In den Diskussionen innerhalb der Gewerkschaften
wird eine Tatsache oft vergessen, die für
diejenigen, die arbeiten, selbstverständlich
ist: Der produzierte Reichtum ist das Ergebnis
unserer Arbeit, der Arbeit der Lohnabhängigen!
Wir bauen Strassen, Brücken, Tunnels, Krankenhäuser,
Schulen und Unternehmen. All das ist für
die Patrons notwendig, damit «die Wirtschaft
funktioniert» und sie Profite anhäufen
können.
So wie andere Lohnabhängige, die in der
Industrie und in anderen Sektoren tätig
sind, produzieren wir Güter und Dienstleistungen,
ohne die die Gesellschaft nicht funktionieren
würde.
Alles
würde still stehen: Ohne uns, schweizerische
und migrantische Lohabhängige; ohne uns,
Arbeiter auf dem Bau, in der Industrie, in der
Landwirtschaft und in der sogenannten Dienstleistungsbranche;
ohne uns, lohnabhängige Frauen und Männer.
Wenn es stimmt, dass wir den ganzen gesellschaftlichen
Reichtum produzieren, so stimmt es auch, dass
wir nur einen kleinen Teil davon erhalten. Um
eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sozial
ungerecht der Reichtum verteilt wird, genügt
einige wenigen Fakten:
Einerseits
steigen die Profite der Unternehmen, die Dividenden
der Aktionäre, die Boni der Bänker,
die Einkommen der Superreichen, die damit immer
reicher werden.
Andererseits
stagnieren oder sinken die Löhne sogar.
Im Bausektor wurden seit mindestens zwei Jahren
nicht einmal die Mindestlöhne der Teuerung
angepasst, Lohnerhöhungen belaufen sich
auf null. Falls doch Lohnerhöhungen stattfinden,
dann werden sie willkürlich verteilt oder
ganz nach dem Gutdünken der Bosse.
Immer
mehr arbeiten!
Tagtäglich
stellen wir fest: Wir arbeiten immer mehr und
immer intensiver. Auf den Baustellen wurden
die Arbeitsrhythmen erschreckend erhöht.
Vor 15 Jahren wurden noch doppelt so viele Arbeiter
eingesetzt, um eine Baustelle zu beenden. Diese
Anstrengungen, die die Bosse uns auferlegen,
bekommen wir nach einigen Jahren direkt körperlich
zu spüren. Unsere Gesundheit ist beeinträchtigt
– ganz zu schweigen von den kleinen und
grossen Arbeitsunfällen, den diversen Krankheiten,
Handicaps, Behinderungen, die aus dieser rapiden
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen entstehen.
Und der Baumeisterverband (SBV) will nun sogar
schrittweise das Rentenalter 60 in Frage stellen...
Die
Arbeitszeitverlängerung ist eindrücklich:
Keine Stunde, keine Minute ist mehr «verloren»!
Die Pausen auf den Baustellen werden immer kürzer,
sofern es überhaupt noch welche gibt. Die
Veränderungen in den Gesamtarbeitsverträgen
auf Schweizer und kantonaler Ebene haben der
Samstagarbeit Tür und Tor geöffnet.
Arbeiten am Samstag wird immer häufiger,
legal oder illegal. Wir alle kennen viele Baustellen,
auf denen samstags gearbeitet wird. Die Bosse
bringen immer dasselbe Argument: Die Termine
der Bauherrschaft müssen eingehalten werden.
Unsere Gesundheit und unser Leben zählen
nicht gegenüber den «Befehlen von
oben»!
Noch
ein Beispiel: Wie oft verletzen die Patrons
die Schlechtwetterregelung, wonach die Arbeit
bei schlechter Witterung unterbrochen werden
muss. Die Unternehmen nutzen dafür nicht
einmal die Leistungen der Arbeitslosenversicherung,
die im Prinzip weiterhin gelten. Oft zwingt
uns der Vorgesetzte also zur Arbeit bei Regen
oder gar bei Schnee – im vollen Bewusstsein
der hohen Risiken.
Löhne
im Sturzflug
Letztes
Jahr haben wir eine allgemeine Lohnerhöhung
von 150 Franken für alle verlangt. Erhalten
haben wir aber nichts. Niemand von uns bekam
mehr Lohn. Wenn jemand doch ein paar Dutzend
Franken mehr pro Monat erhielt, dann nur auf
einseitigen Beschluss des Patrons. Faktisch
haben die Patrons freie Hand, da keine Einigung
für 2011 besteht. Sie können machen,
was sie wollen. Bei den Maurern haben die Bosse
die Idee des Leistungslohns eingeführt.
Was heisst das? Ganz einfach: «Du
bist zu alt, du bist nicht produktiv genug:
Kein Mindestlohn! Du bist zu jung, zu unerfahren:
kein Mindestlohn!» Im 2010 war die
Lohnsituation nicht besser und die kleine Erhöhung
glich nicht einmal die Teuerung aus.
In
den letzten fünf Jahren haben wir mindestens
10 Prozent an Kaufkraft verloren. Wir alle stellen
fest, dass die steigenden Lebenshaltungskosten
ganz anders aussehen als die offiziellen Zahlen.
Man muss nur die Preise von Lebensmitteln, Kleidern,
Schuhen usw. anschauen. Trotzdem wird der Teuerungsausgleich
aufgrund der zu niedrigen offiziellen Zahlen
berechnet – völlig unannehmbar.
Lohn-
und Sozialdumping
Die
Leitung unserer Gewerkschaft UNIA hatte uns
versprochen, dass die bilateralen Verträge
den Arbeitsmarkt nicht deregulieren würden.
Die flankierenden Massnahmen würden uns
gegen Lohn- und Sozialdumping «schützen».
Die Realität sieht ganz anders aus. Wir
sehen es jeden Tag. Sozialdumping ist in allen
Kanton alltäglich. Die Löhne werden
nach unten gedrückt. Die Arbeitslosigkeit
in Europa wird gegen uns benutzt. Befristete
Arbeitsverträge (temporär von März
bis Oktober angestellte Arbeiter) sind ein Instrument,
den Mindestlohn zu umgehen. Die Spirale des
Subunternehmertums entwickelt sich immer weiter,
angeführt von den grossen Firmen. Resultat:
Arbeitsplätze zu niedrigsten Löhnen,
Schwarzarbeit, schlimmste Arbeitsbedingungen,
Lohnausfall wegen betrügerischem Konkurs.
Die
offiziell durchgeführten Kontrollen betreffend
nur einen winzig kleinen Teil der Arbeiter.
Dennoch werden sie in den Medien mit viel Tamtam
angekündigt. Mit Sicherheit würden
breit angelegte und systematische Kontrollen
– die nicht im Voraus angekündigt
werden –Verstösse gegen zahlreiche
vertragliche und gesetzliche Bestimmungen aufdecken.
Für viele von uns bedeutet der allgemeinverbindliche
Gesamtarbeitsvertrag keinen Schutz.
Die
Möglichkeiten der Patrons, die vertraglichen
Regelungen zu umgehen, sind vielfältig.
Sie nutzen Temporärfirmen von ausserhalb
der Schweiz, um entsandte Arbeiter zu inakzeptablen
Bedingungen einzustellen. Die Bosse nutzen die
Tatsache aus, dass unsere migrantischen Kollegen
– qualifiziert und erfahren – keinen
anerkannten Abschluss wie das Eidgenössische
Fähigkeitszeugnis vorweisen können.
Diese Arbeiter werden dann in eine tiefere Lohnklasse
eingestuft als im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen,
selbst wenn sie eine Tätigkeit ausüben,
die im Prinzip einer höheren Qualifikation
und somit einem höheren Lohn entspricht.
All
dies wird von offensiven Patrons vorangetrieben,
um ein Konkurrenzverhältnis zwischen uns
Arbeitern zu schaffen. Mit dem Ziel, uns zu
spalten und zu schwächen, die Solidarität
abzubauen, welche ein Landesmantelvertrag (LMV)
wiederum stärken würde, der unseren
Forderungen Nachdruck verleihen würde.
Eine
notwendige Wende
Der
Baumeisterverband (SBV) will keine unserer Forderungen
akzeptieren. Diese aggressiven Bosse wollen
den aktuellen LMV für das Bauhauptgewerbe
aushöhlen. Dagegen müssen wir uns
mit Entschiedenheit mobilisieren.
Die
heutige Demonstration darf kein Endpunkt sein.
Sie muss vielmehr der Moment sein, um eine längerfristige
Mobilisierung zu starten. Wenn wir hier in Bern
so zahlreich sind, dann nicht um eine Einigung
zu unterzeichnen, die unsere Bedürfnisse
und berechtigten Forderungen nicht wirklich
berücksichtigt.
Diese
Demonstration vom 24. September muss das Signal
einer Bewegung sein, die auf den Baustellen
weitergeht, wie 2007 in zahlreichen Regionen
geschehen. Wollen wir gegenüber dem SBV
ein Resultat herausholen, ist es klar, dass
wir weitere Aktionen auf den Baustellen organisieren
und sie auch blockieren müssen. Keine Kampfmassnahme
soll von vornherein ausgeschlossen sein.
Ohne
diese Entschlossenheit werden wir gar nichts
erreichen. Wir wissen, dass die Konfrontation
schwierig ist. Aber wir können uns nicht
mit dem «kleineren Übel» zufrieden
geben, also mit einer Lösung der Bosse,
die den Gewerkschaften aufgezwungen wird.
In
der Tat geht es diesmal – mehr noch als
in der Vergangenheit – um unsere Löhne,
unsere Arbeitsbedingungen, unsere Gesundheit
und um die Lebensbedingungen unserer Familien.
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