Ein
Aktionsprogramm der Herrschenden
von
Marco Feistmann,
aus Debatte Nr. 8 vom Mai 2004
Die
drei Vorlagen, die am 16. Mai zur Abstimmung kommen (11. AHV-Revision,
Steuerpaket, Erhöhung der unsozialen Mehrwertsteuer), stellen
eine neue Etappe in der Offensive des Kapitals und der Regierung
gegen die Lohnabhängigen dar. Die Steuerbelastung soll noch
viel stärker als bisher von den Privilegierten und den Superreichen
auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden (u. a. durch
den Abbau der progressiven Besteuerung bei der direkten Bundessteuer
und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer), die Sozialversicherungen
werden frontal angegriffen, der Service Public wird für die
Marktöffnung und Privatisierung seiner rentabelsten Bereiche
kaputt saniert. Die Bewegung für den Sozialismus (BFS) ruft
die Stimmberechtigten dazu auf, am 16. Mai dreimal Nein zu stimmen
und sich dafür an den 1. Mai-Kundgebungen zu mobilisieren.
Diese Massnahmen sind in eine langfristig angelegte, kohärente
Offensive der Wirtschaftsführer und ihres politischen Personals
in Parlament und Regierung eingebettet. Sie streben eine tief
greifende Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen
Kapital und Arbeit an. Die erste Etappe dieses Programms wurde
bereits mit den „Weissbüchern“ von 1991 und 1995
eingeleitet. Die wachsende Arbeitslosigkeit wurde für die
Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse
ausgenutzt, der Service Public wurde in Frage gestellt, die Angleichung
der Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen des öffentlichen
und privaten Sektors nach unten wurde – insbesondere was
Entlassungsmöglichkeiten betrifft – ebenfalls vorangetrieben
(Abschaffung des Beamtenstatus).
In
der vergangenen Legislaturperiode (1999-2003) hat Finanzminister
Kaspar Villiger bereits ein brutales Sparprogramm und Steuervergünstigungen
zu Gunsten der „Wirtschaft“ durchgesetzt. Rechtsgerichtet
ist die Politik des Bundesrats nicht erst seit der „Patriarchenwahl“
vom 10. Dezember 2003.
Zwei
vor wenigen Wochen vorgestellte Dokumente des Bundesrats –
der Bericht über die Legislaturplanung 2003-2007 und das
Massnahmenpaket zur Wachstumspolitik – enthalten die Konturen
eines richtigen Aktionsprogramms der Regierung im Interesse der
herrschenden Klasse. Im Zentrum steht dabei weiterhin das Ziel
eines Wirtschaftswachstums, das unlöslich an die ökonomische
und gesellschaftliche Dynamik des Kapitals gebunden ist. Wie zu
erwarten war, finden wir hingegen keine Überlegung zu öffentlichen
Eingriffen in die „Wirtschaft“, und insbesondere zur
Frage, welche soziale Kraft - eine kleine Minderheit von Kapitalisten
oder die grosse Mehrheit der Lohnabhängigen - die Bedürfnisse,
Ziele und Inhalte des Wirtschaftswachstums bestimmen soll. Verbesserungen
der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Standortbedingungen
für die Unternehmen (zum Beispiel im Steuerbereich) bleiben
Eckpfeiler für die kommenden Jahre.
Die
soziale Stabilität, das heisst Arbeitsfrieden und Sozialpartnerschaft
gekoppelt mit Arbeitsmarktflexibilität und Standortvorteilen
im Steuerwettbewerb, soll gefördert werden. Im Legislaturfinanzplan
werden ein „Sanierungsbedarf“ von rund 2,5 Milliarden
Franken Ausgabenkürzungen bis 2007 und das Festhalten an
der Schuldenbremse bestätigt.
Vier
Beispiele von Botschaften, die bereits in diesem Jahr anstehen,
zeigen den „Geist“ des Aktionsprogramms der Herrschenden
deutlich auf (Auszüge aus der Pressemitteilung zum Wachstumspaket):
Da ist einmal die Rede von einer „wettbewerbsorientierten
KVG-Revision“ (Krankenversicherung) mit der „Förderung
von ökonomischen Anreizen im Gesundheitswesen, wobei Massnahmen
in den Bereichen (...) der Spital- und Pflegefinanzierung und
der Kostenbeteiligung im Vordergrund stehen“. Dann geht
es um die „Unternehmenssteuerreform“ und eine „steuerliche
Entlastung des Risikokapitals.“ Weiter werden die „Beseitigung
des strukturellen Defizits des Bundes und die Eindämmung
des Wachstums der Staatsquote“ angestrebt. Und auch die
Invalidenversicherung soll revidiert werden, und zwar durch die
„Eingliederung temporär arbeitsunfähiger Personen
mittels eines Systems der Früherkennung, die Einführung
von befristeten Renten mit Verpflichtung der Versicherten, aktiv
zum Verbleib oder zur (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsprozess
mitzuwirken, sowie den Einbezug der Sozialpartner in den Vollzug“
(sic!). Dass „Erhöhungen der Mehrwertsteuer bevorstehen“,
gilt ebenfalls bereits als sicher.
Die
Begleitmusik zu solchen Massnahmenpaketen auf Bundesebene sind
entsprechende Kahlschlagprogramme, wie sie zurzeit der Kanton
Zürich brutal und exemplarisch vorführt.
Diese
Politik fügt sich auch in ein internationales Umfeld ein:
Kahlschlag, Sozialabbau und Rentendemontage stehen in allen kapitalistischen
Ländern auf der Tagesordnung. Die EU-Osterweiterung vom 1.
Mai wird den sozialen Krieg der Herrschenden gegen die Lohnabhängigen
verschärfen. Den brutalsten Ausdruck eines Systems, das diesen
sozialen Krieg braucht, um sich zu erhalten, stellt der offene
imperialistische Krieg dar, dessen blutige Grausamkeit zurzeit
im Irak einen Höhepunkt erreicht.
Die
Massendemonstrationen in Deutschland und in anderen Ländern
am Aktionstag gegen Sozialabbau und Arbeitslosigkeit vom 3. April
waren ein Moment des Widerstandes und somit der Hoffnung. Sie
werfen auch in der Schweiz die Frage nach einer notwendigen, nationalen
Mobilisierung gegen diese unsoziale Politik auf: Eine Mobilisierung,
welche die Widerstände (z. B. der Frauen, der MalerInnen
und GipserInnen, der StudentInnen, der SchülerInnen, der
LehrerInnen, usw.) zu bündeln vermag.