1.
Gegen die finanzielle Krise vorgehen und die
Macht des Finanzsystems brechen
Auf
kurze Sicht haben die Lohnabhängigen
von einem Zusammenbruch des Finanzsystems
nichts gewinnen, denn der würde das Ende
des Kredites bedeuten. Und das Ende des Kredites
bedeutet die Unmöglichkeit, die realen
Aktivitäten der Produktion von Gütern
und von Dienstleistungen zu finanzieren, also
eine dramatische Beschleunigung der sozialen
Krise. Es gibt daher keinen prinzipiellen
Grund, sich der Rettung der Banken zu widersetzen.
Andererseits muss sich die Auseinandersetzung
auf die Bedingungen konzentrieren, unter denen
diese Rettung durchgeführt werden soll.
Die ins Straucheln geratenen Banken müssen
unter öffentliche Kontrolle gebracht
werden – ohne Entschädigung ihrer
Aktionäre. Man muss auch die Öffnung
der Geschäftsbücher aller Banken
fordern, so dass eine wirksame öffentliche
Kontrolle über den Bankbereich möglich
ist. Außerdem öffnet die Gesamtheit
der Debatten, die sich um die Neuregulierung
der Banken drehen, eine Bresche, der man sich
nicht verschließen darf. Man darf sich
nicht täuschen: Die Liberalisierung der
Finanzen im Laufe der Jahre war eine Massenvernichtungswaffe
gegen die sozialen Rechte und den öffentlichen
Dienst. Umgekehrt würde eine Rücknahme
der neoliberalen Maßnahmen eine wichtige
Unterstützung für die Lohnabhängigen
darstellen. Unter diesem Gesichtspunkt hat
die langjährige Arbeit von Attac unter
anderem gegen die Steueroasen oder für
die Besteuerung der Finanztransaktionen eine
größere Bedeutung als je zuvor.
Es gibt eine Reihe von einzelnen Regelungsvorschlägen,
die darauf abzielen, die Macht des Finanzsystems
zu brechen und die Krise zu beenden.
Die
Diskussionen sind oft etwas technisch, aber
eine Maßnahme verdient es zweifellos,
herausgestellt zu werden: die Abschaffung
von Artikel 56 des Vertrages von Lissabon,
der jede Einschränkung bezüglich
des Kapitalverkehrs verbietet und dem Kapital
eine wesentliche Handhabe bietet, um die Arbeitenden
und die Gesellschaften gegeneinander in Konkurrenz
zu bringen. Diese Maßnahme, die schon
von mehr als 37.000 Personen unterstützt
wird, die die Petition „Spekulation
und Börsenkräche: Jetzt reicht es!“
(www.stopfinance. org) unterzeichnet haben,
hat außerdem den Vorteil, dass sie europaweite
Zusammenarbeit ermöglicht. Die Unabhängigkeit
der Zentralbanken bildet ein weiteres Ziel,
das wir ins Visier nehmen sollten: Nichts
rechtfertigt, dass eine dermaßen wichtige
Institution wie die für das Geld der
gesellschaftlichen Kontrolle entrissen ist.
2.
Einen sozialen Schutzwall gegen die Krise
aufbauen
Nicht
die Lohnabhängigen sollten die Krise
bezahlen. Eine der grundlegenden Ursachen,
die zum derzeitigen Debakel geführt hat,
ist die Tatsache, dass ein zunehmender Teil
des Reichtums in die Profite geflossen ist
und dass er im Laufe der 25 letzten Jahre
zum größten Teil als Aktiengewinn
ausgeschüttet worden ist. Um die Lohnempfängerinnen
gegen die Folgen der Krise zu schützen,
müssen die Antworten also in die Beziehungen
zwischen Kapital und Arbeit eingreifen. Das
impliziert zuerst, nicht auf unsere Sofortforderungen
zu verzichten, insbesondere auf die Lohnerhöhungen,
auf das Anrecht auf eine Wohnung oder auch
nach einem Nulltarif für die öffentlichen
Verkehrsmittel.
Präziser
können zwei Maßnahmen vorgebracht
werden. Erstens die Einführung einer
Sonderabgabe auf die Dividenden, die in einen
Ausgleichsfonds unter Kontrolle der LohnempfängerInnen
eingezahlt wird. Dieser Fonds, dessen Verwendung
demokratisch erörtert werden müsste,
könnte zum Beispiel das Verbot der Entlassungen
finanzieren, indem er die Einkommen der Arbeitslosen
sichern würde.
Zweitens
könnte man die Kaufkraft der LohnempfängerInnen
garantieren, indem man die öffentlichen
Beihilfen für die Unternehmen zurückzieht,
die diese Sicherung ablehnen würden.
Solche Maßnahmen erlauben es, die Krise
durch die bezahlen zu lassen, die dafür
verantwortlich sind, wobei zugleich die Grundlagen
für eine Umverteilung der Reichtümer
gelegt werden.
Über
diese dringenden Maßnahmen hinaus erfordert
ein echter sozialer Schutzwall eine Gegenoffensive
insbesondere in den Bereichen der Gesundheit
und der Pensionen. Für die Pensionen
ist es offensichtlich: Im Grunde gibt es kein
Finanzierungsproblem; die Verlängerung
der Beitragsdauer ist also nur eine List,
die darauf abzielt, das System nach dem Umlageverfahren
zu schwächen. Dies geschieht, indem der
Umfang der real ausgezahlten Pensionen vermindert
wird, denn es wird immer schwieriger, eine
vollständige Beitragsdauer zu erreichen.
Infolgedessen werden jene, die es sich leisten
können, dazu gebracht, eine kapitalgestützte
Rentenversicherung zu erwerben. Aber die Krise
des Finanzsystems enthüllt das beträchtliche
Risiko, dem die LohnempfängerInnen ausgesetzt
sind, deren Altersversorgung von den Pensionsfonds
abhängt. In den Vereinigten Staaten werden
Millionen Personen die Opfer dieses Systems.
Man muss auch im Gesundheitswesen handeln,
indem alle Maßnahmen wieder rückgängig
gemacht werden, die den Zugang zu der Gesundheitsversorgung
immer kostspieliger gemacht haben (Eigenanteil
für Medikamente, Kürzung bei der
Erstattung von Medikamenten- und Behandlungskosten
durch die Sozialversicherung, Anhebung des
Eigenanteils für die Behandlung…).
Die Rentensicherung und der freie Zugang zum
Gesundheitssystem sind nicht nur eine Frage
der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein
Mittel, die Krise zu bewältigen: Die
Unsicherheit der Lohnempfänger über
ihre Zukunft wird reduziert, damit werden
auch die sofortigen Einbrüche begrenzt,
die durch einen Konsumrückgang ausgelöst
werden.
Schließlich muss auch auf dem lokalen
Niveau ein sozialer Schutzwall errichtet werden,
durch die Selbstverteidigung der LohnempfängerInnen
und der lokalen Gemeinschaften: Gegen die
Entlassungen muss man Unternehmen für
Unternehmen die Öffnung der Geschäftsbücher
fordern, um aufzuzeigen, dass es möglich
ist, die Arbeitsplätze zu erhalten. Und
warum sollten es die Lohnabhängigen nicht
machen wie die von Lip im Jahre 1974 oder
die von der Continental-Fabrik in Guadalajara
in Mexiko 2005 oder die von zahlreichen Fabriken
in Argentinien nach der Krise von 2001, wo
die Lohnabhängigen ihre Betriebe übernommen
und weitergeführt haben?
3.
Ökologie und soziale Frage verbinden:
eine demokratische Investitionskontrolle
Über
die Maßnahmen zur unmittelbaren Verteidigung
der LohnempfängerInnen und der Gegenoffensive
gegen die Macht des Finanzkapitals hinaus
schafft die Krise eine gute Gelegenheit für
die Gegner des Kapitalismus, ihr Gesellschaftsprojekt
ausführlicher darzustellen. Alles dreht
sich darum, von einer abstrakten Propaganda
über die Übel des Kapitalismus und
die notwendige Sozialisierung der Produktionsmittel
hinaus zu konkreten Losungen zu kommen. Dabei
kann man sich in der derzeitigen Lage auf
zwei Elemente stützen. Erster Punkt:
Wozu dienen die Finanzen, wenn nicht –
nach viel Umwegen und Spekulationen –
dazu, das Kapital neu zu investieren? Heute
ist die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit,
die allein nach dem Kriterium des maximalen
Gewinns ausgerichtet ist, in Krise. Man braucht
also einen anderen Steuermechanismus der Wirtschaftstätigkeit.
Zweiter
Punkt: Der Planet und die menschlichen Gesellschaften
stehen heute wegen der Profitorientierung
der Wirtschaftsentwicklung, die mit einer
erschreckenden Geschwindigkeit das Ökosystem
zerstört und extreme Ungleichheiten produziert,
am Rand des Abgrunds.
All
das erfordert eine andere Orientierung der
Wirtschaftstätigkeit. Da das kapitalistische
Finanzsystem auf doppelte Weise bei der Lenkung
der Investitionen versagt hat, müssen
alle Banken in einen öffentlichen Pool
der Finanzierung der Wirtschaft integriert
werden. Aber dieser öffentliche Pool
darf nicht eine einfache Krücke im Dienst
des Kapitals sein. Er muss von einem demokratischen
Prozess begleitet werden, so dass die großen
Leitlinien der Wirtschaftstätigkeit demokratisch
geplant und beschlossen werden, entsprechend
den sozialen Bedürfnissen und um einen
Übergang zu einer Entwicklung einzuleiten,
bei der die Biosphäre respektiert wird.
Indem die Losung von „Generalständen
der Investitionen für Ökologie und
Gleichheit“ in die Diskussion eingebracht
wird, kann eine Verbindung zwischen der Finanzkrise
und dem Ökosozialismus erreicht werden.
Das ist eine lebendige Art, dem „Manifest
der kommunistischen Partei“ die besten
Geburtstagswünsche auszurichten!
Aus
dem Französischen übersetzt von
Klaus Meier und Friedrich Dorn. Aus: Rouge,
Nr. 2269, 9. Oktober 2008, http://orta.dynalias.org/archivesrouge/article-rouge?id=8676