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Unruhen in Großbritannien

Tödliche Schüsse der Polizei lassen die
angestaute Wut explodieren

von Sarah Sachs-Eldridge - 09. August 2011


Vorbemerkung: Wir veröffentlichen eine gekürzte Fassung eines Artikels, der am 8. August auf www.socialistworld.net erschien. Der Originaltest ist hier zu finden. Seitdem haben sich die Unruhen in weitere Städte Englands ausgeweitet. Die Regierung hat den Einsatz von mehr als 16.000 Polizisten für diese Nacht beschlossen.
Tottenham ist ein Stadtteil im Norden Londons mit mehr als 10.000 Arbeitslosen. Das Viertel Northumberland gehört zu den ärmsten Gebieten Europas. Erst vor kurzem hat der Stadtrat hier Sozialkürzungen von 41 Millionen Pfund beschlossen. Tottenham wurde bereits 1985 von Unruhen erschüttert, nachdem Cynthia Jarret, mutmaßlich von der Polizei, getötet wurde. Und jetzt brennt Tottenham wieder. Zu der Verelendung kommen nun die Zerstörungen durch die Unruhen hinzu.

Im Gegensatz zu manchen Medienberichten sind an den Unruhen keine „Hooligans” oder „Außenstehende” beteiligt, sondern was wir gesehen haben, war dass sich die Wut, die Unmut der Bevölkerung, vor allem der Jugendlichen, in Tottenham einen Ausweg suchte.

Im Gegensatz zu den Medienberichten erleben wir keine „Rassenunruhen”, sondern dass sich Jugendliche von allen ethnischen Hintergründen beteiligen. Nachdem Mark Duggan von der Polizei erschossen wurde, hatte sich eine friedliche Demonstration aus Broadwater Farm (dem Wohnort von Mark Duggan) aufgemacht und forderte „Gerechtigkeit” und eine Erklärung für seinen Tod. Aber dies wurde von den Behörden völlig ignoriert.

„Nur die Spitze des Eisbergs”

Jugendliche in Tottenham meinten, dass die bisherigen Unruhen nur einen flüchtigen Eindruch von der Wut und Frustration vermitteln, die in der Gegend existiert.

Ursachen sind massive Arbeitslosigkeit, so kommen in Haringhey 54 Arbeitslose auf eine offene Stelle. Aber auch 8 der 13 Jugendclubs in der Gegend wurden geschlossen.

Ein 18-jähriger sagte gegenüber dem Evening Standard: „Hier gibt es keine Chance für dich. Die Polizei kontrolliert dich nur weil du schwarz bist.” Polizeirassismus ist an der Tagesordnung.

Die Unruhen kommen nicht unerwartet. In den letzten Jahren waren Jugendliche mit Angriffen auf ihre Zukunft konfrontiert. Viele, darunter auch die Socialist Party, haben gewarnt, dass Unruhen eine Folge dieser Politik sein würden. Noch im April 2010 warnte aber auch Nick Clegg, heute stellvertretender Premierminister, davor dass eine Tory-Regierung „griechenlandähnliche Unruhen” provozieren würde.

Landesweite Situation

Aber die Lage in Tottenham ist nicht einzigartig. Kürzungen finden überall im Land statt. Kein Wunder daher, dass sich die Unruhen innerhalb weniger Stunden in London ausbreiteten.

Der Tod von Mark Duggan ist nur der letzte in einer Serie von schockierenden Tötungen, von meist schwarzen jungen Männern, durch Polizisten. Aber in Tottenham kam die miserable Lage und das Verhalten der Polizei hinzu, die es ablehnte eine Erklärung zur Tötung von Mark Duggan abzugeben. Über 100 Menschen demonstrierten am Samstag vor der Polizeiwache, aber über Stunden sprach kein Beamter mit den Protestierenden. Die Unruhen begannen nachdem ein 16-jähriges Mädchen von Beamten geschlagen wurde.

Misstrauen

Die Polizei gibt an, dass sie erst auf Mark Duggan schoss, nachdem dieser das Feuer eröffnet hatte. Dieser Version wird in Tottenham misstraut. Zu oft hat die Polizei in Vergangenheit gelogen. Es gibt auch kein Vertrauen in die Independent Police Complaints Commission (IPCC, deutsch: Unabhängige Polizeibeschwerdestelle). So wurde zum Beispiel durch die Tageszeitung „Guardian” bekannt, dass eine Kugel, die sich in einem Polizeifahrzeug befand – und als Beweis für die These der Polizei galt – nicht von Mark Duggan, sondern aus einer Polizeiwaffe abgefeuert wurde.

Nur eine wirklich unabhängige Untersuchung durch VertreterInnen der Gewerkschaften und der Gemeindeorganisationen kann aber noch die Wahrheit ans Licht bringen.

Viele Menschen dulden die Unruhen nicht und verurteilen, dass Häuser, Fahrzeuge und anderes angezündet wurden. Es gibt einen großen Unmut, dass die Polizei nichts zum Schutz unternommen hat. Viele geben dem Stellenabbau bei der Polizei die Schuld.

Vereinte Kampagne nötig

Unruhen, wenn auch eine verständliche Reaktion auf die Bedingungen, bringen keine Lösung. Im Gegenteil, die Folgen der Zerstörungen mussen die Arbeiterklasse ertragen. Die Ursachen der Unruhen sind die Sozialkürzungen der aktuellen Regierungen. Es sind die heftigsten Angriffe auf den Lebensstandard seit den 20er Jahren. Verglichen mit dem Diebstahl der Zukunft vieler junger Menschen und dem Versagen der Gewerkschaftsführungen dazu eine Alternative zu bieten, ist es nicht verwunderlich, dass eine Minderheit nun wie in Tottenham reagiert.

Nötig ist aber eine starke und vereinte Kampagne gegen Sozialkürzungen, für mehr Arbeitsplätze und einen Ausbau des öffentlichen Dienst. Die Demonstration vom 26. März mit 750.000 TeilnehmerInnen und die Massenstreiks vom 30. Juni haben gezeigt, dass die Arbeiterklasse die Kraft ist, Dinge zu verändern. Aber viele junge Menschen haben sich noch nie an Massenkampagnen beteiligt und haben keine Erfahrung. Auch wenn dies mit den revolutionären Ereignissen in der arabischen Welt präsenter wird. Aber auch in Großbritannien konnte vor 20 Jahren eine Massenbewegung von 18 Millionen Nichtzahlern der Kopfsteuer die Thatcher Regierung zu Fall bringen.

Aber die Unruhen drücken auch die Krise und Widersprüche des Kapitalismus aus. Einem System, dass weder in Tottenham noch sonstwo jungen Menschen Bildung, Ausbildung und Beschäftigung sichern kann.