Einige
Elemente liegen auf der Hand. Irland wie auch
Griechenland gehören zu den PIIGS-Staaten
(dazu gehören noch Italien, Portugal
und Spanien), schwächere Volkswirtschaften,
die einen allgemeinen Zusammenbruch auslösen
können. Was weniger offen diskutiert
wird, ist der Geldfluss. Irische ArbeiterInnen
müssen für irische Banken bezahlen.
Diese werden von der Europäischen Zentralbank
(EZB) gestützt, die gleichzeitig die
Kredite deutscher und britischer Banken absichert.
Die Banken leihen dem irischen Staat Geld,
der das Geld an die Banken zurückzahlt
und dazu der irischen ArbeiterInnenklasse
ein verheerendes Sparprogramm aufzwingt.
Enttäuschte Hoffnungen
Was die Krise noch schlimmer macht, ist die
Tatsache, dass überhaupt keine Lösung
in Sicht ist. Der irische Staat gewährte
eine umfassende Garantie für die Banken
und zog dazu 15 Mrd. € aus der Wirtschaft.
Die Herrschenden hofften, dass bis 2011 einiges
davon zurückfließen würde.
Die EZB erhöhte dann die irischen Schulden
um 85 Mrd. € und im Haushalt mussten
weitere 15 Mrd. € gestrichen werden.
Jetzt hoffen sie, dass bis 2014 einiges davon
zurückfließen wird.
Irland kann nicht für die Banken bezahlen.
Europa kann nicht für die Banken bezahlen.
Sie werden es aber versuchen, und das hat
eine grausame Sparpolitik und einen Klassenkrieg
in Europa zur Folge.
Die
spezifischen Elemente der irischen Krise hängen
eng mit der extremen Abhängigkeit der
Ökonomie eines Landes zusammen, das nie
seine völlige politische Unabhängigkeit
erreicht hat. Es gibt nur eine sehr kleine
einheimische Fertigungsindustrie. Das irische
Kapital ist traditionell mit dem „Wucherkapital“
verbunden, mit Zinsen auf verliehenem Kapital
und mit Spekulationsgeldern. Das irische Kapital
setzte auf eine Entwicklungspolitik, die die
Abhängigkeit verschärfte, einerseits
indem internationales Kapital mittels niedriger
Steuern angezogen wurde, andererseits, indem
die Wirtschaft über den Euro an Frankreich
und Deutschland angebunden wurde.
Die Ursachen
Zum einen hat der niedrige Unternehmenssteuersatz
von 12,5 % nicht genug Einkünfte erzeugt,
um den Staat und seine Infrastruktur ausreichend
zu modernisieren. Zum anderen wurde die Flut
billiger Kredite von den Banken, den Spekulanten
und den Politikern dazu benutzt, eine gewaltige
Blase zu erzeugen.
Als
der Crash losbrach, sprachen die irischen
KapitalistInnen für die großen
Aktienbesitzer eine absolute Garantie aus
und kürzten gleichzeitig die Löhne
und Renten und strichen Stellen und Öffentliche
Dienstleistungen, um darüber die Zinszahlungen
zu sichern. Diese Strategie schlug fehl, als
das ganze Ausmaß des Schuldenbergs offensichtlich
wurde und die Aktienbesitzer und die Kreditinstitute
sahen, dass Irland nicht in der Lage sein
würde, weiter zu zahlen. Jetzt traten
die EZB und der IWF auf den Plan, um „Irland
zu retten“, d. h. um die europäischen
Banken zu retten. Dazu vergrößerten
sie die Schulden Irlands noch mehr und unterstützten
die irischen Pläne zur drastischen Verschärfung
der Sparpolitik. Am bezeichnendsten ist vielleicht
die Entscheidung, den Mindestlohn zu senken.
Er soll runtergedrückt werden, und zwar
nicht nur für die Zeit der Krise, sondern
für immer. Der Verteilungsschlüssel
zwischen Kapital und Arbeit soll auf Dauer
verändert werden. Die Ära des Sozialstaates
nähert sich dem Ende.
Parallelen in Europa
Das Gesamtkonzept ist bereits gescheitert.
Es scheiterte in Griechenland, wo ein Jahr
unablässiger Sparpolitik rein gar nichts
bewirkt hat, um Stabilität herzustellen.
Das Scheitern in Irland zeigt, wie tief die
Krise ist. In Griechenland leiteten die Sparmaßnahmen
eine scharfe politische Wende ein. In Irland
hingegen waren die KapitalistInnen schon
vorher dabei, die Sparpolitik umzusetzen und
alles, was EZB und IWF noch tun konnten, war,
gewisse Details zu ändern und das Programm
zu überwachen. Aber mit jedem möglichen
Cent, der aus den irischen ArbeiterInnen
rausgepresst wird, bewegte sich die Zinsrate
gerade mal unter 6 %, also der Rate, die die
Krise überhaupt losgetreten hat. Innerhalb
von Tagen stürzte das Rating für
Irlands Kreditwürdigkeit ab und wochenlang
mussten die europäischen Mächte
Krisensitzungen abhalten und neue Stützungsmechanismen
beschließen, die beim nächsten
Schock versagen werden.
Irland
kann nicht für die Banken bezahlen. Europa
kann nicht für die Banken bezahlen. Ständig
wird darüber geplaudert, die Banken dazu
zu zwingen, Verluste zu akzeptieren, aber
dieses Geschwätz bringt gar nichts. Das
Einzige, was wir erleben, ist eine ständige
Zunahme der Angriffe auf die ArbeiterInnen.
In einem Boot?
Wenn nun also die Art der Krise grundsätzlich
gleich ist, dann sind auch die Aufgaben, vor
denen die ArbeiterInnen stehen, die gleichen,
nämlich wieder die Initiative zurückzugewinnen
und neue Strukturen aufzubauen. Es braucht
ein neues Programm und neue Widerstandsorganisationen.
Die augenschein-liche Lähmung der irischen
ArbeiterInnen hat die Menschen im Ausland
überrascht, aber Irland ist nur ein extremes
Beispiel für einen allgemeinen Trend.
In Teilen Europas gab es größere
und heftigere Demonstrationen, aber sie ebben
ab, weil es kein alternatives Programm der
ArbeiterInnenklasse und keine neuen Widerstandsorganisationen
gibt.
Es
gibt eine Reihe von Gründen, weshalb der
große Ärger der irischen ArbeiterInnen
mattgesetzt wurde. Zum einen ist es die brutale
Grausamkeit dieser Angriffe. Trotz allen Getöses
von Fairness, wonach wir alle im selben Boot
sitzen, fanden es die irischen KapitalistInnen
unmöglich, ihre eigenen Steuern zu erhöhen
und es trifft ausschließlich die ArbeiterInnenklasse
und die Armen, die dramatische Einschnitte in
ihrem Lebensstandard hinnehmen müssen.
Zweitens,
und das ist noch viel bedeutsamer, liegt es
an der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie,
die seit Jahrzehnten mittels formaler Mechanismen
der Sozialpartnerschaft mit Regierung und Kapital
verbunden ist. Die Gewerkschaftsführungen
sind in der Lage, die ArbeiterInnen massenhaft
zu mobilisieren, aber dann nutzen sie diese
Demonstrationen als Plattformen, um in sozialpartnerschaftlichen
Strukturen an den Verhandlungstisch zurückzukehren
und die ArbeiterInnen von weiteren Aktivitäten
abzuhalten.
Rolle der Gewerkschaftsbürokratie
Die Strategie der Gewerkschaftsführung
bestand darin, die Politik der Garantien für
Bankkredite zu unterstützen und dann lediglich
zu fordern, dass es einen „besseren faireren
Weg“ gibt, die Schulden zu bezahlen, indem
man nämlich die Defizitreduzierung mit
einer keynesianischen Arbeitsbeschaffungspolitik
kombiniert. Diese Vorschläge werden beständig
abgelehnt, aber die Beziehung zur Regierung
wird dennoch stärker und nicht etwa schwächer.
Die BürokratInnen unterzeichneten
eine Vereinbarung mit der Regierung –
das „Croke Park Abkommen“ –
das Lohnkürzungen und Stellenstreichungen
akzeptiert, wenn die Löhne jetzt eingefroren
werden und keine Entlassungen gegen den Willen
der Betroffenen stattfinden. Im Gegenzug werden
die ArbeiterInnen mit diesem Abkommen an
ein vierjähriges Streikverbot gebunden.
Diese
Vereinbarung gilt weiter, obwohl die Prinzipien,
auf denen es basierte, mit dem kürzlich
verabschiedeten Haushalt aufgehoben wurden.
Die Bürokratie ist jetzt mit diesem Abkommen
in die Mechanismen des Sparprogramms von EZB
und IWF eingebunden.
Aber es wäre ein Fehler, all dies nur als
einen Verrat der Gewerkschaftsführung an
den ArbeiterInnen zu sehen. Sie haben es
mit sehr wenig Opposition zu tun, was mit dem
niedrigen Stand des Klassenbewusstseins der
irischen ArbeiterInnen zusammenhängt. Das
Bewusstsein der ArbeiterInnen ist ein Ergebnis
von Jahrzehnten der Niederlagen. Den Niederlagen
der Sozialpartnerschaft folgte der Zusammenbruch
des radikalen Republikanismus und das Ergebnis
ist die Hegemonie der KapitalistInnen über
die ArbeiterInnenklasse. KapitalistInnen
und ArbeiterInnen sind in einer nationalistischen
Ideologie miteinander verbunden, die Irlands
Unterordnung und die Notwendigkeit, den Imperialismus
zu beschwichtigen, akzeptiert. So tief ist dieses
Bewusstsein verankert, dass die Fianna-Fail-Regierung
trotz erdrutschartiger Wahlverluste in der Lage
ist, eine Gegenoffensive zu starten und zu erklären,
dass ihre GegnerInnen keine Alternative
hätten (was stimmt). Es ist überraschend,
dass selbst in der tiefsten Krise die absonderlich
tiefe Steuer für Unternehmen von 12.5 %
und die Subventionierung, die dies für
ausländische Firmen darstellt, wenig kritisiert
wird.
Sozialpartnerschaft vs. Widerstand
Ähnliche Faktoren treffen in anderen Ländern
Europas zu, wenn auch weniger extrem. Die ArbeiterInnen
sind im Allgemeinen sehr schlecht auf die kapitalistische
Offensive vorbereitet. Auch dort, wo es keine
formalen Sozialpartnerschaftsstrukturen gibt,
herrscht doch überall in Europa in den
Gewerkschaften eine Kultur der Zusammenarbeit
mit den Bossen und der Regierung, genauso wie
die Bürokraten und die Sozialdemokratie
gemeinsam ein bestimmtes Programm vertreten:
Die ArbeiterInnen müssen zahlen, aber
die KapitalistInnen sollen ein keynesianisches
Programm umsetzen, um den Schmerz zu lindern.
Im Allgemeinen sind der Organisationsgrad und
das Klassenbewusstsein höher als in Irland
und es gibt hier und da auch eine größere
Unabhängigkeit von der Bürokratie,
aber im geschichtlichen Vergleich ist beides
heute auf europäischer Ebene recht niedrig.
Neue
Strukturen und eine neues Programm für
den Widerstand müssen aufgebaut werden.
Ausgangspunkt muss die Ablehnung der Schuldenrückzahlung
aus den Randländern sein. Auch in den Hauptmächten
der EU sollen die Schulden dazu genutzt werden,
im eigenen Land Sparprogramme durchzusetzen.
Programm
der ArbeiterInnenklasse muss es sein, den Sparoffensiven
und den Angriffen auf die Rechte der ArbeiterInnen
dauerhaften Widerstand entgegenzu-setzen. Die
Kampfform der ArbeiterInnen muss die der
Massenmobilisierung sein: Besetzungen, Inbesitznahme
von Betrieben, die geschlossen werden sollen,
Forderung nach staatlicher Unterstützung
und – wenn dies abgelehnt wird –
Übernahme von Teilen staatlicher Machtausübung.
Die
Alternative der ArbeiterInnen muss sein, die
Kasino-Banken zu schließen und eine Arbeiterbank
einzurichten, um die täglichen Bedürfnisse
der ArbeiterInnen und anderer unterdrückter
Gruppen zu befriedigen, verbunden mit einem
Wirtschaftsplan, der auf die Entwicklung der
Wirtschaft und der Gesellschaft abzielt, um
den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu
werden.
Vor allem müssen die ArbeiterInnen
ein internationales Programm entwickeln. Die
KapitalistInnen versuchen, das Stereotyp
des fleißigen Deutschen gegen die faulen
Griechen und die unfähigen Iren ins Feld
zu führen, wo doch alle von den Banken
ausgenommen werden. Der Anspruch, dass der Kapitalismus
ein geeintes Europa aufbaut, scheitert gerade.
Es wird Zeit, dass die Alternative eines vereinigten
sozialistischen Europas zur Diskussion gestellt
wird.
*
John McAnulty
ist führendes Mitglied von Socialist Democracy,
sympathisierende Organisation der IV. Internationale
in Irland.
Übersetzung: Daniel Berger.
|