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Tausende Milliarden für Banken und Konzerne - Sparprogramme, Sozial– und
Lohnabbau sowie Elend für die Lohnabhängigen

Europas Weg in die soziale Barbarei


Die Praxis antiker Völker, ihren Göttern Menschenopfer darzubringen, gilt heute als barbarisch. Aber heute werden die Menschen den Finanzmärkten und den winzigen superreichen Eliten, denen die Finanzmärkte dienen, geopfert – das ist Barbarei übelster Sorte.

In ganz Europa werden die Folgen der kapitalistischen Wirtschaftskrise mittels drastischer Sparprogramme und Arbeitsmarktreformen auf die lohnabhängige Bevölkerung abgewälzt. Die schwerste Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren hat diesen Prozess extrem beschleunigt. Fast jede europäische Regierung hat in den Jahren seit 2007, dem Ausbruch der aktuellen Krise, Abbaumassnahmen angekündigt und umgesetzt. Die Bevölkerung Europas wird nun für die gigantischen Summen, welche den Banken und Finanzhaien in den Rachen geworfen wurden, zur Kasse gebeten.

Die gegenwärtige, nicht enden wollende Krise hat das Kapital ökonomisch tief erschüttert und eine gigantische Entwertungsspirale in Gang gesetzt. Der Staat agiert in dieser Situation als Vertreter der vermögenden Klassen und als die (für das Kapital) notwendige politische Ergänzung des kapitalistischen Eigentums tat er, was zur Rettung des Kapitals nötig war - ideologisch verdeckt als keynesianischer Dienst an der Gemeinschaft. Die Rettung von Arbeitsplätzen und die Sicherung von Sparguthaben bildeten die Etiketten beinahe jeder Staatsaktion. Tatsächlich rettete der Staat das Kapital vor der Entwertung, indem er sich verschuldete und Geld druckte. Er half den besitzenden Klassen ihr Vermögen zu retten indem er Rettungsschirme errichtete und schützte die Bonzen indem er den Kapitalismus stabilisierte.

Nun droht der Staat unter der Last der Schulden zusammenzubrechen. Er versucht sich dadurch zu retten, indem er die Last den Lohnabhängigen aufbürdet, also nichts anderes macht, als die durch den öffentlichen Kredit verhinderte Entwertung des Kapitals in eine Entwertung der direkten und indirekten Masseneinkommen umzumünzen. Zudem hofft er auf zusätzliche Steuereinnahmen und verbesserte Kreditmöglichkeiten, indem er durch Senkung von Löhnen und Ausweitung von Arbeitszeiten die Akkumulation des Kapitals zu befördern versucht. Beispielsweise beschneidet er den Kündigungsschutz (Spanien, Italien), beseitigt Tarifverträge (Griechenland, Spanien), senkt Mindestlöhne (Griechenland, Portugal), kürzt weitere Löhne und verlängert die Arbeitszeit, um dadurch die Ausbeutungsmöglichkeiten in Industrie und Handel zu verbessern.

Andererseits sichert er das Finanzkapital ab, indem er versucht, dessen ramponierte Kreditwürdigkeit und damit seine Handlungsfähigkeit durch staatliche Sparprogramme, durch Massenentlassungen und massive Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst (Griechenland, Großbritannien, Spanien, Irland), durch Anhebung von Massensteuern und durch die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters (Griechenland, Frankreich, Italien etc.) zu verbessern. Diese Spar- und Verelendungspolitik ist nichts anderes als eine Politik des Kapitals, wobei die eigentlichen Betreiber und die Nutznießer dieser Politik die VertreterInnen der verschiedenen Fraktionen des Kapitals sind.

Die Angriffe der herrschenden Klasse auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen sind von unglaublicher Härte und Brutalität und einzigartig seit dem 2. Weltkrieg. Vom „Sozialstaat“ der Nachkriegszeit wird nichts übrig bleiben. Eine Studie der amerikanischen Carnegie Stiftung gelangt zum Schluss, "die Sozialstaaten, die seit den 1940er Jahren überall in Europa aufgebaut wurden, um öffentliche Unruhen zu verhindern und Spannungen zu entschärfen", seien schlichtweg "nicht mehr bezahlbar".

Die Sparpolitik Brünings in Deutschland zu Beginn der 1930er Jahre ist ein Beispiel, wie der Staat klassenpolitisch in einer schweren Krise operierte. Sein harter Deflationskurs während der Weltwirtschaftskrise zielte ökonomisch darauf ab, durch die konsequente Senkung von Sozialausgaben und Löhnen die Inflations- und Verschuldungsrisiken zu begrenzen sowie die Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkt entscheidend zu verbessern.

Aber man muss keineswegs in die tiefere Vergangenheit zurückgehen, um zu begreifen, welche Massnahmen der Staat im Auge hat, wenn er Krisenpolitik betreibt. Ein näher liegender Fahrplan ist die Agenda 2010, welche die rotgrüne Regierung Schröder/Fischer in Deutschland im März 2003, auf dem Tiefpunkt der letzten zyklischen Krise, durchpeitschen ließ. Sie beinhaltete nicht nur massive Kürzungen bei den Sozialversicherungen (vor allem Kürzung von Leistungen im Bereich der Krankenversicherung, erhebliche Zuzahlungen für Gesundheitsleistungen, Rentenkürzungen) und bewirkte darüber eine Reduzierung indirekter Lohnbestandteile, sondern verschärfte vor allem mit den Hartz-Gesetzen und ersten Massnahmen zur Lockerung des Kündigungsschutzes die Konkurrenzbedingungen zwischen den beiden Hauptabteilungen der Lohnabhängigen, den Beschäftigten und Erwerbslosen. Dies war eine Voraussetzung dafür, weshalb der Konjunkturaufschwung von 2003 bis Anfang 2008 entgegen früherer Konjunkturmuster und entgegen der Lohnentwicklung im Ausland keine Reallohnverbesserung für deutsche Lohnabhängige brachte. Schröders Agenda 2010, die gegen Ende der letzten Krise in Deutschland zu den schärfsten Sozialeinschnitten seit mehr als 50 Jahren geführt hatten und punktgenau die kapitalistischen Interessen gegenüber den Ansprüchen der Lohnabhängigen durchsetzte, wird ein Handlungsmuster für die künftige Politik in Europa sein.

Nicht umsonst vergleicht Frankreichs Präsident Sarkozy sein für den Fall seiner Wiederwahl angekündigte, rigides Sparprogramm und eine ebenfalls geplante Reduzierung der Lohnnebenkosten um dreizehn Milliarden Euro mit der Agenda 2010 Schröders. Der Nachbar habe mit dieser Reform die Arbeitskosten deutlich gesenkt und so seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Frankreich verbessert. Wolle Frankreich seine Arbeitslosenzahlen auf deutsches Niveau reduzieren, müssten ähnliche Maßnahmen ergriffen werden, sagte der Präsident. 53 Milliarden Euro will er vornehmlich durch Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und Kürzungen im Gesundheitswesen einsparen. Auch sein Widersacher François Hollande von der Sozialistischen Partei kündigte in einem Radiointerview an, nach der Wahl unverzüglich einen Kassensturz anzuordnen und bestimmte Ausgaben einzufrieren. Auch der von der EU eingesetzte Ministerpräsident Italiens, Mario Monti, bescheinigt Deutschland, die wirtschaftspolitische Debatte in Europa gewonnen zu haben und lobt die Arbeitsmarktreformen durch die Agenda 2010.

Die Ergebnisse der tiefgreifenden Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 waren nebst der Teilprivatisierung der Rentenversicherung, der Senkung des Spitzensteuersatzes und der Abschaffung der Vermögenssteuer. die Schaffung eines umfassenden Niedriglohnsektors zur Senkung der Lohnkosten für die Unternehmer. Gut 23 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten heute unter der Niedriglohngrenze und verdienen im Durchschnitt weniger als sieben Euro in der Stunde. 4,9 Millionen Arbeiter sind ausschließlich in Minijobs beschäftigt, bei denen die Lohnnebenkosten fast vollständig entfallen. Hunderttausende wurden von den Arbeitsämtern in Jobs gezwungen, für die sie neben Kost und Logis nur einen Euro in der Stunde erhalten.

Zudem wurde es Unternehmen ermöglicht, Mindestlohnanforderungen und Tarifverträge durch sogenannte Werkverträge zu umgehen. Auf dieser Basis Beschäftigte genießen keinerlei arbeitsrechtliche Absicherung und können mit einem Hungerlohn abgespeist werden. In einigen Betrieben überwiegen die Werkverträge bereits die reguläre Belegschaft.

Mit dem Fiskalpakt beschlossen die EU Finanzminister Anfang März, dieses Modell auf ganz Europa auszuweiten. Schon im Januar machte die deutsche Bundeskanzlerin Angelika Merkel klar, dass es sich dabei nicht nur um die Reduzierung der Staatsausgaben, sondern auch um die Zerschlagung der Arbeiterrechte handeln müsse: "Europa kann in der internationalen Konkurrenz mit aufstrebenden Mächten wie China oder Brasilien nur bestehen, wenn es so wettbewerbsfähig wie Deutschland wird."

Dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und Brasilien bezüglich der Lohnkosten wörtlich gemeint ist, zeigt sich besonders deutlich in Griechenland. Das Land wird von den herrschenden Eliten Europas als Testfeld betrachtet, massive Angriffe auf die Arbeiterklasse auf dem gesamten Kontinent durchzusetzen.

Neben Entlassungen und Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, der Zerschlagung der Sozialsysteme sowie der Erhöhung der Massensteuern wurde das Land auch in ein Paradies für Unternehmen verwandelt. Der Mindestlohn wurde um fast 200 Euro auf 590 Euro gekürzt, die Gewerbesteuer gesenkt und die meisten Lohnzuschüsse wurden abgeschafft. Damit sinkt beispielsweise der Lohn eines Angestellten im Handel von 1375 auf 962 Euro.

Die Not und das Elend, das diese Maßnahmen hervorrufen, wird wiederum genutzt, um Löhne und Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern. Die deutsche Regierung hat jetzt die Errichtung von “Freihandelszonen” in Nordgriechenland vorgeschlagen. In diesen Zonen soll der Mindestlohn von 500 Euro auf 300 Euro gesenkt und die Unternehmenssteuer von zwanzig auf zwei Prozent reduziert werden.

Doch längst werden in anderen europäischen Ländern ähnliche Maßnahmen ergriffen. In Spanien können Firmen nun ohne Zustimmung der Gewerkschaften die Löhne senken und die Arbeitszeit verändern. Außerdem wird der Kündigungsschutz gelockert und das Recht auf eine Abfindung geschliffen. In Italien werden die Sozialabgaben für die Unternehmen reduziert und zugleich erlaubt, die Löhne unter Tarif zu senken. Geplant ist ferner, die Lohnentwicklung zu bremsen, indem die Tarifverhandlungen auf Unternehmensebene verlagert und Entlassungen erleichtert werden. Ähnliche Angriffe sind in den meisten europäischen Ländern geplant.

In der Logik der Abwärtsspirale der Wettbewerbsfähigkeit werden derweil in Deutschland die Rufe nach einer Agenda 2020 laut. Ex-Kanzler Schröder, der in der deutschen Wirtschaft immer noch bestens vernetzt ist, forderte in der vergangenen Woche eine Agenda 2030, um die deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs zu halten. Zudem betonte er die Notwendigkeit "nationale Souveränität" aufzugeben und einen europäischen Finanzminister zu ernennen, der die entsprechenden Angriffe durchsetzen könne.

Die bisher beschlossenen Kürzungen und Reformen haben für breite Teile der europäischen ArbeiterInnenklasse verheerende Folgen. Die Arbeitslosigkeit in Europa hat einen historischen Höchststand erreicht: Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) waren 2010 rund 45 Millionen Menschen in der Europäischen Union ohne Job. Entsprechend ist Massenarbeitslosigkeit heute selbstverständlicher Teil des Lebens in den Staaten Europas, teilweise ist fast ein Viertel der Bevölkerung arbeitslos (Spanien 24%, Griechenland 22%). Und zum ersten Mal in der Nachkriegszeit sind in einzelnen Staaten wie Spanien und Griechenland mehr als die Hälfte der Jugendlichen, oder wie in Italien Irland, Portugal und Polen jeder Dritte arbeitslos. In Frankreich, Ungarn und selbst in Schweden sind es 25 % der jungen Erwachsenen die keine Arbeitsstelle haben.

Ein Artikel aus der französischen Zeitung Le Monde von Anfang April 2012, über die Rückkehr der Kinderarbeit auf dem europäischen Kontinent zeigt, wie stark die derzeitige Sparpolitik den europäischen Lebensstandard gesenkt hat. Unter der Überschrift "Kinderarbeit kehrt in Neapel zurück" wird darin aufgezeigt, dass in der süditalienischen Metropole tausende Kinder dazu gezwungen sind, die Schule abzubrechen, um zu arbeiten und so ihre Familien zu unterstützen. Der Artikel zitiert aus einem Bericht der lokalen Behörden von 2011, laut dem in der Region Kampanien vom 2005 bis 2009 54.000 Kinder die Schule abgebrochen haben. Etwa 38 Prozent von ihnen waren jünger als dreizehn Jahre. Kinderarbeit sei zu einer alltäglichen Erscheinung in der Region geworden, wobei kleine Kinder in einer ganzen Reihe von Berufen tätig sind. Der stellvertretende Bürgermeister von Neapel wird folgendermaßen zitiert: "Wir waren natürlich die ärmste Region in Italien, aber so etwas haben wir seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gesehen. Mit zehn Jahren arbeiten diese Kinder schon zwölf Stunden am Tag. Das ist eine klare Verletzung ihres Rechts auf Entwicklung.“ Der Le Monde-Artikel weist darauf hin, dass das verzweifelte Schicksal der Kinder und Jugendlichen in der Region ein direktes Ergebnis der "Finanzreformen“ ist, die mehrere italienische Regierungen durchgeführt haben. Durch sie haben Arme und Arbeitslose entweder schwierigeren oder gar keinen Zugang mehr zu staatlichen Hilfsleistungen.

Die wachsende soziale Krise, die Ausweglosigkeit der Lohnabhängigen angesichts der Massenverelendung in den Staaten Europas zeigt sich auch deutlich an den stark angestiegen Selbsttötungen. Anfang April hatte sich der 77-jährige Dimitris Christoulas vor dem griechischen Parlament erschossen. Er wolle sein Leben mit Würde beenden, statt "im Müll nach Essbarem zu wühlen" schrieb er in einem Abschiedsbrief und dass die Regierung es ihm unmöglich mache, von seiner Rente zu leben, nachdem er 35 Jahre für sie eingezahlt habe. Offizielle Griechische Stellen berichten von einem Anstieg der Selbsttötungen von 40 Prozent seit Beginn der Wirtschaftskrise. Diese Zahlen für Griechenland sind aber nicht sehr zuverlässig, da die orthodoxe Kirche das Thema tabuisiert. Die Organisation Klimaka, die eine Hotline für verzweifelte Lebensmüde betreibt, geht davon aus, dass die Zahl der Selbsttötungen sich seit Beginn der Krise vor zwei Jahren verdoppelt hat.

Am 18. April 2012 berichtete der Zürcher „Tagesanzeiger“ unter dem Titel "Monti hat die Toten auf dem Gewissen" von einer Reihe von Selbsttötungen in Italien. Zitat "Um Italien aus der Krise zu holen, setzt Monti auf rigoroses Sparen. Der Druck auf das Volk ist gross. Täglich berichten Medien über Selbstmorde aus Verzweiflung". Eine 78-jährigen Rentnerin aus der Stadt Gela sprang vom Balkon ihrer Wohnung, nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Rente um 240 Franken gekürzt worden war. In Bologna zündete sich ein 58-jähriger italienischer Bauarbeiter in seinem Auto an, wenige Tage später zündete sich ein marokkanischer Bauarbeiter in Verona auf offener Strasse an. Die Zahl der Suizide ist in Italien unter dem Druck der seit 2008 anhaltenden Krise um 25 Prozent angestiegen.

...wie gesagt, das ist soziale Barbarei übelster Sorte.