Eine
kurze Analyse der Abstimmung vom 25. September
für den engeren Raum Zürich ergibt
interessante Resultate.
1.
NEIN-Stimmenanteile 1
Auf den Gemeindekarten des Kantons
Zürich können die Resultate der Gemeinden
und der Wahlkreise der Stadt Zürich angeklickt
werden:
http://www.statistik.zh.ch/abstimmungen/2005_09_25/map.php
Der
Anteil von NEIN-Stimmenden in der Stadt Zürich
beträgt 33,1% (zum Vergleich: Kanton Zürich:
40,6%; Schweiz: 44%). Bei näherer Betrachtung
zeigt sich eine soziale Spaltung beim Abstimmungsverhalten.
Zuerst
einmal die Abstimmungsresultate in den einzelnen
Wahlkreisen: 2
Kreis
1+2 (Altstadt und Enge, etc.): 28,1%
Kreis 3 (Wiedikon, etc.): 32,6%
Kreis 4+5 (Aussersihl, etc.): 25,4%
Kreis 6 (Ober- und Unterstrass): 26%
Kreis 7+8 (zwischen Zürichberg und Seefeld):
23,1%
Kreis 9 (Albisrieden und Altstetten): 44,2%
Kreis 10 (Höngg, etc.): 31,1%
Kreis 11 (Oerlikon, Seebach, Affoltern): 43,2%
Kreis 12 (Schwamendingen, etc.): 54,4%
In „Ghetto-Quartieren“ (nach TA-Jargon,
Bericht vom 27.9.05 über Genf) wie Altstetten,
Oerlikon, Seebach, Affoltern, Schwamendingen
gab es überdurchschnittliche NEIN-Anteile
(was wenig erstaunt, aber bezeichnend ist).
Am ausgeprägtesten in Schwamendingen (54.4%).
Interessant sind auch die Resultate im Wahlkreis
4+5 (links der Sihl/Limmat, d. h. die Quartiere
Werd, Langstrasse, Hard, Gewerbeschule, Escher-Wyss)
und andererseits in den bürgerlichen Quartieren
zwischen See und Zürichberg (Wahlkreis
7+8). Diese beiden Wahlkreise weisen die höchten
JA-Anteile auf: 74,6% im 4+5, 76,9% im 7+8.
In den Gemeinden der Peripherie, die an die
Stadt Zürich angrenzen, drückt sich
die Korrelation zwischen der sozialen Zusammensetzung
und dem Abstimmungsresultat vom 25. September
noch deutlicher aus als innerhalb der Stadtgrenzen:
Die ärmeren Vororte (Schlieren, Regensdorf,
Rümlang und Opfikon: Nordgürtel) weisen
hohe NEIN-Anteile auf: 50% und mehr (bis 56,5%
in Rümlang). Die reichen Vororte (Kilchberg,
Zollikon und Zumikon: Südgürtel) stimmen
hingegen zu 68% bis 73% mit JA.
2.
Stärke der Parteien in den angesprochenen
Wahlkreisen der Stadt Zürich
Im Wahlkreis 4+5 ("Aussersihl") sind
die Parteien, die Walter Angst (PdA) zu Recht
zur "Linksmehrheit" zählt –
d. h.: SP (Stadtpräsident Elmar Ledergerber
u. a.), Grüne (Monika Stocker u. a.) und
AL/PdA (vgl. Edito im AL-Info, September 2005,
http://www.al-zh.ch/info/info-4-2005.pdf ) –,
elektoral sehr stark: Bei den Gemeinderatswahlen
2002 erreichte die "Linksmehrheit"
(SP, Grüne und AL/PdA) 66% der Stimmen
im Kreis 4 und 74% der Stimmen im Kreis 5. Diese
Parteien haben während der Abstimmungskampagne
geschlossen für ein JA am 25. September
gekämpft.
Im bürgerlichen Wahlkreis 7+8 (See / Zürichberg)
war bei den Gemeindewahlen 2002 die SP stärkste
Partei (28%), dicht gefolgt von der FDP (27%).
Im Wahlkreis 12 (Schwamendingen) errangen sowohl
die SP wie auch die SVP 2002 hohe Wahlresultate:
35% respektive 28%. FDP, Grüne und AL sind
hier bedeutungslose Splittergruppen.
(Die Statistiken sind auf der Website der Stadt
Zürich zu finden).
3. Arbeitslosigkeit,
Parteizugehörigkeit und Abstimmungsverhalten
In seiner Kurzanalyse hebt das Statistische
Amt des Kantons Zürich die Korrelationen
- zwischen der Arbeitslosenquote einerseits
und der Differenz zwischen JA-Stimmenanteil
bei Schengen-Dublin (Abstimmung vom 5. Juni
2005) und bei der Personenfreizügigkeit
– je geringer die Arbeitslosenquote einer
Gemeinde ist, desto grösser ist die Zunahme
des JA-Stimmenanteils gegenüber der Schengen-Abstimmung
und umgekehrt ¬–, sowie
-
zwischen den Stimmenanteilen und den WählerInnenanteilen:
Je höher der Anteil der SVP-Wählerschaft
in einer Gemeinde, desto niedriger der JA-Stimmenanteil
– je mehr FDP- und SP-WählerInnen,
desto höher der JA-Stimmenanteil, "wobei
der Zusammenhang bei der FDP deutlich enger
ist als bei der SP" (!) – hervor
und illustriert sie mit Grafiken: http://www.statistik.zh.ch/abstimmungen/2005_09_25/analyse.php
.
(Eine Korrelation mit dem AusländerInnenanteil
müsste verifiziert werden; Beim "Überfliegen"
der Zürcher Stadtkreise ist jedenfalls
eine Korrelation nicht auf Anhieb zu erkennen).
4.
Stimmbeteiligung
Sie lag gesamtschweizerisch auf 53,8% und im
Kanton Zürich auf 55,49%. Für die
Stadt Zürich werden die einzelnen Wahlkreise
ausgewiesen.
Es fällt auf, dass unter den Wahlkreisen
der Stadt Zürich die Stimmbeteiligung im
oben beschriebenen Kreis 4+5 am niedrigsten
ist (45,6%), gefolgt von Schwamendingen (47,8%).
Der Wahlkreis 4+5, in dem die "Linke"
die überwältigendsten Wahlresultate
erreicht (wie gezeigt, zwischen 66% und 74%
der Stimmen im Jahr 2002) und am 25. September
den zweithöchsten JA-Anteil schafft, weist
somit die niedrigste Stimmbeteiligung auf (!),
gefolgt vom Wahlkreis mit dem höchsten
NEIN-Anteil (Schwamendingen).
Die höchste Wahlbeteiligung in der ganzen
Stadt Zürich gab es im bürgerlichen
Kreis 7+8: 60,2%.
An diesen Wahlkreis grenzen die reichen Gemeinden
der Goldküste. Sie alle weisen bei der
"Personenfreizügigkeit" eine
überdurchschnittliche Stimmbeteiligung
auf - wenn auch nicht ganz so hoch wie im sozialdemokratisch-freisinnigen
Zürichberg.
5.
Einige Schlussfolgerungen
a) In den reichen Stadtkreisen und Gemeinden
des inneren Raums Zürich fand eine überdurchschnittliche
Mobilisierung (Stimmbeteiligung) statt. Diese
Gebiete haben ausnahmslos überdurchschnittlich
JA zur "Personenfreizügigkeit"
gestimmt.
b) Die niedrigste Mobilisierung (Stimmbeteiligung)
fand in der Nord-Peripherie statt. Sie stimmte
eher NEIN.
Die BewohnerInnen von Rümlang, Seebach,
Oerlikon, Schwamendingen, Affoltern, Altstetten,
usw., haben die "flankierenden Massnahmen
zum Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping"
offensichtlich am wenigsten überzeugt.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter und unteren Angestellten,
die die Mehrheit dieser Trabantenquartiere und
–vororte bilden, sind nicht abstimmen
gegangen oder haben NEIN gestimmt. Diese elementare
Tatsache wird die mehr oder weniger linken BefürworterInnen
der "Personenfreizügigkeit" (Calmy-Rey,
Fehr, Fasel, Vischer, Gaillard, Pedrina, Rechsteiner,
Goll, Stocker, Angst, usw. usf.) vermutlich
nicht zum Nachdenken bringen.
Begeistert von den "flankierenden Massnahmen
zum Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping"
zeigten sich hingegen – wie unter 4a)
angesprochen – die BewohnerInnen vom Zürichberg
und der Goldküste (Zollikon, Zumikon, Küsnacht,
Erlenbach, Herrliberg und Meilen).
c) Der Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit,
auf den weiter oben (Punkt 2) hingewiesen wird,
zeigt das Gegenteil dessen, was die "Linke"
und die Gewerkschaften mit ihrem Diskurs über
die flankierenden Massnahmen behauptet haben.
Aber was soll's. Die von Arbeitslosigkeit bedrohten
Lohnabhängigen wollen partout nicht einsehen,
dass die zwischen den Gewerkschaftsführern
und den Arbeitgebern "ausgehandelten"
flankierenden Massnahmen, "die die Wirtschaft
nichts kosten" (Peter Hasler, Direktor
des Arbeitgeberverbandes), zu ihrem Schutz sind...
Die Lohnabhängigen sind halt eine "fremdenfeindliche
Masse" und die "Linken" gehören
dagegen gehören zu einer aufgeklärten
Elite...
d) Die JA-Kampagne der Regierung und der Arbeitgeber
hat einen Block von bürgerlichen und privilegierten
Schichten - mit soziopolitischem Anhang - rund
um ihre richtig verstandenen Interessen schmieden
und am 25. September mobilisieren können.
e) Wie die oben angeführten Vergleiche
der Stimmbeteiligungen, der Parteizusammensetzungen
und der Abstimmungsresultate andeuten, schienen
sowohl linke WählerInnen wie ArbeiterInnen
entweder gespalten oder demobilisiert und blieben
aus unterschiedlichen Gründen zu Hause.
Ein grosser Teil der ArbeiterInnen ist nicht
abstimmen gegangen. Ein wichtiger Teil der linken
WählerInnen ist den Parolen der SP, der
Grünen, der AL/PdA und der Gewerkschaftsführungen
nicht gefolgt.
ArbeiterInnen, die abgestimmt haben, haben mehrheitlich
NEIN gesagt.
Linke, die zur Urne (die Doppeldeutigkeit des
Wortes fällt auf) gegangen sind, haben
in ihrer klaren Mehrheit JA gestimmt (vgl. Kreis
4+5).
Wenn
Linke nicht JA stimmen wollten, dann blieben
sie zu Hause. Nicht wenige Linke sind zu Hause
geblieben, um nicht "mit der SVP"
zu stimmen: Sie haben zur eigentlichen Kernfrage
dieser Auseinandersetzung, aus dem Standpunkt
der Lohnabhängigen (Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes im Rahmen einer kontinentalen
Neuorganisation der Arbeitskräfterekrutierung
und im Interesse der Unternehmer vs. Personenfreizügigkeit
mit gleichem Lohn bei gleicher Arbeit), keinen
Zugang gefunden.
Die SP erleidet deshalb in den traditionell
linken Kreisen 4+5 (hier zusammen mit den Grünen
und der AL) und Schwamendingen eine Schlappe
(wobei in Schwamendingen die SVP in den letzten
Jahren stark zugelegt hat): In keinem dieser
Wahlkreise, die eine stark lohnabhängige
Zusammensetzung aufweisen und gleichzeitig verschieden
sind, soziologisch gesehen, schafft sie es,
ihre WählerInnenbasis geschlossen und massiv
für das JA zu mobilisieren. Sie macht es
hingegen "besser" im guten Kreis 7+8.3
Die
auf diesen Seiten angeführten, wenigen
Befunde untermauern statistisch, wenn noch nötig,
was diese Abstimmung politisch klar gezeigt
hat: Die Gewerkschaftsführungen und die
"Linke" haben ganze Arbeit geleistet,
um auf der einen Seite den Besitzern der grossen
Firmen, der economiesuisse, den Arbeitgebern
Schützenhilfe zu leisten für eine
"Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zur
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
des Standortes Schweiz" (sie wurde auf
den Namen "Personenfreizügigkeit"
getauft) und um auf der anderen Seite die Lohnabhängigen
anzugreifen, der Ausländerfeindlichkeit
zu bezichtigen und ihre Opposition zu spalten,
zu desorganisieren und zu demobilisieren.
Wie
die Erfahrung von Diskussionen einerseits an
Standaktionen und andererseits mit vielen Jungen,
insbesondere Lehrlingen gezeigt hat, befand
sich unsere (extrem minoritäre) Kampagne
im Einklang mit dem Unmut und den Anliegen von
breiteren lohnabhängigen Schichten im Raum
Zürich. Die Kapitulation der „Linken“
und der Gewerkschaften vor den Bossen hat die
Opposition von Lohnabhängigen weitgehend
einer Fraktion der Fremdenfeinde überlassen.
In
der newspeak der heutigen Golfkriege... fällt
dieses Ereignis vermutlich unter die Rubrik
der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen "Kollateralschäden"
der Abstimmungsoffensive vom 25. September.
Die Arbeitgeber brauchten tatsächlich die
Gewerkschaften, um diese Abstimmung zu gewinnen
und die Bilateralen „unter Dach und Fach“
zu kriegen. Brauchen die Lohnabhängigen solche
Gewerkschaften?
1
NZZ, 26.9.05 und http://www3.stzh.ch/internet/stzh/ueberbau/stadtplan
2
Eine Vorbemerkung
ist nötig: " Die Stadt Zürich
hat sich entschieden, Abstimmungsresultate nicht
mehr nach Stadtkreisen sondern nur noch nach
den 9 Wahlkreisen zu publizieren. Damit können
für die einzelnen Stadtkreise keine Resultate
mehr ausgewiesen werden. Bei den Wahlkreisen
sind folgende Stadtkreise zusammengefasst: 1+2;
4+5 und 7+8 " (aus der Website des Kantonalen
Statistischen Amtes).
3
Ein Vergleich
der absoluten Zahlen, auch in anderen Regionen
und gesamtschweizerisch, würde die Elemente
dieser summarischen Untersuchung bestätigen.
|