Der
diesjährige 1. Mai 2009 steht im Zeichen
der gegenseitigen Ansteckung der Krisen untereinander.
Denn die aktuelle Schweinegrippepandemie sollte
von folgenden drei Problemen nicht getrennt
betrachtet werden:
- Das
öffentliche Gesundheitswesen wird seit
längerer Zeit geschwächt. Die
Prioritäten wurden dabei zu Gunsten
des „rentablen“ privaten Sektors,
der Wohltätigkeitsorganisationen von
Multimilliardären (z.B. der Bill and
Melinda Gates-Foundation) sowie den grossen
Pharmaunternehmern ausgelegt. Letztere schützen
die Produktion ihrer Medikamente und ihre
Profite vor öffentlichem Zugang (z.B.
Roche und ihr Medikament Tamiflu).
- Um
einer Pandemie entgegenzuwirken, haben die
Mächtigen die reichen Länder mit
einer „sanitären Mauer“
umschlossen. Dabei wäre es dringend
notwendig, die Infrastruktur in den „armen
Ländern“ auszubauen und eine
aktive Partizipation der Bevölkerung
an der Organisation des Gesundheitswesens
zu ermöglichen. Die Bevölkerung
zahlt die illegitimen Schulden mittels einer
ungerechten Konsumsteuer an die grossen
imperialistischen Banken, wodurch sich die
soziale Ungleichheit weiter verstärkt.
Eine Ungleichheit, die sich auch darin niederschlägt,
wer der Pandemie zum Opfer fällt.
- Die
Herrschenden haben die Vorwarnungen der
Wissenschaft bezüglich der Gefahr der
Schweinegrippe ignoriert. Die viel rentablere
industrielle Massenzucht von medikamentös
behandelten Schweinen hat die Entstehung
eines neuen Virus begünstigt. Diese
Massenzucht wird letztlich durch die Nahrungsmittelkonzerne
kontrolliert.
Andere
«Grippen»
Die
Parallelen zwischen dieser Pandemie und derjenigen,
die seit 2007 in globalem Ausmasse den Finanz-
und Industriesektor befallen hat und damit Hunderttausende
Opfer produziert hat, die ihren Job los wurden,
sind offensichtlich.
Ganze
Regionen sind von der Wirtschaftskrise befallen:
Durch die Entwaldung ihrer Umgebung, die Zerstörung
ihrer Rohstoffe und vor allem durch die Kontaminierung
des Bodens durch mitunter tödliche Substanzen.
Die Zerstörung der Meeresressourcen durch
die Fangverarbeitungsschiffe hat die Existenzgrundlage
Hunderttausender Kleinfischer ruiniert, während
die Auswirkungen der Klimaerwärmung immer
mehr landwirtschaftlich genutzte Flächen
zerstören und die dort lebende Bevölkerung
vertreiben und enteignen.
Die
„Nahrungskrise“ verstärkt das
durch die Unterernährung verursachte Elend
der Menschen und damit die Anfälligkeit
gegenüber heilbaren Krankheiten. 950 Millionen
an Hunger leidende Menschen, in erster Linie
arme Bauern, sehen sich gezwungen, in die Elendsviertel
der grossen Städte zu flüchten. Dies
geht mit einem massiven Aufkauf der landwirtschaftlichen
Flächen einher. Diese MigrantInnen werden
somit zu völlig abhängigen und ausgelieferten
Arbeitskräften des globalisierten Ausbeutungssystems.
Gleichzeitig
werden sie zur Zielscheibe von behördlicher
und polizeilicher Diskriminierung und Repression.
All
diese Prozesse sind das Ergebnis der Funktionsweise
eines am Imperativ des Profits ausgerichteten
Systems, das sich die Natur und die Menschen
unterwirft.
Die
Krise und ihre Ziele
Einerseits
bedeutet die Wirtschaftskrise: Entlassungen,
Fabrikschliessungen, Arbeitslosigkeit sowie
Rückgang der Produktion und des Konsums
in Folge reduzierter Kaufkraft.
Andererseits
führt die Wirtschaftskrise im Kapitalismus
dazu, dass die wirklichen Träger der ökonomischen
Macht – die grossen transnationalen Finanz-,
Industrie- und Handelsunternehmen – sowie
deren politische Vertreter ihre ökonomischen
und politischen Herrschaftsinstrumente reorganisieren
(müssen).
Die
„toten Wirtschaftszweige“ werden
eliminiert, gleichzeitig werden neue Investitionen
mittels direkter oder indirekter staatlicher
Hilfsgelder durchgeführt. Firmen werden
aufgekauft und ihre Marktanteile einverleibt.
Dadurch können die „Herrscher des
Marktes“ noch mehr Reichtum und Macht
in ihren Händen konzentrieren. Ständig
versuchen sie, ihre Produktivität (Erhöhung
der Güterproduktion oder Dienstleistung
innerhalb einer gegebenen Zeit) sowie ihre Rentabilität
(Profitrate) zu steigern.
Jede
Wirtschaftskrise eröffnet den herrschenden
Eliten die Gelegenheit, ein System abzuändern,
welches sowohl seine Grenzen als auch seine
Barbarei zum Vorschein gebracht hat. Diese Umstrukturierungen
haben zum Ziel, die Grenzen des Systems –
wenn auch auf Kosten des Wohlergehens der Mehrheit
der Menschen – weiter auszudehnen.
Hinter
diesen zwei Ideen verstecken sich zum einen
diejenigen, die dem „grünen und moralischen
Kapitalismus“ das Wort reden, während
andere den „Kapitalismus der nationalen
Einheit“ heraufbeschwören, weil angeblich
alle im gleichen Boot sässen. So oder so,
die ungehorsamen einfachen Seeleute werden von
den Wirtschaftskapitänen über Bord
geschmissen. Denn mit einer Krise gehen auch
immer Momente der verstärkten Konfrontation
zwischen dem Unternehmertum und den Lohnabhängigen
einher.
Eine
brutale und lang anhaltende Krise
Um
sich in dieser Konfrontation zu verteidigen,
ist wichtig zu verstehen, dass die derzeitige
Krise schon in den Genen des Systems verankert
ist. Sowohl die kleineren regulären Krisen
(Rezessionen), als auch planetarische Krisen
wie die jetzige, sind ein fester Bestandteil
des Kapitalismus.
Die
aktuelle Krise zeichnete sich schon Mitte 2007
klar ab. Dennoch verkündete der ehemalige
Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes,
Serge Gaillard, heute eifriger Handlanger des
Kapitals an der Seite von Bundesrätin Doris
Leuthard, im Sonntagsblick des 21. Dezembers
2008: „Die Krise wird brutal, aber kurz.“
Seither musste das Staatssekretariat für
Wirtschaft seine Vorhersagen bezüglich
der Arbeitslosigkeit und dem Rückgang der
Produktivität (BIP) Monat für Monat
revidieren. Die Krise ist und bleibt brutal.
Und zwar längerfristig:
Seit
März 2008 hat sich die Zahl der Arbeitslosen
in der Schweiz innert eines Jahres von 159'031
auf 191'932 erhöht: Ein Anstieg um 20 Prozent.
Diese Wunde wird zwischen 2009 und 2011 noch
grösser werden, worauf auch die Monat für
Monat rückläufigen Stellenausschreibungen
hindeuten (minus 20 Prozent in einem Jahr).
Seit
1993-1998 sind die Auswirkungen des dramatischen
Anstieges der Erwerbslosigkeit auf die Lohnabhängigen
bekannt: Der Zwang zur Annahme jeglicher „zumutbaren
Arbeit“, häufig verbunden mit Lohnsenkungen
von 20 bis 30 Prozent. Nicht zu vergessen sind
die Jungen, die weder einen Arbeitsplatz noch
eine Lehrstelle finden und in Folge dessen sehr
tiefe „Einstiegssaläre“ hinnehmen
müssen.
Seit
1995 haben die Reallöhne (inflationsbereinigte
Nominallöhne) stagniert. In Anbetracht
explodierender Krankenkassenprämien, steigender
Lebenshaltungskosten sowie der Kürzungen
der zweiten Säule, welche auf Grund des
vermeintlich unvorhersehbaren Absturzes der
Börse weiter unter Druck geraten, hat die
Kaufkraft der Lohnabhängigen seither sogar
abgenommen. Am 27. April 2009 bestätigte
das Bundesamt für Statistik, dass sich
die Reallöhne 2008 mit einem Minus von
0.4 Prozent rückläufig entwickelt
haben. Mit Hilfe der Arbeitslosigkeit wird das
Unternehmertum die Löhne weiter unter Druck
setzen.
Die
politischen Autoritäten preisen die Verdienste
der Kurzarbeit, die angeblich vollständige
Entlassungen verhindern sollen. Dazu vier Bemerkungen:
1.
waren schon zuvor TemporärarbeiterInnen
eingestellt worden. Um „flexibler“
zu werden, wurde die Zahl der temporär
Angestellten erhöht.
2.
wurden den Lohnabhängigen dank der Betriebsvereinbarung
über die Jahresarbeitszeit Tausende zusätzlicher
Arbeitsstunden auferlegt, ohne dass die Einkommen
dabei gestiegen wären (ähnlich wie
bei den Überstunden).
3.
Die Unternehmen haben sich qualifizierte Arbeitskräfte
„ausgeliehen“, um ihre eigenen „Bildungsinvestitionen“
nicht zu verlieren. Diese Prozedur ist ein erster
Schritt in Richtung mehr Flexibilität.
Ein Arbeiter bestätigt völlig zu Recht:
„Wenn die 8 temporär angestellten
Personen nicht akzeptieren, werden sie überhaupt
nicht eingestellt.“
4.
Die Kurzarbeit wird wiederum von den Lohnabhängigen
in Form von Sozialabgaben (inklusive des „Arbeitgeberbeitrages“,
denn wer kreiert den Reichtum?) getragen. Ferner
hat die Vergangenheit gezeigt: Wenn eine Krise
länger dauert, ist die Kurzarbeit nur eine
Vorstufe zur völligen Erwerbslosigkeit.
In diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen
sind die massive Erhöhung der Krankenkassenprämien
2010 und 2011, die Rentenkürzung um 11
Prozent, bedingt durch eine Senkung des Umwandlungssatzes,
sowie die Angriffe gegen die jetzt schon schwach
ausgebaute Arbeitslosenversicherung.
Sich
weigern, ihre Krise zu bezahlen
Ein
dominantes Thema der Erklärungen des Unternehmertums:
„Wir müssen die Löhne senken,
um an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen,
ohne dabei an Fähigkeiten zu verlieren.“
Übersetzt heisst das: Die Löhne und
die Sozialversicherungen angreifen. Gleichzeitig
unterstützen der Staat und seine Nationalbank
insolvente Banken in Milliardenhöhe. Letztere
wurden sogar von einem renommierten konservativen
Ökonomen unlängst als „Profiteure,
Gauner und Spekulanten“ abqualifiziert
(Le Monde, 9./10. September 2007). Dennoch verfügen
diese Gauner über weitgehende Straffreiheit,
ganz anders etwa als die Streikenden oder Gewerkschaftsdelegierten.
Warum
diese Sozial- und Wirtschaftspolitik? Weil die
steuerpflichtigen Lohnabhängigen die Rechnung
für den „Rettungsplan“ für
Banken wie die UBS bezahlen sollen. Die UBS
selber wird angesichts ihrer Verluste keine
Steuern abliefern.
Eine
demokratische, öffentliche Debatte müsste
sich nicht um „Rettungspläne“
für die institutionalisierten „Gauner“
der UBS und Co. drehen, sondern um Massnahmen,
mit denen neue Arbeitsplätze geschaffen
werden können z.B. in Sektoren, die auf
eine „ökologische Revolution“
und eine weitgehende Umgestaltung und Neuausrichtung
der Produktion ausgerichtet sind. Diese Massnahmen
sollten der öffentliche Kontrolle
unterstellt sein und durch eine „öffentliche
Bank“ finanziert werden, durch welche
auch kleinere und mittlere Betriebe von der
Diktatur durch die Machtelite befreit würden.
Vor
allem aber müssen wir längerfristig
eine Bewegung aufbauen, die
für einen Minimallohn
von 4000 Franken einsteht und die sozialen Sicherungssysteme
verteidigt: Eine echte soziale Sicherheit, die
auch Rente und Gesundheit mit einschliesst und
zudem zusätzliche Mittel für das Bildungswesen
bereitstellt. Kurz: Eine soziale Infrastruktur
entwickeln, ganz im Sinne der Parole „Wir
bezahlen eure Krise nicht“. |