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Die Analyse der Abstimmung vom 25. September im Raum Zürich zeigt, dass die „unteren Bevölkerungsschichten“ der Parole der SP und der Gewerkschaften nicht gefolgt sind

Die Zürcher Goldküste
feiert die flankierenden Massnahmen

von Marco Feistmann, 27.9.2005


Eine kurze Analyse der Abstimmung vom 25. September für den engeren Raum Zürich ergibt interessante Resultate.

1. NEIN-Stimmenanteile 1

Auf den Gemeindekarten des Kantons Zürich können die Resultate der Gemeinden und der Wahlkreise der Stadt Zürich angeklickt werden:

http://www.statistik.zh.ch/abstimmungen/2005_09_25/map.php

Der Anteil von NEIN-Stimmenden in der Stadt Zürich beträgt 33,1% (zum Vergleich: Kanton Zürich: 40,6%; Schweiz: 44%). Bei näherer Betrachtung zeigt sich eine soziale Spaltung beim Abstimmungsverhalten.

Zuerst einmal die Abstimmungsresultate in den einzelnen Wahlkreisen: 2

Kreis 1+2 (Altstadt und Enge, etc.): 28,1%
Kreis 3 (Wiedikon, etc.): 32,6%
Kreis 4+5 (Aussersihl, etc.): 25,4%
Kreis 6 (Ober- und Unterstrass): 26%
Kreis 7+8 (zwischen Zürichberg und Seefeld): 23,1%
Kreis 9 (Albisrieden und Altstetten): 44,2%
Kreis 10 (Höngg, etc.): 31,1%
Kreis 11 (Oerlikon, Seebach, Affoltern): 43,2%
Kreis 12 (Schwamendingen, etc.): 54,4%


In „Ghetto-Quartieren“ (nach TA-Jargon, Bericht vom 27.9.05 über Genf) wie Altstetten, Oerlikon, Seebach, Affoltern, Schwamendingen gab es überdurchschnittliche NEIN-Anteile (was wenig erstaunt, aber bezeichnend ist). Am ausgeprägtesten in Schwamendingen (54.4%).

Interessant sind auch die Resultate im Wahlkreis 4+5 (links der Sihl/Limmat, d. h. die Quartiere Werd, Langstrasse, Hard, Gewerbeschule, Escher-Wyss) und andererseits in den bürgerlichen Quartieren zwischen See und Zürichberg (Wahlkreis 7+8). Diese beiden Wahlkreise weisen die höchten JA-Anteile auf: 74,6% im 4+5, 76,9% im 7+8.

In den Gemeinden der Peripherie, die an die Stadt Zürich angrenzen, drückt sich die Korrelation zwischen der sozialen Zusammensetzung und dem Abstimmungsresultat vom 25. September noch deutlicher aus als innerhalb der Stadtgrenzen: Die ärmeren Vororte (Schlieren, Regensdorf, Rümlang und Opfikon: Nordgürtel) weisen hohe NEIN-Anteile auf: 50% und mehr (bis 56,5% in Rümlang). Die reichen Vororte (Kilchberg, Zollikon und Zumikon: Südgürtel) stimmen hingegen zu 68% bis 73% mit JA.

2. Stärke der Parteien in den angesprochenen Wahlkreisen der Stadt Zürich

Im Wahlkreis 4+5 ("Aussersihl") sind die Parteien, die Walter Angst (PdA) zu Recht zur "Linksmehrheit" zählt – d. h.: SP (Stadtpräsident Elmar Ledergerber u. a.), Grüne (Monika Stocker u. a.) und AL/PdA (vgl. Edito im AL-Info, September 2005, http://www.al-zh.ch/info/info-4-2005.pdf ) –, elektoral sehr stark: Bei den Gemeinderatswahlen 2002 erreichte die "Linksmehrheit" (SP, Grüne und AL/PdA) 66% der Stimmen im Kreis 4 und 74% der Stimmen im Kreis 5. Diese Parteien haben während der Abstimmungskampagne geschlossen für ein JA am 25. September gekämpft.

Im bürgerlichen Wahlkreis 7+8 (See / Zürichberg) war bei den Gemeindewahlen 2002 die SP stärkste Partei (28%), dicht gefolgt von der FDP (27%).

Im Wahlkreis 12 (Schwamendingen) errangen sowohl die SP wie auch die SVP 2002 hohe Wahlresultate: 35% respektive 28%. FDP, Grüne und AL sind hier bedeutungslose Splittergruppen.

(Die Statistiken sind auf der Website der Stadt Zürich zu finden).

3. Arbeitslosigkeit, Parteizugehörigkeit und Abstimmungsverhalten

In seiner Kurzanalyse hebt das Statistische Amt des Kantons Zürich die Korrelationen


- zwischen der Arbeitslosenquote einerseits und der Differenz zwischen JA-Stimmenanteil bei Schengen-Dublin (Abstimmung vom 5. Juni 2005) und bei der Personenfreizügigkeit – je geringer die Arbeitslosenquote einer Gemeinde ist, desto grösser ist die Zunahme des JA-Stimmenanteils gegenüber der Schengen-Abstimmung und umgekehrt ¬–, sowie

- zwischen den Stimmenanteilen und den WählerInnenanteilen: Je höher der Anteil der SVP-Wählerschaft in einer Gemeinde, desto niedriger der JA-Stimmenanteil – je mehr FDP- und SP-WählerInnen, desto höher der JA-Stimmenanteil, "wobei der Zusammenhang bei der FDP deutlich enger ist als bei der SP" (!) – hervor und illustriert sie mit Grafiken: http://www.statistik.zh.ch/abstimmungen/2005_09_25/analyse.php .

(Eine Korrelation mit dem AusländerInnenanteil müsste verifiziert werden; Beim "Überfliegen" der Zürcher Stadtkreise ist jedenfalls eine Korrelation nicht auf Anhieb zu erkennen).

4. Stimmbeteiligung

Sie lag gesamtschweizerisch auf 53,8% und im Kanton Zürich auf 55,49%. Für die Stadt Zürich werden die einzelnen Wahlkreise ausgewiesen.

Es fällt auf, dass unter den Wahlkreisen der Stadt Zürich die Stimmbeteiligung im oben beschriebenen Kreis 4+5 am niedrigsten ist (45,6%), gefolgt von Schwamendingen (47,8%). Der Wahlkreis 4+5, in dem die "Linke" die überwältigendsten Wahlresultate erreicht (wie gezeigt, zwischen 66% und 74% der Stimmen im Jahr 2002) und am 25. September den zweithöchsten JA-Anteil schafft, weist somit die niedrigste Stimmbeteiligung auf (!), gefolgt vom Wahlkreis mit dem höchsten NEIN-Anteil (Schwamendingen).

Die höchste Wahlbeteiligung in der ganzen Stadt Zürich gab es im bürgerlichen Kreis 7+8: 60,2%.

An diesen Wahlkreis grenzen die reichen Gemeinden der Goldküste. Sie alle weisen bei der "Personenfreizügigkeit" eine überdurchschnittliche Stimmbeteiligung auf - wenn auch nicht ganz so hoch wie im sozialdemokratisch-freisinnigen Zürichberg.

5. Einige Schlussfolgerungen

a) In den reichen Stadtkreisen und Gemeinden des inneren Raums Zürich fand eine überdurchschnittliche Mobilisierung (Stimmbeteiligung) statt. Diese Gebiete haben ausnahmslos überdurchschnittlich JA zur "Personenfreizügigkeit" gestimmt.

b) Die niedrigste Mobilisierung (Stimmbeteiligung) fand in der Nord-Peripherie statt. Sie stimmte eher NEIN.

Die BewohnerInnen von Rümlang, Seebach, Oerlikon, Schwamendingen, Affoltern, Altstetten, usw., haben die "flankierenden Massnahmen zum Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping" offensichtlich am wenigsten überzeugt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter und unteren Angestellten, die die Mehrheit dieser Trabantenquartiere und –vororte bilden, sind nicht abstimmen gegangen oder haben NEIN gestimmt. Diese elementare Tatsache wird die mehr oder weniger linken BefürworterInnen der "Personenfreizügigkeit" (Calmy-Rey, Fehr, Fasel, Vischer, Gaillard, Pedrina, Rechsteiner, Goll, Stocker, Angst, usw. usf.) vermutlich nicht zum Nachdenken bringen.

Begeistert von den "flankierenden Massnahmen zum Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping" zeigten sich hingegen – wie unter 4a) angesprochen – die BewohnerInnen vom Zürichberg und der Goldküste (Zollikon, Zumikon, Küsnacht, Erlenbach, Herrliberg und Meilen).

c) Der Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit, auf den weiter oben (Punkt 2) hingewiesen wird, zeigt das Gegenteil dessen, was die "Linke" und die Gewerkschaften mit ihrem Diskurs über die flankierenden Massnahmen behauptet haben. Aber was soll's. Die von Arbeitslosigkeit bedrohten Lohnabhängigen wollen partout nicht einsehen, dass die zwischen den Gewerkschaftsführern und den Arbeitgebern "ausgehandelten" flankierenden Massnahmen, "die die Wirtschaft nichts kosten" (Peter Hasler, Direktor des Arbeitgeberverbandes), zu ihrem Schutz sind... Die Lohnabhängigen sind halt eine "fremdenfeindliche Masse" und die "Linken" gehören dagegen gehören zu einer aufgeklärten Elite...

d) Die JA-Kampagne der Regierung und der Arbeitgeber hat einen Block von bürgerlichen und privilegierten Schichten - mit soziopolitischem Anhang - rund um ihre richtig verstandenen Interessen schmieden und am 25. September mobilisieren können.

e) Wie die oben angeführten Vergleiche der Stimmbeteiligungen, der Parteizusammensetzungen und der Abstimmungsresultate andeuten, schienen sowohl linke WählerInnen wie ArbeiterInnen entweder gespalten oder demobilisiert und blieben aus unterschiedlichen Gründen zu Hause. Ein grosser Teil der ArbeiterInnen ist nicht abstimmen gegangen. Ein wichtiger Teil der linken WählerInnen ist den Parolen der SP, der Grünen, der AL/PdA und der Gewerkschaftsführungen nicht gefolgt.

ArbeiterInnen, die abgestimmt haben, haben mehrheitlich NEIN gesagt.

Linke, die zur Urne (die Doppeldeutigkeit des Wortes fällt auf) gegangen sind, haben in ihrer klaren Mehrheit JA gestimmt (vgl. Kreis 4+5).

Wenn Linke nicht JA stimmen wollten, dann blieben sie zu Hause. Nicht wenige Linke sind zu Hause geblieben, um nicht "mit der SVP" zu stimmen: Sie haben zur eigentlichen Kernfrage dieser Auseinandersetzung, aus dem Standpunkt der Lohnabhängigen (Flexibilisierung des Arbeitsmarktes im Rahmen einer kontinentalen Neuorganisation der Arbeitskräfterekrutierung und im Interesse der Unternehmer vs. Personenfreizügigkeit mit gleichem Lohn bei gleicher Arbeit), keinen Zugang gefunden.

Die SP erleidet deshalb in den traditionell linken Kreisen 4+5 (hier zusammen mit den Grünen und der AL) und Schwamendingen eine Schlappe (wobei in Schwamendingen die SVP in den letzten Jahren stark zugelegt hat): In keinem dieser Wahlkreise, die eine stark lohnabhängige Zusammensetzung aufweisen und gleichzeitig verschieden sind, soziologisch gesehen, schafft sie es, ihre WählerInnenbasis geschlossen und massiv für das JA zu mobilisieren. Sie macht es hingegen "besser" im guten Kreis 7+8.3


 

Die auf diesen Seiten angeführten, wenigen Befunde untermauern statistisch, wenn noch nötig, was diese Abstimmung politisch klar gezeigt hat: Die Gewerkschaftsführungen und die "Linke" haben ganze Arbeit geleistet, um auf der einen Seite den Besitzern der grossen Firmen, der economiesuisse, den Arbeitgebern Schützenhilfe zu leisten für eine "Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Schweiz" (sie wurde auf den Namen "Personenfreizügigkeit" getauft) und um auf der anderen Seite die Lohnabhängigen anzugreifen, der Ausländerfeindlichkeit zu bezichtigen und ihre Opposition zu spalten, zu desorganisieren und zu demobilisieren.

Wie die Erfahrung von Diskussionen einerseits an Standaktionen und andererseits mit vielen Jungen, insbesondere Lehrlingen gezeigt hat, befand sich unsere (extrem minoritäre) Kampagne im Einklang mit dem Unmut und den Anliegen von breiteren lohnabhängigen Schichten im Raum Zürich. Die Kapitulation der „Linken“ und der Gewerkschaften vor den Bossen hat die Opposition von Lohnabhängigen weitgehend einer Fraktion der Fremdenfeinde überlassen.

In der newspeak der heutigen Golfkriege... fällt dieses Ereignis vermutlich unter die Rubrik der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen "Kollateralschäden" der Abstimmungsoffensive vom 25. September.



Die Arbeitgeber brauchten tatsächlich die Gewerkschaften, um diese Abstimmung zu gewinnen und die Bilateralen „unter Dach und Fach“ zu kriegen. Brauchen die Lohnabhängigen solche Gewerkschaften?

1 NZZ, 26.9.05 und http://www3.stzh.ch/internet/stzh/ueberbau/stadtplan

2 Eine Vorbemerkung ist nötig: " Die Stadt Zürich hat sich entschieden, Abstimmungsresultate nicht mehr nach Stadtkreisen sondern nur noch nach den 9 Wahlkreisen zu publizieren. Damit können für die einzelnen Stadtkreise keine Resultate mehr ausgewiesen werden. Bei den Wahlkreisen sind folgende Stadtkreise zusammengefasst: 1+2; 4+5 und 7+8 " (aus der Website des Kantonalen Statistischen Amtes).

3 Ein Vergleich der absoluten Zahlen, auch in anderen Regionen und gesamtschweizerisch, würde die Elemente dieser summarischen Untersuchung bestätigen.