbanken ihre Aktiva mit Fremdkapital
auf das30-fache hochgehebelt. Aber die deutschen
Banken haben ebenfalls mitspekuliert. Die
Sachsen LB und viele andere haben mit ihren
„außerbilanziellen Zweckgesellschaften“
die Risiken ihrer Wettgeschäfte (nichts
anderes sind diese Spekulationen) in besondere
Tochterfirmen ausgelagert und deren Risiken
nicht in den Bilanzen aufgeführt.
Die Frage ist aber doch: Wieso kann die „Gier“
überhaupt zum Zug kommen und ganze Volkswirtschaften
bedrohen und Hunderte von Millionen Menschen
auf einen Schlag ihrer Ersparnisse berauben?
Letztlich liegt es in der Natur des Kapitalismus.
Die kapitalistischen Banken ziehen ihren Gewinn
aus dem Leihen und Verleihen und sind dabei
so miteinander verschränkt, dass ein
Bankzusammenbruch alle hintendran hängenden
Institute bedroht oder direkt mitzieht, je
nach dem Grad der Verquickung. Vergessen wir
folgende Fakten nicht: Banken haben grundsätzlich
ein viel geringeres Eigenkapital als etwa
ein Industrieunternehmen, nämlich im
Schnitt nur 8 % (in der Industrie 20 –
25 %). In Deutschland betragen die gesetzlichen
Mindestreserven gerade mal 2 %, in den USA
übrigens 5 %, die natürlich bei
diesem Ausmaß der Wettgeschäfte
und Hebelwirkungen überhaupt keine Funktion
mehr haben. Täglich werden 3 Billionen
$ über den Erdball geschoben und nur
ein Bruchteil davon dient der Abwicklung des
realen Warenverkehrs. In 5 Jahren hat sich
das Volumen der Kreditderivate verdreißigfacht,
und zwar auf 62 Billionen $! Und diese Derivate
(z. B. Ausfallversicherungen) sind nichts
anderes als Wettgeschäfte, aber bei den
Wetten kann nicht jeder gewinnen! Es ist damit
logischerweise nur eine Frage der Zeit, bis
das Kartenhaus zusammenbricht. Die industriellen
Direktinvestitionen haben sich seit 1980 etwa
verdoppelt, die Finanzinvestitionen sind von
4 % auf 14 % des Welt-BSP gestiegen. Anders
herum: Sie haben sich in diesem Zeitraum etwa
versechsfacht und ihnen steht nicht im selben
Ausmaß realwirtschaftliches Wachstum
gegenüber.
Problem Kapitalverwertung
Leider wurden wir mit den Aussagen in unsren
Avanti-Artikeln mehr als bestätigt. Der
Crash musste kommen, auch wenn niemand das
genaue Datum vorhersagen konnte und die Gründe
liegen in der mangelnden Kapitalverwertung,
sprich im tendenziellen Fall der Profitrate.
Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass
Geld sich nicht aus sich selbst heraus vermehren
kann. Wenn dem keine realwirtschaftlichen
Zuwächse gegenüberstehen, findet
die Gesamtmenge der Buchgeldvermehrung letztlich
nur auf Pump statt und dann ist es nur eine
Frage der Zeit, bis diese Blase von der Wirklichkeit
eingeholt wird. Genau das findet gerade statt
und da niemand (aber wirklich niemand!) die
tatsächlich nicht gedeckten Summen kennt,
weiß auch niemand, wann der Boden erreicht
ist. Mit Sicherheit ist er heute (25. September)
noch nicht erreicht.
Die beständige Suche nach Anlagefeldern
für Finanzprodukte ist nur deswegen so
ausgedehnt, weil die Realwirtschaft keine
ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten
für angehäuftes Kapital bietet.
Also werden im Finanzsektor gewaltige Luftnummern
erzeugt, die eine Zeit lang gute Profite abwerfen,
aber nur so lange, wie kein Dominostein wackelt,
der aufgrund der Verflechtung viele andere
mitzieht. Entgegen einer verbreiteten Ansicht
sollten wir festhalten:
• Erstens fand auch in den vergangenen
Jahren keine reale Explosion der Profite statt,
sondern einige der großen Konzerne und
Finanzinstitute haben Riesenprofite angehäuft,
aber nicht aufgrund großer Profitraten
des Gesamtkapitals, sondern nur aufgrund von
Umverteilungen oder eben auf Pump.
• Zweitens ist gerade im Bankensektor
die Profitrate auf das Kernkapital naturgemäß
geringer als in der Industrie (sonst gäbe
es ja bald keine Industrie mehr). Je nachdem,
wie viel die Deutsche Bank demnächst
abschreiben muss, kann sie sogar in kürzester
Zeit in extreme Existenznöte geraten,
schneller als die meisten Industrieunternehmen.
Diese Grundbedingung wird heute nur dadurch
etwas modifiziert, als der Staat ab einer
gewissen Größe Banken stützt,
weil der Staat die Kettenreaktion fürchtet,
er also mit Steuermitteln die Profitrate hochhält.
Realwirtschaft
Die Gesundbeterei von Regierung und Wirtschaftsforschungsinstituten
soll das Abziehen von Geld aus den Banken
verhindern, aber an den Auswirkungen der Krise
auf die Realwirtschaft kann mensch eigentlich
schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr vorbei.
Seit März ist die industrielle Produktion
bereits rückläufig und das vor dem
Hintergrund, dass in Deutschland die Investitionsrate
seit Jahren rückläufig ist. Und
die Hauptauswirkungen der aktuellen Finanzkrise
kommen erst noch. Zurzeit werden noch viele
Aufträge abgearbeitet, aber der Auftragseingang
ist stark rückläufig.
Je mehr alles ineinandergreift und miteinander
verzahnt ist, umso verheerender die Wirkung,
wenn ein Dominostein fällt. Kein Finanzinstitut
kann sich mehr auf ein anderes verlassen und
das treibt die Zinsen in die Höhe (der
Euribor-Zins für 3 Monate liegt heute
schon bei 5%). Es stockt deshalb ansatzweise
der Zahlungsverkehr und es werden Industrieunternehmen
pleitegehen, und zwar vor allem diejenigen,
die in nächster Zeit viel frisches Geld
für anstehende notwendige Investitionen
benötigen, aber z. B. keine Kredite bekommen,
weil sie ihre Schulden mit Finanztiteln gedeckt
haben, die gerade pleitegehen usw.
Schlussfolgerungen
Wenn die europäische Bankenlandschaft
übers Ganze gesehen mit einem blauen
Auge davon kommen sollte, was heute nicht
sicher ist, dann kann die aktuelle Krise zu
einer bedeutsamen Verschiebung der Kräfteverhältnisse
EU – USA führen, und zwar schon
mittelfristig. Dafür braucht es keine
Kriege zwischen den Imperialismen, was aufgrund
der Verflechtungen alle viel zu stark in Mitleidenschaft
ziehen würde. Die extrem hohe private
und öffentliche Verschuldung in den USA
fordert jetzt ihren Preis. Und wenn es der
US-Regierung nicht gelingt, andere für
ihre Schulden ausreichend bezahlen zu lassen,
dann kann der US-Imperialismus zwar gegenüber
ein paar abhängig gehaltenen Ländern
die Schrauben anziehen, aber das bringt nicht
die Ressourcen, die zur Überwindung der
Krise benötigt werden. Eine tiefe Rezession
in den USA ist sehr wahrscheinlich, mit allen
Folgen, die das vor allem für die Armen
und die abhängig Beschäftigten hat.
Noch ist es zu früh, das Ausmaß
der kommenden Wirtschaftskrise in Europa zu
überblicken, aber eine „Lösung“
besteht gewiss nicht darin, einfach nur den
Finanzsektor mehr zu regulieren. Und es ist
auch keine Lösung, eine Intervention
des Staates abzulehnen.
Statt aber Steuermittel in privatwirtschaftliche
Institute reinzubuttern, um deren verlorene
Wetten auszugleichen, müsste der gesamte
Finanzsektor vergesellschaftet werden, denn
es gibt keine gesellschaftliche Notwendigkeit
für privatwirtschaftliche Banken. Konsequente
linke Politik muss sich durch eine aktive
Propaganda in folgendem Sinne auszeichnen: