Tottenham
ist ein Stadtteil im Norden Londons mit mehr
als 10.000 Arbeitslosen. Das Viertel Northumberland
gehört zu den ärmsten Gebieten Europas.
Erst vor kurzem hat der Stadtrat hier Sozialkürzungen
von 41 Millionen Pfund beschlossen. Tottenham
wurde bereits 1985 von Unruhen erschüttert,
nachdem Cynthia Jarret, mutmaßlich von
der Polizei, getötet wurde. Und jetzt brennt
Tottenham wieder. Zu der Verelendung kommen
nun die Zerstörungen durch die Unruhen
hinzu.
Im
Gegensatz zu manchen Medienberichten sind an
den Unruhen keine „Hooligans” oder
„Außenstehende” beteiligt,
sondern was wir gesehen haben, war dass sich
die Wut, die Unmut der Bevölkerung, vor
allem der Jugendlichen, in Tottenham einen Ausweg
suchte.
Im
Gegensatz zu den Medienberichten erleben wir
keine „Rassenunruhen”, sondern dass
sich Jugendliche von allen ethnischen Hintergründen
beteiligen. Nachdem Mark Duggan von der Polizei
erschossen wurde, hatte sich eine friedliche
Demonstration aus Broadwater Farm (dem Wohnort
von Mark Duggan) aufgemacht und forderte „Gerechtigkeit”
und eine Erklärung für seinen Tod.
Aber dies wurde von den Behörden völlig
ignoriert.
„Nur die Spitze des Eisbergs”
Jugendliche
in Tottenham meinten, dass die bisherigen Unruhen
nur einen flüchtigen Eindruch von der Wut
und Frustration vermitteln, die in der Gegend
existiert.
Ursachen
sind massive Arbeitslosigkeit, so kommen in
Haringhey 54 Arbeitslose auf eine offene Stelle.
Aber auch 8 der 13 Jugendclubs in der Gegend
wurden geschlossen.
Ein
18-jähriger sagte gegenüber dem Evening
Standard: „Hier gibt es keine Chance für
dich. Die Polizei kontrolliert dich nur weil
du schwarz bist.” Polizeirassismus ist
an der Tagesordnung.
Die
Unruhen kommen nicht unerwartet. In den letzten
Jahren waren Jugendliche mit Angriffen auf ihre
Zukunft konfrontiert. Viele, darunter auch die
Socialist Party, haben gewarnt, dass Unruhen
eine Folge dieser Politik sein würden.
Noch im April 2010 warnte aber auch Nick Clegg,
heute stellvertretender Premierminister, davor
dass eine Tory-Regierung „griechenlandähnliche
Unruhen” provozieren würde.
Landesweite Situation
Aber
die Lage in Tottenham ist nicht einzigartig.
Kürzungen finden überall im Land statt.
Kein Wunder daher, dass sich die Unruhen innerhalb
weniger Stunden in London ausbreiteten.
Der
Tod von Mark Duggan ist nur der letzte in einer
Serie von schockierenden Tötungen, von
meist schwarzen jungen Männern, durch Polizisten.
Aber in Tottenham kam die miserable Lage und
das Verhalten der Polizei hinzu, die es ablehnte
eine Erklärung zur Tötung von Mark
Duggan abzugeben. Über 100 Menschen demonstrierten
am Samstag vor der Polizeiwache, aber über
Stunden sprach kein Beamter mit den Protestierenden.
Die Unruhen begannen nachdem ein 16-jähriges
Mädchen von Beamten geschlagen wurde.
Misstrauen
Die
Polizei gibt an, dass sie erst auf Mark Duggan
schoss, nachdem dieser das Feuer eröffnet
hatte. Dieser Version wird in Tottenham misstraut.
Zu oft hat die Polizei in Vergangenheit gelogen.
Es gibt auch kein Vertrauen in die Independent
Police Complaints Commission (IPCC, deutsch:
Unabhängige Polizeibeschwerdestelle). So
wurde zum Beispiel durch die Tageszeitung „Guardian”
bekannt, dass eine Kugel, die sich in einem
Polizeifahrzeug befand – und als Beweis
für die These der Polizei galt –
nicht von Mark Duggan, sondern aus einer Polizeiwaffe
abgefeuert wurde.
Nur
eine wirklich unabhängige Untersuchung
durch VertreterInnen der Gewerkschaften und
der Gemeindeorganisationen kann aber noch die
Wahrheit ans Licht bringen.
Viele
Menschen dulden die Unruhen nicht und verurteilen,
dass Häuser, Fahrzeuge und anderes angezündet
wurden. Es gibt einen großen Unmut, dass
die Polizei nichts zum Schutz unternommen hat.
Viele geben dem Stellenabbau bei der Polizei
die Schuld.
Vereinte Kampagne nötig
Unruhen,
wenn auch eine verständliche Reaktion auf
die Bedingungen, bringen keine Lösung.
Im Gegenteil, die Folgen der Zerstörungen
mussen die Arbeiterklasse ertragen. Die Ursachen
der Unruhen sind die Sozialkürzungen der
aktuellen Regierungen. Es sind die heftigsten
Angriffe auf den Lebensstandard seit den 20er
Jahren. Verglichen mit dem Diebstahl der Zukunft
vieler junger Menschen und dem Versagen der
Gewerkschaftsführungen dazu eine Alternative
zu bieten, ist es nicht verwunderlich, dass
eine Minderheit nun wie in Tottenham reagiert.
Nötig
ist aber eine starke und vereinte Kampagne gegen
Sozialkürzungen, für mehr Arbeitsplätze
und einen Ausbau des öffentlichen Dienst.
Die Demonstration vom 26. März mit 750.000
TeilnehmerInnen und die Massenstreiks vom 30.
Juni haben gezeigt, dass die Arbeiterklasse
die Kraft ist, Dinge zu verändern. Aber
viele junge Menschen haben sich noch nie an
Massenkampagnen beteiligt und haben keine Erfahrung.
Auch wenn dies mit den revolutionären Ereignissen
in der arabischen Welt präsenter wird.
Aber auch in Großbritannien konnte vor
20 Jahren eine Massenbewegung von 18 Millionen
Nichtzahlern der Kopfsteuer die Thatcher Regierung
zu Fall bringen.
Aber
die Unruhen drücken auch die Krise und
Widersprüche des Kapitalismus aus. Einem
System, dass weder in Tottenham noch sonstwo
jungen Menschen Bildung, Ausbildung und Beschäftigung
sichern kann.
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